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Der Irak - ein belagertes Land

Vorgeschichte und Hintergründe eines angekündigten Krieges

Von Joachim Guilliard*

Vortrag auf dem Friedenspolitischen Kongress in Hannover, 31. August 2002

Während des Wahlkampfes zu den Bundestagswahlen sind aus den Parteien überwiegend Stimmen zu hören, die einem Feldzug gegen den Irak "skeptisch gegenüberstehen" und eine deutsche Beteiligung ablehnen. Andere würden gerne die "Drohkulisse gegen Saddam" aufrechterhalten. Eine inhaltliche Debatte aber über die im wesentlichen von den USA bestimmte westliche Irakpolitik findet in Deutschland kaum statt.

Doch kriegerisch ist diese Politik seit langem - auch ohne neue militärische Eskalation. Schon seit 12 Jahren gleicht der Irak einer belagerten, ausgehungerten, durch Bomben verwüsteten Stadt, die nach wie vor unter regelmäßigem Beschuss liegt.

Seit 1992 greifen britische und US-amerikanische Kampfflugzeuge Ziele auf irakischem Boden an, z.T. mehrmals pro Woche. Die Kampfhandlungen finden in den sogenannten Flugverbotszonen im Süden und Norden des Zweistromlandes statt. Die "No-Fly-Areas" basieren auf keiner UNO-Resolution, sondern wurden von den USA und Großbritannien 1991 selbstherrlich verhängt und erstrecken sich über mehr als die Hälfte des Irak. Nach irakischen Angaben wurden durch diese Luftangriffe in den vergangenen zwölf Jahren 1.400 Menschen getötet. Im Sommer 2002 haben sich die Angriffe verstärkt. Ende August kamen acht Menschen bei einem Angriff ums Leben, wie der frühere US-Justizminister Ramsey Clark bestätigen konnte, der mit einer Delegation amerikanischer Friedensaktivisten den Ort der Bombardierung besuchte. Beobachter werten diese Luftschläge schon seit längerer Zeit als Vorbereitung für einen umfassenden militärischen Angriff der USA. Der im Allgemeinen sehr gut informierte private US-Informationsdienst "Stratfor" berichtete anlässlich gehäufter Luftangriffe bereits am 14. August 2001 (also vier Wochen vor dem 9. September), dass seinen Quellen zufolge die US-Luftwaffe "eine zeitlich unbegrenzte Bombenkampagne" gestartet habe, um "Iraks Luftabwehr systematisch zu zerstören". Da die Zerstörung der Luftabwehreinrichtungen "der klassische erste Schritt in jeder Luftangriffskampagne" sei, dienten die Angriffe der "Vorbereitung des Schlachtfelds für eine wesentlich größere spätere Militäroperation". Als Begründung wurde damals u.a. auf den schwindenden Einfluss und Rückhalt der USA in der Golfregion verwiesen - die Zeit wäre aber, so US-Offizielle damals, für eine umfassende "Militäroperation" noch nicht reif.

Vorgeschichte

Den ursprünglichen Anlaß für die Belagerung gab das Regime im Irak bekanntlich selbst. Die Regie aber führten von Anfang an die USA.
Am 25. Juli 1990 hatte die US-Botschafterin April Glaspie der irakischen Führung versichert, "keine Meinung zu arabisch-arabischen Konflikten wie Ihren Grenzstreitigkeiten (mit Kuwait; J.G.) zu haben"· . Acht Tage später, am 2. August, marschierten irakische Truppen in Kuwait ein, das im Osmanischen Reich Teil des Iraks gewesen war, bis es Ende des 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht abgetrennt wurde.
Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte die irakische Invasion noch am selben Tag und forderte den sofortigen Rückzug. Da Bagdad mit dem Einmarsch in Kuwait eindeutig Völkerrecht verletzt hatte, war es selbstverständlich gerechtfertigt, daß sich der Sicherheitsrat der Sache annimmt. Ungewöhnlich war allerdings die Geschwindigkeit und Härte, mit der das höchste UNO-Gremium in diesem Fall - ganz im Gegensatz zu vielen vergleichbaren anderen - reagierte: Nur vier Tage später setzten die USA am 6. August 1990 (dem Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima) im UNO-Sicherheitsrat die umfassendsten Wirtschaftssanktionen durch, die es jemals gegeben hat. Obwohl seinerzeit viele Länder zu vermitteln versuchten und der Irak mehrfach signalisiert hatte, daß er sich aus Kuwait zurückziehen würde, wenn über die Streitigkeiten, die zu seinem Schritt geführt hatten, verhandelt werden würde, blockierte die damalige Bush-Regierung von da an konsequent jede mögliche Verhandlungslösung. Noam Chomsky hat diese "Verhinderung von Diplomatie" ausführlich beschrieben.

