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Anwalt wirft Polizei geplante Gewalt gegen Blockupy vor

Hessische Linksfraktion legt Beweisdokumente vor / Klagen gegen Stadt laufen

Von Hans-Gerd Öfinger *

Die Aufarbeitung der Polizeiübergriffe auf die Frankfurter Blockupy-Demonstration am 1. Juni geht in den Sommermonaten weiter und wird auch die Gerichte beschäftigen.

Scharfe Kritik am Verhalten des Frankfurter Amtsgerichts äußerte der Hannoveraner Rechtsanwalt Paulo Dias, der nach eigenen Angaben am 1. Juni selbst stundenlang eingekesselt war. Im Namen mehrerer Demonstranten aus verschiedenen Städten erhebt Dias Klage wegen Freiheitsberaubung und diversem Fehlverhalten der für den Polizeieinsatz Verantwortlichen. Und die Liste ist lang.

Zur Erinnerung: Bei einer angemeldeten Demonstration des Blockupy-Bündnisses ins Bankenviertel in Frankfurt am Main kesselte die Polizei wegen Vermummungsvorwürfen hunderte Menschen ein und ging teils äußerst brutal gegen die Protestierenden vor; Augenzeugen sprechen von fehlendem Wasser und Sanitäreinrichtungen für die stundenlang in praller Sonne Festgesetzten. Am Freitag legte die hessische Linksfraktion Dokumente vor, die beweisen sollen, dass der Kessel von langer Hand geplant war.

Dem Frankfurter Amtsgericht wirft Anwalt Dias Untätigkeit vor. Obwohl in Fällen von Freiheitsentzug die Gerichte grundsätzlich eine Amtsermittlungspflicht hätten und die Einkesselung einer unverhältnismäßigen Zwangsmaßnahme gleichkomme, habe sich die Leitung des Gerichts an jenem Tag über den gesamten Zeitraum für »nicht-zuständig« erklärt und damit einen rechtsfreien Raum geschaffen, bemängelt Dias.

Über die juristischen Schritte hinaus plant das Blockupy-Bündnis ein öffentliches Tribunal, bei dem die Augenzeugenberichte, Fotos und Videos der Einkesselung ausgewertet werden sollen. Nachdem ein Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen am 1. Juni unlängst am Nein der SPD-Landtagsfraktion gescheitert war, soll das Tribunal auch als Ersatzveranstaltung dienen und den vielen offenen Fragen und Beschwerden auf den Grund gehen.

So ist Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) den Parlamentariern bisher die Antwort auf die Frage nach seiner Rolle am 1. Juni schuldig geblieben. Seiner Beteuerung, er habe mit dem Einsatz persönlich nichts zu tun gehabt, billige aber das Vorgehen der Polizei, schenken Oppositionspolitiker wenig Glauben. Auf Fotos und Videoaufnahmen vom Ort des Geschehens seien enge Mitarbeiter und der Pressesprecher Rheins zu erkennen. »Die sind dort bestimmt nicht privat einkaufen gegangen«, sagte Janine Wissler, Vorsitzende der Linksfraktion. Weder im Innenausschusses noch in einer Plenardebatte im Wiesbadener Landtag habe Rhein zudem erklären können, warum Polizeieinheiten schon Stunden vor Demonstrationsbeginn so massiv am Ort der späteren Einkesselung zusammen gezogen worden seien.

Unterdessen mehren sich die Hinweise darauf, dass die Brutalität und Härte der Polizeimaßnahmen am 1. Juni selbst unter den beteiligten Polizisten umstritten ist. So berichten Insider von kontroversen und kritischen Diskussionen innerhalb der DGB-Mitgliedsorganisation Gewerkschaft der Polizei (GdP). Eine eingekesselte Demonstrantin sagte gegenüber »nd«, dass eine beteiligte Polizistin ihr als Zeichen der Sympathie »heimlich« eine Wasserflasche überreicht habe. »Die Hälfte meiner Leute würde gerne bei Ihnen mitdemonstrieren«, hat ein Polizist dem Vernehmen nach im Gespräch mit Demonstranten geäußert.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


»Es gab keine Rechtsgründe für Einkesselung«

Ehemaliger Grünen-Politiker vertritt Mittelständler, die bei »Blockupy« nicht dabei sein durften. Gespräch mit Rupert von Plottnitz **

Der frühere Grünen-Politiker Rupert von Plottnitz vertritt Architekten, Ärzte und Journalisten.


Herr Plottnitz, Sie vertreten als Anwalt 14 Anzeigensteller der Demo am 1. Juni in Frankfurt am Main. Die sind eher untypisch dafür, wie man sich gemeinhin Blockupy-Aktivisten vorstellt, weil sie dem gehobenen Mittelstand angehören...

