Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan"

Eine gemeinsame Publikation des Arbeitsausschusses Afghanistankongress und der Tageszeitung "Neues Deutschland" - Teil II

Die Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien am 19. Juli 2008 mit einer 16-seitigen Beilage, die sich ganz dem Krieg in Afghanistan und den Aktivitäten der internationalen Friedensbewegung widmete. Wir dokumentieren die Beiträge in zwei Teilen. Der erste Teil erschien >>>> hier <<<<



Der hier dokumentierte zweite Teil der ND-Beilage enthält die folgenden Beiträge:

Keine Sicherheit ohne Entwicklung

Der Hass auf die Invasoren und ihre örtlichen Verbündeten wächst

Von Elahe Rostami Povey

2001 begann der Krieg in Afghanistan. Begründet wurde er mit dem Argument, man wolle die Taliban und Al Qaida loswerden. 2001 hieß es, der Krieg würde die afghanischen Frauen befreien, Demokratie und Stabilität wiederherstellen und der afghanischen Bevölkerung nach 30 Jahren des Krieges und der Gewalt ein besseres Leben bringen. Heute, fast sieben Jahre nachdem unter Führung der USA Militär und Milliarden Dollar an Hilfe nach Afghanistan geschafft wurden, ist die Sicherheitslage verheerend und Karsais Regierung kontrolliert gerade mal 30 Prozent des afghanischen Territoriums. Im Februar 2008 erklärte der frühere NATO-Kommandeut James Jones, ein »dringender Wechsel« sei nötig, um zu verhindern, dass Afghanistan zu einem »failed state«, einem gescheiterten Staat wird.

Die institutionelle Korruption blüht

Nach UN-Angaben produziert Afghanistan 92 Prozent der weltweiten Opiumproduktion. Die Kleinbauern bekommen gerade so viel Geld, wie sie zum Überleben brauchen, während die Kriegsherren, die beim Drogenschmuggel helfen, und Regierungsbeamte enormen Reichtum aus der Opiumproduktion und dem Opiumhandel ziehen. Die institutionelle Korruption floriert unter der NATO und zuvor unter der US-geführten Invasion. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen und der Weltbank haben sich Drogenbarone die Loyalität vieler Polizeichefs und Regierungsbeamten im ganzen Land erkauft. Dieselben Beamten, die enorme Reichtümer aus der Korruption und der Opiumproduktion ziehen, bestrafen an der Seite der NATO die Kleinbauern. Das ist ein Grund für den wachsenden Hass gegen die Invasoren und ihre örtlichen Verbündeten – und für die wachsende Unterstützung für die Taliban und Al Qaida.

Nach einem aktuellen Oxfam-Bericht glauben die normalen Menschen in Afghanistan, dass die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte für die Unsicherheit verantwortlich sind und dass sie ein wichtiger Teil des Problems in Afghanistan sind. Für jeden Zivilisten, den die Koalitionstruppen töten, gewinnen die Taliban und Al Qaida ein Dorf als neue Sympathisanten. Ein Mann in Jalalabad sagte zu mir: »Die Taliban haben zwei meiner Angehörigen umgebracht, die Invasoren 16. Du kannst dir ausrechnen, auf wessen Seite ich stehe.«

Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan das fünftärmste Land auf der Welt ist. 70 Prozent von denen, die in ländlichen Gebieten wohnen, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Lebenserwartung beträgt 44 Jahre. Nur 30 Prozent der Menschen in städtischen Gebieten können lesen und schreiben, auf dem Land sind es nur 1 Prozent. Nach Aussagen von UNHCR und Oxfam sind vier Millionen Menschen von Hilfsleistungen abhängig. Der gewaltsame Konflikt behindert die Hilfe und jedes Jahr sterben viele an Hunger.

Der Harvard-Ökonom Joseph Stiglitz berichtet, dass private Sicherheitsfirmen die einzigen sind, die von den Kriegen in Afghanistan und Irak profitieren. Ein Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma verdient ca. 400 000 Dollar im Jahr. Ein Soldat bekommt 40 000 Dollar im Jahr.

Ausdruck einer kolonialen Denkweise

Die Invasoren sind weder am Wiederaufbau Afghanistans interessiert noch bringen sie Demokratie und Frauenbefreiung. Die Idee, dass Demokratie und Frauenbefreiung von außen gebracht werden können, ist eine koloniale Denkweise und eine rassistische Ideologie, die tief in den Köpfen selbst wohlmeinender Menschen im Westen verwurzelt ist. Afghanistan braucht ökonomische Entwicklung und wirklichen Wiederaufbau. Aber die NATO-Kräfte sind an Entwicklung in Afghanistan oder Irak nicht interessiert. Die ganze Idee, zuerst Sicherheit zu schaffen und dann Entwicklung ist eine Entschuldigung dafür, weder Entwicklung und noch Wiederaufbau voranzubringen.

Die USA haben versucht, in den 80er und 90er Jahren ihre wirtschaftlichen und politischen Probleme durch neoliberale Politik zu lösen. Gleichzeitig wachsen Indien und China zu ökonomischen Weltmächten heran. Nach dem 11. September dachten die Neokonservativen, die Zeit wäre gekommen, um die Kontrolle über die Ölreserven im Nahen und Mittleren Osten zu ergreifen, und ihren geostrategischen Einfluss zu sichern. Aber sie sind in Irak und in Afghanistan gescheitert. Das bestätigen Linke wie Erik Hobsbawm und Konservative wie Joseph Stiglitz und John Grey. Die Neokonservativen sind dennoch bereit, einen Schritt weiter zu gehen. Sie planen nun einen Angriff auf Iran. Nach Studien der London University werden sie für einen Angriff auf Irak hochentwickelte »intelligente« Waffen einsetzen, einschließlich Atombomben. Innerhalb weniger Stunden würden 2 Millionen Menschen in Iran sterben, Millionen würden verletzt werden. Aber Iran ist in der Lage, die Ölfelder in der Golfregion anzugreifen. Angesichts dessen, dass wir uns einer globalen ökonomischen Krise gegenüber sehen, könnte das zu einem Zusammenbruch der Weltwirtschaft und von Sicherheit führen. Die einfachen Menschen im Westen und in der ganzen Welt werden unter dieser ökonomischen und Sicherheits-Katastrophe im Nahen Osten leiden.

Vertrauen nur in die Antikriegsbewegung

Ich habe kein Vertrauen, dass die Regierung Großbritanniens oder irgendeine andere europäische Regierung oder die der USA diesen Krieg beenden, dessen Profiteure die großen Konzerne und ein paar Beamte und Auftragnehmer sind. Aber ich habe großes Vertrauen in die globale Antikriegsbewegung. In Deutschland leistet ihr gute Arbeit in eurer Bewegung. In Großbritannien können wir auch auf eine der erfolgreichsten Antikriegsbewegungen blicken, die Sozialisten, Liberale, Gewerkschafter, Soldatenfamilien, die alte Friedensbewegung und die muslimische Gemeinde zusammenbrachte.

Dr. Elaheh Rostami Povey ist gebürtige Iranerin und lehr an der School of Oriental and African Studies der University of London. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Situation von Frauen in Afghanistan. Sie ist aktiv in einer Kampagne gegen einen Angriff auf Iran und in der britischen Antikriegsbewegung.


Ein Feldzug ohne Zukunft

Der USA-Krieg in Afghanistan: Ziele und Alternativen

Von Joseph Gerson


Im vergangenen November hat der Nationale Sicherheitsrat der USA erklärt, dass Washingtons Ziele im Afghanistankrieg nicht erreicht würden und die Gesamtsituation am Hindukusch sich trotz Siegen auf dem Schlachtfeld verschlechtere. Die Bush-Regierung besaß mehrere Ziele, als sie den Krieg gegen die Taliban begann. Wie wir von Insidern wissen, wollte Bush nach dem 11. September 2001 unbedingt »jemandem in den Hintern treten«, egal, ob dabei gegen internationales Recht verstoßen wurde. Innenpolitisch musste der Präsident Stärke gegen die Täter der entsetzlichen Angriffe zeigen, international sollte demonstriert werden, dass die Pentagon-Doktrin der »Dominanz über das volle Konfliktspektrum« – das heißt die Fähigkeit, jegliche andere Nation zu dominieren, egal wo und wann – weiterhin in Kraft war. Niemand sollte auf die Idee kommen, man könne die USA herumschubsen.

