Friedensratschlag will Afghanistan zum Topthema im Bundestagswahlkampf machen
Dokumentiert: Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag. Erklärung von Christine Buchholz
Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme aus der Friedensbewegung zu den bevorstehenden Wahlen in Afghanistan sowie eine Erklärung von Christine Buchholz im Anschluss an die Wahl.
Afghanistan vor den Wahlen - Die NATO lügt sich um Kopf und Kragen
Friedensbewegung fordert Abzug der Truppen und mehr zivile Hilfe
Afghanistan soll Thema im Bundestagswahlkampf werden
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, 17. August 2009 - Zu den bevorstehenden Wahlen in Afghanistan
und den Aussichten der NATO, am Hindukusch Fortschritte zu erzielen,
erklärte ein Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag am Montag
in Kassel:
Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Afghanistan machte der neue
NATO-Generalsekretär Rasmussen Station in Kabul, um zum wiederholten Mal
sich selbst und der NATO Mut zu machen: Erst müsse das Land militärisch
stabilisiert werden, dann könne mit dem Aufbau begonnen werden. In den
USA heißt seit Obamas Präsidentschaft die Devise: Militärische
Verstärkung plus ziviler Wiederaufbau - und in der deutschen
Afghanistan-Politik genießt die zivile Komponente des Krieges noch mehr
Ansehen. Auch die offene westliche Unterstützung für den "Kandidaten des
Westens", Hamid Karsai, ist ein politischer Offenbarungseid: Karsai
genießt allenfalls noch etwas Vertrauen in der Hauptstadtregion und hat
sich seinen als sicher geltenden Wahlsieg durch höchst unappetitliche
Abkommen mit einigen mächtigen Warlords und Drogenbaronen erkauft.
Die Wirklichkeit des Krieges und des Widerstands gegen die fremde
Besatzung folgt ureigenen afghanischen Gesetzen und nicht den Zwecklügen
der Besatzer. Dass im Vorfeld der Wahlen die Anschläge und offenen
Gefechte zunehmen würden, dass nun sogar mitten im Sicherheitszentrum
Kabuls ein verheerendes Selbstmordattentat stattfinden konnte, war ein
weiterer ernsthafter Hinweis auf die Vergeblichkeit des westlichen
Bemühens, Afghanistan militärisch zu befrieden. In diesem Zusammenhang
müssen alle Ankündigungen von Seiten der NATO und der USA, die
Truppenstärke weiter zu erhöhen (Ziel bis Ende des Jahres: 100.000
Soldaten), als kontraproduktiv eingeschätzt werden. Im fast acht Jahre
währenden Krieg sind bislang alle Truppenerhöhungen mit einer
Verstärkung des Widerstands beantwortet worden.
Gruselig wird es erst recht, wenn der künftige britische
Oberbefehlshaber in Afghanistan, General David Richards, erklärt,
ausländische Truppen müssten noch 15 bis 20 Jahre am Hindukusch
stationiert bleiben. Und nach Ansicht von Verteidigungsminister Jung
bleibe auch eine deutsche militärische Präsenz noch etwa zehn Jahre
erforderlich.
Der Zweite Weltkrieg, an dessen Beginn vor 70 Jahren am 1. September zu
erinnern sein wird, dauerte weniger als sechs Jahre. Der Krieg des
Westens in Afghanistan geht im Oktober ins neunte Jahr. An diesem
ungleichen Krieg sind insgesamt 40 Staaten mit Soldaten und modernstem
militärische Gerät beteiligt. Weder konnten sie den Gegner in die Knie
zwingen, noch konnten sie sichtbare Erfolge im Kampf gegen die
Kriegsökonomie (Drogenanbau) erzielen, von wirtschaftlichem Aufbau in
scheinbar "ruhigeren" Zonen ganz zu schweigen. Bedenkt man, dass dem
jetzigen Krieg ein 20-jähriger Krieg und Bürgerkrieg vorausging, dann
kann man ermessen, wie sehr die Bevölkerung des Landes darunter zu
leiden hatte und hat.
