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Neue bunte Bündnisse bei Ostermärschen

Zehntausende verlangten bundesweit: Endgültiger Atomausstieg und sofortige Beendigung der Kriegseinsätze *

Mit Kundgebungen, Friedensgebeten, Protestwanderungen, Fahrraddemonstrationen und anderen Aktionen wurden die diesjährigen Ostermarschveranstaltungen am Montag beendet. Die Veranstalter zeigten sich erfreut über die gewachsene Teilnehmerzahl.

In über 100 deutschen Städten hatten sich zwischen Karfreitag und Ostermontag Demonstranten versammelt. Hinzu kamen zahlreiche Kundgebungen an Atomkraft-Standorten. Verglichen mit dem vergangenen Jahr verbuchten die meisten Ostermärsche eine gewachsene Teilnehmerzahl. Offensichtlich hatte die bundesweite und parteienübergreifende Forderung »Kriegseinsätze beenden und Atomkraft stoppen« viele, vor allem junge Menschen angesprochen. Für den Ausstieg aus der Atomenergieerzeugung gingen Menschen ebenso auf die Straße wie gegen die NATO-Militäreinsätze in Afghanistan und Libyen. Verlangt wurde ein Ende der Rüstungsexporte. Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«, betonte, dass Protest notwendig sei, weil man den Ausstiegsbeteuerungen der Bundesregierung nicht trauen könne. »Wir sind erst zufrieden, wenn das Denken in Restrisiken ein Ende hat und die AKW stillgelegt werden.«

Dass die Anti-Atom-Bewegung in diesem Jahr bei zahlreichen Ostermärschen dabei war, sie teilweise geprägt hat, wurde von der Friedensbewegung als »Bereicherung und Erweiterung der eigenen Agenda« begrüßt. Die Losung »Kriegseinsätze beenden und Atomkraft stoppen« werde auch künftig Richtschnur für die Arbeit des Bundesausschusses Friedensratschlag sein, betonte dessen Sprecher Peter Strutynski. Zum Abschluss der Ostermärsche fanden Aktionen unter anderem in Lubmin, Chemnitz, Magdeburg, Hamburg, Grohnde, Kassel, Frankfurt am Main, Biblis, Müllheim, Nürnberg, München und Landshut statt. Der vielfältig gestaltete Ostermarsch Ruhr ging in Dortmund zu Ende.

Gegen die Einlagerung von Kohlendioxid gingen zahlreiche Brandenburger am Wochenende auf die Straße. Am Montag hatten Bürgerinitiativen im südthüringischen Schalkau zu einem Ostermarsch gegen die umstrittene Starkstromtrasse durch den Thüringer Wald aufgerufen. Beim Truppenübungsplatz Ohrdruf fanden sich Demonstranten ein. Ein Bündnis der LINKEN, von Grünen, Gewerkschaften und dem Thüringer Verein Friedenskoordination forderte eine zivile Nutzung als Energie- und Umweltpark. Auch Gegner des Gefechtsübungszentrums in der Colbitz-Letzlinger-Heide (Sachsen-Anhalt) waren unterwegs. Der Protest des Bündnisses Offene Heide richtet sich insbesondere gegen die Ausbildung für den Afghanistaneinsatz. Auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und der Schweiz fanden Aktionen statt. In Bulgarien protestierten Umweltschützer gegen ein neues AKW.

* Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011


Zulauf für Ostermärsche

Während die Angst vor Atomkraft eint, bleibt das Thema Interventionskrieg ein heißes Eisen. Nur wenig grüne Fahnen bei traditionellen Friedensdemonstrationen

Von Claudia Wangerin **


Fukushima, Tschernobyl – was zu viel ist, ist zu viel«, war eine der Parolen, die auf den diesjährigen Ostermärschen der Friedensbewegung am Wochenende gerufen wurden. Auf zahlreichen Transparenten forderten die Teilnehmer der bundesweit rund 80 Ostermärsche den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft und die Abschaffung von Nuklearwaffen – aber auch das Ende des NATO-Interven­tionskriegs in Libyen sowie den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und den Stopp ihrer Nachwuchswerbung in deutschen Schulen und Arbeitsagenturen.

Nicht zuletzt, weil zahlreiche Anti­atomaktivisten Ostern ihre Forderungen auf die Straße trugen, konnten die Organisatoren einen Teilnehmerzuwachs feststellen (siehe Spalte rechts).

