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Streitfrage: Wie weit darf antimilitaristischer Protest gehen?

Im "neuen deutschland" debattieren: Frank Brendle (DFG-VK und Ute Finckh-Krämer, bsv)


Ein Anschlag auf eine Kaserne der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt sorgt momentan für Aufregung. Landes- und Bundespolitiker empören sich darüber, dass 16 Fahrzeuge, darunter Lastwagen, Spezialfahrzeuge und Radpanzer, in Flammen aufgingen. Der Schaden soll zehn Millionen Euro betragen. Verletzt wurde niemand.
Auch in der Friedensbewegung sind Aktionen wie die in Havelberg umstritten. Seit Jahren diskutiert sie das Für und Wider von Anschlägen gegen Einrichtungen der Bundeswehr. »Praktische Abrüstung« meinen die einen, »Gewalt ist keine Lösung« die anderen. Wie kann die Friedensbewegung einen Beitrag zur Abrüstung leisten? Reichen Sitzblockaden, Ostermärsche und Menschenketten dafür aus?

[Die folgenden Beiträge haben wir der Debattenseite des "neuen deutschland" entnommen.]


Mehr als Maskerade

Von Frank Brendle *

Deutschland führt Krieg, und die wichtigste Aufgabe der Friedensbewegung ist es, gegen diesen Krieg anzutreten. Da lautet die Frage nicht, wie weit sie gehen »darf«, sondern wie weit sie gehen muss.

Antikriegsaktivisten müssen darauf achten, keine Menschen zu gefährden. Diese Messlatte gilt für Straßenblockaden, Fahrradtouren für den Frieden wie auch für die Sabotage von Kriegsgerät. Nach allem, was bekannt ist, wurde dieses Kriterium bei sämtlichen Aktionen der letzten Jahre, ob offenen oder klandestin-verdeckten, beachtet. Dass (nicht nur) Teile der Friedensbewegung Schwierigkeiten mit besonders provokanten Aktionsformen haben, liegt im Wesen solcher Aktionen. Aber wieso sollte die Friedensbewegung darüber streiten, ob es illegitim sei, Waffen zu zerstören? Waffen, mit denen, wenn sie »intakt« bleiben, Kriege geführt und Menschen getötet werden? Etliche Friedensgruppen tragen das Symbol des zerbrochenen, also zerstörten, Gewehrs. Soll das pure Maskerade sein? Verdient das Symbol nicht, ernst genommen zu werden?

Leider ist eine freie Diskussion über diese Frage nicht möglich: Wer das Zerstören von Militärgerät oder den Verrat von Interna der Rüstungsproduktion billigt oder dazu aufruft, gilt als Straftäter. Ebenso, wer das Soldatentum seiner postheroischen Maske beraubt und verächtlich macht. Verboten ist in Deutschland nicht, Soldaten zum Umbringen von Menschen in die Welt zu schicken, sondern die Sabotage dieses Mordens.

In anderen Ländern ist es überhaupt keine Frage, dass das Demolieren militärischer Gerätschaften zum Kerngeschäft der Friedensbewegung gehört. In den USA nehmen Christen Panzer auseinander, in Großbritannien sabotieren sie Munitionsanlagen, in Irland schlagen sie mit Hämmern auf Kampfflugzeuge ein. Da sagt keiner aus der Friedensbewegung: So weit dürft ihr nicht gehen. In Irland hat ein Schöffengericht die Pflugscharaktivisten sogar freigesprochen, weil sie aus humanistischen Motiven gegen das Töten am Hindukusch gehandelt hätten. Geht doch!

Okay, einen Unterschied gibt es: Längst nicht alle, die antimilitaristische Parolen sprühen, Plakate produzieren, Homepages erstellen, Sabotageaufrufe verbreiten, Rüstungsbetriebe markieren oder Kriegsgerät der vorzeitigen Verschrottung zuführen, stehen »mit Namen und Gesicht« zu ihren Aktionen. Dabei ist das eine alte Tradition der Friedensbewegung. Und das aus guten Gründen, weil Anonymität ein Problem für politische Arbeit darstellt.