Meine Mandanten sind Architekten, Ärzte, Journalisten, darunter der Stadtplaner Professor Dietrich Wilhelm Dreysse und der Chirurg Bernd Lohmann. Die von Ihnen geäußerte Vorstellung, der Mittelstand sei bei dieser Demonstration gegen die europäische Krisenpolitik kaum vertreten gewesen, teile ich nicht. Ich bin sicher: Alle gesellschaftlichen Gruppierungen waren dabei. Die Gruppe meiner Mandanten befand sich nicht im von der Polizei errichteten Kessel, aber unmittelbar dahinter. Aus ihrer Sicht wurden sie durch die Bildung des Kessels bis zum späten Abend gewaltsam am Demonstrieren gehindert. Für sie stellt sich dies als Nötigung ohne Rechtsgrund dar. Die Anzeige richtet sich gegen den Frankfurter Polizeipräsidenten Achim Thiel, den Einsatzleiter Harald Schneider sowie gegen namentlich noch nicht bekannte Verantwortliche, die an der Vereitelung der Demonstration beteiligt waren – darunter möglicherweise auch der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU).

Waren Sie selber vor Ort?

Ich wollte zur Abschlußkundgebung um 16 Uhr gehen, mußte aber feststellen, daß sich dort zwar eine Bühne befand, auf der gesprochen werden sollte, aber niemand da war, weil die Polizei die ganze Demo blockiert hat.

Wie beschreiben Ihre Mandanten die Situation?

Bis zum Zeitpunkt der Einkesselung sei es störungsfrei zugegangen – auffällig sei einzig das große Polizeiaufgebot gewesen. Meine Mandanten hatten gehofft, demonstrieren zu können. Es ist die Besonderheit dieser Anzeigensteller, daß sie nicht tätlichen Über- oder Angriffen der Polizei ausgesetzt waren wie viele andere, auch außerhalb des Kessels.

Persönliche Betroffenheit durch Verarmung ist auszuschließen – warum hatten sie sich denn den Protesten angeschlossen?

In Frankfurt am Main dürfte persönliche Betroffenheit bei allen Teilnehmern der Demo auszuschließen sein – außer vielleicht bei einigen aus Spanien und Italien. Auch Berufstätige des gehobenen Mittelstands erkennen die Folgen der europäischen Krisenpolitik.

In der Bankenmetropole leben viele Hartz-IV-Bezieher…

Wie ich es wahrgenommen habe, richtete sich diese Demonstration aber nicht gegen soziale Mißstände hierzulande, sondern gegen die Euro-Rettungspolitik, die wirtschaftliche und soziale Heilversprechen gegenüber südeuropäischen Ländern nicht einlöst, sondern zu deren Auszehrung führt.

Die Linke hat die Grünen in Hessen mit einem Plakat scharf kritisiert. Darauf der Spruch: »Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geborgt – wenn sie sie zurückfordern, hauen wir ihnen auf die Fresse«. Was sagen Sie als Grünen-Politiker der ersten Stunde dazu?

Wahlkampfgeplänkel der Linken: Die Grünen waren für den Polizeieinsatz nicht zuständig, haben ihn sogar als grob unverhältnismäßig kritisiert.

Der linke Stadtverordnete Lothar Reininger hat gesagt, die Grünen hätten nichts dagegen unternommen, als ihr Koali­tionspartner CDU die Eskalation des Polizeieinsatzes im Vorfeld herbeigeredet habe.

Als Grünen-Politiker bin ich nicht mehr aktiv. Als Bürger habe ich jedoch wahrgenommen, daß nach den Totalverboten 2012 die Stimmung anders war: Versuche des Ordnungsamtes 2013, eine andere Demonstrationsroute als an der EZB vorbei zu erreichen, sind gerichtlich gescheitert.

Der innen- und rechtspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Jürgen Frömmrich, hat gegenüber junge Welt behauptet: Bei der Demo habe es einen schwarzen Block gegeben…

Ich schätze ihn sehr, muß mich aber an Schilderungen meiner Mandanten halten: Es gab keine Rechtsgründe, die Anlaß zur Bildung des Kessels gegeben haben. Es kann nicht zur Begründung angeführt werden, daß Regenschirme oder Sonnenbrillen mitgeführt wurden. Das sind Alltagsgegenstände.

Interview: Gitta Düperthal

** Rupert von Plottnitz war bis 1999 hessischer Justizminister und Grünen-Politiker und ist derzeit Mitglied des Staatsgerichtshofes

Aus: junge Welt, Montag, 8. Juli 2013



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