Mehr noch. Laut »New York Times« war die Rede von »einem neuen US-amerikanischen Imperium«. Es habe sich der globalen Supermacht die einzigartige Möglichkeit geboten, einen Sieg in Afghanistan zu instrumentalisieren, um die Prinzipien des Zusammenlebens der Nationen neu zu formulieren. Schon im Mai 2001 hatte Vizepräsident Dick Cheney erklärt, dass die USA davor stünden, die »Ausrichtung des 21. Jahrhunderts« zu bestimmen, um zu sichern, dass die USA die beherrschende militärische, wirtschaftliche und politische Macht der Welt blieben. Die Anschläge am 11. September 2001 dienten als Rechtfertigung, um die Vision dieser Kolonisierung zu verwirklichen.

Dazu gehört selbstverständlich Kontrolle über das Öl. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion standen die enormen Reserven im Kaspischen Meer und in Zentralasien offen, und die politischen Eliten und Ölkonzerne der USA waren bestrebt, so viel wie möglich davon an sich zu reißen. Öl ist eine wichtige Ressource für die Durchsetzung der militärischen Strategie und unentbehrlich für die moderne Industriegesellschaft. Schon als Gouverneur von Texas, in Verbindung mit seinem Freund Ken Lay von ENRON, tat George W. Bush sein Bestes, um den Zugang zu Öl und Erdgas zu sichern. Eine der ersten Initiativen nach dem Stürz der Taliban galt dem Bau einer Pipeline, um Öl und Erdgas von Turkmenistan durch Afghanistan zu pakistanischen Häfen zu bringen.

Dieser Krieg bot zugleich die Gelegenheit, US-Militärstützpunkte in Zentralasien zu errichten, um ähnlich wie im Nahen Osten den Zugang zu den Ressourcen dieser Regionen zu sichern. So wurden ein Militärstützpunkt in Usbekistan gebaut, Vereinbarungen über Basen mit Kirgistan, Kasachstan und Afghanistan wurden geschlossen.

Ein anderes Ziel, das sich wie schon in Vietnam mit der Zeit entwickelt hat, war es, das Prestige der USA zu wahren. Den Krieg in Afghanistan zu verlieren würde die Macht der USA und ihren Einfluss in Zentralasien, im Nahen Osten und in der ganzen Welt schwächen.

Es hat natürlich seit dem Anfang Alternativen zum Afghanistankrieg gegeben. Die Position des Konsens entwickelte sich schnell in der US- Friedensbewegung und hatte vier Elemente:
  • dass die Angriffe des 11. September abscheuliche Verbrechen waren, deren Täter vor die Justiz gebracht werden müssen,
  • dass »Krieg nicht die Antwort ist«,
  • dass wir unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten und unsere Einwanderergemeinschaften verteidigen müssen, denn wir wussten, dass sie angegriffen werden würden,
  • dass wir die wahren Ursachen der Angriffe, die Präsenz von US-Militärstützpunkten in der Nähe der islamischen heiligen Städte Mekka und Medina, verdeutlichen müssen.
Auf einer Konferenz, die wir im Dezember 2001 organisierten, skizzierte Noam Chomsky mehrere Alternativen, die nicht verfolgt worden sind. Die USA lehnten eine Bewilligung durch den Weltsicherheitsrat ab, die Bush-Regierung verstieß gegen das internationale Recht und agierte eigenmächtig. Sie wollte den Krieg und lehnte auch die vorläufigen Angebote der Taliban ab, die Auslieferung Bin Ladens und seiner Anhänger zu erwägen.

Erforderlich gewesen, so der Militärhistoriker Michael Howard, sei »ein Polizeieinsatz unter der Federführung der UNO im Auftrag der internationalen Gemeinschaft gegen eine kriminelle Verschwörung«. Der afghanische Oppositionsführer Abdul Haq wollte »eine Revolte innerhalb der Taliban auslösen«, aber die Bombenangriffe der USA schlossen diese Möglichkeit dann aus.

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde schnell klar, dass die Bush-Regierung noch größere Ambitionen hatte: Einmarsch in Irak. Inzwischen hat wie die gesamte USA-Bevölkerung auch die Friedensbewegung in unserem Land ihre Aufmerksamkeit von Zentralasien auf den Nahen Osten verlagert. Der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama hat betont, Afghanistan sei ein »Krieg, den wir gewinnen müssen«. So oder so – die Friedensbewegung in den USA wird gezwungen sein, ihre Aufmerksamkeit, Ressourcen und Kampagnen wieder stärker auf Afghanistan und auf die Notwendigkeit zu richten, im Kampf gegen den nichtstaatlichen Terrorismus auf nichtmilitärische Alternativen wie Diplomatie und Geheimdienstarbeit zu setzen – unter Wahrung des nationalen und internationalen Rechts. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Taliban nicht Al Qaida sind. Wie wir aus der Vergangenheit wissen, wird der Frieden zwischen Feinden und nicht zwischen Freunden verhandelt, und das wird die Taliban einschließen müssen. Zumal sie sich kaum von anderen Kriegsherren unterscheiden, die die USA bisher schon unterstützt haben.

Ich möchte daran erinnern, wie wichtig die europäischen Friedensbewegungen für uns in den USA gewesen sind. Sie haben uns stets inspiriert, ob während des Vietnamkrieges oder in der Zeit des unbesonnenen Wettrüstens der 1970er und 1980er Jahre. Sie können es wieder tun. Mit den geplanten Aktionen unter dem Motto »Raus aus Afghanistan« am 20. September hier in Deutschland, mit der Kampagne zum 60. Jahrestag der NATO in ganz Europa und anderen Initiativen helfen sie uns, die Truppen aus Afghanistan und aus Irak nach Hause zu bringen.

Während der letzten Tage des britischen Kolonialreiches in Indien hat Lord Mountbatten Mahatma Gandhi davor gewarnt, dass das Chaos ausbrechen würde, wenn die Britten gehen. Gandhis Antwort: »Ja, aber es wird unser Chaos sein.« Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratie nicht mit Bomben und Kugeln exportiert werden kann.

Dr. Joseph Gerson ist Programmdirektor des American Friends Service Committee in Neuengland.


Seit 30 Jahren im Krieg

Die soziale Lage in Afghanistan angesichts des Neoliberalismus

Von Shaima Ghafury


Afghanistan befindet sich seit 30 Jahren im Krieg. Das ganze Land ist sowohl materiell als auch moralisch zerstört. Die Frage stellt sich, ob die internationale Gemeinschaft tatsächlich will, dass in Afghanistan ein stabiler Friede herrscht, oder ob man in dieser Region der Welt ein so unruhiges Land sogar braucht?

Die US-Armee hat die Taliban (Koranschüler) 2001 entmachtet und stattdessen den »großen Mullahs« – den Talibanlehrern – die Macht übergeben. Das einzige, was man den Taliban als Verdienst anrechnen könnte, ist, dass sie in den Jahren ihrer Regierung die Führer der Mudschaheddin und die Kriegsverbrecher entwaffnet und isoliert haben. Leider haben durch die Petersberger Konferenz genau diese Kriegsverbrecher über das Schicksal unseres Landes mitentschieden, sie sind erneut zu Herren über Afghanistan aufgestiegen.

Ein großer Teil Hilfsgelder für Afghanistan fließt aufgrund von Korruption und Missbrauch in die Taschen von Regierungsfunktionären und »Kommandanten« oder wird auf Banken im Ausland deponiert. Eine kleine Gruppe von Afghanen, die zum großen Teil Warlords waren und heute gleichzeitig Regierungsmitglieder sind, sorgen sogar in Zusammenarbeit mit ausländischen Spezialisten dafür, dass das Geld veruntreut bzw. »missbraucht« wird. Im Namen des freien Marktes und des freien Handels (Neoliberalismus) herrscht wirtschaftliches Chaos in Afghanistan, das letztlich dem Vorteil einer kleinen korrupten Gruppe mit Machtbefugnissen dient.

