Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Krieg dient niemals dem Frieden"

Rede von Eugen Drewermann auf der Friedenskundgebung am 20. Februar 2010 in Berlin (Wortlaut)

Am 20. Februar, wenige Tage vor der Abstimmung über das neue Afghanistan-Mandat im Bundestag, protestierte die Friedensbewegung mit einer vielbeachteten Kundgebung und Demonstration gegen den Krieg (Motto: "Kein Soldat mehr!"). Hauptredner auf der Kundgebung am Bebelplatz war der bekannte Theologe Eugen Drewermann. Wir dokumentieren dessen Rede, die vom Tonbandmitschnitt transkribiert wurde.
Die Rede ist auch auf einem Video-Stream zu verfolgen, und zwar in drei Teilen: Die übrigen Reden, die bei der Kundgebung gehalten wurden, werden wir an anderer Stelle veröffentlichen.


Rede Dr. Eugen Drewermann

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

ich danke Ihnen sehr, dass Sie heute hier stehen, um zu sagen, was 70 Prozent der deutschen Bevölkerung sagen: Raus aus Afghanistan, heute lieber als morgen. Wir fordern diesen Abzug nicht im Jahr 2015, im Jahr 2020 oder, wie Frau Clinton bereits andeutet, am Sankt Nimmerleinstag. Wir fordern ihn jetzt.

Wir müssen das auf Plätzen und auf Straßen sagen, weil im Deutschen Reichstag 90 Prozent der Leute, die wir als unsere Vertreter gewählt haben, genau das Gegenteil sagen.

Schröder und Fischer 2001: Wir verteidigen unsere Werte am Hindukusch. Peter Struck: Wir verteidigen unsere Sicherheit in Afghanistan. Lüge jagt die Lüge. Rot-Grün nannte sich diese Klientel der Hörigkeit den USA gegenüber. Frau Merkel und Herr Steinmeier konnten das Desaster allenfalls ausdehnen und in keinem Punkte widerlegen. Schwarz / Rot war nur die Fortsetzung der alten Fehler. Und Schwarz/Gelb, Merkel und Westerwelle, schieben ein neues strategisches Programm vor, wie sie es nennen, nur um alles, was schon falsch war, soweit eskalieren zu lassen, dass es irreparabel für Jahrzehnte werden wird. Deshalb sagen wir Nein zum Krieg in Afghanistan und zu dieser Verwaltung des deutschen Volkes im Reichstag. Von sämtlichen, dort sitzenden Parteien ist einzig die Linke konsequent gegen diesen Krieg gewesen. Deshalb sind sie unsere Verbündeten. Vielleicht, dass man sie sich in Nordrhein-Westfalen bei der nächsten Wahl merkt.

Man erklärt, unsere Sicherheit stehe auf dem Spiel, wenn wir die Taliban nicht niederbomben. Afghanistan hat in dreitausend Jahren Geschichte niemals ein fremdes Land angegriffen. Und es konnte dies nicht einmal, weil es ein Staat im westlichen Sinne gar nicht war. Es ist eine Vielvölkermischung, zusammengehalten durch Stammesführer, uniert in der Loja Dschirga von Fall zu Fall.

Bis dass die Sowjets von Brzezinski hineingelockt wurden nach Afghanistan, war es eine formelle Monarchie, aber kaum mit Einfluss in den Randprovinzen.

Afghanistan hat niemanden bedroht, aber dies jetzt ist der fünfte Krieg, den Europäer führen in Afghanistan: Dreimal die Briten, einmal die Sowjets, und neuerdings die USA, die Nato und wir Deutschen natürlich mit dabei.

Wer greift da wen an? Was wir sehen ist, dass Neokolonialismus, Imperialismus und Militarismus lediglich Worte für ein und dieselbe Sache einer internationalen Aggression rund um den Globus werden sollen. Dagegen müssen wir sein zur rechten Zeit und rechten Stunde, die ist heute! Man erklärt uns, dass wir die Terroristen am Hindukusch, zwischen Herat, Kabul und Kandahar zu jagen hätten. Die Taliban sind keine Terroristen, sie sind an die Macht gedrückt worden von den Vereinigten Staaten von Amerika, um einen unheilvollen Bürgerkrieg in irgendeiner Weise durch Verbündete zu ersetzen. So wie Al Kaida von den Amerikanern eingesetzt wurde, um die UDSSR aus Afghanistan zu treiben. Heute sind es die Russen, die der Nato bescheinigen, dass wir gerade dabei sind, alle Fehler aus dem russischen Besetzungsprogramm zu wiederholen.

