"Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan"
Eine gemeinsame Publikation des Arbeitsausschusses Afghanistankongress und der Tageszeitung "Neues Deutschland" - Teil II
Die Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien am 19. Juli 2008 mit einer 16-seitigen Beilage, die sich ganz dem Krieg in Afghanistan und den Aktivitäten der internationalen Friedensbewegung widmete. Wir dokumentieren die Beiträge in zwei Teilen. Der erste Teil erschien >>>> hier <<<<
Der hier dokumentierte zweite Teil der ND-Beilage enthält die folgenden Beiträge:
Keine Sicherheit ohne Entwicklung
Der Hass auf die Invasoren und ihre örtlichen Verbündeten wächst
Von Elahe Rostami Povey
2001 begann der Krieg in Afghanistan. Begründet wurde er mit dem Argument, man wolle die
Taliban und Al Qaida loswerden. 2001 hieß es, der Krieg würde die afghanischen Frauen befreien,
Demokratie und Stabilität wiederherstellen und der afghanischen Bevölkerung nach 30 Jahren des
Krieges und der Gewalt ein besseres Leben bringen. Heute, fast sieben Jahre nachdem unter
Führung der USA Militär und Milliarden Dollar an Hilfe nach Afghanistan geschafft wurden, ist die
Sicherheitslage verheerend und Karsais Regierung kontrolliert gerade mal 30 Prozent des
afghanischen Territoriums. Im Februar 2008 erklärte der frühere NATO-Kommandeut James Jones,
ein »dringender Wechsel« sei nötig, um zu verhindern, dass Afghanistan zu einem »failed state«,
einem gescheiterten Staat wird.
Die institutionelle Korruption blüht
Nach UN-Angaben produziert Afghanistan 92 Prozent der weltweiten Opiumproduktion. Die
Kleinbauern bekommen gerade so viel Geld, wie sie zum Überleben brauchen, während die
Kriegsherren, die beim Drogenschmuggel helfen, und Regierungsbeamte enormen Reichtum aus
der Opiumproduktion und dem Opiumhandel ziehen. Die institutionelle Korruption floriert unter der
NATO und zuvor unter der US-geführten Invasion. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen und
der Weltbank haben sich Drogenbarone die Loyalität vieler Polizeichefs und Regierungsbeamten im
ganzen Land erkauft. Dieselben Beamten, die enorme Reichtümer aus der Korruption und der
Opiumproduktion ziehen, bestrafen an der Seite der NATO die Kleinbauern. Das ist ein Grund für
den wachsenden Hass gegen die Invasoren und ihre örtlichen Verbündeten – und für die wachsende
Unterstützung für die Taliban und Al Qaida.
Nach einem aktuellen Oxfam-Bericht glauben die normalen Menschen in Afghanistan, dass die
nationalen und internationalen Sicherheitskräfte für die Unsicherheit verantwortlich sind und dass sie
ein wichtiger Teil des Problems in Afghanistan sind. Für jeden Zivilisten, den die Koalitionstruppen
töten, gewinnen die Taliban und Al Qaida ein Dorf als neue Sympathisanten. Ein Mann in Jalalabad
sagte zu mir: »Die Taliban haben zwei meiner Angehörigen umgebracht, die Invasoren 16. Du
kannst dir ausrechnen, auf wessen Seite ich stehe.«
Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan das fünftärmste Land auf der Welt ist. 70
Prozent von denen, die in ländlichen Gebieten wohnen, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
Die Lebenserwartung beträgt 44 Jahre. Nur 30 Prozent der Menschen in städtischen Gebieten
können lesen und schreiben, auf dem Land sind es nur 1 Prozent. Nach Aussagen von UNHCR und
Oxfam sind vier Millionen Menschen von Hilfsleistungen abhängig. Der gewaltsame Konflikt
behindert die Hilfe und jedes Jahr sterben viele an Hunger.
Der Harvard-Ökonom Joseph Stiglitz berichtet, dass private Sicherheitsfirmen die einzigen sind, die
von den Kriegen in Afghanistan und Irak profitieren. Ein Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma
verdient ca. 400 000 Dollar im Jahr. Ein Soldat bekommt 40 000 Dollar im Jahr.
Ausdruck einer kolonialen Denkweise
Die Invasoren sind weder am Wiederaufbau Afghanistans interessiert noch bringen sie Demokratie
und Frauenbefreiung. Die Idee, dass Demokratie und Frauenbefreiung von außen gebracht werden
können, ist eine koloniale Denkweise und eine rassistische Ideologie, die tief in den Köpfen selbst
wohlmeinender Menschen im Westen verwurzelt ist. Afghanistan braucht ökonomische Entwicklung
und wirklichen Wiederaufbau. Aber die NATO-Kräfte sind an Entwicklung in Afghanistan oder Irak
nicht interessiert. Die ganze Idee, zuerst Sicherheit zu schaffen und dann Entwicklung ist eine
Entschuldigung dafür, weder Entwicklung und noch Wiederaufbau voranzubringen.
Die USA haben versucht, in den 80er und 90er Jahren ihre wirtschaftlichen und politischen
Probleme durch neoliberale Politik zu lösen. Gleichzeitig wachsen Indien und China zu
ökonomischen Weltmächten heran. Nach dem 11. September dachten die Neokonservativen, die
Zeit wäre gekommen, um die Kontrolle über die Ölreserven im Nahen und Mittleren Osten zu
ergreifen, und ihren geostrategischen Einfluss zu sichern. Aber sie sind in Irak und in Afghanistan
gescheitert. Das bestätigen Linke wie Erik Hobsbawm und Konservative wie Joseph Stiglitz und
John Grey.
Die Neokonservativen sind dennoch bereit, einen Schritt weiter zu gehen. Sie planen nun einen
Angriff auf Iran. Nach Studien der London University werden sie für einen Angriff auf Irak
hochentwickelte »intelligente« Waffen einsetzen, einschließlich Atombomben. Innerhalb weniger
Stunden würden 2 Millionen Menschen in Iran sterben, Millionen würden verletzt werden. Aber Iran
ist in der Lage, die Ölfelder in der Golfregion anzugreifen. Angesichts dessen, dass wir uns einer
globalen ökonomischen Krise gegenüber sehen, könnte das zu einem Zusammenbruch der
Weltwirtschaft und von Sicherheit führen. Die einfachen Menschen im Westen und in der ganzen
Welt werden unter dieser ökonomischen und Sicherheits-Katastrophe im Nahen Osten leiden.
Vertrauen nur in die Antikriegsbewegung
Ich habe kein Vertrauen, dass die Regierung Großbritanniens oder irgendeine andere europäische
Regierung oder die der USA diesen Krieg beenden, dessen Profiteure die großen Konzerne und ein
paar Beamte und Auftragnehmer sind. Aber ich habe großes Vertrauen in die globale
Antikriegsbewegung. In Deutschland leistet ihr gute Arbeit in eurer Bewegung. In Großbritannien
können wir auch auf eine der erfolgreichsten Antikriegsbewegungen blicken, die Sozialisten,
Liberale, Gewerkschafter, Soldatenfamilien, die alte Friedensbewegung und die muslimische
Gemeinde zusammenbrachte.
Dr. Elaheh Rostami Povey ist gebürtige Iranerin und lehr an der School of Oriental and African Studies der University of London. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Situation von Frauen in Afghanistan. Sie ist aktiv in einer Kampagne gegen einen Angriff auf Iran und in der britischen Antikriegsbewegung.
Ein Feldzug ohne Zukunft
Der USA-Krieg in Afghanistan: Ziele und Alternativen
Von Joseph Gerson
Im vergangenen November hat der Nationale Sicherheitsrat der USA erklärt, dass Washingtons
Ziele im Afghanistankrieg nicht erreicht würden und die Gesamtsituation am Hindukusch sich trotz
Siegen auf dem Schlachtfeld verschlechtere. Die Bush-Regierung besaß mehrere Ziele, als sie den
Krieg gegen die Taliban begann. Wie wir von Insidern wissen, wollte Bush nach dem 11. September
2001 unbedingt »jemandem in den Hintern treten«, egal, ob dabei gegen internationales Recht
verstoßen wurde. Innenpolitisch musste der Präsident Stärke gegen die Täter der entsetzlichen
Angriffe zeigen, international sollte demonstriert werden, dass die Pentagon-Doktrin der »Dominanz
über das volle Konfliktspektrum« – das heißt die Fähigkeit, jegliche andere Nation zu dominieren,
egal wo und wann – weiterhin in Kraft war. Niemand sollte auf die Idee kommen, man könne die
USA herumschubsen.