Es gab bis jetzt keine gemeinsame Planung für den Wiederaufbau Afghanistans. Erst seit diesem Jahr arbeitet die Regierung nach einem Fünfjahresplan. Die Geberstaaten haben Afghanistan seit 2002 mehr als 24 Milliarden Dollar an Unterstützung zugesagt. Nach Angaben von Hilfsorganisationen haben aber bislang erst 15 Milliarden Dollar das Land erreicht.

Die Schere zwischen der breiten armen Bevölkerungsmehrheit und einer kleinen superreichen Gruppe ist unvorstellbar groß. Der Drogenanbau, die Produktion und der Export von Rohstoffen für die Drogenherstellung werden mit der substanziellen Hilfe skrupelloser Organisationen mit mafiösen Strukturen organisiert. Der Gotteskrieg im Namen der Taliban ist lediglich ein Instrument und ein Etikett für die eigentlichen wirtschaftlichen und politischen Ziele.

Wie kann man die Situation verbessern?
  1. Afghanistan braucht vor allem eine gemeinsame, integrative, verantwortungsbewusste, durchschaubare und transparente Politik von Seiten aller Geberländer, insbesondere der Supermächte.
  2. Die Potenziale der Afghanen müssen genutzt werden. Es gibt genug afghanische Fachleute, die in der ganzen Welt verstreut sind. Viele von ihnen wünschen sich, nach Afghanistan zurückzugehen und am Wiederaufbau teilnehmen zu können. Aber dafür gibt es genug Hürden, die ihre Rückkehr verhindern.
  3. Die Afghanen müssen sich aktiv bei der politische Gestaltung des Landes engagieren können. Dafür braucht das Land aber starke, demokratisch gewählte politische Institutionen und Gremien, die sowohl die Interessen Afghanistans kennen und respektieren als auch die der Geberländer.
Shaima Ghafury arbeitete an der Universität Kabul.


"Warlords" wurden nicht entwaffnet

Demokratisierung nur "von unten" möglich

Von Katja Maurer


Sieben Jahre nach der Bombardierung Afghanistans ist das Land das, was es auf leidvolle Weise schon ein Mal war: ein Pufferstaat. Diente es Ende des 19. Jahrhunderts dem Britischen Empire als Trennlinie zum zaristischen Russland, sind es heute die hegemonialen Interessen des von den USA geführten Westens, die Afghanistan auf eine Pufferrolle zwischen dem aufstrebenden China, den instabilen asiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion, den reichen Ölländern und dem politischen Islamismus reduzieren. Die Versuche, das Land zu demokratisieren, sind weitgehend gescheitert. Die düstere Vision des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig muss man aus Sicht einer Hilfsorganisation, die lokale Partner unterstützt, teilen: »Bereits jetzt zeigen sich in Afghanistan Elemente eines teilweise von bewaffneten Islamisten kontrollierten Drogenmafiastaates. In einer bloßen Fassadendemokratie könnten sich diese Ansätze zu einem System verfestigen, das von der internationalen Gemeinschaft alimentiert würde.«

Medico international hatte 2001 mit einem Aufruf, der von Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern aus aller Welt, darunter zahlreichen Nobelpreisträgern, unterzeichnet wurde, gegen den Krieg und die Bombardierungen in Afghanistan protestiert. Weil politische Veränderungen »von unten« kommen müssen, forderten wir mit unseren afghanischen Partnern eine entschlossene politische Auseinandersetzung mit den Taliban, so wie das Apartheidregime Südafrikas nicht militärisch, sondern politisch in die Knie gezwungen wurde.

Nachdem der Krieg die alten Warlords als Bündnispartner wieder an die Macht brachte, war es verständlich, dass unsere Partner die Entsendung von internationalen Schutztruppen verlangten. Doch die davon erhoffte Entwaffnung der Warlords ist nicht eingetreten. Deshalb muss es sofort einen glaubwürdigen Prozess der Entmilitarisierung geben. Deshalb sind Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, einen überzeugenden Zeitplan für den Abzug der Soldaten vorzulegen. Weder darf es weitere Zugeständnisse an eine irregeleitete USA-Politik geben, noch sollte das Bemühen um soziale Entwicklung von militärischen Interessen überlagert sein.

Die Wiederankurbelung der Wirtschaft, die Schaffung von Gerechtigkeit und der Aufbau einer funktionierenden Staatlichkeit aber brauchen viel mehr Geld. Frieden und Entwicklung müssen »von unten« kommen, und dazu bedarf es der Unterstützung vor allem lokaler Dorfstrukturen und des ländlichen Raumes. Notwendig ist die Förderung von Wirtschaftskreisläufen, die Existenzsicherung jenseits der Drogenökonomie zulassen. Die Menschen in Afghanistan müssen spüren, dass am Hindukusch ihre und nicht die Interessen Deutschlands verteidigt werden.

Katja Maurer ist Sprecherin von medico international.


Kein Mandat für mehr Militär

Geplante Ausweitung des Bundeswehreinsatzes wird Widerstand verstärken

Von Peter Strutynski


Mitte Juni diskutierte der Deutsche Bundestag zum wiederholten Mal über die gegenwärtige Afghanistan-Politik – ein euphemistisches Wort, wo es sich doch um Krieg und nicht mehr um Politik handelt – der Bundesregierung. Schnell waren die grundsätzlichen Standpunkte ausgetauscht: Hier das Regierungslager, das sich verzweifelt mühte, die Erfolge des Militäreinsatzes in Afghanistan zu feiern. Laut Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind in 32 000 Dörfern Entwicklungsprojekte »erfolgreich umgesetzt« worden, 80 Prozent der Bevölkerung hätten heute Zugang zu basismedizinischer Versorgung; sechs Millionen Kinder gingen zur Schule, 30 000 Lehrer seien ausgebildet und 3500 Schulen wiederaufgebaut worden. Man habe acht Millionen Minen geräumt, 13 000 Kilometer Straßen gebaut bzw. repariert, und der Gipfel des Fortschritts: »Die Menschen gründen inzwischen wieder Unternehmen.«

Schönfärberei der Bundesregierung

Die Opposition nahm die Botschaft von den »blühenden Landschaften« am Hindukusch unterschiedlich auf. Die FDP mochte die Erzählung im Großen und Ganzen glauben, war aber der Meinung, dass man die Erfolge den Menschen »draußen im Land« besser kommunizieren müsse. Die Grünen bemängelten das geringe Tempo der Fortschritte und den zu geringen Mitteleinsatz und plädierten für eine exaktere Beschreibung des »Zivilmandats«. Lediglich die LINKE stellte den Fortschrittsbericht der Regierung als »schönfärberisch« insgesamt in Frage und erinnerte an die theoretische und praktische Unmöglichkeit, mittels »humanitärer Interventionen« Menschenrechte, Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt exportieren zu können. Oskar Lafontaine rief dem Interventionslager zu: »Wann endlich begreifen Sie, dass die sogenannten humanitären Interventionen nicht nur als Begriff eine Unmöglichkeit darstellen, sondern mittlerweile auch im Ergebnis?«

In der Tat: Der Schönfärberei der Regierung können Fakten und Daten gegenübergestellt werden, die das von Bürgerkrieg und Krieg geschundene Land in einem düsteren Licht erscheinen lassen. Norman Paech berichtete z. B. auf dem letzten Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel darüber, dass die Selbstmordrate von Frauen in Afghanistan noch nie so hoch gewesen sei wie heute, dass 95 Prozent von ihnen an Depressionen litten, ihre Lebenserwartung nur 44 Jahre betrage und nach wie vor 80 Prozent der Hochzeiten erzwungen seien. Außerdem besuche nur eines von fünf Mädchen eine Grundschule. Laut UNICEF hätten 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen keinen Schulzugang.

Export von Demokratie ist nicht möglich

Unterschiedlicher kann die Wahrnehmung der Realität kaum sein. Doch es geht in Afghanistan nicht nur um einen Streit darüber, ob der eine mehr das Positive sieht und der andere mehr die Defizite herausstreicht. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Einschätzung, dass mit militärischen Interventionen weder ein Export von Menschenrechten und Demokratie noch ein tragfähiger ziviler Aufbau möglich ist. Vergegenwärtigt man sich den Auslöser für die Bundestagsdebatte, so wird die Szenerie noch bizarrer.