Freiheit der Frauen wollten auch die Sowjets, Zugang zu Bildungsmitteln auch die Sowjets. Was sie aber vor allem wollten, war das Diktat ihrer Selbst, der Fingerabdruck von Fremden in einem anderen Land. Genau das treiben wir und deshalb werden wir genau denselben Misserfolg erleben.

Ein Krieg gegen den Terror, wie Georg W. Bush der Jüngere ihn nannte, ist schon begrifflich ein Widersinn. Terror ist kein Gegner, sondern eine Methode der Kriegsführung im Status der Unterlegenheit. Dann aber muss man sich fragen, wer hier der Terrorist ist. Jemand, der sich mit dem eigenen Körper in die Luft sprengt, um maximalen Schaden anzurichten, ist ein Terrorist, vor allem, wenn er das tut vor einer Moschee, auf einem Marktplatz, in einem Omnibus, wo es ganz sicher viele Zivilisten trifft. Was aber ist es, wenn man in Wyoming Predator Drohnen mit Feuerraketen ausgestattet über Pakistan, Wasiristan, über Afghanistan schickt. Und bomben lässt und bomben lässt aus sicherer Entfernung, Kaffee trinkend und das Computerprogramm abrufend. Wer eigentlich ist da der Terrorist, wenn wir hören, dass jetzt in Helmand bei der neuen Offensive mal wieder sieben Tote durch Kollateralschäden, zwanzig Tote durch Kollateralschäden zustande kämen. Der Hass auf die Besatzer, die nur morden können aus sicherer Entfernung, muss jeden infizieren, der sich dies seit Jahren jetzt mit ansieht. Wir jagen nicht die Terroristen, wir sind selber Terroristen in Afghanistan. Und deshalb fordern wir unsere eigenen Soldaten auf zu tun, was manche in Amerika längst getan haben: Den Befehl zum Töten zu verweigern, zu desertieren gegen den eigenen Fahneneid und die vermeintliche Treue zu scheindemokratischen Regimen zu ersetzen durch die Treue zu einer Menschlichkeit, die jeder fühlen kann.

Das Töten von Menschen ist nicht das Retten von Menschen. Das Bomben von Menschen ist nicht das Befreien von Menschen. Die Kinder, die heute acht Jahre alt sind in Afghanistan, gehen mit schreckgeweiteten Augen durch die Straßen und haben nie gesehen den Aufgang eines Morgenrots von Freiheit und Frieden. Wir sind es den Menschen, die da heute leben, schuldig, mit dem Wahnsinn aufzuhören. Man hat im Pentagon sich einfallen lassen zur Propaganda 2001 dieses Krieges natürlich die Frauen mit ins Boot zu holen. Wir führen Krieg tatsächlich für die Frauenrechte! Wenn dies so wäre, hätten die Amerikaner eine Menge zu tun, ihren Prostituiertenhinterhof in Bangkok, die Folgeschäden des amerikanischen Vietnamkrieges mit Hunderttausenden von heroinisierten GI`s endlich aus der Welt zu schaffen. Das wäre Befreiung von Frauen am eigenen Ort. Die Burka jedenfalls hat nichts mit Taliban zu tun, sie war vor ihnen da und sie wird nach ihnen sein. Jetzt aber neuerdings erklären uns Merkel und Herr Guttenberg, wir müssten die Taliban bekämpfen.