Mehr noch. Laut »New York Times« war die Rede von »einem neuen US-amerikanischen
Imperium«. Es habe sich der globalen Supermacht die einzigartige Möglichkeit geboten, einen Sieg
in Afghanistan zu instrumentalisieren, um die Prinzipien des Zusammenlebens der Nationen neu zu
formulieren. Schon im Mai 2001 hatte Vizepräsident Dick Cheney erklärt, dass die USA davor
stünden, die »Ausrichtung des 21. Jahrhunderts« zu bestimmen, um zu sichern, dass die USA die
beherrschende militärische, wirtschaftliche und politische Macht der Welt blieben. Die Anschläge am
11. September 2001 dienten als Rechtfertigung, um die Vision dieser Kolonisierung zu verwirklichen.
Dazu gehört selbstverständlich Kontrolle über das Öl. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
standen die enormen Reserven im Kaspischen Meer und in Zentralasien offen, und die politischen
Eliten und Ölkonzerne der USA waren bestrebt, so viel wie möglich davon an sich zu reißen. Öl ist
eine wichtige Ressource für die Durchsetzung der militärischen Strategie und unentbehrlich für die
moderne Industriegesellschaft. Schon als Gouverneur von Texas, in Verbindung mit seinem Freund
Ken Lay von ENRON, tat George W. Bush sein Bestes, um den Zugang zu Öl und Erdgas zu
sichern. Eine der ersten Initiativen nach dem Stürz der Taliban galt dem Bau einer Pipeline, um Öl
und Erdgas von Turkmenistan durch Afghanistan zu pakistanischen Häfen zu bringen.
Dieser Krieg bot zugleich die Gelegenheit, US-Militärstützpunkte in Zentralasien zu errichten, um
ähnlich wie im Nahen Osten den Zugang zu den Ressourcen dieser Regionen zu sichern. So
wurden ein Militärstützpunkt in Usbekistan gebaut, Vereinbarungen über Basen mit Kirgistan,
Kasachstan und Afghanistan wurden geschlossen.
Ein anderes Ziel, das sich wie schon in Vietnam mit der Zeit entwickelt hat, war es, das Prestige der
USA zu wahren. Den Krieg in Afghanistan zu verlieren würde die Macht der USA und ihren Einfluss
in Zentralasien, im Nahen Osten und in der ganzen Welt schwächen.
Es hat natürlich seit dem Anfang Alternativen zum Afghanistankrieg gegeben. Die Position des
Konsens entwickelte sich schnell in der US- Friedensbewegung und hatte vier Elemente:
-
dass die Angriffe des 11. September abscheuliche Verbrechen waren, deren Täter vor die Justiz
gebracht werden müssen,
-
dass »Krieg nicht die Antwort ist«,
-
dass wir unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten und unsere Einwanderergemeinschaften
verteidigen müssen, denn wir wussten, dass sie angegriffen werden würden,
-
dass wir die wahren Ursachen der Angriffe, die Präsenz von US-Militärstützpunkten in der Nähe der
islamischen heiligen Städte Mekka und Medina, verdeutlichen müssen.
Auf einer Konferenz, die wir im Dezember 2001 organisierten, skizzierte Noam Chomsky mehrere
Alternativen, die nicht verfolgt worden sind. Die USA lehnten eine Bewilligung durch den
Weltsicherheitsrat ab, die Bush-Regierung verstieß gegen das internationale Recht und agierte
eigenmächtig. Sie wollte den Krieg und lehnte auch die vorläufigen Angebote der Taliban ab, die
Auslieferung Bin Ladens und seiner Anhänger zu erwägen.
Erforderlich gewesen, so der Militärhistoriker Michael Howard, sei »ein Polizeieinsatz unter der
Federführung der UNO im Auftrag der internationalen Gemeinschaft gegen eine kriminelle
Verschwörung«. Der afghanische Oppositionsführer Abdul Haq wollte »eine Revolte innerhalb der
Taliban auslösen«, aber die Bombenangriffe der USA schlossen diese Möglichkeit dann aus.
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde schnell klar, dass die Bush-Regierung noch größere
Ambitionen hatte: Einmarsch in Irak. Inzwischen hat wie die gesamte USA-Bevölkerung auch die
Friedensbewegung in unserem Land ihre Aufmerksamkeit von Zentralasien auf den Nahen Osten
verlagert. Der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama hat betont,
Afghanistan sei ein »Krieg, den wir gewinnen müssen«. So oder so – die Friedensbewegung in den
USA wird gezwungen sein, ihre Aufmerksamkeit, Ressourcen und Kampagnen wieder stärker auf
Afghanistan und auf die Notwendigkeit zu richten, im Kampf gegen den nichtstaatlichen Terrorismus
auf nichtmilitärische Alternativen wie Diplomatie und Geheimdienstarbeit zu setzen – unter Wahrung
des nationalen und internationalen Rechts. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Taliban nicht Al
Qaida sind. Wie wir aus der Vergangenheit wissen, wird der Frieden zwischen Feinden und nicht
zwischen Freunden verhandelt, und das wird die Taliban einschließen müssen. Zumal sie sich kaum
von anderen Kriegsherren unterscheiden, die die USA bisher schon unterstützt haben.
Ich möchte daran erinnern, wie wichtig die europäischen Friedensbewegungen für uns in den USA
gewesen sind. Sie haben uns stets inspiriert, ob während des Vietnamkrieges oder in der Zeit des
unbesonnenen Wettrüstens der 1970er und 1980er Jahre. Sie können es wieder tun. Mit den
geplanten Aktionen unter dem Motto »Raus aus Afghanistan« am 20. September hier in
Deutschland, mit der Kampagne zum 60. Jahrestag der NATO in ganz Europa und anderen
Initiativen helfen sie uns, die Truppen aus Afghanistan und aus Irak nach Hause zu bringen.
Während der letzten Tage des britischen Kolonialreiches in Indien hat Lord Mountbatten Mahatma
Gandhi davor gewarnt, dass das Chaos ausbrechen würde, wenn die Britten gehen. Gandhis
Antwort: »Ja, aber es wird unser Chaos sein.« Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratie nicht mit
Bomben und Kugeln exportiert werden kann.
Dr. Joseph Gerson ist Programmdirektor des American Friends Service Committee in Neuengland.
Seit 30 Jahren im Krieg
Die soziale Lage in Afghanistan angesichts des Neoliberalismus
Von Shaima Ghafury
Afghanistan befindet sich seit 30 Jahren im Krieg. Das ganze Land ist sowohl materiell als auch
moralisch zerstört. Die Frage stellt sich, ob die internationale Gemeinschaft tatsächlich will, dass in
Afghanistan ein stabiler Friede herrscht, oder ob man in dieser Region der Welt ein so unruhiges
Land sogar braucht?
Die US-Armee hat die Taliban (Koranschüler) 2001 entmachtet und stattdessen den »großen
Mullahs« – den Talibanlehrern – die Macht übergeben. Das einzige, was man den Taliban als
Verdienst anrechnen könnte, ist, dass sie in den Jahren ihrer Regierung die Führer der
Mudschaheddin und die Kriegsverbrecher entwaffnet und isoliert haben. Leider haben durch die
Petersberger Konferenz genau diese Kriegsverbrecher über das Schicksal unseres Landes
mitentschieden, sie sind erneut zu Herren über Afghanistan aufgestiegen.
Ein großer Teil Hilfsgelder für Afghanistan fließt aufgrund von Korruption und Missbrauch in die
Taschen von Regierungsfunktionären und »Kommandanten« oder wird auf Banken im Ausland
deponiert. Eine kleine Gruppe von Afghanen, die zum großen Teil Warlords waren und heute
gleichzeitig Regierungsmitglieder sind, sorgen sogar in Zusammenarbeit mit ausländischen
Spezialisten dafür, dass das Geld veruntreut bzw. »missbraucht« wird. Im Namen des freien Marktes
und des freien Handels (Neoliberalismus) herrscht wirtschaftliches Chaos in Afghanistan, das
letztlich dem Vorteil einer kleinen korrupten Gruppe mit Machtbefugnissen dient.
Es gab bis jetzt keine gemeinsame Planung für den Wiederaufbau Afghanistans. Erst seit diesem
Jahr arbeitet die Regierung nach einem Fünfjahresplan. Die Geberstaaten haben Afghanistan seit
2002 mehr als 24 Milliarden Dollar an Unterstützung zugesagt. Nach Angaben von
Hilfsorganisationen haben aber bislang erst 15 Milliarden Dollar das Land erreicht.