Kurz zuvor haben Verteidigungsminister Franz Josef Jung und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhahn, verkündet, die Truppenstärke in Afghanistan von gegenwärtig 3500 auf 4500 erhöhen und gleichzeitig die Dauer des Mandats (bisher jeweils für ein Jahr) auf 14 Monate verlängern zu wollen. Die Begründung dafür kommt einem unfreiwilligen Offenbarungseid gleich: Der Bundestagswahlkampf solle vom Afghanistan-Thema nicht »belastet« werden. Deutlicher könnte das Eingeständnis nicht ausfallen, dass die Mehrheit der Wähler den Afghanistaneinsatz ablehnt.

Die Ausweitung des Militäreinsatzes in Afghanistan widerspricht aber auch den eigenen Bekundungen der Regierungskoalition. In ihrem »neuen« Afghanistankonzept vom September 2007 versprach die Regierung, mehr für den zivilen Wiederaufbau des Landes tun zu wollen (Stärkung der Regierungsinstitutionen und von lokalen Strukturen, Aufbau des Justizsystems, Rückkehrprogramm für Flüchtlinge, Wirtschaftsförderung usw.). Stattdessen wird nun ausschließlich die militärische Komponente erhöht.

Die NATO schafft ihr »eigenes Vietnam«

Allein die Aufstockung der Truppe um 1000 Soldaten wird mehr Geld kosten als die gesamte zivile Afghanistanhilfe, 2008 liegt sie bei 125 Millionen Euro. Hinzu kommen die Begehrlichkeiten der Bundeswehr. Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, fordert zeitgleich mit Jungs Ankündigung eine bessere Ausrüstung für die Truppe in Afghanistan, z. B. sollen statt bisher sechs künftig zwölf geschützte Hubschrauber CH 53 eingesetzt werden.

Es gibt so viele Gründe, nicht nur vor einer Ausweitung des militärischen Engagements in Afghanistan zu warnen, sondern eine Beendigung des Einsatzes zu fordern. Die meisten Experten kommen zu dem Schluss, dass Afghanistan militärisch nicht zu besiegen sei. Ein Blick auf die bisherige Entwicklung der Kämpfe in Afghanistan zeigt: Mit jeder Truppenaufstockung von Seiten der NATO nahm auch der Widerstand gegen die Besatzung zu. Sicherheit und Stabilität sind mit Militär nicht zu erreichen. Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger prophezeite Anfang der 80er Jahre der Sowjetunion nach ihrem Einmarsch in Afghanistan, sie werde dort ihr »Vietnam« erleben. Die NATO und die Bundeswehr sind heute dabei, ihr eigenes »Vietnam« zu schaffen.

Heute Afghanistan, morgen Iran?

Die Unbelehrbarkeit der Bundesregierung und des gesamten bürgerlichen Lagers nimmt beängstigende Züge an. Mittlerweile, so scheint es, geht es ihnen längst nicht mehr nur um Bündnistreue gegenüber den USA und der NATO oder um den Irrglauben an einen Erfolg im »Krieg gegen den Terror«. Immer mehr schält sich heraus, dass die herrschende Klasse mit der Militärintervention ein Exempel setzen möchte: Die demokratischen Staaten, so die zu lernende Lektion, haben das Recht, unabhängig vom Völkerrecht, der UN-Charta und den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats jedes beliebige Land der Welt militärisch zu bedrohen oder anzugreifen.

Diesmal ist es Afghanistan, morgen Iran und übermorgen vielleicht Sudan. Die vorgeschobenen Gründe mögen schillern (»humanitäre Katastrophe verhindern«, »Völkermord vorbeugen«, »Menschenrechte durchsetzen« usw.) – ein übergeordneter Grund ist auf jeden Fall der Rückbau der 1945 mit der UN-Charta kodifizierten modernen internationalen Rechtsordnung. Am Ende sollen Militär und Krieg wieder zum selbstverständlichen Mittel deutscher Außenpolitik geworden sein.

Doch die Herrschenden haben wie so oft in der Geschichte die Rechnung ohne den Wirt gemacht – sei’s in Afghanistan, das sich nicht besiegen, sei’s im eigenen Land, das sich vom Krieg nicht überzeugen lässt.

Dr. Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler an der Uni Kassel (AG Friedensforschung) und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag


Außenpolitik für den Frieden

Um dem Ziel globaler sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen, ist ein umfassender Ansatz erforderlich

Von Wolfgang Strengmann-Kuhn


Im Folgenden soll Außenpolitik breit als internationale Politik verstanden werden, Außenpolitik für den Frieden mehr umfassenen als nur Sicherheits- oder Anti-Kriegspolitik. Grundsätzlich ist eine Art der Außenpolitik notwendig, die wegkommt vom Ziel der vorrangigen nationalen Interessenvertretung hin zu einem multilateralen, globalen Ansatz, bei der internationale Politik als Weltinnenpolitik verstanden wird, die gemeinsamen Interessen wie dem Frieden in der Welt, dem Klimaschutz oder einer gerechten Weltwirtschaftsordnung dient.

Dafür ist zunächst wichtig, sich klar zu machen, was Ursachen für Kriege und militärische Konflikte sind. Ein wesentlicher Punkt sind weltweite Ungerechtigkeiten: die Ungleichheit zwischen reichen und armen Staaten, Mangel an Selbstbestimmung, Ungleichheit innerhalb der Länder und Armut in vielen Ländern – materielle Armut, Hunger, fehlende Bildung, mangelnde Gesundheitsversorgung. Der Zugang zu Ressourcen wird in nächster Zeit eine häufigere Ursachen von Konflikten sein: Rohstoffe, Energie, Wasser, fuchtbares Land. Der Klimawandel wird diese Konflikte noch verschärfen.

Aktive Klimaschutzpolitik ist somit auch ein wichtiger Beitrag für den Frieden in der Welt, ebenso wie eine umfassende Energieaußenpolitik, die nicht die eigenen, nationalen Interessen in den Fokus setzt, sondern darauf baut, dass wir unabhängig von Öl, fossilen Energieträgern und Uran werden. In Bezug auf die armen Länder muss betont werden, dass diese ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung haben.

Hier muss von vornherein auf den Ausbau nachhaltiger, erneuerbarer Energiequellen und die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gesetzt werden. Außerdem ist eine flächendeckende Energieversorgung in den ärmeren Ländern wichtig, um Ungleichheiten und Armut zu überwinden. Eine veränderte Energieaußenpolitik ist also ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit.

Um dem Ziel globaler sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen, ist ein umfassender Ansatz zur Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte erforderlich: das Recht auf Nahrung, auf Wohnen, auf Zugang zu Wasser, auf Zugang zur Gesundheitsversorgung, auf soziale Sicherung, eine Stärkung von Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ein Recht auf Bildung, das Recht auf politische Beteiligung und auf soziale und kulturelle Teilhabe. Eine Außenpolitik für den Frieden muss darüber hinaus den Zugang zu Energie, das Recht und die Möglichkeit von Mobilität und das Recht auf ein Leben in einer intakten Umwelt gewährleisten. Das Recht auf soziale Sicherung beinhaltet für mich auch das Recht auf ein Grundeinkommen.

Notwendig sind darüber hinaus umfassende Anstrengungen zur ökonomischen Entwicklung der armen Länder, z.B. in Form eines globalen Marshallplans, und der Aufbau von staatlicher Infrastruktur, insbesondere des Rechtswesens, effektiver und effizienter Regierungsstrukturen und sozialer Sicherungssysteme. Frauen werden zur Zeit besonders bezüglich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte benachteiligt. Gleichzeitig sind Frauen besonders wichtig für die ökonomische Entwicklung eines Landes wie viele Beispiele zeigen. Dem muss in besonderer Weise entsprochen werden.

Last not least brauchen wir Regeln für den globalen Kapitalismus, insbesondere ökologische und soziale Regeln und Rahmenbedingungen, sowie eine Regulierung der Finanzmärkte. Nur durch einen solchen umfassenden Ansatz ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung herzustellen. Neben diesen grundsätzlichen Ansatzpunkten sind zur Vermeidung von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen Maßnahmen notwendig, die Konflikte im Ansatz erkennen und eine Eskalation verhindern, also ein verstärkter Ausbau der Krisen- und Konfliktprävention. Und wir brauchen wieder eine Politik der Abrüstung, und zwar der nuklearen, mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt, aber auch der konventionellen Rüstung. Das ist auch notwendig, um finanzielle Ressourcen für die anderen genannten Maßnahmen frei zu machen.