Der Belagerungsring zog sich zusammen. Nachdem die USA sich und ihre Verbündeten im November 1990 durch den UN-Sicherheitsrat zum militärischen Angriff ermächtigt hatten, begann am 17. Januar 1991 der Bombenkrieg. Ein Inferno ging über die irakischen Städte nieder. In 43 Tagen wurde der größte Teil der irakischen Infrastruktur zerstört. Konservativen Schätzungen zufolge fielen auf irakischer Seite 150 000 Menschen den Hightech-Waffen der alliierten Luftstreitmacht zum Opfer, wahrscheinlich waren es weitaus mehr. Die Angreifer dagegen hatten weniger als 200 Tote zu beklagen, vorwiegend durch Unfälle und gegenseitigem Beschuß, dem sogenanntem "friendly fire".

Nach Beginn einer alliierten Bodenoffensive zogen sich die irakischen Truppen Ende Februar 1991 aus Kuwait zurück. Doch erst Tage später endeten die Kampfhandlungen. Es kam zu Massakern an Tausenden von sich zurückziehenden irakischen Soldaten, sowie aus Kuwait fliehenden Zivilisten. Die Straße von Kuwait nach Bagdad wurde zum "Highway of death", nachzulesen in Ramsey Clark "Wüstensturm - US-Kriegsverbrechen am Golf" oder in seinem aktuelleren Beitrag in dem Buch "Der Irak - ein belagertes Land".

Die Belagerung bleibt

Obwohl der Irak nun alle Forderungen des Sicherheitsrates erfüllt hatte, wurden die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft, darunter Offenlegung und Einstellung aller Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen.
Im Gegensatz zu Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg weite Teile Europas verwüstet hatte, aber dennoch nach Kriegsende internationale Aufbauhilfen erhielt, wurde der Irak gewaltsam daran gehindert, seine zerstörte Infrastruktur, wie zum Beispiel die Wasserversorgung, wieder aufzubauen.
Die Folgen waren von Anfang an abzusehen. UN-Organisationen vor Ort berichteten bereits 1991 über die katastrophalen Folgen, vor allem für die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Zuvor gut beherrschte Krankheiten breiteten sich rapide aus, die vorbildlichen unentgeltlichen Gesundheits- und Bildungssysteme brachen zusammen - ein hoch entwickeltes Land der arabischen Welt, das bis 1990 die Grundversorgung der Bevölkerung in allen wesentlichen Bereichen hatte sichern können, wurde von Hilfslieferungen abhängig.

Auch wenn der Belagerungsring im Lauf der Jahre gelockert wurde, forderte die Blockade nach Schätzungen von UN-Organisationen allein bis zum Jahr 2000 mehr als eine Million Menschenleben - das "stille Äquivalent zu zehn Hiroschimas" wie es der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms, Dr. Hannusch einmal nannte.

Schon die ersten UN-Berichte wiesen auch auf die eklatanten Menschenrechtsverletzungen hin, die das Embargo für die 22 Millionen Iraker bedeutete.
Diese Tragödie bzw. dieses Verbrechen - eines der größten der jüngeren Geschichte - vollzieht sich in aller Öffentlichkeit und scheinbar sogar innerhalb des durch die Vereinten Nationen abgesteckten Rechtsrahmens. Jeder, der es wissen wollte, konnte sich ein Bild davon machen. Dennoch dauert das Embargo Jahr für Jahr an und tötete schon mehr Menschen als alle weltweit bisher eingesetzten nuklearen, chemischen und biologischen Waffen zusammen. Offiziell als Maßnahme zur Beseitigung irakischer Massenvernichtungswaffen verhängt, wurden die Sanktionen selbst zur Massenvernichtungswaffe.

