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Vorgehen gegen Blockupy offenbar geplant

Opposition fordert Aufklärung des Polizeieinsatzes *

Der gewalttätige Polizeieinsatz bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main hat ein Nachspiel. Die Polizeispitze rechtfertigte indes die Einkesselung von Demonstranten.

Während Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD Aufklärung über den massiven Polizeieinsatz bei der Blockupy-Demonstration am Samstag verlangen, mehren sich die Hinweise darauf, dass die stundenlange Einkesselung von Hunderten Aktivisten geplant war. Dies hatten das Protestbündnis und Politiker bereits vermutet.

Nach Angaben der »Bild«-Zeitung hätten mehrere Polizisten anonym bestätigt: »Der Kessel war geplant.« Danach habe die Polizei den Teil des Zuges abgeschnitten und die Menschen festgehalten, um Personalien von angeblich Vermummten aufzunehmen und diese »mit den M31-Randalierern vom März 2012 abzugleichen«, so das Springer-Blatt. Damals wurden bei einem von Linksradikalen einberufenen »Aktionstag gegen Kapitalismus« in Frankfurt am Main Demonstranten stundenlang eingekesselt und die Demonstration aufgelöst.

Schon kurz nach dem Polizeieinsatz hatte Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann den Verdacht geäußert, »dass diese Eskalation von der Polizeiführung von langer Hand vorbereitet worden und der Kessel an dieser Stelle von vornherein geplant worden ist«. Ähnlich äußerte sich auch die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, die an der Demonstration teilnahm und von Polizisten abgeführt wurde. »Bild« zitiert einen anonymen Polizisten mit den Worten: »Diese Strategie war ein Fehler.« Die Polizeiführung wies die Vorwürfe noch während des Einsatzes zurück.

Der Polizeieinsatz wird ein parlamentarisches Nachspiel haben und am Donnerstag auf Wunsch der Opposition auch den Innenausschuss des Hessischen Landtags beschäftigen. Die Linksfraktion hat beantragt, dass die Sitzung öffentlich ist. SPD-Innenpolitikerin Nancy Faeser will klären, ob der vom Innenministerium geleitete Einsatz verhältnismäßig war. »Menschen einzukesseln und über Stunden ihrer Freiheit zu berauben, darf nur in Ausnahmefällen erfolgen«, so Faeser. Neben dem hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) stehe auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) »als Dienstherr der Bundespolizei in der Bringpflicht«, erklärte Kipping. Daher wolle ihre Fraktion Friedrich im Bundestag zur Rede stellen. Unterdessen forderten hessische Oppositionspolitiker Rheins Rücktritt.

Nach Angaben des Ermittlungsausschusses Frankfurt sind bei der Demonstration am Samstag rund 200 Demonstranten durch Polizeigewalt verletzt worden, die meisten durch Pfefferspray. Über 1000 Menschen wurden bis zu neun Stunden im Kessel festgehalten, darunter auch Anwälte, die so an der Mandatsausübung gehindert wurden.

Rhein und die Frankfurter Polizeispitze verteidigten am Montag bei einer Pressekonferenz ihr Vorgehen. »Ich bin mir absolut sicher, dass es zu Ausschreitungen gekommen wäre«, so Einsatzleiter Harald Schneider. Beschwerden äußerten auch viele Medienvertreter. »Meinem Kameramann wurde ein Bein gestellt, der Polizist hat ihm gesagt: ›Verpiss dich‹«, so ein RTL-Journalist. »Warum wurden meine Personalien aufgenommen?«, fragte ein Reporter der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. Juni 2013


Angriff nach Drehbuch?

Linke-Fraktion bringt Prügelattacken vom Sonnabend in Frankfurt am Main in den hessischen Landtag. Rücktrittsforderungen an Innenminister

Von Gitta Düperthal **


Die Polizeiattacke auf die Blockupy-Demonstration am Samstag in Frankfurt am Main wird Thema im hessischen Landtag. Die Fraktion Die Linke beantragte am Montag, die gewaltsamen Übergriffe von Polizisten auf Hunderte Demonstranten auf die Tagesordnung des Innenausschusses am Donnerstag zu setzen. Zur Debatte steht die Frage: »Erfolgte der Angriff auf die Blockupy-Demo nach einem Drehbuch der Polizeiführung oder aus dem Innenministerium?« Die politische Verantwortung für das Desaster müsse Innenminister Boris Rhein (CDU) übernehmen. Die Linke forderte Rhein auf, nicht »bis zum 22. September, dem Wahlsonntag in Hessen, zu warten«, sondern seine Sachen im Innenministerium bereits jetzt zu packen. »Wer am Wochenende vor Ort war, sich Bilder des Polizeieinsatzes anschaut«, Berichte des unabhängigen Ermittlungsausschusses und Zeugenaussagen lese, könne nur zu diesem Schluß kommen, so der Linke-Frak­tionsvorsitzender Willy van Ooyen.

