"Wir müssen dieser Politik - bei allem was uns heilig ist - in den Arm fallen"
Rede von Johannes Schnettler (pax christi), Verlesene Texte und Grußworte an die Berliner Kundgebung
Johannes Schnettler, Vizepräsident der deutschen Sektion von pax christi
Rede auf der Abschlusskundgebung am 13. Oktober 2001 in Berlin
Liebe Freunde und Freundinnen im Einsatz für den Frieden!
Es kann im Kampf gegen den Terrorismus keinen Kreuzzug gegen Andersgläubige
geben. Das haben viele Vertreter christlicher Kirchen in den Tagen nach dem 11.
September immer wieder betont. Sie haben recht. Denn sie wissen wovon sie reden.
Religiöser Hass hat in der Geschichte der drei Religionen Judentum, Islam und
Christentum wiederholt zur Vernichtung der Andersgläubigen geführt. Aus der
Geschichte lernen heißt daher für diese drei Religionen, sich zu besinnen auf die
gemeinsamen Wurzeln.
Alle sind wir Kinder Abrahams.
Nur im Dialog und wechselseitigem Respekt voreinander können wir den einen
Schöpfer der Welt preisen als Gott, Jahwe, Allah. Nur im Dialog und wechselseitigem
Respekt voreinander können wir in Frieden und Gerechtigkeit leben.
Dieser gemeinsame Wille ist seit dem 11.September in vielen Initiativen öffentlich
bekundet worden.
Seit Sonntag dieser Woche füge ich hinzu: Es darf keine Bomben auf Afghanistan
geben, weil dadurch neues Unrecht geschaffen und die Spirale der Gewalt gefährlich
wächst. Deshalb sind wir hier, um Nein zu sagen zu den Mitteln des Krieges.
Aber unser Nein ist nicht gleichgültig gegenüber dem Unrecht, das am 11. September
den Vereinigten Staaten von Amerika widerfahren ist. Die Gewalt hat sich in ihrer
ganzen Brutalität gezeigt und an die 6000 unschuldige Menschen in den Tod
gerissen. Die Hinterbliebenen leiden am Schmerz um den Verlust ihrer vertrauten
Menschen.
Frieden wird nur sein, wenn den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Deshalb
demonstrieren wir hier in Berlin und in Stuttgart im Gedenken an die Opfer.
Frieden wird aber nur sein, wenn Gerechtigkeit wächst. Und Gerechtigkeit kann nur
wachsen, wenn die Gewalt keine Chance hat. Deshalb verurteilen wir hier in Berlin
und Stuttgart mit Nachdruck jede Art von Terror weltweit. Wir verurteilen alle
Regierungen weltweit, die den Terror und seine Strukturen unterstützen.
Frieden wird nur sein, wenn die Gerechtigkeit zum Zuge kommt. Deshalb fordern wir
die Ergreifung der Verantwortlichen und ihrer Hintermänner. Sie müssen vor ein
internationales Gericht gebracht und für ihre Taten bestraft werden. Ihre Netzwerke
und Strukturen müssen aufgelöst werden.
Auf diesem Weg waren die Vereinigten Staaten von Amerika und mit ihnen die
internationale Staatengemeinschaft in den ersten Wochen nach den
Terroranschlägen ein gutes Stück vorangekommen. Es gab den unbedingten Willen
der Staatengemeinschaft, den Terror gemeinsam zu bekämpfen und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese diplomatischen Bemühungen
werten wir als einen politischen Erfolg. In diesem Punkte haben die Vereinigten
Staaten von Amerika unsere uneingeschränkte Solidarität.
Liebe Freundinnen und Freunde, die Bomben, die seit Sonntag auf Kabul,
Dschalalabad, Kandahar und andere Orte Afghanistans abgeworfen werden, sind
nicht die geeigneten Mittel, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Darin sind wir
uns einig mit nicht wenigen Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich freue mich daher euch ein Grußwort der dortigen pax christi Sektion übermitteln
zu können.
"Wir grüßen euch, ihr Kräfte des Friedens und danken euch, dass ihr unsere Stimme
des Protestes gegen die Bomben auf Afghanistan in Europa stark macht. Während
Bomben auf Afghanistan regnen, bekräftigt Pax Christi USA ihre Position, dass- auf
welche Provokation auch immer - Gewalt nicht Gewalt beenden oder einen gerechten
Frieden schaffen kann. Die Gewalt des Krieges ist, wenn sie erst einmal entfesselt
wurde, schwer zu kontrollieren. Selbst wenn das Bomben andauert, glauben wir,
dass es nicht zu spät ist für unser Land, auf dem Weg des Krieges umzukehren. Wir
appellieren an unsere Politiker ihre kreativen Energien auf eine erneuerte
Verpflichtung zum Aufbau einer internationalen Ordnung zu richten, die mehr
gegründet ist auf Prinzipien als auf Interessen, mehr auf Gerechtigkeit als auf Macht.