Wer eigentlich sind sie, das sie so gefährlich macht? Islamistische Fundamentalisten nennt man sie. Sie denken ganz genauso wie ihre Lehrmeister in Saudi-Arabien. Wahabitische Koranauslegung, das ist ihre Heimat. Dagegen kann man sein oder auch dafür. Es ist ganz sicherlich kein Kriegsgrund. Man hatte im Jahre 2001 im Juni eine Versammlung in Bonn, hier in Deutschland, mit den Taliban. Sie waren damals noch Bündnisgenossen der Vereinigten Staaten von Amerika und es ging um den wichtigen Verhandlungspunkt, den Cheney ins Gespräch brachte, zwei Pipelines zu legen vom Kaspischen Meer zum Persischen Golf. Das verweigerten die Taliban, und damit waren sie dran. Nine-eleven war nichts weiter als ein Vorgang, die Kriegspläne endlich aus dem Sack zu holen. Zu kämpfen aber für Erdgas und für Erdöl, wie gerade schon gesagt wurde, verdient nicht das Blut von Menschen. Weder der Deutschen, der Afghanen, der Amerikaner, der Briten, von wem auch immer. Handelsverträge schließt man im Frieden und im Respekt wechselseitig voreinander.

Amerika hat nicht das Recht zu diktieren, welche Räume relevant sind, um sich selber als Wirtschaftsmacht bei einer Riesenüberschuldung grad noch zu behaupten. Ohne die Chinesen bräche die amerikanische Währung lange schon zusammen. Und wie wir eben hörten, sie wären in der Region die Einzigen, die neutral genug wären, den drohenden Bürgerkrieg nach Abzug der Okkupantenarmee einigermaßen in die Zukunft zu bringen, vielleicht sogar in Frieden noch mit den Indern. Amerikaner haben da nach allem, was sie getan haben, nichts mehr zu verlieren auf Jahrzehnte hin.

Wir Deutsche sind inzwischen genauso eine Bürgerkriegspartei und die Briten haben dort eine Vergangenheit, die so blutbeschmiert ist, dass man sie kaum abwaschen kann von den Wänden der Geschichte. Die alle sind die Letzten, die Afghanen sagen müssten, wie sie zu leben hätten. Es genügt am heutigen Tage aber keineswegs das Thema Afghanistan zu formulieren, weil es in einer langen Reihe einer sorgfältig geplanten Umerziehung des deutschen Bewusstseins, spätestens seit 1991, steht.

Man hat uns beigebracht, in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1955, dass wir der Nato beizutreten hätten. Konrad Adenauer sah die Gefahr des Durchmarschs der UDSSR gleich bis zum Atlantik. Deutsche lernten zehn Jahre nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs mit über 50 Millionen Toten, darunter 20 Millionen russischer Bürger, wieder zu töten. Aber man sagte uns, wir lernen all das Grauen nur, damit wir glaubwürdig abzuschrecken vermögen und deshalb jeden Aggressor fern von unseren Ländern halten; wir sind Soldaten, um nie tun zu müssen, was Soldaten tun - ein moralisches Splitting. Die katholische Kirche erklärte damals sogar, kein Katholik hat das Recht, sich auf sein Gewissen zu berufen und den Wehrdienst zu verweigern. Der Protestant Niemöller erklärte, diese Bundesrepublik ist ein Kind, das man in Washington gezeugt und im Vatikan getauft hat.

Vierzig Jahre lang beschäftigte man sich im Kalten Krieg mit der ausgeglichenen Drohung. Wir hatten Leute an der Macht, die ausrechneten, dass beim atomaren Erstschlag, je nach Winddrehung, 50 Millionen Menschen, 100 Millionen, 150 Millionen Menschen sterben würden, in wenigen Minuten. Diese Leute nennen sich die Gewinner des Kalten Krieges - die Vertreter von Recht, Moral und Freiheit! Wir sollten uns allen Ernstes fragen, ob sie nicht einen Sprung in der Schüssel haben und ganz woanders hingehören als in irgendein Parlament oder irgendeine Regierungsbank.