Um eine solche Politik durchzusetzen, ist insbesondere eine Stärkung der UNO und ihrer Organisationen notwendig. Aber auch die Rolle der EU muss gestärkt und noch deutlicher auf eine internationale Politik ausgerichtet werden, die Frieden, Menschenrechte, Umweltpolitik und globale soziale Gerechtigkeit zum Ziel hat. Dieses muss einhergehen mit einer breiten sozialen Bewegung, die Druck sowohl auf die nationale wie auch auf die internationale Politik macht, wozu eine internationale Vernetzung notwendig ist. Eine verbesserte Vernetzung ist aber auch in der Hinsicht notwendig, dass Initiativen, die sich in der Regel jeweils nur auf einzelne Aspekte, beispielsweise Gesundheitsversorgung, gerechte Weltwirtschaft, Recht auf Nahrung, Rechte von Frauen, Rechte von ArbeitnehmerInnen etc., konzentrieren, besser kooperieren und gemeinsam für globale und umfassende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eintreten, um so die Grundlage für Frieden in der Welt zu schaffen.

Der Autor ist Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler und Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen.


Die Mehrheit in Europa sagt Nein zu NATO und Krieg

Warum unterstützt Frankreichs Präsident etwas, das so offensichtlich versagt?

Von Arielle Denis


Mouvement de la Paix, die Friedensbewegung in unserem Land, ist wie die Mehrheit der französischen Bevölkerung (laut Umfragen 65 Prozent) sehr besorgt und empört wegen der Entscheidung ihres Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, neue Truppen nach Afghanistan zu schicken. Dieser Beschluss ist kontraproduktiv und gefährlich, nicht nur für Afghanistan, sondern auch für Frankreich und den Weltfrieden. Das hängt nicht zuletzt mit der angekündigten vollständigen militärischen Wiedereingliederung Frankreichs in die NATO zusammen – ein großer historischer Fehler.

In Afghanistan kann es keinen Sieg gegen die Taliban auf dem Schlachtfeld geben. Die USA und ihre Verbündeten versuchen es seit sieben Jahren, wir erinnern uns, wie lange es die sowjetische Armee versucht hat. Welche Bevölkerung würde nicht gegen eine Besetzung kämpfen? Eine militärische Lösung gibt es nicht.

Sarkozys Kurswechsel ist ein großer Fehler

Im Interesse der afghanischen Bevölkerung wäre allein ein Kurswechsel von der militärischen hin zu einer zivilen Politik, wären Mittel für den Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern, Straßen, Wasserquellen, Rathäusern, wäre der Dialog in der Zivilgesellschaft. Das ist der Preis, der bezahlt werden muss, um gegen die Taliban zu gewinnen und den Drogenhandel aufzuhalten. Das ist der Preis, der für den Frieden bezahlt werden muss.

Dass der Krieg weiter geführt wird, ist ein großes Hindernis für den Wiederaufbau des Landes und die Entwicklung der Volkswirtschaft. Jeder Mensch auf der Welt, selbst die NATO, erkennt dies als Fehler an. Warum unterstützt Frankreich etwas, das so offensichtlich versagt? Das erste Kontingent französischer Truppen in Kabul bildet dort die Polizei und das Heer aus. Die neuen Truppen werden zum Kämpfen entsandt. Das ist ein großer Richtungswechsel in der französischen Politik. Er hängt mit dem Wunsch des Präsidenten »Sarkozy l’Américain« zusammen, ins NATO-Oberkommando zurückzukehren, das General de Gaulle im Jahre 1966 verließ.

Zurück in die alte NATO? Nein danke! Was die neuen Truppen in Afghanistan angeht: Sarkozy hat sich vorher nicht einmal mit dem Parlament beraten, und er hat seine Entscheidung im Ausland ankündigt. Eine regelmäßige Umfrage zu den transatlantischen »Gefühlen« der Franzosen zeigt, dass 66 Prozent der Bevölkerung nicht wollen, dass Frankreich engere Beziehungen mit den USA aufbaut. Der »ideologische« Kurswechsel der neuen Männer an der Macht ist widersinnig und steht im Widerspruch zu den Interessen Frankreichs und des Weltfriedens.

Die Allianz steckt in der Krise

Man könnte sagen, dass »Raus aus der NATO« die Meinung der Franzosen ist. Es war richtig und nützlich, sich gegen den Krieg in Irak auszusprechen, und das ist es auch weiter, vor allem in den Beziehungen mit den arabischen Ländern. Die bisherigen französischen Präsidenten haben auf den »Multilateralismus« gesetzt – zumindest mit Worten. Nun ist der Begriff aus dem Vokabular Sarkozys wie auch aus dem der UNO verschwunden. Dieser Weg ist sehr gefährlich. Die Unterstützer der USA versuchen, die UNO allmählich durch die NATO zu ersetzen, die so viel »effizienter« sein soll! Dieser Weg führt zu einem permanenten Kriegszustand.

Allerdings laufen die Dinge nicht ganz so reibungslos für die NATO. Auf dem jüngsten Gipfel im April in Bukarest wurde ein Kandidatenstatus der Ukraine und Georgiens abgelehnt, auch nachdem USAPräsident George Bush schon verkündet hatte, dass man sie »hineinlassen« würde. Es war das erste Mal, dass die 26 Mitgliedsländer eine Entscheidung der USA von solcher Wichtigkeit nicht mitgetragen haben. Auch weigerten sie sich, Mazedonien aufzunehmen. Leider haben sie einen wichtigen Schritt hin zu einem neuen Raketenabwehrsystem gemacht.

Was Afghanistan anbetrifft: Auch wenn Frankreich mehr Truppen entsendet, es wird nicht ausreichen, um den Krieg zu gewinnen! Kein anderes Land hat eine positive Antwort auf den Appell Bushs gegeben, das Engagement zu verstärken! Diese mangelnde Unterstützung für den Einsatz in Afghanistan ist vielleicht ein Zeichen für die Zukunft des Bündnisses am Hindukusch. Die NATO kann diesen Krieg unmöglich gewinnen, das Bündnis stößt an seine Grenzen. Dies zeigt auch, dass sich die Welt in eine neue Epoche bewegt, in der die Herrschaft des Imperiums bröckelt. Die Niederlage in Irak schadet seinem Ansehen, der Dollar verliert an Einfluss, die Krise der Volkswirtschaft weitet sich aus. Wie lange noch können die USA Hegemonie vortäuschen?

Lasst uns gemeinsam gegen die NATO kämpfen. In Frankreich gibt es breite Ablehnung gegen die vollständige Wiedereingliederung in die Allianz, selbst im Sarkozy-Lager. Die Menschen verstehen nicht, warum Frankreich sich hinter die offensichtlich versagende USA-Außenpolitik stellen sollte. Wir haben ein Netzwerk »NATO-Afghanistan – Nein zum Krieg und zum Militärbündnis – Frieden, Freiheit, Demokratie« zusammen mit 50 Organisationen, Gewerkschaften, Partien, NGO und vielen Persönlichkeiten gegründet.

Verschwendung von Mitteln, Leben und Zeit

Der nächste Schritt zur Rückkehr Frankreichs in die militärischen Strukturen der NATO soll zum 60. Jahrestag des Bündnisses beim Gipfel in Straßburg und Kehl erfolgen. Wir müssen dieses Jubiläum zum letzten machen, Europa und die Welt haben genug vom Krieg. Was für eine Verschwendung von Mitteln, Leben und Zeit! Wir brauchen einen anderen Weg, um diesen Planeten und seine Menschen zu schützen. Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung sagt Nein zur NATO mit ihren Raketen, ihrem sogenannten Abwehrschirm, zur Militarisierung der Europäischen Union, zur Abhängigkeit der Entscheidungen in der EU-Außenpolitik von einem anderen Staat. Lasst uns zusammenarbeiten, um ihr eine Stimme zu geben.

Arielle Denis ist Vizepräsidentin des Mouvement de la Paix.