Die NATO und die Bundesregierung sollen sich nicht weiter in die Tasche
lügen: Es wird keinen zivilen Aufbau geben, solange das ausländische
Militär in Afghanistan bleibt. Humanitäre Hilfsorganisationen klagen
seit Jahren darüber, dass die Verquickung von ziviler Hilfe und
militärischem "Schutz" die zivile Hilfe verunmöglicht. Wenn die
Bundesregierung schon nicht den Ratschlägen der Friedensbewegung folgen
möchte, dann sollte sie vielleicht die Forderungen der großen
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wie amnesty international oder
Welthungerhilfe oder der Kritik aus den eigenen Reihen mehr Beachtung
schenken, die im Afghanistan-Engagement der Bundeswehr ein Desaster
(Volker Rühe, CDU) und in der "zivil-militärischen Zusammenarbeit" einen
"Sündenfall" sehen und deren strikte Trennung fordern.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag stellt fest, dass es nicht nur um
die Trennung von zivilem und militärischem Engagement gehen könne. Wenn
zivile Hilfe nur dort ankommt und wirklich hilft, wo kein Militär ist,
dann ist es nur konsequent, wenn sich das Militär ganz aus Afghanistan
verabschiedet. Dies entspricht im Übrigen dem eindeutigen
Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland, wie zahlreiche Umfragen
immer wieder bestätigten. Es ist fatal, wie sich die etablierten
Parteien vor der Bundestagswahl einbunkern und so tun, als gäbe es zum
Krieg und zur "Bündnissolidarität" keine Alternative. Was hier
Solidarität genannt wird, ist in Wahrheit eine neokoloniale Kumpanei der
Großmächte, die Afghanistan in erster Linie als geostrategische Bastion
in Zentralasien ansehen. Und die behauptete "Alternativlosigkeit" gibt
es nicht einmal mehr in der Parteienlandschaft, die mit der LINKEN eine
parlamentarische Kraft aufweist, die den Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Der Friedensratschlag wird - zusammen mit vielen anderen
Friedensorganisationen - den Bundestagswahlkampf nutzen, um die
Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien mit dem Thema Afghanistan zu
konfrontieren. Für uns ist Afghanistan das friedenspolitische Topthema.
Ziel ist es, nicht nur eine starke kriegsgegnerische Fraktion im
Bundestag zu haben, sondern auch in den anderen Parteien die Zahl der
Antikriegs-Abgeordneten zu erhöhen. Und das zweite Ziel wird sein, noch
mehr Menschen für den Kampf gegen den Afghanistankrieg und gegen andere
Auslandseinsätze der Bundeswehr zu mobilisieren. Letztlich wird nur der
"Druck von der Straße" die Bundesregierung - wie immer sie
zusammengesetzt sein wird - zum Einlenken bewegen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Bomben bringen keine Demokratie
Im Zusammenhang mit den Präsidentenwahlen in Afghanistan am 20. August erklärt Christine Buchholz,** Mitglied im Geschäftsführenden Parteivorstand Die Linke:
Die Bundeswehr muß ihre Rolle als Kriegspartei am Hindukusch beenden und abziehen. Bomben und Panzer bringen weder Frieden noch Demokratie. Die Truppen der USA und der NATO lösen keines der Probleme, sie sind das Hauptproblem für eine friedliche Entwicklung in Afghanistan.
Die NATO hat seit seiner Einsetzung als Präsident das Regime Karsai unterstützt. Karsai fungiert als Adressat für die milliardenschweren Zuwendungen internationaler Geber. Immer wieder gibt es Vorwürfe, er habe in seiner Position durch die Verteilung von Pfründen ein persönliches Patronagesystem aufgebaut. Er gehe mit einem Septett von Warlords ins Rennen, die fast alle als mutmaßliche Kriegsverbrecher auf entsprechenden Listen der UNO und mehrerer Menschenrechtsorganisationen stehen. Vor Beginn der heißen Wahlkampfphase habe er zahlreiche Vereinbarungen mit einflußreichen Warlords, Regionalfürsten, Gouverneuren, Parteichefs und Stammesältesten geschlossen und diesen bei erfolgreicher Wiederwahl Teilhabe an der Macht versprochen.
Die Linke fordert den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan und weiß sich damit im Einklang mit einer Mehrheit in der Bevölkerung. 69 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger hatten sich in einer repräsentativen Umfrage im Juli für einen Truppenabzug ausgesprochen. Die Bundesregierung betreibt statt dessen die Ausweitung des Truppeneinsatzes. Deshalb sind auch wichtige Hilfsorganisationen auf Distanz zu dieser Politik gegangen, wie erst kürzlich die Welthungerhilfe. Ihr Generalsekretär Wolfgang Jamann wirft der Bundesregierung zu Recht vor, daß die Entwicklungshilfe durch die Wiederaufbauteams in den Provinzen als Instrument für politische und militärische Interessen mißbraucht wurde und sogar Teil der Militärstrategie geworden ist.
Quelle: junge Welt, 21. August 2009
** Christine Buchholz ist außerdem Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag.
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