Die Schere zwischen der breiten armen Bevölkerungsmehrheit und einer kleinen superreichen
Gruppe ist unvorstellbar groß. Der Drogenanbau, die Produktion und der Export von Rohstoffen für
die Drogenherstellung werden mit der substanziellen Hilfe skrupelloser Organisationen mit mafiösen
Strukturen organisiert. Der Gotteskrieg im Namen der Taliban ist lediglich ein Instrument und ein
Etikett für die eigentlichen wirtschaftlichen und politischen Ziele.
Wie kann man die Situation verbessern?
-
Afghanistan braucht vor allem eine gemeinsame, integrative, verantwortungsbewusste,
durchschaubare und transparente Politik von Seiten aller Geberländer, insbesondere der
Supermächte.
- Die Potenziale der Afghanen müssen genutzt werden. Es gibt genug afghanische Fachleute, die
in der ganzen Welt verstreut sind. Viele von ihnen wünschen sich, nach Afghanistan zurückzugehen
und am Wiederaufbau teilnehmen zu können. Aber dafür gibt es genug Hürden, die ihre Rückkehr
verhindern.
- Die Afghanen müssen sich aktiv bei der politische Gestaltung des Landes engagieren können.
Dafür braucht das Land aber starke, demokratisch gewählte politische Institutionen und Gremien, die
sowohl die Interessen Afghanistans kennen und respektieren als auch die der Geberländer.
Shaima Ghafury arbeitete an der Universität Kabul.
"Warlords" wurden nicht entwaffnet
Demokratisierung nur "von unten" möglich
Von Katja Maurer
Sieben Jahre nach der Bombardierung Afghanistans ist das Land das, was es auf leidvolle Weise
schon ein Mal war: ein Pufferstaat. Diente es Ende des 19. Jahrhunderts dem Britischen Empire als
Trennlinie zum zaristischen Russland, sind es heute die hegemonialen Interessen des von den USA
geführten Westens, die Afghanistan auf eine Pufferrolle zwischen dem aufstrebenden China, den
instabilen asiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion, den reichen Ölländern und dem
politischen Islamismus reduzieren. Die Versuche, das Land zu demokratisieren, sind weitgehend
gescheitert. Die düstere Vision des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig muss man aus Sicht einer
Hilfsorganisation, die lokale Partner unterstützt, teilen: »Bereits jetzt zeigen sich in Afghanistan
Elemente eines teilweise von bewaffneten Islamisten kontrollierten Drogenmafiastaates. In einer
bloßen Fassadendemokratie könnten sich diese Ansätze zu einem System verfestigen, das von der
internationalen Gemeinschaft alimentiert würde.«
Medico international hatte 2001 mit einem Aufruf, der von Intellektuellen, Wissenschaftlern und
Künstlern aus aller Welt, darunter zahlreichen Nobelpreisträgern, unterzeichnet wurde, gegen den
Krieg und die Bombardierungen in Afghanistan protestiert. Weil politische Veränderungen »von
unten« kommen müssen, forderten wir mit unseren afghanischen Partnern eine entschlossene
politische Auseinandersetzung mit den Taliban, so wie das Apartheidregime Südafrikas nicht
militärisch, sondern politisch in die Knie gezwungen wurde.
Nachdem der Krieg die alten Warlords als Bündnispartner wieder an die Macht brachte, war es
verständlich, dass unsere Partner die Entsendung von internationalen Schutztruppen verlangten.
Doch die davon erhoffte Entwaffnung der Warlords ist nicht eingetreten. Deshalb muss es sofort
einen glaubwürdigen Prozess der Entmilitarisierung geben. Deshalb sind Bundestag und
Bundesregierung aufgefordert, einen überzeugenden Zeitplan für den Abzug der Soldaten
vorzulegen. Weder darf es weitere Zugeständnisse an eine irregeleitete USA-Politik geben, noch
sollte das Bemühen um soziale Entwicklung von militärischen Interessen überlagert sein.
Die Wiederankurbelung der Wirtschaft, die Schaffung von Gerechtigkeit und der Aufbau einer
funktionierenden Staatlichkeit aber brauchen viel mehr Geld. Frieden und Entwicklung müssen »von
unten« kommen, und dazu bedarf es der Unterstützung vor allem lokaler Dorfstrukturen und des
ländlichen Raumes. Notwendig ist die Förderung von Wirtschaftskreisläufen, die Existenzsicherung
jenseits der Drogenökonomie zulassen. Die Menschen in Afghanistan müssen spüren, dass am
Hindukusch ihre und nicht die Interessen Deutschlands verteidigt werden.
Katja Maurer ist Sprecherin von medico international.
Kein Mandat für mehr Militär
Geplante Ausweitung des Bundeswehreinsatzes wird Widerstand verstärken
Von Peter Strutynski
Mitte Juni diskutierte der Deutsche Bundestag zum wiederholten Mal über die gegenwärtige
Afghanistan-Politik – ein euphemistisches Wort, wo es sich doch um Krieg und nicht mehr um Politik
handelt – der Bundesregierung. Schnell waren die grundsätzlichen Standpunkte ausgetauscht: Hier
das Regierungslager, das sich verzweifelt mühte, die Erfolge des Militäreinsatzes in Afghanistan zu
feiern. Laut Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind in 32 000 Dörfern Entwicklungsprojekte
»erfolgreich umgesetzt« worden, 80 Prozent der Bevölkerung hätten heute Zugang zu
basismedizinischer Versorgung; sechs Millionen Kinder gingen zur Schule, 30 000 Lehrer seien
ausgebildet und 3500 Schulen wiederaufgebaut worden. Man habe acht Millionen Minen geräumt,
13 000 Kilometer Straßen gebaut bzw. repariert, und der Gipfel des Fortschritts: »Die Menschen
gründen inzwischen wieder Unternehmen.«
Schönfärberei der Bundesregierung
Die Opposition nahm die Botschaft von den »blühenden Landschaften« am Hindukusch
unterschiedlich auf. Die FDP mochte die Erzählung im Großen und Ganzen glauben, war aber der
Meinung, dass man die Erfolge den Menschen »draußen im Land« besser kommunizieren müsse.
Die Grünen bemängelten das geringe Tempo der Fortschritte und den zu geringen Mitteleinsatz und
plädierten für eine exaktere Beschreibung des »Zivilmandats«. Lediglich die LINKE stellte den
Fortschrittsbericht der Regierung als »schönfärberisch« insgesamt in Frage und erinnerte an die
theoretische und praktische Unmöglichkeit, mittels »humanitärer Interventionen« Menschenrechte,
Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt exportieren zu können. Oskar Lafontaine rief dem
Interventionslager zu: »Wann endlich begreifen Sie, dass die sogenannten humanitären
Interventionen nicht nur als Begriff eine Unmöglichkeit darstellen, sondern mittlerweile auch im
Ergebnis?«
In der Tat: Der Schönfärberei der Regierung können Fakten und Daten gegenübergestellt werden,
die das von Bürgerkrieg und Krieg geschundene Land in einem düsteren Licht erscheinen lassen.
Norman Paech berichtete z. B. auf dem letzten Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel darüber,
dass die Selbstmordrate von Frauen in Afghanistan noch nie so hoch gewesen sei wie heute, dass
95 Prozent von ihnen an Depressionen litten, ihre Lebenserwartung nur 44 Jahre betrage und nach
wie vor 80 Prozent der Hochzeiten erzwungen seien. Außerdem besuche nur eines von fünf
Mädchen eine Grundschule. Laut UNICEF hätten 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen keinen
Schulzugang.
Export von Demokratie ist nicht möglich
Unterschiedlicher kann die Wahrnehmung der Realität kaum sein. Doch es geht in Afghanistan nicht
nur um einen Streit darüber, ob der eine mehr das Positive sieht und der andere mehr die Defizite
herausstreicht. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Einschätzung, dass mit militärischen
Interventionen weder ein Export von Menschenrechten und Demokratie noch ein tragfähiger ziviler
Aufbau möglich ist. Vergegenwärtigt man sich den Auslöser für die Bundestagsdebatte, so wird die
Szenerie noch bizarrer.
