Schikanen in der Heide
Antimilitaristen wehren sich gegen Kriminalisierung und Demonstrationsverbote im Altmarkkreis
Von Susan Bonath *
Die Ruhe in der Heide trügt. In Seitenstraßen patrouillieren Streifenwagen, Beamte halten einen PKW an, verfolgen zwei Radfahrer, woanders eine Gruppe Fußgänger auf dem Weg zum Badesee. Verdächtig ist offenbar, wer aus Richtung des antimilitaristischen Camps »War starts here« kommt. Oder wer von der B71, Höhe Letzlingen, den rosa Pfeilen gen Westen folgt und in Richtung Potzehne unterwegs ist.
Die Kriegsgegner haben es schwer in der Altmark, wo sich die Bundeswehr als großer Arbeitgeber präsentiert. In den Dörfern kursieren Gerüchte über sie. Wie Anwohner jW berichteten, heißt es etwa, es sei verboten, ins Camp zu gehen, weil dort Kriminelle zelteten. Laut Magdeburger Volksstimme hat sich in Letzlingen zudem eine Initiative gebildet, die ihrerseits zu Protesten gegen »gewalttätige Bundeswehrgegner« aufruft. Die Polizei sprach gegenüber dem Blatt von einer Zunahme des »Aggressiv-Militanten« und verwies auf die rosa Pfeile, eine »Farbattacke« auf ein Kriegerdenkmal sowie Krähenfüße auf der Zufahrt zu einem Betrieb, in dem Munition gesprengt wird.
Dieser Stimmungsmache begegnen die Aktivisten mit Flyern. Sie laden Anwohner ins Camp ein, wo sie eine antimilitaristische Ausstellung besichtigen oder sich bei Workshops etwa über Kriege, Aufrüstung und das nahe Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark informieren können. Im GÜZ erhalten Soldaten den letzten Schliff für Kriegseinsätze, demnächst auch in einer Übungsstadt nach westlichem Muster, die das Heer derzeit für 100 Millionen Euro aus dem Boden stampft. Dagegen wollen die Antimilitaristen am Samstag mit Treffpunkt in Letzlingen protestieren. Sie rufen dazu auf, das GÜZ zu »markieren«, vornehmlich mit der Farbe Rosa. »Wie im vorigen Jahr werden wir auf jeden Fall kritische Parolen auf dem Truppenübungsplatz hinterlassen«, sagt der Campsprecher, der sich Farin Skemp nennt. Dies müsse die Bundeswehr aushalten, findet er.
Bis dahin kämpfen die Veranstalter darum, angemeldete Aktionen überhaupt durchführen zu können. Denn der Altmarkkreis Salzwedel hat per Allgemeinverfügung »Versammlungen unter freiem Himmel« vom 20. bis 30. Juli in GÜZ-Nähe untersagt. Einschließlich des Truppenübungsplatzes umfaßt die Verbotszone rund 400 Quadratkilometer. Dagegen wehren sich die Antimilitaristen. Zweimal mußte die Kreisverwaltung das Papier, das zu veröffentlichen sie verplichtet ist, bereits ändern. Die Behörde hatte verschiedene Aktivisten namentlich aufgeführt und den Veranstalter als »gewaltbereiten Straftäter« dargestellt, weil er »Demonstrationserfahrungen« habe und »an den G-8-Protesten in Heiligendamm beteiligt war«. In der neuesten Version fehlt dies zwar, doch sei das Verbot noch immer nicht ausreichend begründet, schätzte einer der Anwälte der Veranstalter im Gespräch mit jW ein. So seien als Fakten angeführte Delikte bei den GÜZ-Protesten im September 2012 »aus dem Zusammenhang gerissen oder schlicht falsch«. Farin Skemp vermutet dahinter »eine Strategie der Behörden, die Proteste zu kriminalisieren und so kritische Anwohner von der Teilnahme abzuhalten«. So werde auch das Graffitisprühen immer wieder als Sabotage dargestellt, sei tatsächlich aber eine Sachbeschädigung. »Und bei den baufälligen GÜZ-Ruinen ist sogar das fraglich«, ergänzte der Anwalt.
Ferner gehe aus der Verfügung nicht hervor, daß bereits Versammlungen im »Sperrgebiet« – eine im Ort Dolle, eine weitere in Letzlingen und eine dritte in Haldensleben – per Sonderverfügung genehmigt wurden. Dies suggeriere, daß der gesamte Protest verboten sei. Farin Skemp betonte zudem, daß gegen weitere Einzelverbote Klagen anhängig seien. Über eine Mahnwache auf der seit gestern gesperrten Kreisstraße 1142 (Heidestraße) muß derzeit das Oberverwaltungsgericht entscheiden. Die sich als Rosa Pantsa vorstellende Campsprecherin rechnet damit, daß am Samstag bis zu 500 Menschen dem Aufruf zum Aktionstag folgen werden. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz in der Heide vor. Mit sechs Hundertschaften will sie anrücken, eine unbestimmte Zahl an Bundespolizisten und Feldjägern der Bundeswehr soll die Einheiten unterstützen.
* Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013
Demoverbot in der Heide gekippt
Antimilitaristische Proteste in der Altmark: Gericht erklärt Allgemeinverfügung des Landkreises für rechtswidrig
Von Susan Bonath **
Die Kriegsgegner vom »War starts here«-Camp, die am Samstag in der Colbitz-Letzlinger Heide mit »kreativen Störmanövern« gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) protestieren wollen, haben gewonnen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt erklärte am Freitag nachmittag die Allgemeinverfügung für rechtswidrig. Damit hatte der Altmarkkreis Salzwedel vom 20. bis 30. Juli Versammlungen im weiten Umkreis des rund 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatzes generell verboten. Untersagt bleibt lediglich eine Kundgebung auf der sogenannten Heidestraße (K1142).
Die Verfügung erfülle schon deshalb nicht die rechtlichen Grundlagen, weil die Kreisverwaltung sie bisher nicht ordnungsgemäß veröffentlicht habe, legte das OVG dar. Dies hätte die Behörde im Amtsblatt sowie in der Tagespresse mindestens einen Tag vor dem Inkrafttreten tun müssen. Ferner habe die Verwaltung vermeintliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit benannt, die lediglich auf »Vermutungen und Verdachtsmomenten« beruhten. Einzelne Äußerungen im Internet, die darauf schließen ließen, daß gewaltbereite Teilnehmer mobilisiert werden könnten, seien zu abstrakt, so das OVG. Auch Verweise darauf, daß Antimilitarismus ein linksextremes Betätigungsfeld sei und anderswo Anschläge gegen die Bundeswehr verübt worden seien, begründeten kein präventives Verbot. Ebenso wenig könne die Kreisbehörde die Proteste im September 2012 zugrunde legen. »Es fanden mehrere angemeldete und spontane Versammlungen statt, die grundsätzlich störungsfrei verliefen«, stellte das OVG klar.
»Das Ordnungsamt des Kreises müßte nun umgehend eine neue Verfügung erlassen«, erklärte der Anwalt der Organisatoren gegenüber jW. Da diese allerdings erst am Tag nach dem Bekanntmachen gültig würde, hielt er das gestern für »nicht mehr realisierbar«. »Wenn nun spontan Versammlungen angemeldet werden, kann sich die Polizei nicht mehr auf ein Verbot berufen«, konstatierte er. So sah das auch Polizeisprecher Frank Küssner. »Wir werden auf diese neue Lage reagieren.
** Aus: junge Welt, Samstag, 27. Juli 2013
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