Der Einsatz am Samstag sei generalsstabsmäßig geplant gewesen, von großer Härte und Brutalität gekennzeichnet, begründete er die Forderung. Es gehe um die Aushebelung des Grundrechts auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Ihm dränge sich der Verdacht auf, daß »in Frankfurt am Main mittlerweile Neonaziaufmärsche eher geduldet und ermöglicht würden als Demonstrationen, die Alternativen zu Sozialabbau und Bankenrettung auf Steuerzahlerkosten aufzeigen«.

Offener Brief

Am Montag rechtfertigten Innenminister Boris Rhein (CDU) und der Einsatzleiter der Polizei, Harald Schneider, auf einer Pressekonferenz den Großeinsatz, der zu Hunderten Verletzten führte. Rhein beharrte darauf, angesichts der sogenannten »passiven Bewaffnung« des eingekesselten Blocks, in einer ähnlichen Situation alles wieder genauso machen zu wollen.

Dagegen protestieren Wissenschaftler, Lehrer und Sozialpädagogen, die an der Demonstration teilgenommen haben, in einem offenen Brief. Darin verwahren sie sich gegen zahlreiche Unterstellungen, die von dem CDU-Politiker geäußert worden seien.

Die Liste ist lang: Der angebliche »schwarze Block« sei bunt gewesen, heißt es im Schreiben. Die »Vermummung« habe vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen bestanden. Einziger Vorwand der Einkesselung von über 1000 Personen über neun Stunden sei das Abbrennen von drei bengalischen Feuern gewesen. Dies sei völlig unverhältnismäßig. Der Vorwurf der »passiven Bewaffnung« sei aberwitzig. Ein selbstgebasteltes Schild aus Styropor, wie es die Demonstranten mit sich geführt hätten, sei nur Schutz, keine Waffe. Im Blockupy-Bündnis habe erklärtermaßen ein Aktionskonsens bestanden, daß von den Demonstrierenden keine Eskalation ausgehen sollte. Entsprechend hätten sich diese verhalten – außerhalb wie innerhalb des Polizeikessels. Hingegen wären Polizisten »übergriffig« geworden und hätten Körperverletzungen in Kauf genommen. Wie schon am Freitag bei der Demonstration gegen Abschiebungen am Rhein-Main-Flughafen seien Polizeitrupps mehrfach in die Menge hineingestürmt, hätten Demonstranten überrannt und niedergeworfen. Ohne Vorwarnung und ohne daß eine Gefahrensituation vorgelegen hätte, sei Pfefferspray aus unmittelbarer Nähe direkt in Gesichter gesprüht worden. Wehrlose Demonstranten seien mißhandelt worden, indem ihnen etwa der Kopf nach hinten gezogen und Mund und Nase zugehalten worden seien. An Armen und Beinen seien sie zur Personalienfeststellung davongetragen und von Polizisten in die Seite und den Unterleib getreten worden. Hälse seien verdreht und Arme verrenkt worden. Ohne Vorwarnung hätten Polizisten mit schwarzen Handschuhen Faustschläge versetzt.

SPD und Grüne in Hessen fordern ebenso wie Die Linke den Rücktritt des hessischen Innenministers. »Selbst wenn diese inhaltlich nicht alle unsere Positionen teilen, müssen wir unsere künftigen Proteste auf eine breitere Basis stellen«, so Linke-Landesvorsitzender Ulrich Wilken. Es könne nicht sein, daß es künftig untersagt werde, an der europäischen Krisenpolitik in Deutschland Kritik zu üben.

Konsequenzen

Auch die Blockupy-Bewegung zieht ihre Konsequenzen: »Wir werden uns diese skandalöse Polizeigewalt nicht gefallen lassen und uns unsere Kritik an der europäischen Krisenpolitik nicht nehmen lassen«, so Pressesprecher Hanno Bruchmann. »Die große Solidarität der Demonstranten untereinander hat uns ermutigt. »Blockupy werde 2014 wieder dasein, und wir werden mehr sein!«, war der Tenor am Sonntag auf einer Abschlußpressekonferenz im Camp Anticapitalista auf dem Frankfurter Rebstockgelände.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 4. Juni 2013


Bunter, Schwarzer Block

Der Frankfurter Kessel ist ein Symbol der Postdemokratie

Von Simon Poelchau ***


Proteste im Zentrum der Macht sind nicht erwünscht, wie das Vorgehen der Polizei in Frankfurt zeigt. Nur solidarisch kann Europa aus der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik der Troika herauskommen.