Kurz zuvor haben Verteidigungsminister Franz Josef Jung und der Generalinspekteur der
Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhahn, verkündet, die Truppenstärke in Afghanistan von
gegenwärtig 3500 auf 4500 erhöhen und gleichzeitig die Dauer des Mandats (bisher jeweils für ein
Jahr) auf 14 Monate verlängern zu wollen. Die Begründung dafür kommt einem unfreiwilligen
Offenbarungseid gleich: Der Bundestagswahlkampf solle vom Afghanistan-Thema nicht »belastet«
werden. Deutlicher könnte das Eingeständnis nicht ausfallen, dass die Mehrheit der Wähler den
Afghanistaneinsatz ablehnt.
Die Ausweitung des Militäreinsatzes in Afghanistan widerspricht aber auch den eigenen
Bekundungen der Regierungskoalition. In ihrem »neuen« Afghanistankonzept vom September 2007
versprach die Regierung, mehr für den zivilen Wiederaufbau des Landes tun zu wollen (Stärkung der
Regierungsinstitutionen und von lokalen Strukturen, Aufbau des Justizsystems, Rückkehrprogramm
für Flüchtlinge, Wirtschaftsförderung usw.). Stattdessen wird nun ausschließlich die militärische
Komponente erhöht.
Die NATO schafft ihr »eigenes Vietnam«
Allein die Aufstockung der Truppe um 1000 Soldaten wird mehr Geld kosten als die gesamte zivile
Afghanistanhilfe, 2008 liegt sie bei 125 Millionen Euro. Hinzu kommen die Begehrlichkeiten der
Bundeswehr. Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, fordert zeitgleich mit
Jungs Ankündigung eine bessere Ausrüstung für die Truppe in Afghanistan, z. B. sollen statt bisher
sechs künftig zwölf geschützte Hubschrauber CH 53 eingesetzt werden.
Es gibt so viele Gründe, nicht nur vor einer Ausweitung des militärischen Engagements in
Afghanistan zu warnen, sondern eine Beendigung des Einsatzes zu fordern. Die meisten Experten
kommen zu dem Schluss, dass Afghanistan militärisch nicht zu besiegen sei. Ein Blick auf die
bisherige Entwicklung der Kämpfe in Afghanistan zeigt: Mit jeder Truppenaufstockung von Seiten
der NATO nahm auch der Widerstand gegen die Besatzung zu. Sicherheit und Stabilität sind mit
Militär nicht zu erreichen. Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger
prophezeite Anfang der 80er Jahre der Sowjetunion nach ihrem Einmarsch in Afghanistan, sie werde
dort ihr »Vietnam« erleben. Die NATO und die Bundeswehr sind heute dabei, ihr eigenes »Vietnam«
zu schaffen.
Heute Afghanistan, morgen Iran?
Die Unbelehrbarkeit der Bundesregierung und des gesamten bürgerlichen Lagers nimmt
beängstigende Züge an. Mittlerweile, so scheint es, geht es ihnen längst nicht mehr nur um
Bündnistreue gegenüber den USA und der NATO oder um den Irrglauben an einen Erfolg im »Krieg
gegen den Terror«. Immer mehr schält sich heraus, dass die herrschende Klasse mit der
Militärintervention ein Exempel setzen möchte: Die demokratischen Staaten, so die zu lernende
Lektion, haben das Recht, unabhängig vom Völkerrecht, der UN-Charta und den Beschlüssen des
UN-Sicherheitsrats jedes beliebige Land der Welt militärisch zu bedrohen oder anzugreifen.
Diesmal ist es Afghanistan, morgen Iran und übermorgen vielleicht Sudan. Die vorgeschobenen
Gründe mögen schillern (»humanitäre Katastrophe verhindern«, »Völkermord vorbeugen«,
»Menschenrechte durchsetzen« usw.) – ein übergeordneter Grund ist auf jeden Fall der Rückbau
der 1945 mit der UN-Charta kodifizierten modernen internationalen Rechtsordnung. Am Ende sollen
Militär und Krieg wieder zum selbstverständlichen Mittel deutscher Außenpolitik geworden sein.
Doch die Herrschenden haben wie so oft in der Geschichte die Rechnung ohne den Wirt gemacht –
sei’s in Afghanistan, das sich nicht besiegen, sei’s im eigenen Land, das sich vom Krieg nicht
überzeugen lässt.
Dr. Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler an der Uni Kassel (AG Friedensforschung) und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag
Außenpolitik für den Frieden
Um dem Ziel globaler sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen, ist ein umfassender Ansatz erforderlich
Von Wolfgang Strengmann-Kuhn
Im Folgenden soll Außenpolitik breit als internationale Politik verstanden werden, Außenpolitik für
den Frieden mehr umfassenen als nur Sicherheits- oder Anti-Kriegspolitik. Grundsätzlich ist eine Art
der Außenpolitik notwendig, die wegkommt vom Ziel der vorrangigen nationalen
Interessenvertretung hin zu einem multilateralen, globalen Ansatz, bei der internationale Politik als
Weltinnenpolitik verstanden wird, die gemeinsamen Interessen wie dem Frieden in der Welt, dem
Klimaschutz oder einer gerechten Weltwirtschaftsordnung dient.
Dafür ist zunächst wichtig, sich klar zu machen, was Ursachen für Kriege und militärische Konflikte
sind. Ein wesentlicher Punkt sind weltweite Ungerechtigkeiten: die Ungleichheit zwischen reichen
und armen Staaten, Mangel an Selbstbestimmung, Ungleichheit innerhalb der Länder und Armut in
vielen Ländern – materielle Armut, Hunger, fehlende Bildung, mangelnde Gesundheitsversorgung.
Der Zugang zu Ressourcen wird in nächster Zeit eine häufigere Ursachen von Konflikten sein:
Rohstoffe, Energie, Wasser, fuchtbares Land. Der Klimawandel wird diese Konflikte noch
verschärfen.
Aktive Klimaschutzpolitik ist somit auch ein wichtiger Beitrag für den Frieden in der Welt, ebenso wie
eine umfassende Energieaußenpolitik, die nicht die eigenen, nationalen Interessen in den Fokus
setzt, sondern darauf baut, dass wir unabhängig von Öl, fossilen Energieträgern und Uran werden.
In Bezug auf die armen Länder muss betont werden, dass diese ein Recht auf wirtschaftliche
Entwicklung haben.
Hier muss von vornherein auf den Ausbau nachhaltiger, erneuerbarer Energiequellen und die
Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gesetzt werden. Außerdem ist
eine flächendeckende Energieversorgung in den ärmeren Ländern wichtig, um Ungleichheiten und
Armut zu überwinden. Eine veränderte Energieaußenpolitik ist also ein Beitrag für mehr soziale
Gerechtigkeit.
Um dem Ziel globaler sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen, ist ein umfassender Ansatz zur
Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte erforderlich: das Recht auf
Nahrung, auf Wohnen, auf Zugang zu Wasser, auf Zugang zur Gesundheitsversorgung, auf soziale
Sicherung, eine Stärkung von Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ein Recht auf
Bildung, das Recht auf politische Beteiligung und auf soziale und kulturelle Teilhabe. Eine
Außenpolitik für den Frieden muss darüber hinaus den Zugang zu Energie, das Recht und die
Möglichkeit von Mobilität und das Recht auf ein Leben in einer intakten Umwelt gewährleisten. Das
Recht auf soziale Sicherung beinhaltet für mich auch das Recht auf ein Grundeinkommen.
Notwendig sind darüber hinaus umfassende Anstrengungen zur ökonomischen Entwicklung der
armen Länder, z.B. in Form eines globalen Marshallplans, und der Aufbau von staatlicher
Infrastruktur, insbesondere des Rechtswesens, effektiver und effizienter Regierungsstrukturen und
sozialer Sicherungssysteme. Frauen werden zur Zeit besonders bezüglich der wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Rechte benachteiligt. Gleichzeitig sind Frauen besonders wichtig für die
ökonomische Entwicklung eines Landes wie viele Beispiele zeigen. Dem muss in besonderer Weise
entsprochen werden.
Last not least brauchen wir Regeln für den globalen Kapitalismus, insbesondere ökologische und
soziale Regeln und Rahmenbedingungen, sowie eine Regulierung der Finanzmärkte. Nur durch
einen solchen umfassenden Ansatz ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung herzustellen.
