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Gelöbnis-Gegner blieben ausgesperrt

Massiver Polizeieinsatz schützte Propaganda-Show der Bundeswehr vor dem Reichstag

Von Bettina Schulz und Haidy Damm *

Als die Rekruten der 3. und 7. Kompanie des Wachbataillons gerade ihr Gelöbnis ablegten, waren sie doch zu hören. Die Rufe »Mörder, Mörder« und »Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt« wehen durch den Berliner Tiergarten hinüber auf den Platz vor dem Reichstag. Ansonsten blieb der Protest gegen das Gelöbnis weiträumig ausgesperrt. Rund 200 Menschen hatten sich zuvor am Potsdamer Platz versammelt, um gegen das militärische Ritual zu protestieren, noch einmal so viele waren im Tiergarten in kleinen Gruppen unterwegs, begleitet von allgegenwärtigen Polizeibeamten zu Pferd, in der Luft, zu Fuß und auf dem Fahrrad. Alle weiteren Kundgebungen und Demonstrationen waren verboten worden.

Stattdessen versuchten immer wieder kleinere Gruppen zum Veranstaltungsort zu gelangen, wurden aber durch die 1500 Polizisten und Feldjäger daran gehindert. Nach Angaben der Veranstalter wurden sechs Protestierende festgenommen. »Berlin hat gestern das Gleiche erlebt, was beim G8-Gipfel in Heiligendamm und beim NATO-Gipfel in Straßburg passiert ist: Die massive Einschränkung demokratischer Grundrechte zugunsten einer selbstherrlichen Propagandaveranstaltung«, kritisierte das Büro für antimilitaristische Maßnahmen (BamM), das die Gelöbnix-Demonstrationen mit geplant hatte.

Auf dem Platz der Republik wandten sich derweil Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel an die geladenen Gäste. »Die Soldaten dürfen ihre Unterstützung erwarten«, sagte Minister Jung. Die Bundeskanzlerin bekannte sich ihrerseits vehement zur Wehrpflicht, obwohl seit Jahren nur noch der Bruchteil eines Jahrgangs eingezogen wird, weil die verkleinerte Bundeswehr weniger Personalbedarf hat. Trotzdem sei die Wehrpflicht eine »wichtige Klammer zwischen Gesellschaft und Streitkräften«, so Merkel. Sie warb auch gleich für die Auslandseinsätze der Bundeswehr: »Wir müssen unsere gewachsene globale Verantwortung und unsere nationalen Interessen gleichermaßen wahrnehmen.« Für die Bundeswehr bedeute dieser Auftrag, »gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten unsere Sicherheit zu schützen – wenn es sein muss, auch weit entfernt von Deutschland«, so Merkel. Und: »Jeder mag sich auf seine Weise einbringen und dafür einsetzen, dass unsere Werte gelebt und bewahrt werden.«

Am Tag zuvor hatte sich eine Bundeswehr-Patrouille in Afghanistan auf ihre Weise eingebracht und einen unbewaffneten Jungen in der Nähe von Kunduz erschossen. Der Tod des Afghanen war ein weiteres Argument für das Fernbleiben der Bundestagsabgeordneten der LINKEN vom Gelöbnis. Ihre Plätze auf der Tribüne vor dem Reichstag blieben trotz Einladung leer. Öffentlich zelebrierte Gelöbnisse seien »anachronistische Rituale, die im Wesentlichen der Verherrlichung militaristischer Traditionen dienen«, begründete die Fraktion bereits am Freitag ihr Fernbleiben. Deshalb werde man der Einladung nicht folgen und stattdessen die antimilitaristischen Proteste unterstützen. Die Abgeordnete der Linkspartei Evrim Baba hatte kurzfristig noch eine Demonstration gegen das Verbot des Gelöbnix-Zuges angemeldet, die aber ebenfalls verboten wurde. Wolfgang Schmelzer, der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands wünscht sich derweil noch ganz andere Öffentlichkeit.

In der »Nordwestzeitung« sprach er von öffentlichen Gelöbnissen im Berliner Olympiastadion vor 60 000 Zuschauern. Auf den Rängen am Platz der Republik schienen am Ende alle erleichtert, dass es keine weiteren Störungen gab. Nur einer der jungen Rekruten hatte während der Rede seines obersten Dienstherren einen kurzen Schwächeanfall.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2009


Inszenierung gestört

Rekrutengelöbnis der Bundeswehr vorm Berliner Reichstag fand im "Ausnahmezustand" statt. Antimilitaristen kritisieren "simulierte Demokratie"

Von Frank Brendle **


»No War« steht, nachdem die Gelöbnistruppen der Bundeswehr längst abgezogen sind, in Großbuchstaben auf dem Reichstagsrasen. Wahrscheinlich mit Hilfe von Unkrautvernichtungsmittel hatten Antimilitaristen die Parole schon vor Tagen auf dem Grün aufgebracht. Am Montag, dem 20. Juli selbst, herrschte Ausnahmezustand vor dem Parlamentsgebäude: 1500 Polizisten und Feldjäger schirmten das Gelöbnis der 400 Rekruten des Wachbataillons vor der Öffentlichkeit ab. Zutritt fanden nur knapp 2400 geladene »Ehrengäste«. Verteidigungssminister Franz Josef Jung und Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) stimmten die Rekruten auf Auslandseinsätze in Krisen- und Kriegsgebieten ein: Sicherheit und Stabilität müßten, »wenn es sein muß, auch weit entfernt von Deutschland« geschützt werden, so Merkel. Auf die jüngsten zivilen Opfer des Afghanistan-Einsatzes gingen die Politiker mit keinem Wort ein.

Zum Opfer der Bundeswehr gerät aber auch die Demokratie im Inland: Erstmals seit 1996, als das erste »öffentliche« Gelöbnis in Berlin stattfand, waren Demonstrationen dagegen verboten. Nur eine Kundgebung am Potsdamer Platz durfte stattfinden, einen Kilometer vom Reichstag entfernt. Der Repressalie ging eine Medienhetze voraus, die den Veranstalter, das »Gelöbnix«-Bündnis, für jede tatsächliche oder vermeintliche Straftat zu Lasten der Bundeswehr in den letzten Monaten verantwortlich machte. Auch anonyme Flugblätter mußten als Begründung dafür herhalten, daß die geplante Demo als »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« galt. Das Oberverwaltungsgericht hatte am Montag nachmittag die Beschwerde von »Gelöbnix« zurückgewiesen.

Aus Empörung über diesen Demokratieabbau hatten mehre Personen spontane Kundgebungen unter dem Motto »Versammlungsrecht verteidigen« angemeldet, die ebenfalls verboten oder mit massiven Auflagen bedacht worden waren. »Polizei und Gerichte wollten, daß Demokratie nur noch simuliert werden kann«, kommentierte das Bündnis in einer Presseerklärung.

Die Stimmung auf der Protestkundgebung, an der rund 400 Menschen teilnahmen, war kämpferisch: Das Gelöbnis wurde in Redebeiträgen als »Parade der Ehrlosen, Verbrecher und Totschläger« kritisiert. Unter anderem sprachen Heinrich Fink (VVN-BdA), der Politikwissenschaftler und Aktivist Peter Grottian und der soeben aus dem Europaparlament ausgeschiedene Politiker Tobias Pflüger (Die Linke). Nach einer Stunde wurde die Kundgebung schon beendet. Die Teilnehmer setzten um, was die Polizei vor Gericht als größtes Risiko beschrieben hatte: das »Diffundieren« kleiner Gruppen in den Tiergarten, sprich: das Einsickern in den Hochsicherheitsbereich. Einige hundert Antimilitaristen mischten sich zu Fuß und per Fahrrad unter Touristen und Spaziergänger. Auch die Polizei war mit Fahrradeinheiten unterwegs. Gegen 20 Uhr, als die Rekruten die Gelöbnisformel sprachen, erschollen »Mörder«-Rufe aus dem Tiergarten, die, wie spiegel-online berichtete, bis zum Reichstag zu hören waren. Die Polizei ging sofort auf die Demonstranten los, entriß ihnen ein Transparent und erteilte Platzverweise. Zwei Personen wurden wegen »Beleidigung« festgenommen.

In einer Abschlußerklärung zeigte sich das »Gelöbnix«-Bündnis, trotz der vergleichsweise geringen Zahl von Demonstranten, zufrieden damit, daß der Anspruch der Bundeswehr, »sich mit einem öffentlichen Gelöbnis in Szene zu setzen«, fehlgeschlagen sei.

** Aus: junge Welt, 22. Juli 2009


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