Auch heute noch fallen monatlich über 5000 Menschen, vor allem Kinder, dem "sanktionierten Massenmord" zum Opfer, wie Noam Chomsky und Edward Said das Embargo charakterisierten. Innerhalb der UN-Menschenrechtskommission wird daher diskutiert, ob "die Staaten, die die Sanktionen auferlegen, nicht Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention aufwerfen". Ein Gutachten für den Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission kam schließlich vor zwei Jahren zu dem Schluß, die Sanktionen gegen den Irak seien eindeutig illegal.

Sie könnten auch schon lange förmlich beendet worden sein: Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), zuständig für die Unterbindung des irakischen Atomwaffenprogramms, erklärte ihre Arbeit 1997 für abgeschlossen. Ein Jahr später waren auch die chemischen und biologischen Waffen und Produktionsstätten sowie die weitreichenden Raketen fast vollständig erfaßt und zerstört, wie die dafür zuständige UN-Kommission (UNSCOM) bekannt gab. Die USA aber forderten nun vom Irak den hundertprozentigen Nachweis, keine verbotenen Waffen und Produktionsanlagen mehr zu besitzen, und verhinderten so den formellen Abschluß der Mission - denn einen solchen Nachweis zu erbringen, ist praktisch unmöglich.

Der viertägige Bombenkrieg im Dezember 1998 machte schließlich jeglicher Rüstungskontrolle ein Ende. UNSCOM, auf Anweisung der US-Regierung (!) unmittelbar vor Beginn der massiven Angriffe aus dem Irak abgezogen, war angesichts bekannt gewordener Spionagetätigkeiten einzelner Waffenkontrolleure völlig diskreditiert und wurde aufgelöst. Die Sanktionen aber blieben auf Druck Washingtons größtenteils bestehen.

Interessen hinter einem hohen Preis

Auch den USA waren natürlich die Folgen des Embargos stets bekannt, die führenden Eliten nahmen sie stillschweigend in Kauf. Als die damalige amerikanische Botschafterin bei der UNO und spätere Außenministerin, Madeleine Albright in einer Fernsehsendung gefragt wurde, ob denn die Durchsetzung ihrer Politik den Preis von einer halben Million toter Kinder rechtfertige, wurde dies von ihr kaltschnäuzig bejaht.

Was sind diese Interessen, die einen solchen Preis rechtfertigen?
Verständlich wird diese Politik vor dem Hintergrund, daß die unversöhnliche Feindschaft der Supermacht gegen das Baath-Regime weder mit dem Überfall auf Kuwait noch mit irakischen Aufrüstungsprogrammen begann. Sie begann schon mit der Nationalisierung der Ressourcen des Landes Anfang der 70er Jahre, insbesondere die sich bis dahin vorwiegend in britischen und US-amerikanischen Händen befindliche Ölindustrie. Eine Zeitlang wurde diese Feindschaft dann von der gegen den Iran überlagert, da nach dem Sturz des Schahs die USA im Iran unter Ajatollah Khomeini das weit größere Übel sahen.
Sie ermunterten daher Bagdad zum Krieg gegen den Iran, und kamen dem Irak, als sich nach Anfangserfolgen das Blatt gegen ihn zu wenden drohte, mit massiver militärische Unterstützung zu Hilfe. Der Irak erhielt aus dem Westen, insbesondere aus Deutschland und den USA, auch Material und Geräte zur Herstellung chemischer Waffen, die mit stillschweigender Duldung der Lieferländer gegen iranische Truppen sowie mit ihnen verbündete kurdische Kräfte eingesetzt wurde.

Die gleichzeitigen Waffenlieferungen an den Iran zeigen allerdings, daß die USA am liebsten keinen Sieger und kein Ende des ersten Golfkrieg gesehen hätten. Fast eine Million Menschen starben in diesem Krieg, der zu einer enormen Militarisierung und tiefen Spaltung der Region führte.
Noch während sie den Irak unterstützten, schmiedeten die USA Pläne für eine militärische Intervention in der Region, da sie darin die einzige Möglichkeit sahen, nach dem Sturz des Schah die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten zu sichern. Der zu Beginn der Reagan-Administration entwickelt Kriegsplan "1002" sollte die vom vorherigen Präsidenten verkündete Carter-Doktrin umsetzen, wonach jede Bedrohung der Vorherrschaft über die Region und ihre riesigen Ölreserven mit Gewalt zu beantworten sei.

