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Pragmatischer Umgang

Deutsche Friedensbewegung: Wenig Masse, neue Qualität. Eine Bilanz zum bevorstehenden Weltfriedens- und Antikriegstag

Von Frank Brendle *

Zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September zeigt sich die Friedensbewegung auf den ersten Blick gut aufgestellt: Über 200 Veranstaltungen in der BRD verzeichnet allein der Terminkalender des Netzwerkes Friedenskooperative. Antikriegsgruppen verweisen darauf, daß zwei Drittel der Bevölkerung den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern. Allerdings hat die Friedensbewegung ein Problem damit, diese Mehrheit auch zu mobilisieren. Zwar konnten gegen den NATO-Gipfel im Frühjahr Tausende auf die Straße gebracht werden, aber ansonsten würden Aktionen der Friedensbewegung eher »wohlwollend zur Kenntnis genommen« als aktiv unterstützt, erklärte Monty Schädel, Geschäftsführer der DFG-VK, gegenüber junge Welt.

Dennoch sieht Reiner Schmidt von »Bundeswehr wegtreten« eine »neue Qualität« in der antimilitaristischen Bewegung: In Form einer Zunahme von Aktionen zivilen Ungehorsams bis hin zu »direkten Abrüstungsaktionen«. Die Homepage von bundeswehr-wegtreten bietet den wohl vollständigsten Überblick, wie aktiv die Szene vor Ort ist: Kaum eine Woche, in der nicht Schuhe auf Kriegsminister Franz Josef Jung (CDU) geworfen werden, Farbeier auf Messestände von Rüstungsfirmen fliegen, den Rekrutierungskommandos der Bundeswehr in Arbeitsämtern und Schulen Paroli geboten wird. Häufig bringen die Militärs gleich die Polizei zu ihrem eigenen Schutz mit. Hinzu kommen militante Aktionen: In Ulm, in Dresden, an anderen Orten brennen Bundeswehrfahrzeuge. Mittlerweile dürften mehr Militärjeeps in Deutschland zu Schaden kommen als am Hindukusch. »Was hier rechtzeitig verschrottet wird, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten«, ist als Einschätzung bei Veranstaltungen zu hören. Der Verfassungsschutz attestiert denn auch, das Aktionsfeld Antimilitarismus habe »wieder an Bedeutung gewonnen« – aus seiner Sicht sind natürlich alles »Linksextremisten«.

Die antimilitaristische Publikation »panzerknacker« schrieb vor wenigen Tagen: »Wir erleben ein strahlendes Hoch klandestiner direkter Aktionen gegen die Bw und ihre Helfershelfer. Gleichzeitig erreichen die Proteste gegen das Gelöbnis in Berlin einen historischen Tiefpunkt.« An letzteren hatten sich nur rund 400 Menschen beteiligt, kurz darauf waren es in München etwa 200. Eine schlüssige Erklärung für dieses Mißverhältnis hat allerdings keine Friedensgruppe zu bieten.

Immerhin: In der Vorbereitung der Anti-NATO-Proteste ist die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Flügeln der Antikriegsszene – die mit traditionell-bürgerlich und antikapitalistisch-linksradikal nur unzureichend zu beschreiben sind – geprobt worden. Dem Verfassungsschutzbericht ist zu entnehmen, daß die staatlichen Organe das mit Sorge beobachtet haben. Wie kompliziert die Kooperation ist, zeigte sich aber »nach Strasbourg«: Die Gewalt bei den Demos führte zu Distanzierungen. In der DFG-VK dominierten zeitweise aufgeregte Forderungen, niemals mehr mit nichtpazifistischen Gruppen zusammenzuarbeiten. Das hat sich allerdings wieder gelegt. Schädel sagte im jW-Gespräch, Diskussionen über nichtlegale Aktionsformen würden zwangsläufig geführt, »wenn der staatliche Gewaltapparat nichts ausläßt, um legitimen Protest zu kriminalisieren«. Auch Reiner Schmidt führt aus, es gebe vor Ort einen partnerschaftlichen Umgang, und trotz »einiger Spaltungsversuche« herrsche eine weitgehend »pragmatische Position«, auch zu direkten Aktionen.

Die traditionellen Friedensgruppen haben auf einer Aktionskonferenz am vergangenen Sonntag ihren Schwerpunkt bekräftigt: »Afghanistan, Afghanistan, Afghanistan!« so die Zusammenfassung von Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag. Mittel und Argumente sind wohlvertraut: Die Mär vom »humanitären« oder »Anti-Terror«-Einsatz wird zurückgewiesen, die geostrategischen Interessen des Westens werden benannt. Ein Flugblatt ist produziert worden und soll bei der Anti-Atom-Demo in Berlin am 4. September, beim Protest gegen den Nazi-Aufmarsch in Dortmund (5. September) und am dezentralen Aktionstag »Wir zahlen nicht für Eure Krise« (17. September) verteilt werden.

Nach den Bundestagswahlen soll es weitergehen: Für den November ist eine bundesweite »Volksabstimmung« über den Afghanistan-Einsatz in Fußgängerzonen, vor Arbeitsämtern und in Universitäten anvisiert, also kurz bevor der Bundestag über die Mandatsverlängerung beschließt. Das Ergebnis solle »den Widerspruch zwischen dem Willen der Bevölkerung und der Entscheidung der Mandatsträger« deutlich machen, so Strutynski. Diese traditionellen Protestformen müßten neben neuen Strategien wie den Aktionen gegen Rekrutierungskommandos beibehalten werden, sagt Schädel.

In Köln wird derzeit eine neue Kampagne »Bundeswehr raus aus der Schule« konzipiert: Sie richtet sich gegen den Einsatz von Jugendoffizieren, der von seiten der Bundeswehr und der Kultusministerien forciert werden soll. Ebenfalls in Köln steht außerdem am 1. September die Eröffnung eines Deserteursdenkmal an.

* Aus: junge Welt, 29. August 2009


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