Indem wir dafür arbeiten, diesen Krieg zu beenden, beherzigen wir die Worte von Dr.
Martin Luther King jr., der uns lehrte: Die ultimative Schwäche der Gewalt ist, dass
sie eine abwärtsgerichtete Spirale ist, die genau das erzeugt, was sie zu zerstören
sucht. Statt das Übel zu vermindern, vermehrt sie es... Durch Gewalt tötest Du den
Hasser, aber Du tötest nicht den Hass. Im Gegenteil: Gewalt erzeugt nur noch mehr
an Hass."
Soweit die Grußbotschaft von pax christi USA.
Deshalb rufen wir den Regierungen der USA, Englands, Deutschlands und der
anderen Nato Staaten zu:
-
Stoppt die militärischen Angriffe auf Afghanistan.
- Haltet
ein mit der Bombardierung.
-
Schaut auf die Folgen: Die Bomben töten Zivilisten und
zwingen Tausende von Menschen zur Flucht. Das wertvolle Band der politischen
Solidarität der Staatengemeinschaft droht zu zerbrechen und die Gefahr neuer
Terroranschläge wächst.
- Wisset: Es ist nie zu spät mit den Militärschlägen
aufzuhören.
- Setzt den Weg fort der politischen, polizeilichen und diplomatischen
Verfolgung Bin Ladens und seiner Terrororganisation Al Kaida.
- Und bedenkt: Die
Netzwerke und Strukturen der Terroristen sind in Jahren aufgebaut worden. Sie
lassen sich nicht durch Bombenabwürfe und Raketenbeschuss in wenigen Tagen
zerstören. Ein langwieriger und verlustreicher Krieg kann aber keine Antwort sein.
-
Die Alternativen zu militärischen Mitteln sind vorhanden: Internationale Isolierung der
Taliban Regierung durch die Staatengemeinschaft, wirtschaftliche Sanktionen und
Intensivierung der geheimdienstlichen Ermittlungen. Aufbau internationaler
Gerichtsbarkeit, polizeiliche Ermittlungen.
Uns rufe ich zu: Lassen wir nicht nach in unserem Einsatz für gewaltfreie Mittel zur
Lösung der Konflikte. Der Gewaltverzicht hat eine eigene Stärke. Vor 12 Jahren
wurde dies hier in Berlin und in anderen Städten Ostdeutschlands eindrucksvoll
belegt. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn heute wieder Menschen in Leipzig
Kerzen gegen die Gewalt anzünden und für ein Ende der Bombardierung einstehen.
Unser Einsatz für ein Beendigung der Kriegshandlungen muss aber auch einher
gehen mit dem Einsatz gegen die weltweite Ungerechtigkeit. Es ist ein Skandal, wenn
die Regierungen hier in Berlin, in den anderen Hauptstätten der Europäischen Union
und in Washington bis heute nicht in der Lage sind, die von der UN seit Jahren
geforderten 0,7% des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe bereit zu stellen.
Wo die Überwindung von sozialen Ungerechtigkeiten, Verelendung und Armut nicht
gelingt, können die dadurch erlebten Demütigungen und Ausgrenzungen zur
Begründung terroristischer Handlungen missbraucht werden. Sicherheit ist heute
weniger denn je militärisch möglich, sondern muss vor allem sozial, kulturell,
ökonomisch und politisch begriffen werden.
Die Sicherheit des Westens ist nicht zu erreichen ohne die Existenzsicherung für alle
Menschen. Deshalb ist der Kommission der europäischen Bischofskonferenz
zuzustimmen, die festhält: Das Ziel der Globalisierung ist nicht die Schaffung von
Wohlstand für wenige, sondern Gerechtigkeit für alle.
Dieser Frieden braucht keine Bomben.
Grußadresse von Sir Joseph Rotblat (Nobelpreisträger 1995)
Gekürzt vorgetragen von der Moderatorin Jutta Kausch:
"Krieg löst keine Probleme sondern das Gegenteil tritt ein. Die
Probleme werden
größer, indem die Spirale der Gewalt angetrieben wird."