Bei der Sicherung ihrer Vorherrschaft wollten sich die USA zukünftig auch nicht mehr auf Stellvertreter, wie den Iran unter dem Schah, verlassen. Als unabdingbar sahen sie nun die massive Präsenz eigener Truppen vor Ort an. Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges 1988 und dem sich abzeichnenden Zusammenbruch der Sowjetunion geriet der Irak unmittelbar ins Visier. 1989 wurde der Kriegsplan "1002" revidiert und in Kriegsplan "1002-90" umbenannt. Die letzten beiden Ziffern des Kriegsplans standen natürlich für 1990. Die meisten Kriegsszenarien gingen schon damals von einer irakischen Besetzung Kuwait aus. Es wird daher vermutet, dass die konfrontative Haltung Kuwaits gegenüber dem Irak damals auf Wünsche aus Washingtons zurückzuführen sind.

Es lag an der völligen Fehleinschätzung der US-amerikanischen Position ihr gegenüber, die die Baath-Führung zum Überfall auf Kuwait ermunterte. Die Invasion gab den USA Gelegenheit, den zur Regionalmacht aufgestiegenen Irak wieder gründlich abzurüsten - militärisch, aber vor allem auch industriell. Der Irak wurde als eigenständiger regionaler - politischer wie wirtschaftlicher - Faktor weitgehend ausgeschaltet und über das Sanktionsregime erlangten die USA auch wieder eine gewisse Kontrolle über das irakische Öl.

Sie sind seither, wie geplant, mit erheblichen Streitkräften in der Region militärisch präsent. 20.000 bis 25.000 U.S. Soldaten sind nun ständig in der Region stationiert. Große Mengen an Waffen und Ausrüstung wurden im voraus in Stellung gebracht, die den USA eine schnelle Expansion ihrer Militärmacht vor Ort erlauben. Die massive US-Truppenpräsenz richtet sich dabei nicht nur gegen den Irak und den Iran, sondern dient auch der Stabilisierung der Ölmonarchien nach Innen. Der Kontrolle dieser Länder mittels korrupter abhängiger Herrscher kommt dabei größte Bedeutung zu.

Im Boden der Länder dieser Region liegen nach aktuellen Schätzungen Ölreserven, die nach heutigen Preisen, Gewinne von mehr als 10.000 Milliarden US-Dollar erwarten lassen. Der Irak hat davon mindestens den zweitgrößten Anteil. Um die Verteilung dieser Profite geht es bei diesem "großen Spiel". Aus dem Ölfonds werden zum größten Teil auch die Rüstungsausgaben wie die Kriege der Region finanziert - der Angreifer, wie der Verteidiger.
Da das Hauptgeschäft beim Öl letztlich bei der Förderung gemacht wird, geht es der gegenwärtigen Bush-Administration - die persönlich mit der Ölindustrie so eng verbunden ist, wie keine amerikanische Regierung zuvor - nun auch darum, endlich wieder unmittelbaren Zugriff auf das irakische Öl zu erhalten.
Das allein erklärt allerdings noch nicht die Obsession, mit der gegen alle Widerstände im In- und Ausland am Kriegskurs festgehalten wird. Hinzukommt, daß die USA seit Jahren mit der Erosion ihres Einflusses in der Region konfrontiert sind. Trotz umfassendem Embargo blieb der Sturz Saddam Husseins aus. Die Sanktionsfront bröckelt, der Irak hat sich Schritt für Schritt aus seiner Isolierung befreit und die Beziehungen zu seinen Nachbarn normalisiert. Die katastrophalen Folgen des Embargos, die Skrupellosigkeit und Einseitigkeit ihres Vorgehens brachte hingegen die Mehrheit der arabischen Welt gegen die Führungsmacht in Übersee auf.
Mit dem stark verbesserten Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Iran auf der einen und der vorsichtigen Annäherung des Iraks zu diesen beiden Staaten auf der anderen Seite, droht Washington eine engere Kooperation der drei Regionalmächte, die bisher stets in wechselnden Konstellationen miteinander verfeindet waren.

Der Status Quo am Golf ist aus Sicht der USA also nicht zu halten. Die mit dem 11. September 2001 geänderten außenpolitischen Rahmenbedingungen bieten nach Ansicht der Bush-Regierung Gelegenheit für eine Neuordnung der Region. Die aktuelle Kriegspolitik richtet sich daher nicht nur gegen den Irak, sondern auch gegen den Iran und Saudi-Arabien.
"Die Absetzung von Präsident Saddam Hussein würde die reichen neuen Ölfelder des Iraks westlichen Bietern öffnen und die Abhängigkeit von saudischem Öl verringern", schrieb die Zeitung "Times of London" am 11. Juli 2002 in einem Artikel unter der Überschrift "Westen sieht in gigantischen Ölfeldern reiche Beute winken".
Der Iran würde durch die gleichzeitige US-Militärpräsenz in Afghanistan in die Zange von US-Truppen im Westen und im Osten geraten. Die alte Politik der gegenseitigen Neutralisierung der Regionalmächte, die "Balance of Powers", hätte nach Ansicht der US-Falken damit ausgedient.

Waffeninspektionen unter Kriegsdrohung

Die Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak wird nicht mit einer akuten Bedrohung durch das Land begründet, sondern damit, dass die USA nicht warten könnten, bis sich der Irak mit gefährlichen Massenvernichtungswaffen versorgt habe und diese gegen die USA richten könne. Sie müssten dieser möglichen Bedrohung präventiv begegnen, indem das herrschende Regime durch ein den USA freundlich gesinntes ersetzt wird.

Die USA und Großbritannien hatten nach Medienberichten dafür im Sommer 2002 bereits mehr als 100.000 amerikanische und britische Soldaten rund um das arabische Land zusammengezogen. Kuwaitische Journalisten berichten von einem stark angewachsenem Flugverkehr auf den US-Basen im Land, der bereits Ausmaße, wie beim letzten Golfkrieg angenommen hätte. Auch vom Frankfurter Flughafen wird eine Zunahme von Flügen schwerer Transportflugzeuge gemeldet. Schiffsladungen voll Panzer und Raketen werden aktuell in die Golfregion gebracht und die Türkei hat begonnen, Flüchtlingslager aufzubauen.

Das alles nährt Befürchtungen, die USA könnten ihren Angriff schon bald beginnen. Dagegen spricht aber noch die breite Ablehnung eines Krieges zum jetzigen Zeitpunkt -bei ihren Verbündeten wie in den eigenen Reihen. Brent Scowcroft, Sicherheitsberater von Bush sen. und maßgeblich am Aufbau der Allianz gegen Irak 1990 beteiligt, sowie Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski haben die US-Regierung davor gewarnt, durch ein allzu forsches Vorgehen, Schaden für die weltweite Vormachtstellung der Supermacht zu verursachen und detailliert die Hausaufgaben aufgeschrieben, die vor einem Feldzug am Golf noch zu machen sind. Siehe hierzu den Beitrag von Jürgen Wagner.

Zentral wird in den kommenden Wochen und vielleicht Monaten, die Frage der Wiederzulassung von Waffenkontrollen im Irak sein. Offiziell ist die bedingungslose Zulassung der neuen UN-Kontrollkommission UNMOVIC eine der zentralen Forderungen der USA. Führende Regierungsmitglieder machten allerdings auch deutlich, dass sie damit noch nicht zu Frieden wären und der Sturz des Regimes auch dann auf ihrer Tagesordnung bliebe.

Der Irak hat schon lange seine prinzipielle Bereitschaft erklärt, wieder Inspektoren ins Land zu lassen. Haupthindernis hier sind die USA, die ein vernünftiges Übereinkommen mit Bagdad bisher verhinderten. Der Irak hat entgegen der häufigen Meldungen in den Medien für eine Wiederzulassung der Inspektoren keine substantiellen Vorbedingungen gestellt oder Vorleistungen gefordert. Bagdad verlangt im wesentlichen nur einen vernünftigen Zeitplan für die Kontrollen, mit klaren Kriterien, wann welche Kontrollen als abgeschlossen zu gelten haben und mit Garantien, daß in dem Maße wie Fortschritte bei der Überprüfung gemacht werden, auch die Sanktionen gelockert bzw. aufgehoben werden. Washington hingegen will, wie bei der ersten UNO-Sondermission (UNSCOM) auch, für die Arbeit künftiger Waffeninspekteure keinerlei Zeitlimit festgelegt sehen und auch keine Zusagen für eine eventuelle Lockerung der Wirtschaftssanktionen geben.