Kabul braucht eine zivile Strategie

Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen

Von Andreas Buro *


Die zivile Strategie für Afghanistan, die hier als Grundlage für weitere Diskussionen vorgeschlagen wird, ist in hohem Maße ein politisches und nicht ein technokratisches Projekt. Die Friedensbewegung muss ihren Ansatz mit ihrem übergreifenden Ziel verbinden, militärische Interventionspolitik zurückzudrängen und zivile Konfliktbearbeitung zur gängigen Praxis werden zu lassen. Das heißt:
  • Frieden und Kooperation fördern sowie Sicherheit im Lande stärken,
  • einen Ausweg aus der militärischen Konfrontation eröffnen,
  • Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) erproben und als Alternative bekannt machen,
  • möglichst viele NATO-Länder auf diesen zivilen Kurs bringen,
  • die Selbstständigkeit der EU-Staaten gegenüber der US-Interventionspolitik fördern, auch wenn keine Illusion über ihre Bereitschaft zu militärischer Interventionspolitik bestehen darf.

    Modernisierung aus der Gesellschaft heraus

    Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat und hat eine Bevölkerung mit sehr unterschiedlichen Loyalitäten. Paschtunen (ca. 40%), Tadshiken (25%), mongolstämmige Hazara (15%) und Usbeken (5%) sind die größten Völker neben vielen weiteren kleineren. Dari, Paschtu und Usbekisch sind die vorherrschenden Sprachen. Verbindend wirkt, dass fast alle Muslime sind. Es bestehen große Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung, die die große Mehrheit der etwa 29 Millionen Einwohner ausmacht. Sie sind insbesondere durch die dominierende Lebensweise auf dem Lande mit den Stammestraditionen stark verbunden. Modernisierung ist in Afghanistan immer wieder auf großen Widerstand gestoßen. Auch seine Mobilisierung durch die USA gegen die sowjetische Invasion baute auf traditionelle Werte.

    Ferner ist die Gesellschaft von jahrelangen Kriegen geprägt. Diese haben Strukturen teilweise zerschlagen und neue unsichere, partielle Herrschaftsformen (Warlords, Opiumkartelle) geschaffen. Eine auf Produktion beruhende Bourgeoisie ist kaum entstanden. Modernisierung aber muss aus der Gesellschaft heraus entstehen, zusammen mit der Veränderung der Produktionsstrukturen. Dabei ist es ein großes Problem, dass von allen Seiten billige Industrieprodukte in das Land einströmen können. Die nachholende Industrialisierung hat noch fast immer Schutzzölle vor übermächtiger internationaler Konkurrenz benötigt.

    Abzug der Truppen allein reicht nicht

    Die Taliban basieren zum Teil auf Traditionen der paschtunischen Gesellschaft. Das macht ihre Stärke aus. Sie sind eher »national« orientiert, im Gegensatz zur internationalen Orientierung von Al Qaida. Beide sind also nicht identisch. Bindungen der Bevölkerung an die Taliban haben etwas mit Traditionen, Armut, Perspektivlosigkeit und lokalen Machtverhältnissen zu tun. Sie sind differenziert zu behandeln. Erhebliche Teile der modernen Eliten sind von den Zahlungen der Interventen abhängig und so an sie gebunden, was eine eigenständige, auf die afghanischen Interessen bezogene Politik behindert.

    Die westliche Militärintervention steht vor einem doppelten Dilemma. Sie ist weder in der Lage, eine stabile und sichere Ordnung zu bewirken, noch ist dies allein durch den Abzug ihrer Truppen zu erreichen. Die Armutssituation und die »Kollateral- Opfer« der Bombardierungen veranlassen immer mehr Menschen, sich dem bewaffneten Kampf gegen »den Westen« anzuschließen. Die Bombardierungen stärken somit die Gegner der Interventionstruppen. Da die NATO als weltweite Interventionstruppe aus westlicher Sicht nicht besiegt werden darf, ist eine ständige militärische Eskalation zu erwarten, solange keine Exitstrategie existiert. »Vietnam 1973« soll auf alle Fälle vermieden werden.

    Der Konflikt steht in einem engen Zusammenhang mit der paschtunischen Bevölkerung im pakistanischen Gebiet. Bei einer Ausweitung des Krieges auf Pakistan dürfte der Krieg seine bisherigen Grenzen überschreiten und völlig außer Kontrolle geraten. Mit Eskalation und Ausweitung würde sich die Polarisierung zwischen islamischen Ländern und den intervenierenden westlichen kapitalistischen Staaten verschärfen. Zunehmende Verfeindung und Feindbilder in den Gesellschaften würden das Ergebnis auch außerhalb Afghanistans sein.

    Die Situation in Afghanistan kann nicht schlagartig verändert werden. Die führende NATOMacht USA ist nicht bereit, ihre Truppen abzuziehen und auch nicht ihr Interventionsverbund, die NATO. Deshalb halte ich jede Diskussion unter dem Vorzeichen »Wenn morgen alle Truppen abziehen« für unrealistisch. Deshalb ist nach einer Möglichkeit der Weichenstellung zu Ziviler Konfliktbearbeitung unter den Bedingungen eines zunächst fortgeführten Krieges zu suchen.

    Meine Ausgangsthese lautet, erst wenn die afghanische Bevölkerung eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erkennen kann, wird sie sich auch für Frieden statt Konfrontation einsetzen. Eine wesentliche Verbesserung erfährt sie jedoch nicht durch die bisherigen Tätigkeiten der ISAF-Truppen. Diese können trotz aller absichtsvollen mythischen Verklärung keine systematische Politik der Entwicklung und Friedensförderung betreiben. Über 80 Prozent der deutschen ISAF-Truppen verbringen zudem ihre Einsatzzeit im Militärlager und beschäftigen sich mit ihrer eigenen Sicherheit.

    Deutschland könnte eine wichtige Rolle durch eine friedenspolitische Wende seiner bisherigen Afghanistan-Politik spielen und gleichzeitig eine Exitstrategie eröffnen:
    • Deutschland verlängert nicht die Mandate für ISAF, Tornado und Enduring Freedom (OEF). Berlin nennt ein festes Datum, bis zu dem die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen sein werden.
    • Die Bundeswehreinheiten erhalten die Anweisung, sich ab sofort nicht in Kämpfe einzumischen. Dies gilt für Truppen, die der OEF zugeordnet sind, für ISAFTruppen und für den Einsatz der Tornados.
    • Berlin gibt gleichzeitig bekannt, es würde seine zivile Hilfe je nach Bedarf bis zu dem Betrag aufstocken, der durch den Abzug der Truppen frei würde. Hier geht es um etwa 500 Millionen Euro jährlich. Diese Mittel stünden für Entwicklungsprojekte in Afghanistan zur Verfügung, die von Orten oder Regionen des Landes gemeinsam für wichtig und nützlich gehalten werden und tatsächlich die Lebensbedingungen vornehmlich auf dem Lande verbessern.

      Dort ginge es um schulische, soziale und medizinische Versorgung. Ferner um Arbeitsplätze, Wasserversorgung und landwirtschaftliche Produktion unabhängig vom Mohnanbau für die Opiumherstellung. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und andere einschlägige Dienste werden beauftragt, angepasste Technologien für die Produktion von Gebrauchsgegenständen vorzuschlagen, die möglichst am Ort produziert werden können. Die Menschen würden verstehen, dass sich Frieden und Kooperation für sie lohnen. Die Konzentration auf den ländlichen Bereich schließt dabei nicht aus, auch allgemeine oder städtische Projekte zu unterstützen. Dazu kann auch die rechtstaatliche Ausbildung von Polizisten gehören, soweit sie nicht zu Kampftruppen umfunktioniert werden.