Er sieht in der Existenz von Massenvernichtungswaffen, die auch
in die Hand von
Terroristen gelangen können, eine sehr große Gefahr für die
Menschheit. Um diese
Gefahr abzuwenden, fordert er die Abschaffung aller
Massenvernichtungswaffen,
insbesondere der Atomwaffen.
Grußadresse von Prof. Dr. Noam Chomsky (Harvard University)
Prof. Chomsky hebt hervor, dass es sehr wichtig ist, wie der
Westen auf die
terroristische Herausforderung reagiert.
Der reiche und mächtige Westen darf keineswegs mit seiner
Jahrhunderte langen
Tradition der Konfliktlösung durch extreme Gewaltanwendung
antworten. Wir wissen,
dass dies zu einer weiteren Eskalation der Gewalt führt.
Die Zivilgesellschaft ist aufgefordert, auf den gegenwärtigen
Kurs der Politik
Einfluss zu nehmen, um eine menschenwürdige und humane Politik
durchzusetzen.
die vielen und großen Demonstrationen gegen den Krieg sind ein
wichtiger Beitrag
hierzu und lassen hoffen.
Vorbereitete Rede von Dr. Michail Nikolajevich Kusnezov
Michail N. Kusnezov ist Professor für
Völkerrecht. Er war Leiter einer Delegation von Parlamentariern der
Staatsduma nach Palästina. Leider konnte er an der Kundgebung nicht teilnehmen,
aber er übermittelte seinen Redetext. Der Text wurde gekürzt und in der
folgenden Form von Jutta Kausch verlesen.
"Liebe Freundinnen und Freunde in Berlin,
es ist ein wichtiger Tag im Leben der europäischen
Friedensbewegung, heute in
Berlin so machtvoll gegen die abenteuerliche Weltmachtpolitik der
USA und der
NATO zu demonstrieren.
Wir müssen dieser Politik - bei allem was uns heilig ist - in den
Arm fallen.
Denn der Krieg und das Weltmachtstreben der USA und der NATO
haben ihre eigene
Logik. Sie spornen sich selbst zu immer neuen Untaten an. Ich
möchte als
Völkerrechtler ganz entschieden sagen: Unrecht und Terror müssen
mit den Mitteln
des Völkerrechtes überwunden werden.
Das Recht erfordert die Solidarität aller friedliebenden Staaten
und Menschen und
nicht der Krieg. Krieg ist ebenso wie Terror ein Angriff auf die
gesamte
zivilisierte Menschheit.
Krieg ist Faustrecht...
Der Krieg gegen Afghanistan ist die Fortsetzung des Überfalls der
USA und der
NATO auf Jugoslawien, mit Hilfe der UCK-Terroristen, der Taliban
Europas.
Das war der Kreuzzug für die amerikanische Weltherrschaft und
globale Ausbeutung.
Diese Kreuzzüge sind nichts Anderes als Staatsterrorismus. Wir
können aus eigener
und leidvoller Erfahrung der Gegenwart nur davor warnen, in Krieg
einen Ausweg
aus terroristischen Gefahren zu sehen.
Gegenwärtig glaubt der Präsident unseres Landes, Wladimir Putin,
sich der NATO
anbiedern zu müssen. Wir halten das für falsch. Es ist doch
paradox zu glauben,
jemanden Appetit machen zu können, um nicht von ihm gefressen zu
werden.
Die USA und die NATO tun jetzt alles, was sie schon vor den
Anschlägen tun
wollten, um die neue NATO-Doktrin durchzusetzen, nun mit weniger
Hemmungen und
noch größerer Energie. Bald haben die USA nach dem angeblichen
Ende des Kalten
Krieges mehr Stützpunkte um unsere Länder herum und in ihnen als
zu den heißesten
Zeiten der Systemkonfrontation.
Diese massive Präsenz der USA destabilisiert unsere ganze Region.
Dabei geht es
nicht um Werte und Menschenrechte. Es geht um den Griff auf
Rohstoffe, es geht um
Öl.
Die USA stellten die Hauptgefahr für den Frieden der Welt dar.
Doch wir, die
einheitliche Friedensbewegung der Welt und in Europa, sind die
wichtigste
Hoffnung der Menschheit.
Lassen sie mich von dieser großartigen Kundgebung solidarische
Grüße auch an die
Friedensbewegung der USA senden, die unter großem Druck steht, in
der wir viele
Freunde haben, wie im International Action Center von Ramsey
Clark und mit dem
wir uns in diesen Stunden besonders verbunden fühlen."
Professor Kusnezov endet mit: "Gott schütze uns alle."
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