Im Jahre 1989, mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und der beginnenden Auflösung des Warschauer Paktes, hat Michael Gorbatschow einen Vorschlag aufgegriffen, der 1956 schon vom polnischen Außenminister Rapacki lanciert worden war: Abrüstung in Gesamteuropa, von Weißrussland bis Cap Finisterre in Frankreich bis zum Ende der Welt. Gorbatschow schlug dasselbe wieder vor in der Hoffnung, wir könnten die gigantischen wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten konvertieren in zivile Ziele und eine europaweite Kooperation. Genau daraus sollte nichts werden unter Bush dem Älteren und Kanzler Kohl. Man plante die Ostausdehnung der Nato. Seitdem haben wir den Zustand, in dem wir uns jetzt befinden.

Inzwischen werden Raketen postiert in Polen, Rumänien, Bulgarien. Aber Russland darf dagegen nichts sagen. Inzwischen agitiert die Nato in Georgien, destabilisiert sie die Ukraine, hat sie einen Fahrplan für weitere Kriege: Somalia, den Jemen, wo eigentlich nicht? Im Zielrohr liegt schon längst der Iran mit einem Haufen von verdrehten Zitaten von Ahmadinedschad zur Ausrottung von Israel, was er so nie gesagt hat. Raketenschilde gegen Raketen, die überhaupt nicht da sind und ganz sicher nicht Israel angreifen, indem sie Polen oder Deutschland überfliegen. All dieser Irrsinn wird gemacht, indem wir Deutsche aufgefordert werden Schritt zu fassen. In wenigen Momenten, 1991 in Kuwait, bezahlen wir nach Scheckbuchpolitik, dass wir noch nicht dabei sind. Die Lüge, die damals die Friedensbewegung schwächte, war Bush dem Älteren bekannt. Die Szenen von den Kindern, die man aus den Brutkästen holt und auf den Steinboden des Krankenhauses wirft, Aufnahmen waren dies, gedreht in London mit der kuwaitischen Botschafterin, eine Propaganda, die Bush der Ältere vierzigmal auf den Straßen wiederholt hat, um uns kriegswillig zu machen gegen solche Barbaren.

1992 in Somalia hatten wir unter Kohl zum ersten Mal Sanitäter in Somalia bei der Jagd nach dem Clanchef Aidid. 1998 zeigten die ehedem pazifistischen Grünen, dass sie nichts weiter sind, als Köpfe, die auf Hälsen sitzen, so bestrebt wie ein Korkenzieher nach dem Wein, so gierig nach der Macht. Denn so erklärte plötzlich Außenminister Joschka Fischer den Plan von Milosevic in Hufeisenzangenbewegung das Kosovo von Albanern zu reinigen. Diesen Plan hat es nicht gegeben, es war der Krieg von Madeleine Albright. Aber zum ersten Mal bombardierten deutsche Kampfflugzeuge wieder Belgrad. Das war grüne Politik und seitdem sind wir dabei, Kriege akzeptieren zu sollen in der deutschen Bevölkerung. Unbedingte Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika: Schröder und Fischer 2001. Dass wir nicht auch im Irak stecken, liegt daran, dass Frau Merkel damals noch nicht Kanzlerin war. Sie hatte nötig, ohne jedes Amt, nach Washington zu fahren und Bush dem Jüngeren zu erläutern, dass unter ihrer Aegide natürlich Deutsche sich beteiligen würden. Jetzt sitzen wir dabei und sollen lernen, dass Kriegführen wieder eine gute Sache sei. Die „Zeit“ vor zwei Wochen schrieb tatsächlich: Wir leben jetzt in Zeiten solcher humanitären und internationalen Aufgaben und Verpflichtungen, dass ein fundamental-pazifistischer Reflex aus der Nachkriegszeit von 1945 obsolet geworden ist. Herr ….. : Pazifismus ist nicht etwas, das sich nach den Zeitläufen dreht, wie vielleicht Ihr eigenes Zeitungsblatt nach dem Winde der Regierenden. Pazifismus ist eine Überzeugung von hoher moralischer Qualität und sie hält Stand der Propagandalüge in den Medien - elektronisch wie in den Printmedien.