Neben diesen grundsätzlichen Ansatzpunkten sind zur Vermeidung von Kriegen und militärischen
Auseinandersetzungen Maßnahmen notwendig, die Konflikte im Ansatz erkennen und eine
Eskalation verhindern, also ein verstärkter Ausbau der Krisen- und Konfliktprävention. Und wir
brauchen wieder eine Politik der Abrüstung, und zwar der nuklearen, mit dem Ziel einer
atomwaffenfreien Welt, aber auch der konventionellen Rüstung. Das ist auch notwendig, um
finanzielle Ressourcen für die anderen genannten Maßnahmen frei zu machen.
Um eine solche Politik durchzusetzen, ist insbesondere eine Stärkung der UNO und ihrer
Organisationen notwendig. Aber auch die Rolle der EU muss gestärkt und noch deutlicher auf eine
internationale Politik ausgerichtet werden, die Frieden, Menschenrechte, Umweltpolitik und globale
soziale Gerechtigkeit zum Ziel hat. Dieses muss einhergehen mit einer breiten sozialen Bewegung,
die Druck sowohl auf die nationale wie auch auf die internationale Politik macht, wozu eine
internationale Vernetzung notwendig ist. Eine verbesserte Vernetzung ist aber auch in der Hinsicht
notwendig, dass Initiativen, die sich in der Regel jeweils nur auf einzelne Aspekte, beispielsweise
Gesundheitsversorgung, gerechte Weltwirtschaft, Recht auf Nahrung, Rechte von Frauen, Rechte
von ArbeitnehmerInnen etc., konzentrieren, besser kooperieren und gemeinsam für globale und
umfassende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eintreten, um so die Grundlage für Frieden
in der Welt zu schaffen.
Der Autor ist Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler und Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen.
Die Mehrheit in Europa sagt Nein zu NATO und Krieg
Warum unterstützt Frankreichs Präsident etwas, das so offensichtlich versagt?
Von Arielle Denis
Mouvement de la Paix, die Friedensbewegung in unserem Land, ist wie die Mehrheit der
französischen Bevölkerung (laut Umfragen 65 Prozent) sehr besorgt und empört wegen der
Entscheidung ihres Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, neue Truppen nach Afghanistan zu
schicken. Dieser Beschluss ist kontraproduktiv und gefährlich, nicht nur für Afghanistan, sondern
auch für Frankreich und den Weltfrieden. Das hängt nicht zuletzt mit der angekündigten
vollständigen militärischen Wiedereingliederung Frankreichs in die NATO zusammen – ein großer
historischer Fehler.
In Afghanistan kann es keinen Sieg gegen die Taliban auf dem Schlachtfeld geben. Die USA und
ihre Verbündeten versuchen es seit sieben Jahren, wir erinnern uns, wie lange es die sowjetische
Armee versucht hat. Welche Bevölkerung würde nicht gegen eine Besetzung kämpfen? Eine
militärische Lösung gibt es nicht.
Sarkozys Kurswechsel ist ein großer Fehler
Im Interesse der afghanischen Bevölkerung wäre allein ein Kurswechsel von der militärischen hin zu
einer zivilen Politik, wären Mittel für den Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern, Straßen,
Wasserquellen, Rathäusern, wäre der Dialog in der Zivilgesellschaft. Das ist der Preis, der bezahlt
werden muss, um gegen die Taliban zu gewinnen und den Drogenhandel aufzuhalten. Das ist der
Preis, der für den Frieden bezahlt werden muss.
Dass der Krieg weiter geführt wird, ist ein großes Hindernis für den Wiederaufbau des Landes und
die Entwicklung der Volkswirtschaft. Jeder Mensch auf der Welt, selbst die NATO, erkennt dies als
Fehler an. Warum unterstützt Frankreich etwas, das so offensichtlich versagt? Das erste Kontingent
französischer Truppen in Kabul bildet dort die Polizei und das Heer aus. Die neuen Truppen werden
zum Kämpfen entsandt. Das ist ein großer Richtungswechsel in der französischen Politik. Er hängt
mit dem Wunsch des Präsidenten »Sarkozy l’Américain« zusammen, ins NATO-Oberkommando
zurückzukehren, das General de Gaulle im Jahre 1966 verließ.
Zurück in die alte NATO? Nein danke! Was die neuen Truppen in Afghanistan angeht: Sarkozy hat
sich vorher nicht einmal mit dem Parlament beraten, und er hat seine Entscheidung im Ausland
ankündigt. Eine regelmäßige Umfrage zu den transatlantischen »Gefühlen« der Franzosen zeigt,
dass 66 Prozent der Bevölkerung nicht wollen, dass Frankreich engere Beziehungen mit den USA
aufbaut. Der »ideologische« Kurswechsel der neuen Männer an der Macht ist widersinnig und steht
im Widerspruch zu den Interessen Frankreichs und des Weltfriedens.
Die Allianz steckt in der Krise
Man könnte sagen, dass »Raus aus der NATO« die Meinung der Franzosen ist. Es war richtig und
nützlich, sich gegen den Krieg in Irak auszusprechen, und das ist es auch weiter, vor allem in den
Beziehungen mit den arabischen Ländern. Die bisherigen französischen Präsidenten haben auf den
»Multilateralismus« gesetzt – zumindest mit Worten. Nun ist der Begriff aus dem Vokabular
Sarkozys wie auch aus dem der UNO verschwunden. Dieser Weg ist sehr gefährlich. Die
Unterstützer der USA versuchen, die UNO allmählich durch die NATO zu ersetzen, die so viel
»effizienter« sein soll! Dieser Weg führt zu einem permanenten Kriegszustand.
Allerdings laufen die Dinge nicht ganz so reibungslos für die NATO. Auf dem jüngsten Gipfel im April
in Bukarest wurde ein Kandidatenstatus der Ukraine und Georgiens abgelehnt, auch nachdem USAPräsident
George Bush schon verkündet hatte, dass man sie »hineinlassen« würde. Es war das
erste Mal, dass die 26 Mitgliedsländer eine Entscheidung der USA von solcher Wichtigkeit nicht
mitgetragen haben. Auch weigerten sie sich, Mazedonien aufzunehmen. Leider haben sie einen
wichtigen Schritt hin zu einem neuen Raketenabwehrsystem gemacht.
Was Afghanistan anbetrifft: Auch wenn Frankreich mehr Truppen entsendet, es wird nicht
ausreichen, um den Krieg zu gewinnen! Kein anderes Land hat eine positive Antwort auf den Appell
Bushs gegeben, das Engagement zu verstärken! Diese mangelnde Unterstützung für den Einsatz in
Afghanistan ist vielleicht ein Zeichen für die Zukunft des Bündnisses am Hindukusch. Die NATO
kann diesen Krieg unmöglich gewinnen, das Bündnis stößt an seine Grenzen. Dies zeigt auch, dass
sich die Welt in eine neue Epoche bewegt, in der die Herrschaft des Imperiums bröckelt. Die
Niederlage in Irak schadet seinem Ansehen, der Dollar verliert an Einfluss, die Krise der
Volkswirtschaft weitet sich aus. Wie lange noch können die USA Hegemonie vortäuschen?
Lasst uns gemeinsam gegen die NATO kämpfen. In Frankreich gibt es breite Ablehnung gegen die
vollständige Wiedereingliederung in die Allianz, selbst im Sarkozy-Lager. Die Menschen verstehen
nicht, warum Frankreich sich hinter die offensichtlich versagende USA-Außenpolitik stellen sollte.
Wir haben ein Netzwerk »NATO-Afghanistan – Nein zum Krieg und zum Militärbündnis – Frieden,
Freiheit, Demokratie« zusammen mit 50 Organisationen, Gewerkschaften, Partien, NGO und vielen
Persönlichkeiten gegründet.
Verschwendung von Mitteln, Leben und Zeit
Der nächste Schritt zur Rückkehr Frankreichs in die militärischen Strukturen der NATO soll zum 60.
Jahrestag des Bündnisses beim Gipfel in Straßburg und Kehl erfolgen. Wir müssen dieses Jubiläum
zum letzten machen, Europa und die Welt haben genug vom Krieg. Was für eine Verschwendung
von Mitteln, Leben und Zeit! Wir brauchen einen anderen Weg, um diesen Planeten und seine
Menschen zu schützen. Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung sagt Nein zur NATO mit ihren
Raketen, ihrem sogenannten Abwehrschirm, zur Militarisierung der Europäischen Union, zur
Abhängigkeit der Entscheidungen in der EU-Außenpolitik von einem anderen Staat. Lasst uns
zusammenarbeiten, um ihr eine Stimme zu geben.
Arielle Denis ist Vizepräsidentin des Mouvement de la Paix.
