Blockupy trotzt den Verboten
Bei den Bankenprotesten steht auch das Demonstrationsrecht auf dem Prüfstand
Von Von Stefan Otto *
Die Proteste des Blockupy-Bündnisses gegen EU-Krisenpolitik und die Macht der Banken in der Finanzmetropole Frankfurt am Main haben begonnen – obwohl das Bundesverfassungsgericht die Demonstrationen für gestern und heute verboten hatte. Lediglich eine Großdemo am Samstag ist genehmigt worden.
Bereits am Mittwochabend räumte die Polizei das Occupy-Camp vor der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Stadt Frankfurt verkündete bis Sonntag dort ein Aufenthaltsverbot. Den Blockupy-Protesten fehlte somit ein Zentrum. Zu unterbinden waren einzelne Kundgebungen aber nicht. Rund 200 Protestierer versammelten sich gestern Nachmittag am Hauptbahnhof, auf dem Uni-Campus im Stadtteil Bockenheim demonstrierten 150 Bankenkritiker, und auf dem Paulsplatz im Stadtzentrum gingen etwa 1000 Protestierer auf die Straße. Hier richtete sich der Unmut nicht nur gegen das Krisenmanagement der EU, IWF und EZB, sondern auch gegen die Demonstrationsverbote. Stets wurden die Protestierer von einem martialischen Polizeiaufgebot umringt.
Rund 5000 Polizeibeamte sollen nach offiziellen Angaben bis Samstag in dem Stadtgebiet im Einsatz sein. Das Blockupy-Bündnis, dem unter anderem das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Linkspartei und der Bundesausschuss Friedensratschlag angehören, zeigte sich von den Verboten fast aller Veranstaltungen überrascht, ließ sich davon aber nicht abschrecken. »Wir rechnen auch damit, dass am Freitag viele Menschen empört die Zugänge zu Banken blockieren werden, sagte Christoph Kliene von der Interventionistischen Linken. »Grundrechte leben davon, dass man sie ausübt, auch wenn Gerichtsurteile dem entgegenstehen.«
Immer wieder versuchten Polizisten kleinen Gruppen den Zugang zu den Protesten zu verwehren. Einen größeren Zwischenfall gab es am Donnerstagvormittag auf der Autobahn A5 rund 20 Kilometer vor Frankfurt, als Polizisten drei Reisebusse mit Berliner Blockupy-Aktivisten aufhielten. Den Demonstranten sei es untersagt worden, für die Dauer der Aktionstage das Stadtgebiet zu betreten, berichteten Augenzeugen dem »nd«.
Die Verbote verhängte die schwarz-grüne Stadtregierung; der Hessische Verwaltungsgerichtshof bestätigte sie. Zwar versuchte die hessische Linkspartei, beim Bundesverfassungsgericht noch eine Erlaubnis für die Veranstaltungen zu erhalten, scheiterte mit ihrem Antrag aber. Sascha Collet, Bundesgeschäftsführer der Studierendenvereinigung LINKE.SDS, war entsetzt über das Urteil: »Es ist für einen demokratischen Staat sehr fragwürdig, friedliche Proteste ohne ordentliche rechtliche Grundlage zu verbieten.«
* Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Mai 2012
Ausnahmezustand in Bankfurt
Demonstrationsverbote und Polizeischikanen können Proteste gegen die Finanzwelt nicht aufhalten
Von Hans-Gerd Öfinger **
Die Blockupy-Proteste haben in Frankfurt am Main begonnen. Mit einem martialischen Aufgebot begegnet die Polizei den Blockierern in der Bankenmetropole.
Mit Großeinsätzen in der Innenstadt sowie rund um die Bankenmetropole Frankfurt haben Polizeieinheiten aus dem gesamten Bundesgebiet am Donnerstag den Zugang zu einer Kundgebung behindert, die vom Kölner Komitee für Grundrechte und Demokratie für den frühen Nachmittag anberaumt worden war. Die Veranstalter hatten zum Protest gegen das Verbot aller im Rahmen der europaweiten Blockupy-Aktionstage von Mittwoch bis Freitag geplanten Veranstaltungen in der Innenstadt aufgerufen.
Am Donnerstagvormittag wurden etwa 20 Kilometer nördlich der Mainmetropole auf einem Autohof an der Autobahn 5 drei Busse mit anreisenden Berliner Blockupy-Aktivisten von Polizisten angehalten. Augenzeugenberichten zufolge holten die Beamten die Reisenden einzeln aus den Bussen, stellten ihre Personalien fest und forderten sie zur Umkehr Richtung Berlin auf. Den Berliner Demonstranten wurde per Verbotsverfügung und unter Androhung einer Strafe untersagt, für die Dauer der Aktionstage bis einschließlich Wochenende das Frankfurter Stadtgebiet zu betreten.
Auch am Frankfurter Hauptbahnhof hielten Bereitschaftspolizisten stundenlang anreisende Demonstranten fest. Die Aktion dauerte bis in die späten Nachmittagsstunden an.
In der Frankfurter Innenstadt wurden nach Augenzeugenberichten Fußgänger, die sich in kleinen Gruppen bewegten, von Polizeikräften observiert, kontrolliert und teilweise zurückgehalten. Für das Verbot hatte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch grünes Licht für das von der Frankfurter Stadtregierung aus CDU und Grünen verhängte und vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof bestätigte Veranstaltungsverbot gegeben. Ein Versuch der hessischen Linkspartei, die zu den Mitveranstaltern der Blockupy-Proteste gehört, bei den Karlsruher Verfassungsrichtern in letzter Minute Rückendeckung im Einsatz für die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit zu finden, hatte keinen Erfolg. Gegen das Verbot hatten auch führende Repräsentanten von SPD, Grünen und Piratenpartei sowie die Frankfurter IG Metall protestiert. »Frankfurt ist nicht Moskau, wo unerwünschte Meinungen einfach weggetragen werden«, erklärten die südhessischen Jusos.