      Die Festlegung der Projekte bedarf unabdingbar der Einbeziehung und der Zustimmung der örtlichen oder regionalen Kräfte und auch derer, die sich den Taliban zuordnen. Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen! Die folgenden Prinzipien sollten maßgebend sein:
      • Vorschläge für Projekte können von allen Seiten gemacht werden.
      • Alle zuständigen Kräfte werden zur Erörterung und Beschlussfassung der Projekte von denen eingeladen, die den Vorschlag gemacht haben.
      • Projekte werden nur verwirklicht, wenn alle Seiten einschließlich Geber zustimmen.
      • Für die Ausführung von Arbeiten werden möglichst örtliche Kräfte einbezogen. Wichtig ist, dass Einkommen durch Arbeit entsteht und Produktionsstrukturen gefördert werden.
      • Korruption ist nicht hinnehmbar, selbst wenn so ein Projekt nicht verwirklicht werden kann.
      • Projekte und die dabei gemachten Erfahrungen sind im ganzen Land zu publizieren, um die Arbeit und ihre Prinzipien bekannt zu machen.
      Wie die Projektteilnehmer sollte auch die Bundesregierung an die NATO und die Aufständischen appellieren, solche Projekte, Orte und Regionen nicht in die Kriegführung einzubeziehen, selbst wenn Taliban-nahe Kräfte beteiligt sind. Sie müsste sich gleichzeitig darum bemühen, dass andere in Afghanistan engagierte NATO- und EU-Staaten ihrem Beispiel folgen. Mit einer derartigen Politik könnte Deutschland eine Wende vom Krieg zur zivilen Konfliktbearbeitung, von der Konfrontation zum Dialog einleiten. Das wäre ein Signal, das weit über Afghanistan hinaus in vielen islamischen Ländern gehört werden würde. Damit würde gleichzeitig eine Exitstrategie eröffnet.

      Natürlich blieben erhebliche Probleme. Dieser Krieg wird nicht für die Entwicklung und Demokratisierung Afghanistans geführt. Strategische Ziele in Südasien spielen eine große Rolle. Der NATO geht es auch um ihre Kohärenz und Fähigkeit, als weltweites Interventionsinstrument zu dienen. So würde Deutschland mit der vorgeschlagenen zivilen Friedenspolitik wohl unter starken Druck aus den USA und der NATO geraten. Doch hat Berlin nicht die Verweigerung einer direkten Beteiligung am Irakkrieg gut ertragen können? Zudem könnte eine fruchtbare Auseinandersetzung in der NATO über den Sinn weltweiter militärischer Interventionen angeregt werden.

      Auch der Schutz ziviler Helfer ist ein Problem. Denn es ist nicht auszuschließen, dass solche Projekte von Al Qaida, Taliban-Gruppen oder von rivalisierenden Kräften der Bevölkerung (etwa bei Entwicklung von Alternativen zur Opium-Produktion) angegriffen werden. Auch die NATO-Truppen könnten sie in ihre Kampfhandlungen, mit oder ohne Absicht, einbeziehen. Das Argument, Hilfe und Entwicklung bedürfen des militärischen Schutzes, greift dennoch nicht. Denn erstens ist das ISAF-Militär nicht in der Lage, die zivilen Helfer zu schützen, und zweitens halten die Afghanen Helfer unter militärischem Schutz nicht für neutral, sondern für einen Teil der militärischen Intervention. Die Abstimmung von Projekten mit den jeweiligen Kräften vor Ort und deren Beteiligung dürfte die beste Sicherung sein.

      In der Bundesrepublik wird es vor allem darum gehen, eine breite Diskussion über diese Alternative in Gang zu setzen, die sowohl die Gesellschaft wie auch die Abgeordneten des Bundestages erreicht. Die alleinige Forderung nach Abzug der NATO und damit auch der Bundeswehr ist unzureichend, weil damit keine strategische Perspektive verbunden ist. Es ist ferner erforderlich, eine breite Aufklärung über die Hintergründe und die Wirklichkeit des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan zu betreiben. Außerdem sollte möglichst bald mit einer Ausarbeitung der Details dieser Alternative begonnen werden, um das Konzept ziviler Konfliktbearbeitung zu konkretisieren.

      Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.


      Lehren der deutschen Geschichte

      Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen Bundeswehreinsatz

      Vera Morgenstern, Leiterin des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung, stellte auf dem Kongress die Friedensbeschlüsse des Bundeskongresses der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft 2007 vor. Darin heißt es:

      "Der Bundeskongress beschließt: ver.di spricht sich gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan aus und fordert die Bundesregierung auf, alle deutschen Truppen unverzüglich zurückzuziehen und den deutschen Beitrag auf ausschließlich zivile Zwecke zu beschränken. ver.di appelliert an alle Bundestagsabgeordneten: Stimmen Sie gegen Tornado- und Kriegseinsätze. Fordern Sie stattdessen humanitäre Unterstützung und faire wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sprechen Sie sich auch gegen das Konzept der so genannten 'vernetzten Sicherheit', das heißt, gegen zivil-militärische Einsätze aus."

      Begründet wird diese Forderung so:
      "Kein einziges Problem der afghanischen Bevölkerung wird mit Militäreinsätzen gelöst. Hass und Gegengewalt werden damit geradezu gezüchtet. Die Bundesrepublik Deutschland wird mit dem Tornadoeinsatz in den US-amerikanischen Amoklauf, den so genannten ›Krieg gegen den Terror‹ weiter hineingezogen. Mit diesem Krieg werden in Wahrheit machtpolitische, geostrategische und Rohstoffinteressen verfolgt. Als ob die Katastrophe des völkerrechtswidrigen Irakkrieges nicht offensichtlich genug wäre, bereiten die USA nach ähnlichem Schema einen Krieg gegen den Iran vor. Europa und die Bundesrepublik Deutschland dürfen sich nicht zum Juniorpartner einer verantwortungslosen US-Machtpolitik machen. Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Rückzug der Bundeswehr aus Auslandseinsätzen, Auflösung aller Eingreiftruppen, umfassende Abrüstung zu Gunsten des Sozialhaushaltes sind Erfordernisse der Zeit und die Lehren aus der deutschen Geschichte."


      Es lohnt, sich einzumischen

      Gewerkschaften und Friedensbewegung ziehen an einem Strang

      Von Horst Schmitthenner


      Wollen Friedensbewegung und Gewerkschaften gemeinsam etwas tun, um für Frieden und gegen Militäreinsätze aktiv einzutreten, stellt sich zunächst die Frage, ob sie nahe zusammenliegende, gar gemeinsame friedenspolitische Positionen haben. Das haben IG Metall und Friedensbewegung. So hat die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag im November 2007 die Leitlinien für ihre Politik beschlossen. In der Entschließung 1 zu Gesellschaftspolitik und allgemeiner Gewerkschaftspolitik schlägt sie bei den friedenspolitischen Herausforderungen einen weiten Bogen, indem sie beschließt:

      »Gleichzeitig ist die internationale Politik zunehmend darauf gerichtet, Konflikte mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Die eskalierenden Kriege in Afghanistan und Irak sowie der Nahostkonflikt haben sich zu einer Bedrohung für Frieden und Sicherheit auf dem gesamten Globus entwickelt.«

      Konkretisiert wird diese Position, indem der Gewerkschaftstag in der gleichen Entschließung festlegt:
      »Die IG Metall wendet sich gegen die Installierung eines US-amerikanischen Raketensystems in Polen und Tschechien, da dies Konfrontation und Kriegsgefahr erhöht. Die IG Metall lehnt Krieg als Mittel der Politik ab. In Spannungs- und Krisenfällen muss auf eine zivile Konfliktlösung gesetzt werden. Die IG Metall fordert eine breite öffentliche Debatte über die Neuorientierung von Bundeswehr und NATO sowie über die Rolle der UN als Akteur in globalen Sicherheitsfragen. Zudem unterstützt die IG Metall betriebliche Ansätze und Programme zur Rüstungskonversion.«

      Und schließlich nimmt der Gewerkschaftstag mit großer Mehrheit folgenden Antrag an:
      »Die IG Metall fordert die Bundesregierung auf, alle Soldaten, die außerhalb eines UNO-Mandats zum Schutz der Zivilbevölkerung und zum Aufbau ziviler Strukturen im Ausland eingesetzt sind, zurückzuziehen und die Kosten für die Rüstung massiv zu reduzieren.«

      Es gibt also genügend friedenspolitische Gemeinsamkeiten um z.B. am 20. September bei der Demo in Stuttgart und Berlin zusammen auf die Straße zu gehen. Aber sowohl die Friedensbewegung als auch die IG Metall haben enorme Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu mobilisieren, um diese Positionen durchzusetzen, obwohl etwa über 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Krieg in Afghanistan und die Beteiligung der Bundeswehr daran sind. Möglicher Grund für diese Mobilisierungsschwierigkeiten ist die Abschottung der politischen Elite gegenüber dem Wollen gesellschaftlicher Mehrheiten. Viele glauben nicht mehr daran, durch ihr Engagement politisch etwas bewegen zu können. Mehr und mehr hört man: Die machen doch, was sie wollen, egal wie viele wir sind.

