"Legitime Meinungsäußerung"
Landgericht Berlin sprach Störerin einer Bundeswehr-Rekrutenvereidigung frei
Der folgendes Bericht über ein Urteil in Sachen Recht auf freie Meinungsäußerung dürfte von größerem Interesse sein.
Bei den Protesten junger Kriegsgegner gegen das
Bundeswehr-Gelöbnis am 20. Juli 1999 handelt es sich um eine
legitime Meinungsäußerung. Das entschied das Landgericht
Berlin in einer Berufungsverhandlung am Montag. Die
Angeklagte Ines W. wurde freigesprochen. Die 25jährige hatte
sich an der spektakulären Störaktion von 18 Jugendlichen
beteiligt, die das Konzept eines »feierlichen« Gelöbnisses
ordentlich durcheinandergebracht hatten. Ines W. nahm
damals vor dem Rednerpodest Platz und fiel dem General, der
gerade die Gelöbnisformel vorsprechen wollte, ins Wort:
»Bundeswehr abschaffen!« rief sie. Der Aufforderung eines
Feldjägers, den Platz zu verlassen, war sie ohne Widerstand
gefolgt. Für die Staatsanwaltschaft ein klarer Straftatbestand:
Seit nunmehr über zweieinhalb Jahren prozessiert sie gegen
die Aktivisten.
Das Amtsgericht hatte Ines W. noch zu 600 Mark Geldstrafe
verurteilt, wegen angeblichen Verstoßes gegen das
Versammlungsgesetz. Denn nach der Logik des Staatsanwalts
handelt es sich bei einem Gelöbnis um eine Versammlung. Die
Argumentation mutet dabei recht abenteuerlich an: Die
Zuschauer hätten durch ihre Präsenz bei der Zeremonie ihre
Solidarität mit der Bundeswehr bekundet. Auf diese Weise wird
bloßes Zuschauen zu einem politischen Akt erklärt, der durch
die Aktionen gestört worden sei, so der Staatsanwalt.
Widerspruch kam von unerwarteter Seite: Major Restel,
seinerzeit als »Führer« der Feldjägereinheit für den
ordnungsgemäßen Ablauf der Zeremonie verantwortlich,
meinte, so schlimm sei das alles nicht gewesen. Als Soldat
stehe man unerwartete Störungen durch und warte ab, »bis
die Lage wieder ruhig ist«. Der Major bekundete überdies
seinen Respekt für die »Präzision der Angriffe« der
Bundeswehrgegner: »Wenn ich so etwas hätte machen
wollen, wäre ich genauso vorgegangen«.
Zum Versuch, Militärzeremonien gleichsam unter den Schutz
des Grundgesetzes zu stellen, erklärte Rechtsanwalt Sönke
Hilbrans: »Der Staat verfügt zum Schutz seiner
Veranstaltungen über mehr als ausreichende Machtmittel. Die
Versammlungsfreiheit schützt die Bürger vor dem Staat, nicht
den Staat vor den Bürgern.« Auch der Richter sagte, es ginge
nicht an, daß staatliche Veranstaltungen durch die Hintertür,
nämlich durch die Hinzuziehung von Publikum, den besonderen
Schutz des Versammlungsrechts erhielten.
In seiner Urteilsbegründung schob das Gericht auch anderen
möglichen Vorwürfen einen Riegel vor: Bei der Protestaktion
habe es sich nicht um Nötigung gehandelt, da sie absolut
gewaltfrei verlaufen war. Kritiker der Zeremonie hätten
dieselben Rechte wie Befürworter. Die Aktion sei daher durch
das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Und um einen
Hausfriedensbruch könne es sich ebenfalls nicht handeln, weil
die Demonstranten nicht eingedrungen, sondern von den
Feldjägern ohne Umstände in das abgesperrte Areal
eingelassen worden waren. Ein Freispruch erster Klasse also
für Ines W. Dennoch kann als sicher gelten, daß die
Staatsanwaltschaft in Revision geht.
Frank Brendle
Aus: junge welt, 21. Februar 2002
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