"Die bekannte Mär von den Aufbauleistungen in der afghanischen Nordregion"
Enttäuschende Regierungserklärung des Außenministers im Bundestag - Reaktion der Friedensbewegung
Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensrataschlag zur Regierungserklärung Westerwelles, die am 10. Februar 2010 im Bundestag abgegeben wurde. Zugleich wurde der Antrag der Bundesregierung auf ein neues Mandat für die Bundeswehr in Afghanistan bekannt (hier als pdf-Datei).
Friedensratschlag zur Afghanistan-Debatte
Der Krieg in Afghanistan wird eskalieren - Die Kosten für den Krieg explodieren
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, Berlin, 10. Februar 2010 - Die
Regierungserklärung des
Außenministers Westerwelle zur Afghanistanpolitik fiel ebenso
enttäuschend aus wie das von der Bundesregierung beantragte neue Mandat
für die Bundeswehr. Dies stellen die Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag in einer Erklärung fest und fordern die Abgeordneten
des Bundestags auf, die Erweiterung des Kriegsmandats abzulehnen.
Der Bundesaußenminister wiederholte die bekannte Mär von den
Aufbauleistungen in der afghanischen Nordregion - ohne zu erwähnen, dass
die Analphabeten-Quote nicht gesunken ist, ein zunehmend großer Teil der
Bevölkerung von Hunger bedroht wird, die mehr als 100.000 NATO-Soldaten
nicht zur Stabilisierung des Landes beitragen konnten, Frauen- und
Menschenrechte keineswegs durchgesetzt werden konnten. Das einzige, was
sich wirklich signifikant entwickelt hat, sind die Drogenproduktion und
die Korruption. Der Westen tut nach wie vor so, als sei der mit Hilfe
von Wahlmanipulationen wieder "gewählte" Präsident Karzai ein Garant für
Fortschritt und Demokratie am Hindukusch.
In den letzten Wochen war häufig die Rede davon gewesen, die
Mandatsobergrenze von 4.500 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in
der Nordregion Afghanistans um 2000 bis 2500 anzuheben. Dass es nun
"nur" ein Plus von 850 sein soll, ist nicht nur auf eine interne
"Umschichtung" zugunsten von mehr Ausbildern zurückzuführen, sondern auf
den Umstand, dass 5.700 US-Soldaten aus dem Süden in die von Deutschen
befehligte Nordregion verlegt werden. Die deutschen Soldaten sollen mehr
"in der Fläche" präsent sein, somit ihre Camps verlassen, um mit
afghanischem Militär gemeinsam Territorien zu kontrollieren ("hold").
Das setzt allerdings voraus, dass aus diesen Gebieten zuvor die
Aufständischen vertrieben oder getötet werden müssen ("clear"). Dafür
sollen die zusätzlichen US-Kampfeinheiten zuständig sein.
Wer nun aber denkt, es handle sich hier um eine Arbeitsteilung nach dem
Muster: hier die USA, die für das schmutzige Töten zuständig sind, dort
die Deutschen, welche die "feine" Ausbildung des afghanischen Militärs
übernehmen, irrt sich gewaltig. Der US-Botschafter hat klargestellt,
dass "der deutsche Befehlshaber im Sektor Nord alle Streitkräfte in
seinem Sektor befehligt - auch die amerikanischen." Noch mehr als zuvor
fungiert die Bundeswehr als Kampftruppe im Verbund mit den anderen
NATO-Kräften. Die Verlegung der zusätzlichen Kampftruppen in den Norden
ist auch ein Eingeständnis, dass sich die Lage dort eher weiter
destabilisiert hat als umgekehrt.
Die beantragten Mehrkosten für die Mandatserhöhung in Höhe von 271,5
Millionen Euro steigern die Gesamtkosten des Bundeswehreinsatzes in
Afghanistan in den kommenden 12 Monaten auf knapp 1,1 Milliarden Euro.
Das bedeutet eine Kostenexplosion von 85 Prozent binnen eines Jahres
(von monatlich 49,14 Millionen auf 90,9 Millionen Euro.) Die
gleichzeitig angekündigte Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben auf 430
Mio. Euro kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Schieflage
zwischen militärischem und zivilem Engagement strukturell bestehen bleibt.
Die Friedensbewegung warnt die Bundesregierung davor, weiterhin in so
eklatanter Weise gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung zu verstoßen.
Alle Umfragen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit die Erhöhung der
Truppen strikt ablehnt und für eine schnellstmögliche Rückführung der
Bundeswehr plädiert.
Am 20. Februar, wenige Tage vor der Abstimmung im Bundestag, wird die
Friedensbewegung in Berlin auf die Straße gehen und in einem
bundesweiten Protest den Mehrheitswillen der Bevölkerung zum Ausdruck
bringen. Es ist höchste Zeit, dass die Parlamentarier die Fortsetzung
und Eskalation des Krieges nicht mehr abnicken, sondern sich stattdessen
für den sofortigen Beginn des Abzugs der Bundeswehr einsetzen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski, Kassel
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