Demonstrationen gegen den Krieg - Störversuche für den Krieg
Wie eine Gruppe pro-israelischer Eiferer Provokationen inszeniert. Das Beispiel Kassel
Von Peter Strutynski
Als die Friedensbewegung 2003 massenhaft gegen den Irakkrieg auf die Straße ging, wurde sie von einer verschwindenden Minderheit gelegentlich als "antiamerikanisch" und "antiisraelisch" tituliert. Beim Libanonkrieg 2006 wurden die Vorwürfe gegen die Demonstranten schon schriller: Wer gegen den israelischen Krieg demonstriert, verkenne das Recht Israels auf Verteidigung, stelle damit das Existenzrecht Israels in Frage und bediene antisemitische Ressentiments. Beim jüngsten Krieg Israels im Gazastreifen wurde der Ton noch aggressiver. Friedensdemonstrationen seien "antiisraelisch", Repräsentanten der Friedensbewegung gar seien "antisemitisch" und würden die Geschäfte der Alt- und Neo-Nazis und des Holocaust-Läugners und "Israel-Vernichters" Ahmadinedschad besorgen - im besten Fall als nichts ahnende "nützliche Idioten", im schlimmeren Fall als eingefleischte notorische Israel- und Judenhasser.
Ein "Israelhasser" wird man schnell. Es reicht, in wissenschaftlichen Publikationen die Historie der Vertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern und Dörfern, die Ausdehnung Israels weit über das ihm durch den UN-Teilungsplan 1948 zugestandene Gebiet, oder die systematische - und vom Völkerrecht verbotene - Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten darzustellen. Es reicht auch, wenn man auf die vielen UN-Resolutionen hinweist und deren Umsetzung fordert, etwa den Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 sowie "eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems, wie z.B. von der zentralen
Resolution 242 (1967) verlangt wurde. Zum Israelhasser kann auch werden, wer die deutschen Rüstungslieferungen (z.B. U-Boote) an Israel kritisiert, etwa unter Hinweis auf die
Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung, wonach in Spannungsgebiete nicht geliefert werden solle.
Moshe Zuckermann (Tel Aviv) in einem Interview über die selbsternannten Israelfreunde und sog. "Antideutschen", die bei so mancher Friedensdemonstration der letzten drei Wochen gern mit Israel-Fahnen und markigen Sprüchen ("Hoch lebe Israel!") auftraten.
Die Frage der Journalistin lautete:
"Hierzulande sind laute 'Bravo!'-Rufe und andere Kriegseuphorie aus dem 'Israel-solidarischen' Lager zu vernehmen. Was empfinden Sie als Israeli angesichts dieses deutschen Freudentanzes?
Zuckermann: Den Ekel, den ich schon immer empfunden habe, wenn sich der furor teutonicus aus der Ferne am Opferleid von anderen ergötzt hat. Mit Israel-Solidarität hat das gar nichts zu tun. Unter gewandelten historischen Umständen werden sich diese Tanzfreudigen am Untergang von Juden genauso delektieren. Sie verkörpern all das, was man sich klischierterweise als Deutsche vorstellt – sie sind eben die deutschesten aller Deutschen.
Das ganze Interview:
"Eine übersteigerte Reaktion"
Wenn alles friedlich bleibt, muss trotzdem etwas passieren
Dokumentation eines Zwischenfalls bei der Antikriegs-Demonstration in Kassel
Es gab verschiedene Versuche, die zahlreichen Demonstrationen gegen den israelischen Krieg in Gaza zu stören. Das Muster war immer dasselbe: Am Rande von Demos oder Kundgebungen taucht eine Anzahl "Israel-Freunde" mit Israel-Fahnen, Plakaten und Flugblättern auf, wohl wissend dass dies den Widerspruch und Protest der Demonstranten hervorrufen würde. Hervorrufen muss, möchte man hinzufügen, denn man versetze sich nur einmal in die Lage eines Palästinensers/einer Palästinenserin, der/die in diesem Krieg Freunde oder Familienangehörige verloren hat! Dass da das demonstrative Herumfuchteln mit Israel-Fahnen und die Skandierung von markigen Sprüchen ("Hoch lebe Israel!") als verschärfte Form einer Provokation wahrgenommen wird, ist einleuchtend.
In Kassel war das bei der Demonstration am 17. Januar nicht viel anders. Rund 2.500 Teilnehmer/innen (der Zeitungsbericht spricht nur von 1.000, das war die Polizeiangabe) haben eine eindrucksvolle Demonstration und eine weitgehend disziplinierte Kundgebung abgehalten. Dabei kam es auf der Wegstrecke zu Rangeleien zwischen Demonstranten und pro-israelischen Provokateuren.
Auf eine Anfrage der Jüdischen Allgemeinen hin habe ich folgende Aussagen zu dem Zwischenfall gemacht:
*****
Frage: Wie haben Sie den Zwischenfall an dem proisraelischen Infostand erlebt?