Wir haben keine humanitären Verpflichtungen, wir haben eine Bündnistreue einer Bewegung der Nato nämlich gegenüber, die längst mutiert ist von einem sogenannten Verteidigungsbündnis - das es im Grunde niemals war, eher ein Angriffsbündnis, heute auf jeden Fall - zu einer kriminellen Vereinigung, welche die gesamte Welt verunsichert. Schlimmer als die Mafia haben wir die Nato. Bündnistreue kann es wohl nur geben denjenigen gegenüber, die zumindest die Bedingungen des Bündnisabschlusses einhalten. Ändern sich die Bedingungen, hat man ein Recht auszutreten.

Selbst Herr Bahr, damals unter Brandt einer der Brückenbauer der Ost-West-Verständigung, konnte vor Jahren bereits sagen: Eine Abrüstung wird es schon deshalb geben, weil die Rüstung gar nicht mehr bezahlbar ist. Und ich versuchte damals zu sagen: Herr Bahr, warum beginnen wir denn dann nicht jetzt in Freiheit schon, statt dass wir aus der Pleitewirtschaft langsam immer noch Panzer gerieren müssen.

Die Wahrheit lautet heute unter Obama, dass alleine die Vereinigten Staaten von Amerika mehr als noch Georg W. Bush, siebenhundert Milliarden Dollar ausgeben, nur für Rüstung. Mehr als die Hälfte der Menschheit. Dass wir in Deutschland hier fünfunddreißig Milliarden Euro verplämpern nur für Rüstung. Wir haben scheinbar Geld für gar nichts, für Rüstung aber immer. Stattdessen haben wir einen Außenminister, der die Militarisierung der deutschen Außenpolitik nicht einmal als Thema zu begreifen scheint. Stattdessen aber „ herumturtelt“, um Elfmillionen Deutsche - 15 % der Bevölkerung - als Hartz 4 Empfänger in einer Weise zu beschimpfen, die einfach infam und übel ist. Jeder 7. Deutsche, von Herrn Westerwelle angeklagt als möglicherweise arbeitsunfähig. Man sollte nicht das Versagen in der Außenpolitik umschichten durch ein noch schlimmeres Vergehen in der Innenpolitik. Es braucht nun wirklich keine höhere Bildungsoffensive, um ein wenig Mathematik zu treiben: Der Krieg in Afghanistan kostet schätzungsweise täglich eine Milliarde Dollar. Bei 15 Millionen Menschen in Afghanistan bedeutet das pro Tag 70 000 Dollar. Könnten Sie sich vorstellen, was mit diesen Summen anzufangen wäre in Afghanistan, kämen sie den Menschen mal zugute? Wir hätten keinen Mohnanbau, wir hätten keinen Entwicklungsrückstand, wir hätten ein wohlbehütetes prosperierendes Volk. Aber mit Bomben und mit Militär erreichen wir genau das Gegenteil.

Die UNO erklären uns, dass man für 20 Milliarden Dollar schätzungsweise allen Menschen der Erde Zugang zu Trinkwasser verschaffen könnte. Für eine gleiche Summe die Slums der Großstädte auflösen könnte. Eine Welt rings um Mexiko-City, Madras, Bombay, Kairo ohne Slums für 20 Milliarden. Das ist weniger als ein Dreißigstel des Militärhaushaltes der Vereinigten Staaten von Amerika. Stattdessen schützen wir uns militärisch vor Immigranten. 6000 Menschen machen das Mittelmeer zu einem Massengrab für Flüchtlinge vor dem blanken Hunger. Und wir Deutsche haben keine bessere Antwort dafür als Frontex, Frontières extérieures - bezahlt hier in Berlin, Sitz in Warschau - auf die Menschen loszulassen.