Kabul braucht eine zivile Strategie
Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen
Von Andreas Buro *
Die zivile Strategie für Afghanistan, die hier als Grundlage für
weitere Diskussionen vorgeschlagen wird, ist in hohem Maße ein
politisches und nicht ein technokratisches Projekt. Die Friedensbewegung
muss ihren Ansatz mit ihrem übergreifenden Ziel verbinden,
militärische Interventionspolitik zurückzudrängen und
zivile Konfliktbearbeitung zur gängigen Praxis werden zu lassen.
Das heißt:
-
Frieden und Kooperation fördern
sowie Sicherheit im Lande
stärken,
- einen Ausweg aus der militärischen
Konfrontation eröffnen,
- Zivile Konfliktbearbeitung
(ZKB) erproben und als Alternative
bekannt machen,
- möglichst viele NATO-Länder
auf diesen zivilen Kurs bringen,
- die Selbstständigkeit der EU-Staaten
gegenüber der US-Interventionspolitik
fördern, auch wenn keine Illusion über ihre Bereitschaft
zu militärischer Interventionspolitik
bestehen darf.
Modernisierung aus der Gesellschaft heraus
Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat und hat eine Bevölkerung
mit sehr unterschiedlichen Loyalitäten. Paschtunen (ca. 40%),
Tadshiken (25%), mongolstämmige Hazara (15%) und Usbeken
(5%) sind die größten Völker neben vielen weiteren kleineren.
Dari, Paschtu und Usbekisch sind die vorherrschenden Sprachen.
Verbindend wirkt, dass fast alle Muslime sind. Es bestehen große
Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung,
die die große Mehrheit der etwa 29 Millionen Einwohner
ausmacht. Sie sind insbesondere durch die dominierende Lebensweise
auf dem Lande mit den Stammestraditionen stark verbunden.
Modernisierung ist in Afghanistan immer wieder auf
großen Widerstand gestoßen. Auch seine Mobilisierung durch
die USA gegen die sowjetische Invasion baute auf traditionelle
Werte.
Ferner ist die Gesellschaft von jahrelangen Kriegen geprägt.
Diese haben Strukturen teilweise zerschlagen und neue unsichere,
partielle Herrschaftsformen (Warlords, Opiumkartelle) geschaffen.
Eine auf Produktion beruhende Bourgeoisie ist kaum
entstanden. Modernisierung aber muss aus der Gesellschaft heraus
entstehen, zusammen mit der Veränderung der Produktionsstrukturen.
Dabei ist es ein großes Problem, dass von allen
Seiten billige Industrieprodukte in das Land einströmen können.
Die nachholende Industrialisierung hat noch fast immer Schutzzölle
vor übermächtiger internationaler Konkurrenz benötigt.
Abzug der Truppen allein reicht nicht
Die Taliban basieren zum Teil auf Traditionen der paschtunischen
Gesellschaft. Das macht ihre Stärke aus. Sie sind eher
»national« orientiert, im Gegensatz zur internationalen Orientierung
von Al Qaida. Beide sind also nicht identisch. Bindungen
der Bevölkerung an die Taliban haben etwas mit Traditionen,
Armut, Perspektivlosigkeit und lokalen Machtverhältnissen zu
tun. Sie sind differenziert zu behandeln. Erhebliche Teile der
modernen Eliten sind von den Zahlungen der Interventen abhängig
und so an sie gebunden, was eine eigenständige, auf die
afghanischen Interessen bezogene Politik behindert.
Die westliche Militärintervention steht vor einem doppelten
Dilemma. Sie ist weder in der Lage, eine stabile und sichere
Ordnung zu bewirken, noch ist dies allein durch den Abzug ihrer
Truppen zu erreichen. Die Armutssituation und die »Kollateral-
Opfer« der Bombardierungen veranlassen immer mehr Menschen,
sich dem bewaffneten Kampf gegen »den Westen« anzuschließen.
Die Bombardierungen stärken somit die Gegner der
Interventionstruppen. Da die NATO als weltweite Interventionstruppe
aus westlicher Sicht nicht besiegt werden darf, ist eine
ständige militärische Eskalation zu erwarten, solange keine Exitstrategie
existiert. »Vietnam 1973« soll auf alle Fälle vermieden
werden.
Der Konflikt steht in einem engen Zusammenhang mit der
paschtunischen Bevölkerung im pakistanischen Gebiet. Bei einer
Ausweitung des Krieges auf Pakistan dürfte der Krieg seine bisherigen
Grenzen überschreiten und völlig außer Kontrolle geraten.
Mit Eskalation und Ausweitung würde sich die Polarisierung
zwischen islamischen Ländern und den intervenierenden westlichen
kapitalistischen Staaten verschärfen. Zunehmende Verfeindung
und Feindbilder in den Gesellschaften würden das Ergebnis
auch außerhalb Afghanistans sein.
Die Situation in Afghanistan kann nicht schlagartig verändert
werden. Die führende NATOMacht USA ist nicht bereit, ihre
Truppen abzuziehen und auch nicht ihr Interventionsverbund,
die NATO. Deshalb halte ich jede Diskussion unter dem Vorzeichen
»Wenn morgen alle Truppen abziehen« für unrealistisch.
Deshalb ist nach einer Möglichkeit der Weichenstellung zu Ziviler
Konfliktbearbeitung unter den Bedingungen eines zunächst
fortgeführten Krieges zu suchen.
Meine Ausgangsthese lautet, erst wenn die afghanische Bevölkerung
eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erkennen
kann, wird sie sich auch für Frieden statt Konfrontation einsetzen.
Eine wesentliche Verbesserung erfährt sie jedoch nicht
durch die bisherigen Tätigkeiten der ISAF-Truppen. Diese können
trotz aller absichtsvollen mythischen Verklärung keine systematische
Politik der Entwicklung und Friedensförderung betreiben.
Über 80 Prozent der deutschen ISAF-Truppen verbringen
zudem ihre Einsatzzeit im Militärlager und beschäftigen sich
mit ihrer eigenen Sicherheit.
Deutschland könnte eine wichtige Rolle durch eine friedenspolitische
Wende seiner bisherigen Afghanistan-Politik spielen
und gleichzeitig eine Exitstrategie eröffnen:-
Deutschland verlängert nicht die Mandate für ISAF, Tornado
und Enduring Freedom (OEF). Berlin nennt ein festes
Datum, bis zu dem die deutschen Truppen aus Afghanistan
abgezogen sein werden.
- Die Bundeswehreinheiten erhalten die Anweisung, sich
ab sofort nicht in Kämpfe einzumischen.
Dies gilt für Truppen, die der
OEF zugeordnet sind, für ISAFTruppen
und für den Einsatz der
Tornados.
- Berlin gibt gleichzeitig bekannt,
es würde seine zivile Hilfe je nach Bedarf bis zu dem Betrag
aufstocken, der durch den Abzug der Truppen frei würde.
Hier geht es um etwa 500 Millionen Euro jährlich. Diese Mittel
stünden für Entwicklungsprojekte in Afghanistan zur Verfügung,
die von Orten oder Regionen des Landes gemeinsam für
wichtig und nützlich gehalten werden und tatsächlich die Lebensbedingungen
vornehmlich auf dem Lande verbessern.
Dort ginge es um schulische, soziale und medizinische Versorgung. Ferner um Arbeitsplätze, Wasserversorgung und landwirtschaftliche Produktion unabhängig vom Mohnanbau für die Opiumherstellung. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und andere einschlägige Dienste werden beauftragt, angepasste Technologien für die Produktion von Gebrauchsgegenständen vorzuschlagen, die möglichst am Ort produziert werden können. Die
Menschen würden verstehen, dass sich Frieden und Kooperation für sie lohnen. Die Konzentration auf den ländlichen Bereich schließt dabei nicht aus, auch allgemeine oder städtische Projekte zu unterstützen. Dazu kann auch die rechtstaatliche Ausbildung von Polizisten gehören, soweit sie nicht
zu Kampftruppen umfunktioniert werden.
Die Festlegung der Projekte bedarf unabdingbar der Einbeziehung und der Zustimmung der örtlichen oder regionalen Kräfte und auch derer, die sich den Taliban zuordnen. Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen! Die folgenden Prinzipien sollten maßgebend sein:
-
Vorschläge für Projekte können von allen Seiten gemacht werden.
- Alle zuständigen Kräfte werden zur Erörterung und Beschlussfassung der Projekte von denen eingeladen, die den Vorschlag gemacht haben.
- Projekte werden nur verwirklicht, wenn alle Seiten einschließlich Geber zustimmen.
- Für die Ausführung von Arbeiten werden möglichst örtliche Kräfte einbezogen. Wichtig ist, dass Einkommen durch Arbeit entsteht und Produktionsstrukturen gefördert werden.
- Korruption ist nicht hinnehmbar, selbst wenn so ein Projekt nicht verwirklicht werden kann.
- Projekte und die dabei gemachten Erfahrungen sind im ganzen Land zu publizieren, um die Arbeit und ihre Prinzipien bekannt zu machen.
Wie die Projektteilnehmer sollte auch die Bundesregierung an die NATO und die Aufständischen appellieren, solche Projekte, Orte und Regionen nicht in die Kriegführung einzubeziehen, selbst wenn Taliban-nahe Kräfte beteiligt sind. Sie müsste sich gleichzeitig darum bemühen, dass andere in Afghanistan engagierte NATO- und EU-Staaten ihrem Beispiel folgen. Mit einer derartigen Politik
könnte Deutschland eine Wende vom Krieg zur zivilen Konfliktbearbeitung, von der Konfrontation zum Dialog einleiten. Das wäre ein Signal, das weit über Afghanistan hinaus in vielen islamischen Ländern gehört werden würde. Damit würde gleichzeitig eine Exitstrategie eröffnet.
Natürlich blieben erhebliche Probleme. Dieser Krieg wird nicht für die Entwicklung und Demokratisierung Afghanistans geführt. Strategische Ziele in Südasien spielen eine große Rolle. Der NATO geht es auch um ihre Kohärenz und Fähigkeit, als weltweites Interventionsinstrument zu dienen. So würde Deutschland mit der vorgeschlagenen zivilen Friedenspolitik wohl unter starken
Druck aus den USA und der NATO geraten. Doch hat Berlin nicht die Verweigerung einer direkten Beteiligung am Irakkrieg gut ertragen können? Zudem könnte eine fruchtbare Auseinandersetzung in der NATO über den Sinn weltweiter militärischer Interventionen angeregt werden.
Auch der Schutz ziviler Helfer ist ein Problem. Denn es ist nicht auszuschließen, dass solche Projekte von Al Qaida, Taliban-Gruppen oder von rivalisierenden Kräften der Bevölkerung (etwa bei Entwicklung von Alternativen zur Opium-Produktion) angegriffen werden. Auch die NATO-Truppen könnten sie in ihre Kampfhandlungen, mit oder ohne Absicht, einbeziehen. Das Argument, Hilfe und Entwicklung bedürfen des militärischen Schutzes, greift dennoch nicht. Denn erstens ist das ISAF-Militär nicht in der Lage, die zivilen Helfer zu schützen, und zweitens halten die Afghanen Helfer unter militärischem Schutz nicht für neutral, sondern für einen Teil der militärischen Intervention. Die
Abstimmung von Projekten mit den jeweiligen Kräften vor Ort und deren Beteiligung dürfte die beste Sicherung sein.
In der Bundesrepublik wird es vor allem darum gehen, eine breite Diskussion über diese Alternative in Gang zu setzen, die sowohl die Gesellschaft wie auch die Abgeordneten des Bundestages erreicht. Die alleinige Forderung nach Abzug der NATO und damit auch der Bundeswehr ist unzureichend, weil damit keine strategische Perspektive verbunden ist. Es ist ferner erforderlich,
eine breite Aufklärung über die Hintergründe und die Wirklichkeit des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan zu betreiben. Außerdem sollte möglichst bald mit einer Ausarbeitung der Details dieser Alternative begonnen werden, um das Konzept ziviler Konfliktbearbeitung zu konkretisieren.
Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.
Lehren der deutschen Geschichte
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen Bundeswehreinsatz
Vera Morgenstern, Leiterin des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung,
stellte auf dem Kongress die Friedensbeschlüsse des Bundeskongresses der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft 2007 vor. Darin heißt es:
"Der Bundeskongress beschließt: ver.di spricht sich gegen den Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan aus und fordert die Bundesregierung auf, alle deutschen Truppen unverzüglich
zurückzuziehen und den deutschen Beitrag auf ausschließlich zivile Zwecke zu beschränken.
ver.di appelliert an alle Bundestagsabgeordneten: Stimmen Sie gegen Tornado- und Kriegseinsätze.
Fordern Sie stattdessen humanitäre Unterstützung und faire wirtschaftliche
Zusammenarbeit. Sprechen Sie sich auch gegen das Konzept der so genannten 'vernetzten
Sicherheit', das heißt, gegen zivil-militärische Einsätze aus."
Begründet wird diese Forderung so:
"Kein einziges Problem der afghanischen Bevölkerung wird mit
Militäreinsätzen gelöst. Hass und Gegengewalt werden damit geradezu gezüchtet. Die
Bundesrepublik Deutschland wird mit dem Tornadoeinsatz in den US-amerikanischen Amoklauf, den
so genannten ›Krieg gegen den Terror‹ weiter hineingezogen. Mit diesem Krieg werden in Wahrheit
machtpolitische, geostrategische und Rohstoffinteressen verfolgt. Als ob die Katastrophe des
völkerrechtswidrigen Irakkrieges nicht offensichtlich genug wäre, bereiten die USA nach ähnlichem
Schema einen Krieg gegen den Iran vor. Europa und die Bundesrepublik Deutschland dürfen sich
nicht zum Juniorpartner einer verantwortungslosen US-Machtpolitik machen. Frieden ist nicht alles,
aber ohne Frieden ist alles nichts. Rückzug der Bundeswehr aus Auslandseinsätzen, Auflösung aller
Eingreiftruppen, umfassende Abrüstung zu Gunsten des Sozialhaushaltes sind Erfordernisse der
Zeit und die Lehren aus der deutschen Geschichte."
Es lohnt, sich einzumischen
Gewerkschaften und Friedensbewegung ziehen an einem Strang
Von Horst Schmitthenner
Wollen Friedensbewegung und Gewerkschaften gemeinsam etwas tun, um für Frieden und gegen
Militäreinsätze aktiv einzutreten, stellt sich zunächst die Frage, ob sie nahe zusammenliegende, gar
gemeinsame friedenspolitische Positionen haben. Das haben IG Metall und Friedensbewegung. So
hat die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag im November 2007 die Leitlinien für ihre Politik
beschlossen. In der Entschließung 1 zu Gesellschaftspolitik und allgemeiner Gewerkschaftspolitik
schlägt sie bei den friedenspolitischen Herausforderungen einen weiten Bogen, indem sie
beschließt:
»Gleichzeitig ist die internationale Politik zunehmend darauf gerichtet, Konflikte mit militärischen
Mitteln lösen zu wollen. Die eskalierenden Kriege in Afghanistan und Irak sowie der Nahostkonflikt
haben sich zu einer Bedrohung für Frieden und Sicherheit auf dem gesamten Globus entwickelt.«
Konkretisiert wird diese Position, indem der Gewerkschaftstag in der gleichen Entschließung
festlegt:
»Die IG Metall wendet sich gegen die Installierung eines US-amerikanischen
Raketensystems in Polen und Tschechien, da dies Konfrontation und Kriegsgefahr erhöht. Die IG
Metall lehnt Krieg als Mittel der Politik ab. In Spannungs- und Krisenfällen muss auf eine zivile
Konfliktlösung gesetzt werden. Die IG Metall fordert eine breite öffentliche Debatte über die
Neuorientierung von Bundeswehr und NATO sowie über die Rolle der UN als Akteur in globalen
Sicherheitsfragen. Zudem unterstützt die IG Metall betriebliche Ansätze und Programme zur
Rüstungskonversion.«
Und schließlich nimmt der Gewerkschaftstag mit großer Mehrheit folgenden Antrag an:
»Die IG Metall fordert die Bundesregierung auf, alle Soldaten, die außerhalb eines UNO-Mandats
zum Schutz der Zivilbevölkerung und zum Aufbau ziviler Strukturen im Ausland eingesetzt sind,
zurückzuziehen und die Kosten für die Rüstung massiv zu reduzieren.«
Es gibt also genügend friedenspolitische Gemeinsamkeiten um z.B. am 20. September bei der
Demo in Stuttgart und Berlin zusammen auf die Straße zu gehen. Aber sowohl die
Friedensbewegung als auch die IG Metall haben enorme Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu
mobilisieren, um diese Positionen durchzusetzen, obwohl etwa über 70 Prozent der Bevölkerung
gegen den Krieg in Afghanistan und die Beteiligung der Bundeswehr daran sind. Möglicher Grund
für diese Mobilisierungsschwierigkeiten ist die Abschottung der politischen Elite gegenüber dem
Wollen gesellschaftlicher Mehrheiten. Viele glauben nicht mehr daran, durch ihr Engagement
politisch etwas bewegen zu können. Mehr und mehr hört man: Die machen doch, was sie wollen,
egal wie viele wir sind.
