Wir haben noch nie einen Krieg verhindert
Zehn Jahre nach den Massenprotesten gegen die Intervention der USA in Irak – wo steht die Friedensbewegung?
Das ganze Interview im Original (Zeitungsseite): pdf-Datei
PETER STRUTYNSKI und REINER
BRAUN gehören seit 30 Jahren zu den
wichtigsten Köpfen der deutschen
Friedensbewegung. INES WALLRODT
sprach mit den beiden in Kassel über
die Rückkehr des Krieges in die Politik
trotz Antikriegsmehrheiten in Umfragen
und warum Thomas de Maizière
der gefährlichste deutsche Verteidigungsminister
seit Jahren ist.
Im Augenblick hat man den Eindruck,
dass Union und FDP bei Libyen
und Mali zurückhaltender
sind als SPD und Grüne. Wie
schätzen Sie die beiden möglichen
künftigen Regierungskonstellationen
– große Koalition und Rot-Grün
– in der Kriegs- und Friedensfrage
ein?
Peter Strutynski: Der Eindruck
täuscht. Eine rot-grüne Regierung
würde auch nicht mit Hurra nach
Mali ziehen wollen. Die fordern das
jetzt auch aus oppositionellen
Gründen. Durch die Bundestagswahl
wird sich nichts Wesentliches
ändern.
Reiner Braun: Bei der Außenpolitik
gibt es eine große Koalition der
Vier. Im Unterschied zu Peter ist
meine Sorge aber durchaus, dass
Rot-Grün ohne große außerparlamentarische
Gegenbewegung
schneller in Kriege eingreifen wird
als die Konservativen. Unter dem
Druck von Kriegsbefürwortern geben
sich Sozialdemokraten und
Grüne gern immer noch ein bisschen
staatstreuer.
Wird es in Zukunft mehr oder
andere Kriege als bisher geben?
Strutynski: Sowohl als auch. Nach
dem Ende der Blockkonfrontation
ist Krieg wieder zu einem normalen
Mittel der Politik geworden. Die
Kriege haben heute teilweise andere
Ursachen als früher. Meistens
aber werden sie von Großmächten
instrumentalisiert.
Braun: Thomas de Maizière ist der
gefährlichste Verteidigungsminister
der letzten Jahrzehnte in diesem
Land. Er setzt auf eine sehr
kluge Art aggressivste Politik
durch: Vollendung der Interventionsarmee,
Drohneneinsätze,
Deutschland überall im Krieg. Er
vollendet, was sich in den letzten
20 Jahren angedeutet hat, in einer
Brutalität und Schnelligkeit, wie es
von Guttenberg in seiner saloppen
Art niemals geschafft hätte.
...und wirkt dabei gar nicht militaristisch.
Braun: Das ist ja das Problem. Der
protestantische Pietismus ist
manchmal besonders gefährlich.
Wir müssen uns jedenfalls auf
weitere kriegerische Auseinandersetzungen
einstellen. Syrien,
Iran, Afrika – die Konfliktlinien
sind vorgezeichnet. Die zukünftigen
Krisen finden aber nicht nur in
unterentwickelten Gebieten statt.
Noch gar nicht richtig wahrgenommen
haben wir die Konflikte
zwischen Japan, China, Südkorea,
Philippinen. Da geht es um Ressourcen,
um Routen für Verkehrsund
Handelsschifffahrt, und da
geht es um Hegemonie in einer
riesigen Weltregion. Und über all
dem schweben als eine neue Qualität
die Drohnen. Wir können die
Drohnen als Entgrenzung und
Entmenschlichung von Krieg gar
nicht ernst genug nehmen.
Strutynski: Deutschland hat das
Potenzial, ein gefährlicher Aggressor
in dieser Welt zu werden.
Braun: Deutschland kämpft aber
nicht mehr alleine, damit sind wir
zwei Mal gescheitert, sondern im
Bündnis. Das ist eine kluge Strategie,
die Ausstrahlung auf die Bevölkerung
hat: Wir sind nicht mehr
der Schurke gegen den Rest der
Welt, sondern betten uns ein in die
»westliche Demokratie« und wenn
möglich in das UN-System.
In Umfragen lehnen die Deutschen
Kriegseinsätze in der Mehrheit
ab. Dennoch schreitet die Militarisierung
voran. Warum ist die
Friedensbewegung so schwach?
Braun: Das ist kein deutsches
Problem. Weltweit ist die Friedensbewegung
kaum in der Lage,
Kriegstreibern in die Arme zu fallen.
Der Protest gegen den Irakkrieg
war die letzte große Mobilisierung
der Friedensbewegung. Sie befand
sich mit ihrem Nein allerdings in
Übereinstimmung mit dem offiziellen
Regierungskurs. Brauchte sie
die Absolution von oben?
Strutynski: Es heißt, weil Schröder
auch gegen diesen Krieg aufgetreten
ist, sei es so leicht gefallen, eine
halbe Million Leute in Berlin auf die
Straße zu bringen. Das ist eine Legende.
Man braucht die Regierung
nicht für eine Protestbewegung.