Wir führen Krieg gegen die Natur die wir ausbeuten, gegen die Hungernden, die wir ins Elend treiben. Und all die Schäden, die wir mit dem Krieg und der Kriegsvorbereitung anrichten, haben wieder nur eine Antwort: Krieg. Wir sitzen in einem Teufelskreis, aus dem wir heraus müssen, indem wir den Lügen der Regierenden nicht länger glauben. Und die Zwanzig¬jährigen, die man auffordert zur Bundeswehr zu gehen, inzwischen sogar unter Beihilfe der Universitäten und der Schule, die die Propagandisten aufnehmen sollen, denen können wir nur sagen: Krieg dient niemals dem Frieden. So wenig wie Lügen der Wahrheit dienen und so wenig wie Katzen Hunde sind - Krieg ist das Töten von Menschen, eine andere Aufgabe hat ein Soldat nicht als genau das zu lernen. Eben deswegen ist zu fordern, dass wir Pazifismus nicht als einen Reflex in politischen Krisenlagen verwenden oder unter dem Druck von öffentlicher Angst, sondern als Prinzip begreifen. So wie in den zwanziger Jahren Albert Einstein, Hermann Hesse, Henry Barbusse, viele Leute, die man heute noch sehr lesen kann und lesen muss, öffentlich gefordert haben die Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht. Und nicht wie Westerwelle und die Gelben es möchten zum Ersatz durch eine Berufsarmee, sondern um einen Schnitt durch die ganze Geschichte zu machen: Niemals mehr junge Menschen, die das Töten und den Drill auf den Kasernenhöfen ableisten müssen im Dienst für ein falsch verstandenes Vaterland. Wir werden einen wirklich kulturellen Fortschritt nur erleben, wenn der Krieg nicht länger mehr den Regierenden als Option des Handelns konzediert wird. Denn durch dieses Schlupfloch werden sie uns von einer Hölle in die andere jagen.

Sobald man Krieg sagt, fallen wir um Jahrtausende zurück in die Steinzeit und verlieren die Option der Zukunft. Stattdessen müsste die Entwaffnung aller Nationalarmeen einhergehen mit der Stärkung der UNO als der einzigen Krisenstelle, die bei Konflikten, die lokal nicht lösbar sind, die Macht hat, Recht zu sprechen und auch durchzusetzen. Dann aber brauchen wir keine amerikanische Hegemonialpolitik, die die UNO stranguliert oder als Propagandabühne missbraucht.

Die Frage bleibt, welch eine moralische und religiöse Unterstützung wir in diesem Punkte erhoffen können. Kaum spricht Bischöfin Käßmann zum Neujahrstage Worte, die ein wenig neu klingen, hat sie von der katholischen Kirche bis heute kein einziges Wort der Unterstützung auf hoher Ebene. Stattdessen aber von den christlich sich gebenden Parteien jeden Widerstand. Politik hat frei zu sein von religiöser Beeinflussung. Als wäre es möglich, die menschliche Seele zu teilen in das, was die Hände tun und was das Herz fühlt und der Kopf denkt. Diese Chirurgie sollte man im Reichstag nicht noch länger fördern. Man nennt sie schizophren in der Psychiatrie und gemeingefährlich in der Kulturhistorie. Vor allem wollen wir nicht hören, wie Militärbischof Mixa noch erklärt, als die AWACS – Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan geschickt wurden, das könne er noch gerade mittragen. Ich bin gespannt am kommenden Montag, wie er da sich verlautbaren lässt.

Schließen möchte ich mit einem Aufruf, der 1947 in einem Baseler Spital von einem lungenkranken Dichter, Wolfgang Borchardt, als Vermächtnis an die Menschheit formuliert wurde. Wir wissen um das Grauen, was der zweite Weltkrieg war, und was jeder Krieg danach noch werden würde.

„Mann an der Werkbank“, schrieb er, „wenn sie wieder kommen und dir sagen du sollst statt Rohren und Eimern Handgranaten und Kanonen ziehen: Mann an der Werkbank sag: Nein. Und Mutter in Deutschland, Mutter in der Ukraine, wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst Kinder gebären, Söhne für die Schützengräben, Mädchen für die Spitäler, Mutter in Deutschland, Mutter in der Ukraine sag: Nein. Und Wissenschaftler in den Universitäten, wenn sie wieder kommen und sie sagen, du sollst den neuen Tod erfinden für das alte Leben, Mann im Labor, sag ihnen Nein. Und Pfarrer auf der Kanzel, wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst die Waffen segnen und den Krieg rechtfertigen, Mann auf der Kanzel sag: Nein.“

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie heute hier sind, Nein zu sagen.


Zurück zum Dossier "Truppen raus aus Afghanistan!"

Zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage