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Retortenstädte für den Krieg

Protest gegen Gefechtsübungsfeld in der Colbitz-Letzlinger Heide

Von Peter Nowak, Letzlingen *

Anders als in der Kyritz-Ruppiner Heide ist das Truppenübungsgelände Kolbitz-Letzlinger Heide fest in der Hand der Bundeswehr. Während das Bombodrom bei Wittstock von der Zivilgesellschaft quasi zurückerobert wurde, trainiert das Militär bei Letzlingen den Auslandseinsatz. Hier sammelten sich in den letzten Tagen Antimilitaristen zum Protest.

Glühend heiß war es am Samstag in der Kleinstadt Letzlingen in der Altmark. Kaum ein Mensch war auf der Straße. Doch eine große Anzahl von Polizeiwagen und Fahrzeugen mit der Aufschrift »Feldjäger« brachte ungewohnte Aufregung in den beschaulichen Ort. Der Anlass befand sich am Ortsausgang. Dort waren Transparente gegen Krieg und Militarismus angebracht. Neben einer uniformierten Puppe mit bunter Perücke hatte jemand ein Plakat mit dem Satz »Was für ein erhebendes Gefühl, von einer Frau erschossen zu werden« aufgeklebt.

Auf einem großen Transparent war die Parole »War starts here« (Der Krieg beginnt hier) zu lesen. Das war auch das Motto des einwöchigen Camps, das rund 300 Antimilitaristen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern wenige Kilometer von Letzlingen entfernt organisiert hatten. Das Ziel ihres Protestes war wie im letzten Jahr das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) wenige Kilometer von dem Ort entfernt. Hier probt die Bundeswehr seit 2006 den Einsatz im Ausland. Mitten in der Heide finden sich afghanischen Städten nachempfundene Straßenzüge. »Wir haben eine Altstadt, eine Neustadt, eine Stadtautobahn, die Kanalisation ist 1,5 Kilometer lang und begehbar. Dazu kommen Müllhalde, Trümmerfeld, Elendsviertel und die Moschee, die mit wenigen Handgriffen zur Kirche umfunktioniert werden kann«, wird der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Oberstleutnant Peter Makowski in der Presse zitiert. Die Bundeswehr hat viel vor – auch in der Altmark. Bis 2017 soll dort die Geisterstadt Schnöggersburg entstehen. Von einer »Mischung aus Kinshasa, Timbuktu und Bagdad« schrieb die »Tageszeitung«.

Die Antimilitaristen wollen das Trainieren von Auslandseinsätzen nicht hinnehmen. »Wir sind überzeugt, dass wir die Pläne der Bundeswehr auch in der Altmark beeinträchtigen können«, sagt eine Aktivistin. Sie lobt das Camp, Kontakte seien geknüpft und informative Veranstaltungen organisiert worden. Daneben haben sich immer wieder kleine Gruppen in die Heide aufgemacht, um die Orte der Kriegsübungen zu markieren. Am vergangenen Donnerstag wurde dabei ein verlassener Bundeswehrkontrollposten entdeckt, in dem neben Berichten über GÜZ-Übungen auch Hakenkreuze zu sehen waren. In einer Pressemitteilung verlangen die Aktivisten Aufklärung, ob dafür mit der rechten Szene verbundene Soldaten verantwortlich sind.

Der Aktionstag am Sonnabend war Höhepunkt der Protestwoche. Nur ein Teil der Antimilitaristen suchte am Stadtrand von Letzlingen unter den Sonnenschirmen Schutz vor der drückenden Hitze – darunter auch Mitglieder der Linkspartei aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg, die zur Unterstützung Kaffee und Kuchen mitgebracht hatten. Die übrigen Aktivisten versuchten derweil auf das Gefechtsübungsfeld zu gelangen. Die Polizei hatte das Gelände wenige Meter hinter der Kundgebung zur Sperrzone erklärt. Jeder, der die Straße passieren wollte, erhielt einen Platzverweis. Doch viele Antimilitaristen hatten sich schon am frühen Morgen auf verschlungenen Wegen aufgemacht.

Am Samstagmittag hatten auch die Freunde der Bundeswehr eine Kundgebung angemeldet, an der schließlich rund 30 Personen teilnahmen. Augenzeugen erkannten darunter Personen aus der rechten Szene. Die meisten Teilnehmer verwiesen auf die Arbeitsplätze, die durch die Bundeswehr in der strukturschwachen Region entstünden. »Davon profitieren doch nur die Beerdigungsinstitute und Sargträger«, entgegnete eine Frau.

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. Juli 2013


»Krieg beginnt hier«

Proteste in der Altmark: Polizei verdächtigt Teilnehmer eines antimilitaristischen Camps des Brandanschlags auf Bundeswehrkaserne. Diese weisen Gewaltvorwürfe zurück

Von Susan Bonath **


Insgesamt 16 Militärfahrzeuge sind nicht mehr. Unbekannte Täter waren in der Nacht zum Samstag auf das Gelände des Panzerpionierbataillons 803 und des Führungs- und Unterstützungsbataillons 382 in der Hansestadt Havelberg eingedrungen und hatten unter anderem Lastwagen und Radpanzer in Brand gesetzt. Dabei soll ein Sachschaden in Höhe von mindestens zehn Millionen Euro entstanden sei. Personen wurden nicht verletzt. Das teilte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord mit. Das Landeskriminalamt ermittele, und das Bundesverteidigungsministerium habe Sicherheitsvorkehrungen an Bundeswehrstandorten in ganz Deutschland verschärft, hieß es.