Die britische Regierung wollte in
den Krieg ziehen – dagegen gingen
sogar zwei Millionen auf der Straße.
Gegen den von Rot-Grün geführten
Kosovokrieg gab es weniger
Protest.
Strutynski: Die Friedensbewegung
ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Dass die Grünen damals umschwenkten
und so vehement für
den Krieg trommelten, hat die Bewegung
gespalten. Manche hatten
damals das Bedürfnis, unmittelbar
helfen zu müssen, und setzten auf
das Militär. Heute würde ich sagen,
dass ein größerer Teil der Bevölkerung
aus Kosovo und anderen
Konflikten danach gelernt hat.
Braun: In Bezug auf Mali sagen 65
Prozent der Bevölkerung: »Das
endet wie Afghanistan.« Gegen den
Afghanistankrieg ist es uns nie gelungen,
Massen zu mobilisieren,
aber wir konnten kritische
Sprengsel setzen. Viele Menschen
haben erkannt, dass Soldaten
Konflikte nicht lösen. Auf diesem
Humus können wir bauen.
Und trotzdem fehlt die politische
Macht, tatsächlich etwas zu verhindern.
Strutynski: Ich sage provokatorisch:
Die Friedensbewegung in
Deutschland hat noch nie einen
Krieg verhindert. Sie sitzt nicht in
der Regierung, nicht in der NATO,
sie hat schlicht die institutionellen
Mittel nicht, über Krieg und Frieden
zu entscheiden. In der Geschichte
der Bundesrepublik waren
außenpolitische Themen nur
zwei Mal wahlentscheidend: 1972
bei den Ostverträgen, als Brandt
einen triumphalen Wahlsieg errungen
hat. Und 2002, als Schröder
kurz vor der Wahl auf die Idee
gekommen ist, seine Koalition gegen
den Irakkrieg der USA zu positionieren.
Aufgabe der Friedensbewegung
ist es, zu warnen, aufzuklären,
Widerstand zu leisten
und Druck auf die herrschende
Politik auszuüben.
Braun: Krieg und Frieden können
nur eine wichtige Rolle spielen,
wenn ein längerfristiger Prozess
das Grundbewusstsein der Menschen
verändert. Egon Bahr hat
1963 seine Rede zur Entspannungspolitik
gehalten, Brandt ist
erst zehn Jahre später für die Ostpolitik
wieder gewählt worden.
Jetzt stehen wir vor der Aufgabe,
dass die Generation, die sich mit
den neuen Interventionskriegen
beschäftigen muss, die kriegskritische
Grundhaltung der 80er und
90er Jahre behält.
Warum gibt es angesichts dieser
Herausforderungen und der relativen
Schwäche der Bewegung mit
Ihren beiden Organisationen zwei
strategische Zentren, die als
Sprachrohr der Friedensbewegung
auftreten?
Strutynski: Wir sind kein Dachverband
und konkurrieren auch
mit keinem. Der Bundesausschuss
Friedensratschlag versteht sich
nicht als Organisation. Wir haben
keinen Vorstand und keine Mitglieder.
Wir sehen uns als Impulsgeber
und Diskussionsforum. Die
»Ratschläge« in Kassel sind entstanden,
weil es keinen überregionalen
Austausch mehr gab, nachdem
die Strukturen der 80er Jahre
weggebrochen waren. Zwischen
diesen Kongressen versucht der
Bundesausschuss über seine
Homepage, Pressemitteilungen
etc., Politik zu machen.
Braun: Jetzt machst du deine Arbeit
aber kleiner, als sie ist. Es gibt
zwei Sprecher des Bundesausschusses...
Strutynski: Sechs.
Braun: Sechs sogar. Es gibt auch
ein Büro. Aus meiner Sicht gibt es
zwei Netzwerke, die einen bundesweiten
Anspruch erheben. Das hat
sich historisch eben so entwickelt.
Aus Sicht der Kooperation meine
ich aber, dass wir auch weiterhin
Formen für eine sinnvolle Zusammenarbeit
finden sollten. Wir müssen
wieder mehr schauen, bei welchen
Aktivitäten wir unsere Kräfte
bündeln können. Wären die Drohnen
nicht ein geeignetes Thema?
Strutynski: Drohnen sind ein
Problem, wo man gemeinsam,
aber vor allem möglichst in allen
Orten der Bundesrepublik aktiv
werden muss. Jede Organisation
muss versuchen, so viele Menschen
zu erreichen, wie sie kann.
Die inhaltliche Übereinstimmung
klingt groß. Warum ist die
Zusammenarbeit schwierig?
Strutynski: Wir arbeiten ja punktuell
zusammen. Wenn es einen
gemeinsamen Aufruf gegen Drohnen
geben soll, sind wir sicher
nicht dagegen. Aber das Bedürfnis,
etwas gemeinsam zu machen,
muss von unten kommen. Bei Libyen,
zum Beispiel, ist dieser
Wunsch nicht an uns herangetragen
worden.
Braun: Ich sehe derzeit keinen
Sinn darin, Strukturen zu debattieren.