Der Irak lehnt auch die geplante Zusammensetzung des zukünftigen Inspektorenteams ab, das nach dem Willen Washingtons mehrheitlich aus US-amerikanischen und britischen Bürgern bestehen soll, darunter beliebig viele Militärs und Geheimdienstler. Bagdad fordert eine ausgewogene Zusammensetzung und Garantien dafür, daß nicht wieder Waffeninspektoren ihren Aufenthalt zu Spionagezwecke mißbrauchen können. Das irakische Regime beruft sich bei dieser Forderung auf die "schlechten Erfahrungen" mit der UNSCOM zwischen 1991 und 1998. US- und britische Militärs und Geheimdienstler unter den Inspektoren, hatten ihre Funktion mißbraucht und Ziele für spätere britisch-amerikanische Luftangriffe ausgekundschaftet. Auch der ehemalige Chef von UNSCOM, Rolf Ekeus, bestätigte dies kürzlich im schwedischen Rundfunk und berichtete zudem von gezielten Provokationen, die durchgeführt worden wären, um Vorwände für ein militärisches Eingreifen zu schaffen.

Die US-Kriegspläne sehen als wichtigen Schritt zum Erfolg die rasche Zerschlagung der irakischen Führungsstrukturen, sowie die Zerstörung strategischer militärischer und ziviler Einrichtungen vor. Entscheidend hierfür sind vollständige und verlässliche Informationen darüber.
Wie garantiert die UNO, daß nicht erneut Inspektoren ihre Erkenntnisse den US-amerikanischen Geheimdiensten zur Verfügung stellen? Wie, dass der Irak nicht trotz Kooperation mit den Vereinten Nationen von den USA angegriffen wird? Wie steht die UNO dazu, daß führende Mitglieder der US-Regierung wiederholt versichert haben, die Sanktionen erst zu beenden, wenn die jetzige irakische Regierung gestürzt sei. Diese und ähnliche weitere Fragen enthält eine Liste, die der Irak im März 2002 dem Generalsekretär der Vereinten Nationen überreicht hat. Die Bush-Administration hat durchgesetzt, daß Bagdad keine Antwort auf die 19 Punkte erhält. Da keines der anderen 14 Ratsmitglieder der Haltung Washingtons widersprach, kann Kofi Annan auch weiterhin seinen irakischen Gesprächspartnern nur mit leeren Händen entgegentreten.

Das wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Erklärungen aus Berlin und den anderen EU-Hauptstädten, die sich mehrheitlich für eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts im Rahmen der UNO aussprechen. Bis heute haben sie aber kaum etwas dafür getan, damit eine solche Lösung auch nur eine echte Chance erhält. Den EU-Staaten fehlen dafür auch alle Vorraussetzungen. Bis heute hat nur Frankreich eine echte diplomatische Vertretung vor Ort. Ein Skandal, wie der dänische Konfliktforscher Jan Oberg meint, da sich so die europäischen Regierungen selbst die Möglichkeiten nehmen, aus eigenen Quellen etwas über die Realitäten vor Ort zu erfahren. Auf diese Weise wird "keine Regierung fähig sein, eine intelligente, umfassende Politik gegenüber einem Kontrahenten zu entwickeln" Es ist für jeden Beobachter offensichtlich, so Oberg weiter, dass es die irakische Seite ist, die während der letzten paar Monaten "die besten Fragen aufwarf und mit den produktivsten Vorschläge aufwartete".

Die Bedingungen, die der Irak an neue Kontrollen knüpft, sind nachvollziehbar. Angesichts der Entspannung, die im Verhältnis Bagdads zu seinen Nachbarn erreicht wurde, bestünden eigentlich gute Voraussetzungen für eine Lösung aller ausstehenden Fragen.

Unabhängig davon, darf das Wirtschaftsembargo nicht länger unterstützt werden. Es fordert nach wie vor hohe Opfer unter der Bevölkerung, die Geisel der westlichen Politik gegen die irakische Regierung bleibt. Auch eine demokratische Entwicklung im Irak wird erst wieder möglich werden, wenn Kriegsdrohungen und Belagerung beendet sind, die das repressive Regime in den vergangenen Jahren nicht geschwächt, sondern gefestigt hat.

* Joachim Guilliard, Heidelberg, ist Ko-Sprecher der Initiative gegen das Irakembargo Deutschland
(www.embargo.de)



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