Zum Dogma darf das Prinzip offenen Agierens aber nicht werden, schon wegen der stets drohenden Kriminalisierung. Klandestine Aktionen können so spektakulär sein, dass sie weit mehr Öffentlichkeit erlangen als jede Peacenik-Aktion – auch »ohne Gesicht« als Protest gegen die Kriegspolitik wahrgenommen zu werden.

Die entscheidende Frage an jede antimilitaristische Aktion gleich welchen Kalibers lautet: Was nützt sie? Bringt sie die Friedensbewegung voran? Dass ein paar ausgebrannte Panzer, ein Eindringen auf einen Gefechtsübungsplatz oder ein Aufruf zur Desertion die Bundeswehr nicht wirklich am Kriegführen hindern, ist kein Argument gegen diese Aktionen. Friedensblockaden vor Kasernentoren sind auch nur symbolisch, genauso wie Radfahren gegen Atomwaffen, Konzerte gegen Krieg und so weiter. Und wer kann beweisen, dass Ostermärsche »mehr bringen«?

Zumindest für einen Teil der antimilitaristischen Szene sind die Bilder klandestin abgerüsteter Kriegsfahrzeuge Highlights, die sie darin bestärken, in ihrem eigenen Engagement weiter zu machen, wenn nicht gar, es zu intensivieren. Für einen anderen Teil mögen Ostermärsche solche Höhepunkte darstellen, für wieder andere gut gemachte Aktionen mit Happening-Charakter.

Für spalterische Distanzierungsrituale nach dem Motto »Meine Aktion ist aber viel besser« darf es in der Friedensbewegung keinen Platz geben. Das gemeinsame Anliegen, der mörderischen Kriegspolitik etwas entgegenzusetzen, erfordert ein solidarisches Selbstverständnis mit vielen, sich ergänzenden Aktionsformen.

Dass manche Aktionen eine schlechtere Presse und eine stärkere polizeiliche Repression zur Folge haben als andere, damit gilt es sich im Vorfeld auseinanderzusetzen. Ausschlusskriterien können das nicht sein. Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky hätten sonst einpacken können, genauso wie namenlose Saboteure in der Rüstungsindustrie. Wer in einem Land, das Kriegsführungsbereitschaft zur Norm erhebt, gegen das staatliche Morden ankämpft, muss zwar um Öffentlichkeit werben, darf aber nicht auf einen Beliebtheitspreis hoffen.

* Frank Brendle ist Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Berlin-Brandenburg.


Angst vor der Friedensbewegung

Von Ute Finckh-Krämer **

»Wie hältst du’s mit der Sachbeschädigung?« ist eine immer wieder aufgeworfene Frage in der Friedens- und Antikriegsbewegung. Welche Gründe sprechen dagegen, im Rahmen antimilitaristischer Aktionen nicht nur gewaltfreie Aktionen wie Sitzblockaden einzusetzen und damit militärische Abläufe zu behindern, sondern gegebenenfalls auch militärische Ausrüstungsgegenstände zu zerstören?

Es soll hier nicht um die Pflugscharaktionen gehen, bei denen Atomwaffen oder ihre Trägersysteme symbolisch beschädigt werden. Bei diesen Aktionen, wie sie etwa Wolfgang Sternstein in Deutschland oder die Brüder Berrigan in den Vereinigten Staaten durchgeführt haben, ist es Teil des Konzepts, sich festnehmen zu lassen und den dann unweigerlich folgenden Gerichtsprozess, meist samt einer darin verhängten Gefängnisstrafe, als Bestandteil der Gesamtaktion auf sich zu nehmen. Thema dieses Artikels sind vielmehr Aktionen, bei denen die Täterinnen und Täter möglichst unerkannt bleiben wollen, so dass für die Öffentlichkeit – wenn der Anschlag gelingt – nur die Sachbeschädigung als solche und ein eventuelles anonymes Bekennerschreiben, aber keine handelnde Person mit ihren Motiven und Gründen sichtbar werden.