Aber natürlich kann man
sich ab und an mal fragen, ob alles
wirklich effektiv gewachsen ist. Ich
würde zumindest Verbesserungsmöglichkeiten
sehen.
In meiner Wahrnehmung ist der
Bundesausschuss politisch homogener
als die Kooperation, die bis
ins christliche und sozialdemokratische
Friedensspektrum hineinreicht.
Strutynski: Das könnte sein. Wir
diskutieren im Bundesausschuss
viel und gründlich. Dementsprechend
gibt es eine große inhaltliche
Basis. Bei uns müssen sich auch
keine Organisationen einigen,
sondern Basisaktivisten, die seit
Jahren zusammenarbeiten. Deshalb
finden wir leicht gemeinsame
Positionen.
Braun: Die »Kooperation« versteht
sich stärker als Teil der internationalen
Friedensbewegung. Wir legen
viel Wert auf internationale
Zusammenarbeit, zum Beispiel im
No-to-NATO-Bündnis und in der
Friedensorganisation IPB.
Strutynski: Bei No-to-NATO waren
wir auch dabei.
Braun: Ja leider, waren.
Strutynski: Dass wir das nicht
mehr sind, hat nichts mit fehlender
internationalistischer Perspektive
zu tun. Manchmal fehlen aber auch
die Mittel, in der Welt herumzugondeln.
Die Friedensbewegung hat noch
ein weiteres Problem: Sie wird immer
älter. Bei Jüngeren gilt sie als
zu betulich.
Braun: Es gibt wieder mehr junge
Leute, die sich für Frieden engagieren.
Die derzeit erfolgreichsten
Kampagnen sind Rüstungsexporte,
Zivilklausel und Bundeswehr an
Schulen. Bei allen sind Jüngere dabei.
Aber natürlich nicht genug. Wir
haben auch ein Problem von Platzhirschen.
Es ist schwierig, in eine
verantwortende Position nachzuwachsen,
wenn da jemand mit dem
Wissen von Jahrzehnten sitzt.
Strutynski: Als ich jung war, war
mir der Frieden nicht genug. Ich
wollte »Revolution machen«, die
Gesellschaft insgesamt verändern.
Braun: Es bleibt die entscheidende
Frage: Wann engagieren sich
Menschen für Frieden? Gibt es
noch weitere Zugänge, neben der
immer notwendigen Kriegskritik?
Früher war es Angst. Die direkte
Bedrohung durch Raketen gibt es
aber bei uns nicht mehr. Ich denke,
dass die Gegenüberstellung von
Rüstungsausgaben versus andere
Ausgaben mobilisierend wirken
kann. Und die Gerechtigkeitsfrage.
Beim Kirchentag gibt es zum ersten
Mal wieder viele Veranstaltungen
zu Gerechtigkeit und Frieden.
Vor zwei Jahren hat die Friedensbewegung
versucht, bei den
Anti-Atom-Demonstrationen aufzuspringen.
Gelungen ist das nicht.
Braun: Das ist unser alter Traum,
gemeinsam mit der Umweltbewegung
gegen Atomwaffen und
Atomkraft zu marschieren. Aber
das ist fast immer auf dem Papier
stehen geblieben. Die Zusammenarbeit
mit anderen Bewegungen
hängt auch davon ab, ob es in Organisationen
noch Personen gibt,
die sich mit der Friedensfrage verbunden
fühlen, wie etwa in ver.di
und GEW, vor allem aber in den
Kirchen. Mit entwicklungspolitischen
Organisationen gibt es lediglich
punktuelle Kooperation.
Strutynski: Die Friedensbewegung
hat sich immer als Bewegung verstanden
und weniger als NGO. Die
sind noch schlechter mobilisierungsfähig.
Wenn wir 50 NGOs im
Boot hätten, haben wir damit allein
noch keine Massenbewegung auf
der Straße.
Braun: Das bringt vielleicht nicht
immer Massen auf die Straße, aber
nützt politisch. Wir müssen die
Antikriegsmehrheit erhalten. Und
deshalb müssen wir so eng wie
möglich mit anderen gesellschaftlichen
Kräften zusammenarbeiten.
* Reiner Braun, 60, ist Geschäftsführer der
Friedensorganisation IALANA und Gründungssprecher der
»Kooperation für den Frieden«, in der sich über 50 friedensbewegte
Initiativen und Organisationen zusammengeschlossen
haben. Am 22. Februar feiert die Dachorganisation
ihren zehnten Geburtstag. Sie war nach den Irakkriegsdemonstrationen
2003 aus dem Eindruck entstanden, dass der Friedensbewegung eine verbindliche Zusammenarbeit fehlt. www.koop-frieden.de
* Peter Strutynski, 67, war wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität
Kassel. Seit Jahren leitet er die AG Friedensforschung
in Kassel und ist Sprecher des »Bundesausschusses
Friedensratschlag« – ein Zusammenschluss von Initiativen
und Einzelpersonen, die sich einmal im Jahr zu einer
Konferenz treffen. In diesem Herbst findet der 20. Ratschlag
statt. www.ag-friedensforschung.de
Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Februar 2013
Zurück zur Friedensbewegungs-Seite
Zurück zur Homepage