Wir werden daran arbeiten müssen. Neben dem Ringen um gemeinsame friedenspolitische
Positionen müssen wir um den langen Atem werben, den wir brauchen, und dafür, dass es sich
lohnt, sich einzumischen. Auf Dauer kann keine Regierung ohne Konsequenzen für sie gegen
Mehrheiten in der Bevölkerung regieren.
Horst Schmitthenner leitet das IG Metall-Verbindungsbüro soziale Bewegungen.
Von Hannover an den Hindukusch
Die 1. Panzerdivision beteiligt sich am "friedenserhaltenden Einsatz" in Afghanistan
Von Brunhild Müller-Reiss
Die 1. Panzerdivision ist nicht irgendeine Division. Hervorgegangen ist sie aus der 1.
Grenadierdivision, 1956 zeitgleich gegründet mit der Bundeswehr. Sie war also eine der allerersten
Truppenteile, die gegen den massenhaften und massiv kriminalisierten Widerstand der
westdeutschen Bevölkerung aufgestellt wurde. Im Zuge der (Neu)Konzeption der Bundeswehr 2004
wurde sie die Eingreifdivision des deutschen Heeres. Diese Konzeption veränderte das Gefüge des
deutschen Militärs aus Marine, Luftwaffe und Heer zugunsten der neuen Struktur Eingreifkräfte,
Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte. Unterstützungskräfte sind weitgehend zur
Landesverteidigung vorgesehen; Stabilisierungskräfte sind vorgesehen für die sogenannten
friedenserhaltenden Maßnahmen – sie sollen in der Lage sein, in einem Land über einen längeren
Zeitraum die Situation unter Kontrolle zu halten. Die Eingreifkräfte sind zuständig für
»friedenserzwingende« Einsätze. Sie müssen innerhalb kürzester Zeit, mit allen notwendigen Mitteln
ausgestattet, weltweit einsetzbar sein.
Schnelle Eingreiftruppe im Rahmen der ISAF
Die 1. Panzerdivision stellt diese Eingreifkräfte, sie ist die Division, die weltweit bei militärischen
Interventionen eingesetzt wird. Sie laut Generalinspekteur des Heeres »die Speerspitze der
gepanzerten Kräfte des deutschen Heeres«.
Die Stärke der gesamten Eingreifkräfte beträgt 32 000 Personen, davon entfallen 20 500 auf das
Heer. Die Personalstärke der 1. Panzerdivision wiederum umfasst 19 000 Soldaten und Soldatinnen.
Im Einsatzfall ist ihr auch die deutsch-französische Brigade unterstellt. Die Division besteht fast
ausschließlich aus Freiwilligen. Etwa 4500 ihrer Soldaten und Soldatinnen sind auf drei Kontinenten
(Afrika, Asien und Europa) im Einsatz.
Am 22. April 2008 verabschiedete der Niedersächsische Landtag feierlich 200 Soldatinnen und
Soldaten der 1. Panzerdivision nach Afghanistan. Dort sollen sie als »Schnelle Eingreiftruppe« und
»taktische Reserve« mit hoher Feuerkraft in der International Security Assistance Force (ISAF)
eingesetzt werden.
Erneut wird damit der Bundeswehr-Einsatz ausgeweitet. Die ISAF, die mit 250 »bewaffneten
Aufbauhelfern« begann, ist heute eine mehr als 40 000 Soldaten starke Interventionstruppe, wovon
Deutschland zur Zeit mehr als 3500 Soldaten stellt. Die 1. Panzer-Division gehört zu den
internationalen Einsatzkräften, mit denen die Bundeswehr »unsere« angeblichen Interessen – und
jene der Industrienationen an geopolitischem Einfluss – durchsetzen soll.
Aber nicht nur im Führen von Kriegen ist die 1. Panzerdivision ganz vorne, auch in der zivilmilitärischer
Zusammenarbeit setzt sie Maßstäbe. Am 7. März 2008 feierte der Rat der Stadt
Hannover das Jubiläum eines denkwürdigen Bündnisses. Auf den Tag genau 25 Jahre zuvor hatte
die Landeshauptstadt eine Patenschaft für die 1. Panzerdivision übernommen.
Vom Rat der Stadt verordnete Patenschaft
Die Bürger und Bürgerinnen Hannovers und des Landes Niedersachsen wurden 1983, zu
Hochzeiten der Friedensbewegung, allerdings wohlweislich nicht gefragt, ob sie Paten sein wollten
für eine Truppe, die Teil der Abschreckungs- und Aufrüstungsarmee des Kalten Krieges war. Die
Rüstungsmesse IDEE musste damals aufgrund der massiven Proteste aus Hannover verschwinden.
Dass eine Großstadt überhaupt mit einem Militärverband in verwandtschaftliche Verhältnisse eintritt,
ist nicht selbstverständlich, es ist einmalig.
Doch das ist noch nicht alles: Jedes Jahr feiert die 1. Panzerdivision mit Unterstützung ihres Paten
ein »Sommerbiwak«. 6500 geladene Gäste folgen jährlich der Einladung zu »Europas schönstem
Gartenfest«. Varieté, Militärmusik und Feuerwerk sollen Militär als Happening in den
zivilgesellschaftlichen Alltag integrieren und die Vernetzung von Militär, Politik und Wirtschaft
sicherstellen.
Aber was ist dagegen zu sagen, wenn das Militär feiert? Sollen sie doch besser feiern als Kriege zu
führen … Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann hat einmal von den
besonderen Herausforderungen gesprochen, denen der »deutsche Soldat« beim Einsatz fern der
Heimat ausgesetzt ist. Damit er diese Herausforderungen meistert, damit er bereit ist, getötet oder
verletzt zu werden, damit er bereit ist zu töten und zu verletzen, bedarf er der Unterstützung der
Gesellschaft, braucht er den Rückhalt der Heimatfront. Und was für den Einzelnen gilt, gilt auch für
die Bundeswehr als Ganzes. Damit sie Krieg führen kann, braucht sie die Normalität des
Militärischen, bedarf sie der Akzeptanz der Bevölkerung.
Um diese Normalität herzustellen veranstaltet die Bundeswehr öffentliche Gelöbnisse,
Zapfenstreiche und Tage der offenen Tür. Dafür hat sie Patenschaften, tritt auf Messen und an
Schulen auf. Und dazu dient auch das Sommerbiwak in Hannover.
Vor drei Jahren regte sich erstmals Protest gegen dieses Spektakel: Eine Handvoll Aktivisten und
Aktivistinnen demonstrierte mit einem Transparent, bis sie von Feldjägern vertrieben wurden.
Während der Protest vor vier Jahren am Anfang stand, ist der Widerstand heute gewachsen, hat
sich ausgeweitet und ist vielfältiger geworden. Ein Bündnis konnte etabliert werden, das die Proteste
trägt. Viele unterschiedliche Gruppen haben den Widerstand auf ihre Weise vorangetrieben.
Der Widerstand wird anschwellen
2007 gab es am Abend des Biwaks zwei Demonstrationen, mit denen von verschiedenen Seiten der
Ort der Kundgebung. erreicht wurde. Dort wurden die geladenen Gäste damit konfrontiert, was es
heißt, eine »Armee im Einsatz« nicht nur zu dulden, sondern zu unterstützen. Aber auch die Polizei
regte sich nach Kräften und versuchte, die Proteste einzuschränken und zu behindern, wo es nur
möglich war. Trotzdem ist der Protest deutlich gewachsen und auch im Jahr 2008 wird das traute
Miteinander von Paten und Patenkindern vermiest werden. Der antimilitaristische Aktionskreis
Hannover plant einen ganzen Aktionstag, um auf vielfältige Weise dem Protest Ausdruck zu
verleihen. Es wird ein »Friedensbiwak« stattfinden mit Kultur und Politik, umrahmt von zwei
Demonstrationen, begleitet von vielerlei Aktionen gegen das militaristische Spektakel.
Antimilitaristischer Widerstand kann erfolgreich sein.
Brunhild Müller-Reiss ist aktiv im Friedensbüro Hannover.
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