"Die Aufgabe der Friedensbewegung ist und bleibt die Verhinderung von Kriegen"
Rede zum Antikriegstag 2006 in Freiburg
Von Virginia Edwards-Menz, Freiburger Friedensforum
Wie fing es eigentlich damals in 1999 mit den deutschen Auslandseinsätzen an – welche Entwicklung hat die deutsche Regierung durchgemacht? Im Jugoslawienkrieg wurde im Bundestag noch prinzipiell darüber debattiert, ob Deutschland sich an Auslandseinsätzen beteiligen sollte – heute sind bereits in neun Ländern der Erde deutsche Truppen stationiert, der Verteidigungsminister will 6 Milliarden Euro, um weitere Einsätze zu finanzieren, es wird über einen Militäreinsatz der Deutschen mit 1200 Soldaten im Nahen Osten diskutiert. Deutschland, in der arabischen Welt als Verbündeter der USA und Israels, als NATO Mitglied wahrgenommen, wird, nicht zuletzt wegen der Auslandseinsätze, einer wachsenden Terrorgefahr ausgesetzt.
Welche Position kann die Friedensbewegung in der jetzigen Weltlage einnehmen, was kann sie bewirken? Spätestens, aber allerspätestens nach dem neuesten Nahostkrieg wird uns bewusst, dass die Friedensbewegung heute eine klare Position gegen Auslandseinsätze, sogenannte „Friedensmissionen“, die auch „robust“ sein können oder auch Kampfeinsätze sein können, und gegen jede zivil-militärische Zusammenarbeit einnehmen muss. Die Aufgabe der Friedensbewegung ist und bleibt die Verhinderung von Kriegen, die Bekämpfung der Ursachen von Terror und Krieg, die Unterbindung von Waffenexporten und illegalen Waffenhandel, die Unterstützung der zivilen Konfliktbearbeitung und Verhandlungen auf vielen Ebenen mit allen Beteiligten, sowie die Betreuung von Flüchtlingen. Diese Dinge haben mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr nichts gemeinsam.
Wie wurde der Libanonkrieg ausgelöst? War es eine Geiselnahme israelischer Soldaten durch die Hisbollah? War es die Entführung eines Arztes und seines Bruders durch israelische Sicherheitskräfte in Gaza, die zuvor geschah, worüber aber nur die türkische Presse berichtete? War es die Festnahme der Minister der Hamasregierung durch Israel oder die Tatsache, dass die Hamasregierung, vom palästinensischen Volk demokratisch gewählt, vom Westen nicht akzeptiert wurde? Hatte es damit zu tun, dass die Hamasregierung Israel nicht anerkennen wollte? Oder damit zu tun, dass Israel seit Jahren Palästina nicht als Staat anerkennt und die Grüne Linie nicht respektiert, die UN Resolutionen, die Palästina betreffen, ignoriert? Oder geht es noch weiter zurück? Hat der neueste Nahostkrieg damit zu tun, dass vor 65 Jahren ein Genozid gegen Juden verübt wurde, die Weltgemeinschaft die Notwendigkeit eines Judenstaates eingesehen hat, es aber versäumt hat dafür zu sorgen, dass es eine gerechte Lösung für die Palästinenser geben muss? Was hat der neueste Krieg mit den Bedrohungsgefühlen der Israelis zu tun, beispielsweise wenn der Präsident Irans davon spricht, Israel vernichten zu wollen? Und wer wurde in Libanon, Gaza und Israel tatsächlich bedroht, angegriffen, traumatisiert, verletzt, getötet, in die Flucht getrieben? Welche Existenzen wurden vernichtet?
Wie in den meisten Kriegen heute waren es die Zivilisten – Frauen, Kinder, kranke und alte Menschen, die die Konsequenzen des Krieges trugen. Eine Sprecherin der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Fanny-Michaela Reisin sagte dazu (ich zitiere):
„Mit jeder weiteren Stunde, die Familien obdachlos und Kinder zu Waisen macht, stirbt das Vertrauen in die Autorität der Vereinten Nationen.
Schaden nehmen nicht nur die Menschen dort. Schaden nehmen weltweit alle, die auf Rechtsverhältnisse anstelle von Gewalt sowie auf Frieden und auf Respekt im internationalen Umgang miteinander setzen.
Die Politik der Doppelmoral und der doppelten Rechtsstandards vor allem der USA und ihrer Verbündeten in Europa MUSS angeprangert werden.
Es kann nicht sein, dass eine souveräne Nation überfallen und seit Wochen unsäglichen Anschlägen ausgesetzt wird und die Völker der Welt, die seine Menschen um Hilfe rufen, wochenlang tatenlos zuschauen.
