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Gekaperte Forderungen

Die Friedensbewegung sucht nach ihrer Haltung zur Bundeswehrreform

Von Ines Wallrodt *

Was halten Friedensgruppen von den Umstrukturierungen bei der Bundeswehr? ND fand heraus: Die Meinungen über die Sparmaßnahmen gehen auseinander.

Wenn eine schwarz-gelbe Bundesregierung über die Aussetzung der Wehrpflicht, die Verkleinerung der Bundeswehr und Milliardeneinsparungen im Haushalt diskutiert, ist das für die Friedensbewegung ein bisschen irritierend. Ähnliches fordert sie seit Langem. Wie stellt sie sich dazu, wenn das nun »von oben« vorgeschlagen wird?

Verhalten reagiert Otmar Steinbicker von der Kooperation für den Frieden: »Die Kürzungen machen die Bundeswehr nicht ungefährlicher.« Noch ist ihre Struktur auf Landesverteidigung ausgerichtet, wozu auch die Wehrpflicht passt. Der Umbau soll die deutsche Armee nun in erster Linie schlagkräftiger machen für Einsätze in aller Welt. »Wer eine Interventionsarmee will, kann Überflüssiges sparen«, so der Sprecher des Zusammenschlusses von 50 Friedensorganisationen. Das ist es jedenfalls nicht, wovon Friedensbewegte seit Jahren sprechen.

Die Bewegung macht gerade eine Erfahrung, die andere zuvor schon machen mussten: Nämlich wie kritische Forderungen von politischen Gegnern übernommen werden in der Absicht, das System zu modernisieren, statt zu unterminieren. So war es beim ökologischen Umbau der Gesellschaft, was die Bundesrepublik nachhaltiger als früher wirtschaften lässt, zugleich aber als Vorteil in der internationalen Standortkonkurrenz erkannt wurde. Oder bei der betrieblichen Mitbestimmung, die den Einfluss der Beschäftigten erweitert, zuweilen aber im Co-Management endet. Diese Zweischneidigkeit verunsichert und ließ Urheber in der Vergangenheit schon mal von ihren eigenen Forderungen abrücken.

Nicht einmal über die greifbare Aussetzung der Wehrpflicht mag man sich in der Friedensbewegung richtig freuen. Kaum einer bringt ein »Wir begrüßen das« ohne weitere Ausführungen über die Lippen. Fast klingt es so, als ob manchem die Trennung von der Wehrpflicht als Element der alten, auf Landesverteidigung ausgerichteten Bundeswehr nun sogar schwer fällt. »Die Abschaffung ist uns willkommen, ja«, sagt der Kopf des Kasseler Friedensratschlags, Peter Strutynski, »aber entscheidender ist doch gerade, dass die Bundeswehr von einer Verteidigungs- in eine Interventionsarmee transformiert werden soll. Und an den Mitteln für Afghanistan soll nicht gespart werden.« Er ist skeptisch, ob der Friedensbewegung eine Beteiligung an der Reformdebatte nützt. Es könnte viel mehr so aussehen, »als ob wir den gegebenen Rahmen akzeptieren«.

Ralf Siemens von der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung aus Berlin wirbt für eine offensivere Strategie. Er verzichtet auf Wenn und Aber, wenn er sagt, »die Abschaffung der Wehrpflicht wäre ein großer Erfolg«. Es sei eine »Teilentmilitarisierung« der Gesellschaft, wenn 400 000 junge Männer vom Waffendienst verschont blieben. Er sieht deutlich mehr Anknüpfungspunkte für die Friedensbewegung. »Wir sollten die jetzt diskutierte Verkleinerung und Mittelkürzung der Bundeswehr voll unterstützen.« Damit werde der Bundeswehr immerhin das Mittel genommen, »große Kriege mit hohem Personalaufwand« zu führen. Die Besetzung eines Landes wäre nicht mehr möglich. »Das ist erst mal zu begrüßen«, vertritt Siemens.

Die Chance zum Einhaken bietet sich an anderer Stelle. Die Reformdiskussion belege, dass selbst im Hause Guttenberg die Landesverteidigung nicht mehr als Bundeswehrauftrag angesehen wird, sagt Siemens. »Das erleichtert die Diskussion um die Abschaffung des Militärs in der Gesellschaft.« Für militärische Auslandseinsätze ist es deutlich schwerer, breite Zustimmung in der Bevölkerung zu organisieren, wie man an den Umfragen zum Afghanistankrieg sieht. Die Friedensbewegung sollte die Diskussion über Sinn oder Unsinn der Bundeswehr ernsthaft führen, rät Steinbicker. »Sollen die doch offen erklären, wofür sie die deutschen Soldaten künftig noch brauchen.«

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juli 2010


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