Anonyme Sachbeschädigung macht Angst. Selbst ein Bekennerschreiben hilft nicht viel weiter. Es lässt sich oft nicht entscheiden, ob es wirklich von denjenigen, die den Anschlag verübt haben, oder von irgendwelchen Trittbrettfahrern stammt. Mit Menschen, die anonym bleiben, ist keine Diskussion, keine direkte Auseinandersetzung möglich. Daher ist es schwer einzuschätzen, was sie als Nächstes tun werden.

Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, von wem und aus welchem Grund die Bundeswehrfahrzeuge in Havelhöhe angezündet wurden. Versetzen wir uns in die Lage der Menschen dort: Sie haben die Wahl, an eine gewöhnliche Brandstiftung zu glauben – dann müssen sie Angst haben, dass es weitere Brände in ihrem Städtchen gibt, bei denen für sie Gefahr für Leib und Leben bestehen könnte. Oder sie gehen davon aus, dass die Tat von Menschen aus der antimilitaristischen Szene begangen wurde. Dann besteht aus ihrer Sicht »nur« das Risiko, dass weitere Anschläge auf dem Militärgelände verübt werden.

Havelberg ist ein kleines Städtchen, das keine Berufsfeuerwehr, sondern eine freiwillige Feuerwehr hat. Dasselbe gilt für die Nachbarorte. Nach den Pressemeldungen über den Anschlag mussten acht Feuerwehren aus der Region bis in die frühen Morgenstunden löschen. Die Menschen in Havelberg und Umgebung haben Glück gehabt, dass es während des Brandes auf dem Militärgelände in ihrem Einsatzbereich zu keinem weiteren Brand oder zu einem Unfall, bei dem die Hilfe der örtlichen Feuerwehr benötigt wird, gekommen ist. Sie bringen vermutlich nicht das geringste Verständnis für den- oder diejenigen auf, die den Anschlag verübt haben.

Brandstiftung birgt immer das Risiko, dass Menschen zu Schaden kommen. Das gilt auch für eine ganze Reihe anderer Sabotageakte – etwa gegen Verkehrsanlagen oder Hochspannungsleitungen. Die meisten Menschen werden es also begrüßen, wenn der Staat nach solchen Anschlägen Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Obwohl sie vielleicht froh wären, wenn der Staat weniger Geld für Sicherheitskräfte und mehr Geld für Bildung, Verkehrsinfrastruktur oder Soziales ausgeben würde.

Teile der rechtsextremen Szene setzen anonyme Brandanschläge und Sabotageakte als Kampfmittel ein. Die Arbeit gegen Rechts wird erschwert, wenn Linke zu denselben Mitteln greifen wie Rechte.

Wer für eine Welt ohne Gewalt und Unterdrückung kämpft, muss versuchen, andere Menschen von seinen Zielen zu überzeugen. Das geht nur, wenn die Mittel den Zielen entsprechen. »Brandstifter« haben nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenden Sinne einen schlechten Ruf. Die Schadenfreude, die manche nach gelungenen Sabotageakten empfinden (»Da hat es die Richtigen getroffen«), ist langfristig gesehen kontraproduktiv. Wer sich in politischen Auseinandersetzungen in erster Linie darauf konzentriert, dem Gegner möglichst effektiv zu schaden, wird schnell feststellen, dass am Ende beide Seiten verlieren. Gewaltfreie Alternativen im Umgang mit Krieg und Konflikten aufzuzeigen und mit seiner Person dafür einzustehen, ist der einzige Weg zu einer friedlicheren Welt.

** Ute Finckh-Krämer hat den Bund für Soziale Verteidigung mit gegründet, deren Co-Vorsitzende sie ist.

Beide Beiträge erschienen in: neues deutschland, Samstag, 10. August 2013



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