Trotz des Verbots versammelten sich am Mittwochabend rund 800 vor allem jüngere Menschen an der Frankfurter Hauptwache und widersetzten sich damit den Anordnungen zur Untersagung der geplanten »Rave against the Troika«-Veranstaltung. Sie waren umstellt von einer Überzahl zumeist hessischer Polizisten, die ihre Einsatzwagen Stoßstange an Stoßstange rund um den Platz abgestellt hatten und damit bei manchen Versammelten Ängste vor einer Einkesselung weckten.
Auch am Donnerstag gelangten trotz zahlreicher, an einen Belagerungszustand gemahnender Polizeisperren in der Innenstadt weit über tausend Demonstranten auf den Platz vor der legendären, an die Revolution von 1848 erinnernde Paulskirche. Sie ließen sich trotz der massiven Polizeipräsenz das Versammlungsrecht nicht nehmen. Viele mussten außerhalb der Absperrgitter als Zaungäste das Geschehen beobachten. Zahlreiche Demonstranten, darunter Bundes- und Landtagsabgeordnete der LINKEN, hielten ein Exemplar des Grundgesetzes in die Höhe. Mehrere Jugendliche kletterten auf einen Baum, um dort ein Transparent mit der Aufschrift »Demokratiefreies Bankfurt« anzubringen.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Mai 2012
Frankfurt okkupiert
Von Daniel Behruzi, Frankfurt/Main ***
Es wurde getrommelt, getanzt, gesungen. Die Stimmung auf dem Frankfurter Paulsplatz war am Donnerstag durchweg friedlich – ganz anders als in den von den örtlichen Behörden verbreiteten Horrorszenarien. Diese hatten mit der Behauptung, 2000 Gewalttäter wollten im Rahmen der »Blockupy«-Aktionstage die Bankenmetropole heimsuchen, sämtliche Veranstaltungen bis auf die Großdemo am Samstag untersagt. Trotz Bestätigung des Pauschalverbots durch die Gerichte versammelten sich am Donnerstag an diversen Orten der Stadt Menschen, um gegen Bankenmacht und Kapitalismus zu protestieren – und gegen die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Auch die Präsenz Tausender Polizisten in der gesamten Innenstadt konnte das nicht verhindern.
»Der Versuch, die Versammlungsfreiheit flächendeckend zu unterdrücken, ist grandios gescheitert«, erklärte Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken gegenüber junge Welt. »Ich freue mich sehr, daß sich die Leute so friedlich und entschlossen für ihre Rechte einsetzen – da ist auch so ein Repressionsapparat am Ende völlig hilflos«, so Kleine vor der Frankfurter Paulskirche. Rund 1000 Menschen hatten sich an dem symbolträchtigen Ort – in der Schule gerne als »Wiege der deutschen Demokratie« bezeichnet – versammelt. Unter ihnen der Liedermacher Konstantin Wecker, der auf jW-Nachfrage meinte: »Ich habe schon in Bagdad und Athen gesungen, aber in Frankfurt darf ich es nicht.« Ein solches »Radikalverbot« politischer Veranstaltungen habe er noch nie erlebt.
Bereits am Mittwoch hatte die Polizei das seit Monaten bestehende »Occupy«-Camp vor der Europäischen Zentralbank – deren Politik war das eigentliche Ziel des Protests – geräumt. Dabei war es ebenso wenig zur von der Stadt prophezeiten »Gewaltorgie« gekommen wie am Abend bei einem Rave, bei dem trotz Verbots Hunderte Jugendliche tanzten. »Die Polizei ist verunsichert. Sie können einfach ihre 2000 Gewalttäter nicht finden – denn das ist und bleibt ein Hirngespinst«, betonte Kleine. Die Gefahrenprognose der Polizei, auf die sich die Verbote stützten, sei »völlig überrissen«, ergänzte Roman Denter vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC. Es seien auch Veranstaltungen von Organisationen untersagt worden, die gar nicht Teil des »Blockupy«-Bündnisses sind. Selbst eine alljährlich stattfindende Kranzniederlegung der Frankfurter Jusos für die homosexuellen Opfer des der Nazis wurde zunächst nicht erlaubt.
Politiker von SPD, Grünen, Piraten und Linken äußerten ebenso Kritik am pauschalen Versammlungsverbot wie die IG Metall. Die Gewerkschaftssekretärin Katinka Poensgen kritisierte auf jW-Nachfrage: »Die Verantwortlichen in Frankfurt haben es in den vergangenen zehn Jahren nicht ein einziges Mal geschafft, einen Neonaziaufmarsch zu verbieten.« Die bemerkenswerte Begründung des hessischen Innenministers Boris Rhein (CDU) seinerzeit: Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut und eine Lehre aus dem Faschismus! Poensgen erklärte zum Agieren der Staatsmacht ironisch: »Durch ihr Vorgehen haben sie die Banken selbst blockiert – vielleicht sollten wir uns danach mal dafür bedanken«.
*** Aus: junge Welt, Freitag, 18. Mai 2012
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