Ich habe wenig Einblick auf den Tisch gehabt, der an der Demo-Route aufgebaut war. Ich habe nicht einmal gesehen, wie viele Leute es waren, die Israel-Fahnen hoch hielten und Sprechchöre skandierten. Das liegt daran, dass ich mit dem Rücken zu der Gruppe stand und versucht habe, aufgebrachte Demonstranten daran zu hindern, zum Tisch vorzudringen. Ich hatte schon vor Beginn der Demo die Parole ausgegeben, auf "Provokationen nicht zu reagieren".
War es der Stand einer politischen Gruppe? Werten Sie den Stand als Provokation?
Wie uns die Polizei mitteilte, wurde der Stand als "Informationsstand Naher Osten" von einer Privatperson angemeldet. Damit wurde das Ordnungsamt der Stadt Kassel getäuscht. Die Polizei war selbst überrascht, dass es kein Informationsstand Naher Osten, sondern eine proisraelische Kundgebung war. Viele Demonstranten mussten das als Provokation empfinden. Ich bin überzeugt, dass die Polizei, hätte sie von dem Charakter dieses Stands gewusst, mehr Kräfte an dieser Stelle postiert hätte, um eventuelle Zwischenfälle zu vermeiden.
Die Standbetreiber geben dem Kassseler Friedensforum eine Verantwortung. Wie lautet Ihre Antwort darauf?
In unserer Verantwortung lag es, alles zu tun, dass es zu keinen Ausschreitungen kam. In der Verantwortung der "Standbetreiber" lag es, dass Ausschreitungen offenbar gewünscht wurden.
Welche Konsequenzen zieht das Kasseler Friedensforum aus dem Zwischenfall?
Wir werden weiterhin gegen Krieg und Gewalt im Nahen Osten, gegen Besatzung und Terror aufzuklären versuchen. Dazu nutzen wir selbstverständlich auch den öffentlichen Raum.
*****
Man darf gespannt sein, wie der Vorfall letztendlich in der "Jüdischen Allgemeinen" dargestellt wird.
Offenbar auf eine dpa-Meldung gestützt verbreitete die Frankfurter Rundschau eine Horrorgeschichte über die Kasseler Demo:
"Mit Latten geprügelt
In Kassel haben bei einer Anti-Israel-Demonstration mehrere Teilnehmer einen pro-israelischen Stand angegriffen und auf die Unterstützer eingeschlagen. Plakate und Fahnen wurden heruntergerissen und Aufsteller zerstört. Hunderte Demonstranten unterstützten die mehreren Dutzend Angreifer mit Sprechchören. Die Demonstration war vom linksgerichteten "Kasseler Friedensforum" organisiert worden. Die Israelunterstützer hatten an ihrem Informationsstand Poster mit Sprüchen wie "Auch Israel will Frieden" aufgehängt. Die Demonstranten beschimpften die Standbetreuer als "Kindermörder", forderten "Tod für Israel" oder "Zionisten raus" und griffen den Stand an. "Wir wurden von 50 bis 100 Demonstranten eingekesselt. Die Fahnen wurden zertrampelt, unsere Poster zerrissen, und sie haben uns mit den Latten ihrer Transparente auf die Köpfe geschlagen", sagte einer der Angegriffenen.
Anschließend hatten sich gut 1000 Demonstranten vor dem Kasseler Rathaus versammelt. Teilnehmer schwenkten Fahnen der Palästinenser, der radikalislamischen Hisbollah mit der grünen Kalaschnikow auf gelbem Grund. Der Vorsitzende der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, Raif Hussein, warf Israel vor, das "Volk zu terrorisieren mit den Kriegsverbrechen ihrer verbrecherischen Armee. Das ist Völkermord."
Ein Pfarrer wurde erst ausgebuht und später, als er auch von der Hamas Schritte zum Frieden forderte, niedergebrüllt. mit dpa"
* Aus: Frankfurter Rundschau, 19. Januar 2009 (Hessen)
Offenbar nimmt es die Frankfurter Rundschau mit der Pressefreiheit so genau, dass sie sich die Freiheit herausnimmt, Dinge zu berichten, die gar nicht stattfanden.
In der Hessischen Allgemeinen, einer Art Monopolzeitung für Nordhessen und Südniedersachsen, die nicht verdächtigt werden kann, der Friedensbewegung nach dem Mund zu reden, liest sich der ganze Vorfall anders. Die Redakteurin hatte aber auch den Vorteil, dass sie selbst anwesend war und alles selbst gesehen hat.
Hier folgt zunächst der Bericht und anschließend der Kommentar (beides gibt es hier im Faksimile auch als
pdf-Datei).
Rangelei bei Friedensdemo
Demonstration für Frieden in Gaza - Auseinandersetzung mit Pro-Israel-Aktivisten
Von Ulrike Pflüger-Scherb
KASSEL. Es sollte eine Demonstration gegen den Krieg in Gaza werden, zu der das Kasseler Friedensforum und weitere Organisationen aufgerufen hatten. Doch friedlich ging es am Samstag bei der Demonstration mit knapp 1000 Teilnehmern durch die Kasseler Innenstadt und der Kundgebung vor dem Rathaus nicht zu. Stattdessen kam es zu Rangeleien.