      Wir werden daran arbeiten müssen. Neben dem Ringen um gemeinsame friedenspolitische Positionen müssen wir um den langen Atem werben, den wir brauchen, und dafür, dass es sich lohnt, sich einzumischen. Auf Dauer kann keine Regierung ohne Konsequenzen für sie gegen Mehrheiten in der Bevölkerung regieren.

      Horst Schmitthenner leitet das IG Metall-Verbindungsbüro soziale Bewegungen.


      Von Hannover an den Hindukusch

      Die 1. Panzerdivision beteiligt sich am "friedenserhaltenden Einsatz" in Afghanistan

      Von Brunhild Müller-Reiss


      Die 1. Panzerdivision ist nicht irgendeine Division. Hervorgegangen ist sie aus der 1. Grenadierdivision, 1956 zeitgleich gegründet mit der Bundeswehr. Sie war also eine der allerersten Truppenteile, die gegen den massenhaften und massiv kriminalisierten Widerstand der westdeutschen Bevölkerung aufgestellt wurde. Im Zuge der (Neu)Konzeption der Bundeswehr 2004 wurde sie die Eingreifdivision des deutschen Heeres. Diese Konzeption veränderte das Gefüge des deutschen Militärs aus Marine, Luftwaffe und Heer zugunsten der neuen Struktur Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte. Unterstützungskräfte sind weitgehend zur Landesverteidigung vorgesehen; Stabilisierungskräfte sind vorgesehen für die sogenannten friedenserhaltenden Maßnahmen – sie sollen in der Lage sein, in einem Land über einen längeren Zeitraum die Situation unter Kontrolle zu halten. Die Eingreifkräfte sind zuständig für »friedenserzwingende« Einsätze. Sie müssen innerhalb kürzester Zeit, mit allen notwendigen Mitteln ausgestattet, weltweit einsetzbar sein.

      Schnelle Eingreiftruppe im Rahmen der ISAF

      Die 1. Panzerdivision stellt diese Eingreifkräfte, sie ist die Division, die weltweit bei militärischen Interventionen eingesetzt wird. Sie laut Generalinspekteur des Heeres »die Speerspitze der gepanzerten Kräfte des deutschen Heeres«.

      Die Stärke der gesamten Eingreifkräfte beträgt 32 000 Personen, davon entfallen 20 500 auf das Heer. Die Personalstärke der 1. Panzerdivision wiederum umfasst 19 000 Soldaten und Soldatinnen. Im Einsatzfall ist ihr auch die deutsch-französische Brigade unterstellt. Die Division besteht fast ausschließlich aus Freiwilligen. Etwa 4500 ihrer Soldaten und Soldatinnen sind auf drei Kontinenten (Afrika, Asien und Europa) im Einsatz.

      Am 22. April 2008 verabschiedete der Niedersächsische Landtag feierlich 200 Soldatinnen und Soldaten der 1. Panzerdivision nach Afghanistan. Dort sollen sie als »Schnelle Eingreiftruppe« und »taktische Reserve« mit hoher Feuerkraft in der International Security Assistance Force (ISAF) eingesetzt werden.

      Erneut wird damit der Bundeswehr-Einsatz ausgeweitet. Die ISAF, die mit 250 »bewaffneten Aufbauhelfern« begann, ist heute eine mehr als 40 000 Soldaten starke Interventionstruppe, wovon Deutschland zur Zeit mehr als 3500 Soldaten stellt. Die 1. Panzer-Division gehört zu den internationalen Einsatzkräften, mit denen die Bundeswehr »unsere« angeblichen Interessen – und jene der Industrienationen an geopolitischem Einfluss – durchsetzen soll.

      Aber nicht nur im Führen von Kriegen ist die 1. Panzerdivision ganz vorne, auch in der zivilmilitärischer Zusammenarbeit setzt sie Maßstäbe. Am 7. März 2008 feierte der Rat der Stadt Hannover das Jubiläum eines denkwürdigen Bündnisses. Auf den Tag genau 25 Jahre zuvor hatte die Landeshauptstadt eine Patenschaft für die 1. Panzerdivision übernommen.

      Vom Rat der Stadt verordnete Patenschaft

      Die Bürger und Bürgerinnen Hannovers und des Landes Niedersachsen wurden 1983, zu Hochzeiten der Friedensbewegung, allerdings wohlweislich nicht gefragt, ob sie Paten sein wollten für eine Truppe, die Teil der Abschreckungs- und Aufrüstungsarmee des Kalten Krieges war. Die Rüstungsmesse IDEE musste damals aufgrund der massiven Proteste aus Hannover verschwinden. Dass eine Großstadt überhaupt mit einem Militärverband in verwandtschaftliche Verhältnisse eintritt, ist nicht selbstverständlich, es ist einmalig.

      Doch das ist noch nicht alles: Jedes Jahr feiert die 1. Panzerdivision mit Unterstützung ihres Paten ein »Sommerbiwak«. 6500 geladene Gäste folgen jährlich der Einladung zu »Europas schönstem Gartenfest«. Varieté, Militärmusik und Feuerwerk sollen Militär als Happening in den zivilgesellschaftlichen Alltag integrieren und die Vernetzung von Militär, Politik und Wirtschaft sicherstellen.

      Aber was ist dagegen zu sagen, wenn das Militär feiert? Sollen sie doch besser feiern als Kriege zu führen … Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann hat einmal von den besonderen Herausforderungen gesprochen, denen der »deutsche Soldat« beim Einsatz fern der Heimat ausgesetzt ist. Damit er diese Herausforderungen meistert, damit er bereit ist, getötet oder verletzt zu werden, damit er bereit ist zu töten und zu verletzen, bedarf er der Unterstützung der Gesellschaft, braucht er den Rückhalt der Heimatfront. Und was für den Einzelnen gilt, gilt auch für die Bundeswehr als Ganzes. Damit sie Krieg führen kann, braucht sie die Normalität des Militärischen, bedarf sie der Akzeptanz der Bevölkerung.

      Um diese Normalität herzustellen veranstaltet die Bundeswehr öffentliche Gelöbnisse, Zapfenstreiche und Tage der offenen Tür. Dafür hat sie Patenschaften, tritt auf Messen und an Schulen auf. Und dazu dient auch das Sommerbiwak in Hannover.

      Vor drei Jahren regte sich erstmals Protest gegen dieses Spektakel: Eine Handvoll Aktivisten und Aktivistinnen demonstrierte mit einem Transparent, bis sie von Feldjägern vertrieben wurden. Während der Protest vor vier Jahren am Anfang stand, ist der Widerstand heute gewachsen, hat sich ausgeweitet und ist vielfältiger geworden. Ein Bündnis konnte etabliert werden, das die Proteste trägt. Viele unterschiedliche Gruppen haben den Widerstand auf ihre Weise vorangetrieben.

      Der Widerstand wird anschwellen

      2007 gab es am Abend des Biwaks zwei Demonstrationen, mit denen von verschiedenen Seiten der Ort der Kundgebung. erreicht wurde. Dort wurden die geladenen Gäste damit konfrontiert, was es heißt, eine »Armee im Einsatz« nicht nur zu dulden, sondern zu unterstützen. Aber auch die Polizei regte sich nach Kräften und versuchte, die Proteste einzuschränken und zu behindern, wo es nur möglich war. Trotzdem ist der Protest deutlich gewachsen und auch im Jahr 2008 wird das traute Miteinander von Paten und Patenkindern vermiest werden. Der antimilitaristische Aktionskreis Hannover plant einen ganzen Aktionstag, um auf vielfältige Weise dem Protest Ausdruck zu verleihen. Es wird ein »Friedensbiwak« stattfinden mit Kultur und Politik, umrahmt von zwei Demonstrationen, begleitet von vielerlei Aktionen gegen das militaristische Spektakel. Antimilitaristischer Widerstand kann erfolgreich sein.

      Brunhild Müller-Reiss ist aktiv im Friedensbüro Hannover.


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