Die Polizei behauptet jetzt, eine konkrete Spur zu haben. Der Verdacht fällt auf das von der Bundeswehrkaserne in Havelberg etwa 90 Kilometer entfernte antimilitaristische Camp »War starts here« westlich des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Altmark. Dort wurde am Samstagabend ein Auto sichergestellt. Festgenommen wurde jedoch niemand. Den Verdacht der Polizei, der Brandanschlag stehe möglicherweise mit dem Camp in Verbindung, wiesen dessen Teilnehmer indes zurück. »Wir wissen davon auch nur durch die ­Medien«, stellte Campsprecherin Rosa Pantsa klar. Im Camp bewertet man dies als »voreiligen Kriminalisierungsversuch«. Den Anschlag, der keine Menschenleben gefährdet habe, betrachte man dennoch »als Beitrag zur Abrüstung von Kriegsgerät«.

Derweil betrieben Sachsen-Anhalts Polizei und Behörden am Samstag einen immensen Aufwand, die Camp­teilnehmer zu schikanieren. Dabei beteiligten sich nach deren Schätzungen lediglich 250 Antimilitaristen am Aktionstag gegen das GÜZ. Trotzdem rückte die Polizei mit 600 Beamten aus fünf Bundesländern an. Diese versperrten sämtliche Waldwege in Richtung GÜZ. Autofahrer mußten teils stundenlange Umwege in Kauf nehmen, da etliche Straßen rings um den 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz gesperrt waren. Dennoch konnte die Polizei in »Zusammenarbeit« mit 360 Bundeswehrsoldaten Aktionen auf dem GÜZ-Gelände nicht verhindern. Insgesamt habe sie 40 Platzverweise ausgesprochen, 40mal Gegenstände wie Farbe und Krähenfüße sichergestellt sowie 58 Strafverfahren eingeleitet, teilte sie mit.

Nach Angaben der Sprecher des Camps hinterließen Aktivisten zahlreiche Friedensparolen im GÜZ, etwa auf dem Militärflugplatz, an Fahrzeugen und Gebäuden. Unbekannte hätten ein rosa Blumenbeet im Übungsgelände gepflanzt. Anrainerstädte und -dörfer seien an weit sichtbaren, aber schwer zugänglichen Stellen mit Transparenten »verziert« worden, hieß es.

»Kein Geld für Schnöggersburg« forderten Vertreter der Linkspartei Haldensleben südlich des GÜZ. Dabei stießen sie bei der Bevölkerung der Kreisstadt, die vor einigen Jahren ihre »Partnerschaft« mit dem Militär besiegelt hatte, vor allem auf Unkenntnis über die 100 Millionen Euro teure Übungsstadt von der Größe Halle-Neustadts. Diese stampft die Bundeswehr derzeit aus dem Boden der Altmark, wo es ansonsten an Geld für Bildung und Kultur mangelt. Spätestens ab 2017 sollen Soldaten in Schnöggersburg für Kriegseinsätze in Metropolen, »wie sie überall in der Welt sein könnten«, trainieren. Die Kriegsgegner gehen davon aus, daß sich das Heer dort auch auf Einsätze im Inneren vorbereiten wird.

Im Ort Dolle östlich des GÜZ protestierte die Bürgerinitiative Offene Heide gegen Übungsstadt und Truppenübungsplatz. Wie an den anderen Mahnwachen errichteten die Kriegsgegner dort eine symbolische U-Bahn-Station. Denn in der Geisterstadt Schnöggersburg soll zu Übungszwecken ein U-Bahn-Zug rollen. Zudem informierte die Initiative über »die jahrzehntelange Zerstörung der Heide durch das Militär«.

Im westlich des GÜZ gelegenen Letzlingen versammelten sich bis zu 100 Aktivisten des »War starts here«-Camps. Dabei kam es zur Konfrontation mit etwa 20 Anwohnern, die samt Ortsbürgermeisterin Regina Lessing und einem bekennenden Vertreter des »nationalen Widerstands« für die Bundeswehr und »gegen Gewalt und Sachbeschädigung« demonstrierten. Ihr Ärgernis waren vor allem rosa Pfeile auf Straßen und Schildern. Ansonsten, argumentierten sie, beschere ihnen die Bundeswehr schließlich Arbeitsplätze und Kaufkraft. Auch meinten sie, »ihr Truppenübungsplatz« – an dem der Betreiber Rheinmetall in den vergangenen zwölf Jahren bis zu 300 Millionen Euro verdient habe – gehe Auswärtige nichts an. Die Antimilitaristen sahen dies anders. Zudem schaffe auch eine zivile Nutzung der Heide Arbeitsplätze. »Gewalt« sei ferner nur gegen Menschen und Tiere möglich, was sie kategorisch ablehnten. Zu Gewalttätern würden vielmehr die Soldaten im GÜZ ausgebildet.

** Aus: junge Welt, Montag, 29. Juli 2013


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