Es kann nicht sein, dass der Aggressor ungestraft bleibt und von der Supermacht Nr. 1 und ihren Partnern Zeit bekommt, aus der Luft und auf dem Boden Mensch, Kultur und Natur zu zerstören.
Es kann nicht sein, dass Gaza – ohnehin schon völkerrechtswidrig ummauert und ohne Fluchtmöglichkeit für niemanden – angegriffen und durch Dauerbeschuss mit Lärm- und Todesbomben erklärtermaßen politisch, psychisch und physisch zerstört werden soll, ohne dass die israelische Regierung zur Raison gerufen und zum Waffenstillstand gezwungen wird . . .
Und es kann schließlich NICHT sein, dass der Präsident der USA ermächtigt ist, uns vorzuschreiben, welche Praxis als Terror und welche als Verteidigung zu begreifen ist.“
Das Freiburger Friedensforum verurteilt Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel, die genauso wie israelische Landminen und Streubomben Zivilisten treffen. Wir verurteilen die Ausstattung von Kindersoldaten der Hisbollah mit MP5 Gewehre von Heckler & Koch. Wir verurteilen die Lieferung von Israel mit deutschen Dolphin U-Booten, die mit Atomwaffen ausgerüstet werden können. Mit Amnesty International verurteilen wir die vorsätzliche Zerstörung ziviler Zielen durch die israelische Armee im Libanonkrieg. Wir verurteilen jedes Kriegsverbrechen, unabhängig davon, wer es verübt hat. Und wir unterstützen die internationalen Gremien und Organisationen, die dazu in der Lage sind, objektiv darüber zu entscheiden, welche Armee wann und wo Kriegsverbrechen verübt hat. Amnesty International stellte fest (ich zitiere aus der taz vom 24.8.06):
„Die Bombardierung von Brücken, Straßen, Kraftwerken, Kläranlagen, Leitungen, Tankstellen, Molkereien, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen sei überdies ein klarer Beleg dafür, dass die israelischen Angriffe zum Ziel hatten, die Regierung und die Zivilbevölkerung im Libanon zu bestrafen und dazu zu drängen, sich gegen die Hisbollah zu wenden. Dies könne aber kein legitimes Kriegsziel sein.“
Bereits im Vietnamkrieg wurde deutlich, dass die mächtigste Armee der Welt ein Land nicht beherrschen kann, das einen Guerillakrieg, der vom Volk getragen wird, führt. Heute zeigt sich das in Afghanistan, im Irak und in Palästina wieder. Der israelische Psychologe Dan Bar-On, dessen Eltern 1933 nach Israel aus Deutschland geflohen sind, berichtete in der BZ vom 9.8.06 (ich zitiere):
„Es wächst Kritik am Krieg, auch an unserer starken Bindung an die USA. Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir so nah bei den USA stehen wollen wie zur Zeit. Auch scheint unser Militär nicht in guter Verfassung. Wenn man so viel Aufwand treiben muss, um eine kleine Organisation zu erledigen, ist das kein gutes Zeichen. Die Hisbollah ist clever, gut trainiert, nutzt die Topographie, reagiert sehr schnell und beweglich, fast wie der Vietcong. Das ist die Gefahr: Wenn sie stärker aus dem Krieg hervorgeht, dann wird es bald auch anderswo für uns schwierig, in Ägypten und Jordanien.“
Die Friedensbewegung ruft dazu auf den Krieg als Mittel der Politik zu ächten und die Probleme der Menschen, vor allem die Konflikte um die Verteilung der Rohstoffe gerecht zu lösen. Wie viele Menschen könnten mit den Geldern, die für Rüstungsgütern ausgegeben werden, von Hunger, Krankheit, Obdachlosigkeit, Analphabetismus und Arbeitlosigkeit befreit werden? Von den Wunsch befreit werden, sich für ihre Misere mit Selbstmordattentaten zu rächen?
Erlauben Sie mir zum Abschluß noch einen prominenten Juden zu zitieren, nämlich David Goldberg, Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde in London. In einem Interview wurde er gefragt, ob die Rhetorik des iranischen Präsidenten und die Atompläne Irans ihn Angst machen. Er sagte:
„Die Rhetorik und verdrehte Logik des iranischen Präsidenten sind deshalb Besorgnis erregend, weil sie so stark von dem normalen diplomatischen Diskurs, mit dem zivilisierte Nationen ihre Beziehungen führen, abweichen. Natürlich wäre ich daher besorgt, wenn sein Regime Atomwaffen erlangt. Aber wenn er die USA verhöhnt oder fragt, warum der Westen nur Israel und einigen befreundeten Ländern Atomwaffen zugesteht, findet das Anklang auf den Straßen der arabischen Welt. Die Folgen der entsetzlichen Fehleinschätzung der USA in Sachen Irak werden uns alle verfolgen.“
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