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Gegen atomare Teilhabe

Der letzte deutsche Atomwaffenstandort wird kommende Woche von Friedensgruppen belagert. Aktionen zivilen Ungehorsams

Von Frank Brendle *

Der Besitz von Nuklearwaffen ist in Deutschland zwar verboten – aber Jets der Bundesluftwaffe trainieren regelmäßig den Abwurf amerikanischer Atombomben. Am Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz wird die »nukleare Teilhabe« der Bundeswehr praktiziert. Dort lagern zwischen zehn und 20 Atombomben des Typs B-61, die genaue Zahl ist geheim. Sie gehören den USA, aber deutsche »Tornados« sollen sie ans Ziel bringen: Geplante Komplizenschaft im atomaren Massenmord.

Friedensgruppen demonstrieren schon länger in Büchel – dieses Mal aber ist eine Aktionswoche mit Großaktion geplant. Es soll Druck gemacht werden, die Abrüstungsverpflichtung des Atomwaffensperrvertrages endlich umzusetzen. Auch wenn es »nur« um höchstens 20 Bomben in Deutschland geht: »Vor der eigenen Türe kehren« ist das Motto der Proteste. Man könne in Verhandlungen, beispielsweise mit dem Iran, nicht glaubwürdig auftreten, wenn man sich selbst nicht an die Vertragsbedingungen halte, sagt Sven Hessmann von den Ärzten gegen Atomkrieg (IPPNW) im jW-Gespräch. Schließlich verbiete der Sperrvertrag die deutsche Beteiligung an Atomwaffen. Im Jahr 2010 findet eine Überprüfungskonferenz statt – dann biete sich die Chance für einen Durchbruch bei der atomaren Abrüstung.

Von Montag an wird das Gelände des Fliegerhorstes jeden Tag umrundet – eine Anspielung an die biblische Schlacht von Jericho, dessen Mauern nach siebenmaliger Umrundung und Posaunenspiel einstürzten. Man wolle dann aber nicht das Personal auf dem Militärgelände umbringen, sondern die Menschheit vor der atomaren Vernichtung retten, versichern die Aufrufer. Am 30. August ist eine Demonstration vorgesehen, getrennt hiervon sind Aktionen zivilen Ungehorsams angekündigt. »Wir planen mit einer Go-In-Aktion das Eindringen in diesen Stützpunkt, wobei wir den Zaun in unterschiedlicher Weise überwinden werden«, heißt es im Aufruf.

Büchel ist der letzte Atomwaffenstandort in Deutschland. Das Magazin in Ramstein, wo 130 Bomben lagerten, hat die US-Armee vor vier Jahren geräumt. Den militärischen Sinn von Atomwaffen kann die NATO schon seit Jahren nicht mehr schlüssig erklären. Die »nukleare Teilhabe« ist vor allem politisch motiviert: ein Zeichen, daß die Militärallianz einheitlich an Atomwaffen festhält. Der Konsens ist allerdings brüchig. Einerseits behält sich die NATO den atomaren Erstschlag vor. Und auch der Berater des EU-»Außenministers« Javier Solana, Robert Cooper, äußerte dem britischen Guardian zufolge erst im Januar: »Möglicherweise werden wir vor allen anderen Atomwaffen einsetzen, aber ich wäre vorsichtig, das laut auszusprechen.« Der Europaabgeordnete Tobias Pflüger (Linke) spricht deshalb von einer drohenden »Renaissance der Atomwaffen«. Andererseits sind es aber vor allem die USA, die laufend neue Projekte vorstellen, die auf den Bau von »Bunkerbrechern« oder taktischen »Mininukes« gegen »Schurkenstaaten« oder »Terroristen« hinauslaufen. Diese Pläne haben sich die europäischen NATO-Staaten bislang nicht zu eigen gemacht. Von der »Teilhabe« sind Griechenland und die Türkei bereits abgerückt, Italien wird sich voraussichtlich ebenfalls zurückziehen.

Auch in der Bundesrepublik mehren sich die kritischen Stimmen: Als im Juni ein interner US-Bericht Sicherheitsmängel in den amerikanischen Atomwaffenlagern aufdeckte, plädierten im Bundestag fast alle Parteien für den Abzug der US-Waffen. »Diese Waffen dienen nicht der Sicherheit, sie vergrößern eher die Unsicherheit«, äußerte beispielsweise FDP-Chef Guido Westerwelle. Grüne und Die Linke sind ohnehin gegen die Atomwaffen, und selbst SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte: »Ich würde es begrüßen, wenn die restlichen Waffen aus Büchel auch abgezogen würden«.

Aktive Schritte unternimmt die SPD allerdings nicht. Sie setzt auf den Zeitfaktor: Ab 2012 werden die in Büchel stationierten »Tornados« nämlich durch »Eurofighter« abgelöst – und die sind nicht atomwaffentauglich. Das Verteidigungsministerium überlegt deswegen, einige »Tornados« zu behalten, die dann aber in Bayern stationiert wären und die Atomwaffen im Ernstfall in Büchel abholen müßten.

Denkbar ist, daß die USA selbst das Lager schließen und das alleinige Kommando über die Atomwaffen übernehmen. Nach Angaben des Berliner Informationszentrums für Trans­atlantische Sicherheit (BITS) hat Washington ohnehin den Schwerpunkt seiner Atomwaffen in Europa an die Südflanke verlegt – näher zum Nahen und Mittleren Osten.

Informationen unter : www.atomwaffenfrei.de

* Aus: junge Welt, 23. August 2008


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