Dabei hatte Peter Strutynski
vom Friedensforum die
Teilnehmer noch vor dem
Marsch gebeten, auf Provokationen
von außen nicht zu
reagieren. Doch nur Minuten
später kam es am Friedrichsplatz
zu einer Auseinandersetzung
zwischen 20 Teilnehmern
des Demonstrationszuges
und zehn Personen, die einen Pro-Israel-Stand aufgebaut
hatten. An dem Stand
wurde mit Israel-Fähnchen gewedelt,
während die Demonstranten
vorbeizogen.
Gegenseitige Provokation
Beide Seiten hätten sich gegenseitig
provoziert, so die Polizei.
Demonstranten riefen den Menschen am Stand zu:
„Ihr seid Kindermörder, ihr
solltet euch schämen.“ Eine
Frau am Pro-Israel-Stand konterte:
„Ihr solltet euch schämen“,
und prangerte den Antisemitismus
in Deutschland an. Bei den Rangeleien wurde
nach Angaben der Polizei ein
Mann am Info-Stand mit einer
Holzlatte geschlagen, blieb jedoch
unverletzt. Informationstafeln
seien umgeworfen und Papierfähnchen zerrissen
worden. Besonnene Demonstrationsteilnehmer,
Ordner und Polizisten
brachten die Situation
nach einigen Minuten unter Kontrolle, der
Demonstrationszug wurde fortgesetzt.
Der Pro-Israel-Stand war von Privatpersonen
angemeldet worden. „Wir wollen zeigen,
dass es auch andere Positionen
gibt“, sagte Jonas Dörge aus Kassel. „Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung“, steht auf einem Flugblatt, das er verteilte.
Die Demonstranten forderten
hingegen, den „israelischen
Staatsterrorismus“ zu
stoppen. „Kindermörder Israel“
schallte es durch die Innenstadt.
Und „Allahu akbar“
riefen die Demonstranten auf
Arabisch - „Gott ist groß“. Einige
Passanten ärgerten sich
darüber, dass sie die Rufe der
Demonstranten nicht verstehen
konnten.
Es gehe weder um einen
„ethnischen noch religiösen
Konflikt“, sondern es gehe um
die Menschenwürde, Recht
und Anstand, sagte Peter Strutynski
während der abschließenden
Kundgebung. Die Demonstration
richte sich nicht
gegen Israel und seine Bevölkerung,
sondern gegen die Politik
der Regierung Israels. Das
sahen offenbar nicht alle so:
Männer versuchten auf der
Rathaustreppe, eine israelische
Flagge anzuzünden. Strutynski
und Pfarrer Harald Fischer
hinderten sie daran.
Es gebe nur einen Weg zum
Frieden: Israel und die Hamas
müssten die Waffen niederlegen,
sagte Fischer. Sowohl die
israelische als auch die palästinensische
Bevölkerung hätten
das Recht, in sicheren
Grenzen zu leben. Der Katholik
sieht beide Seiten in der
Pflicht. Fischer bekam Applaus,
aber auch Pfiffe.
Kommentar
Bewusste Provokation
Ulrike Pflüger-Scherb über die Demonstration in der Innenstadt
Alle wollen Frieden. Das behaupten sie zumindest
- die knapp 1000 Menschen, die am Samstag durch die Innenstadt zogen
und für Frieden in Gaza demonstrierten und die zehn Menschen, die einen Pro-Israel-Stand aufgebaut hatten.
Ob wirklich alle dieser Akteure
wegen des Friedens auf
die Straße gegangen sind, ist
allerdings mehr als zweifelhaft.
In Kassel haben einige jedenfalls
für Streit gesorgt.
Es ist schon eine deutliche
Provokation, sich mit Israel-
Fähnchen an den Wegesrand
zu stellen, wenn Menschen
vorbeiziehen, die gegen die
Angriffe der israelischen Armee
demonstrieren. Menschen,
die vielleicht in den
letzten Tagen Angehörige
durch die Angriffe verloren
haben. Wer seine Solidarität
mit Israel zeigen will, hätte
das an anderer Stelle oder zu
einem anderen Zeitpunkt gut
und gern machen können.
Die Pro-Israel-Aktivisten
mussten davon ausgehen, dass
einige der Demonstranten nur
auf eine Gelegenheit gewartet
haben, den friedlichen Marsch
für Randale auszunutzen. Dass
es einem Teil der knapp 1000
Demonstranten nicht um den
Frieden ging, lag leider schnell
auf der Hand. Einige wollten
Hass schüren. Sie waren vermummt
und schrien Parolen,
die für die deutschen Teilnehmer
und Passanten nicht zu
verstehen waren.
Das ist traurig. Vor allen
Dingen für das Gros der Demonstranten,
die wirklich darauf
hoffen, dass Palästinenser
und Israelis irgendwann doch
noch in Frieden miteinander
leben können. Sowohl im Nahen
Osten als auch hier in
Deutschland.
Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, 19. Januar 2009
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