Der Schauspieler Keanu Reeves hat als Protagonist Neo im Science-Fiction-Klassiker »Matrix« die Wahl zwischen einer roten und einer blauen Pille. Er entscheidet sich für die rote – also gegen die Matrix, das System, das ihn unterdrückt und ausbeutet. Wie Neo wählen seit dem Beginn der Wirtschaftskrise in Europa immer mehr Menschen die rote Pille. Sie sagen »Ja« zum Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Sparzwang und »Nein« zum neoliberalen »Augen zu und durchhalten«. Vor allem in den südlichen Krisenländern haben viele Menschen angesichts explodierender Arbeitslosigkeit keine andere Wahl.

Auch in Deutschland nahmen vergangene Woche wieder Tausende Menschen die rote Pille. Sie gingen am Samstag gegen das Krisenregime der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds auf die Straße. Was Schwarz-Gelb – diesmal die hessische Landes- und nicht die Bundesregierung – davon hielt, zeigte sie den Kapitalismusgegnern und -kritikern sogleich. Nach wenigen hundert Metern wurde die Demonstration von martialisch auftretenden Polizisten gestoppt. Rund 1000 Teilnehmer wurden von den Ordnungshütern gekesselt. Als Legitimation für diese Aktion diente ein angeblich vermummter und bewaffneter Schwarzer Block.

Doch wie sah dieser Schwarze Block aus? Er war bunt. Vielleicht war auch das eine oder andere dunkle Bekleidungsstück zu sehen, doch die meisten Kapitalismusgegner trugen blaue, grüne, gelbe oder rote Jacken. So mussten dann Sonnenbrillen, Regenschirme, Schals und Transparente der Polizei in ihrer Begründung als Vermummungsgegenstände und Bewaffnungen dienen.

Die Eingekesselten waren nicht die von der hessischen Polizei prophezeiten 2000 Gewaltbereiten, die angeblich zu der Demonstration anreisen wollten. Sie blieben im Gegensatz zu den Beamten friedlich. In der Tat war die Stimmung in den Stunden des Wartens auf das Vorgehen der Polizei gespannt. Sie entlud sich plötzlich, als der Lautsprecherwagen das Elektropoplied »We are your friends« spielte. Zum Refrain fing der Kessel an zu tanzen. Die beiden Textzeilen fassten die gelebte friedliche Solidarität unter der Protestierenden zusammen: »'Cause we are your friends, you'll never be alone again.« (Deutsch: »Weil wir Deine Freunde sind, wirst Du nie wieder alleine sein.«)

Da von der Demonstration keine wirkliche Gefahr ausging, warum also dann das brutale Vorgehen der Polizei? Die hessische Landesregierung aus CDU und FDP wollte einfach nicht, dass der Demonstrationszug an der EZB vorbei ziehen konnte. Sie setzte sich dabei über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt hinweg, das die Route des Blockupy-Bündnisses erlaubt hatte, und setzte de facto das elementare Grundrecht auf Versammlungsfreiheit außer Kraft. Schließlich ist die EZB-Zentrale ein herausragendes Symbol der herrschenden Krisenpolitik in Europa. Proteste an diesem Ort wären ein Zeichen, dass viele Menschen auch in Deutschland nicht mehr hinter der herrschenden neoliberalen Politik stehen.

Das harte Vorgehen der Polizei zeigt, dass wir immer mehr in Zeiten einer Postdemokratie eintauchen. In diesem politischen System, das der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch auf einen Begriff brachte, gibt es zwar noch freie Wahlen. Doch der wirkliche Souverän ist nicht mehr das Volk, sondern die Wirtschaftslobbisten. Nur noch die Interessen des Marktes bestimmen die Politik. Die breite Bevölkerung soll apathisch sein und möglichst nicht für ihre Interessen auf die Straße gehen.

Der Kessel in Frankfurt ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Das Aushöhlen demokratischer Grundrechte ist das gängige Prinzip der europäischen Krisenpolitik geworden. Mitunter werden in besonders brenzlichen Zeiten ohne demokratische Legitimierung Technokratenregierungen eingesetzt, wie es bereits in Italien unter Mario Monti der Fall war. Zukünftig soll nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durch einen EU-Wettbewerbspakt eine »Troika für alle« geschaffen werden, um so wirtschaftspolitische Alternativen zur Austerität unmöglich zu machen.

Wie kann die europäische Bevölkerung nun gegen diese Entwicklung ankämpfen? Vielleicht liegt die Antwort schon im Verhalten des Frankfurter Kessels. Die Europäerinnen und Europäer haben alle die Wahl, die rote Pille zu nehmen, mit dem Singen von »You'll never be alone again« anzufangen und die Verhältnisse gemeinsam zum Tanzen zu bringen.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. Juni 2013


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