In Berlin startete der Demonstrationszug am Samstag mit rund 4000 Teilnehmern vor der Zentrale des Energiekonzerns Vattenfall in der Chausseestraße und zog an den Vertretungen der Konzerne EnBW, RWE und E.on sowie den Botschaften der Atommächte USA, Großbritannien, Frankreich und Rußland vorbei zum Potsdamer Platz. Während Linkspartei und DKP gut sichtbar vertreten waren, hielten sich die Grünen, die sich im Zuge der Reaktorkatastrophe von Fukushima als Antiatompartei Nummer eins profilieren konnten, bei dieser Gelegenheit eher bedeckt, was wohl an den friedenspolitischen Themen lag. Nur ein paar Mitglieder ihrer Nachwuchsorganisation Grüne Jugend verteilten Aufkleber, und der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele nahm als Einzelperson an der Demo teil. Andere prominente Grünenpolitiker hatten in den letzten Wochen als Hardliner von sich reden gemacht und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wegen der deutschen Zurückhaltung beim Libyen-Krieg kritisiert. Als Kommentar zu »humanitären« Interventionskriegen erklang beim Berliner Ostermarsch aus dem Lautsprecherwagen ein Song von Kai Degenhardt: »Es gibt tausend gute Gründe, und einer wird es sein: Menschenrechte, Babyleichen – Boys, wir gehen rein!«

Bundesweit verurteilten zahlreiche Redner Krieg als Mittel der Politik. »Die NATO fungiert in Libyen als Luftwaffe einer Bürgerkriegspartei«, erklärte Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag.

In München, wo etwa 900 Menschen gegen Krieg und Atomkraft demonstrierten, betonte ein Kundgebungsredner, die Ablehnung der NATO-Angriffe in Libyen bedeute keine Akzeptanz der Politik von Ghaddafi. Claus Schreer vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus erinnerte daran, daß die Ostermärsche der 60er Jahre sich gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr gerichtet hatten, die dann tatsächlich verhindert wurde.

Am Ostermontag fanden weitere Großdemonstrationen an zwölf deutschen Atomstandorten statt. Besucht wurden die Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein, Grohnde und Esenshamm in Niedersachsen, Biblis in Hessen, Philippsburg und Neckarwestheim in Baden-Württemberg, sowie Grafenrheinfeld und Gundremmingen in Bayern. Außerdem protestierte die Antiatombewegung gegen die Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau, das Atommüllager in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern, und das geplante Endlager Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter. Allein in Biblis demonstrierten nach Veranstalterangaben rund 17000 Menschen.

** Aus: junge Welt, 26. April 2011


Erste Großdemo nach 30 Jahren

Gronau erlebte die bislang größten Proteste gegen die Urananreicherungsanlage

Von Marcus Meier ***


Seit 1981 kämpfen die Aktivisten vor Ort gegen die Urananreicherungsanlage in Gronau. Gestern fand dort erstmals eine Großdemonstration statt, mit dem Motto: »Alle Atomanlagen sofort stilllegen und Atomwaffen vernichten«.

In der Westmünsterlandbahn, die die Westfalenmetropole Dortmund mit dem niederländischen Enschede verbindet, ist die Stimmung gelöst. Junge Damen parlieren mit mittelalten Familienvätern über die bayerische Trinkkultur und die Vor- wie Nachteile von Ingwer-Chili-Bier aus Sri Lanka. An ihren Jacken und T-Shirts prangen Buttons. Sie zeigen eine rote Sonne nebst fernöstlicher Schriftzeichen: »Atomkraft, nein danke!« auf Japanisch. »Sofort aussteigen«, ist, diesmal in deutscher Sprache, auf einem T-Shirt zu lesen. Knäckebrot knackt.

Doch zunächst ist nicht Aussteigen (aus der Atomkraft), sondern Einsteigen angesagt. Sukzessive füllt sich der Zug, je weiter er in die Provinz vordringt, desto unbürgerlicher das Outfit der Atomkraftgegner, die auch an Weilern wie Lette oder Holtwick dazukommen und ihre Transparente verstauen. Doch die Bummelbahnfahrer sind nicht die einzigen, die gestern den Weg ins Münsterland suchten: Über 50 Busse mit AKW-Gegnern sind unterwegs und ein paar Dutzend Traktoren noch dazu. Das Ziel ihres Ostermontagsausfluges: Die Stadt Gronau, kurz vor der deutsch-niederländischen Grenze gelegen. Udo Lindenberg wurde hier geboren, das weiß der Popmusikfan, und entsprechend haben die Stadtväter und -mütter ein »rockn-pop«-Museum bauen lassen.

Überregional von noch größerer Bedeutung ist jedoch die Urananreicherungsanlage der Firma Urenco. Die ist zwar die einzige ihrer Art in ganz Deutschland und liefert Uran an die halbe Welt – auch nach Japan. Doch findet just an diesem Tage zum ersten Mal eine wirklich große Demonstration gegen die UAA statt. Über 10 000 Menschen werden es.

Udo Buchholz ist sichtlich zufrieden: Seit 1981 kämpft sein Arbeitskreis Umwelt Gronau (AKU) gegen die Urananreicherung. Bisher meist in kleinem Rahmen. »Das ist auf jeden Fall die größte Demo hier, das ist ein Riesenerfolg für Gronauer Verhältnisse.« Rund 130 Initiativen, Verbände und Parteigliederungen hatten zur Teilnahme am Ostermarsch Gronau aufgerufen, einer von zwei zentralen Abschlussaktionen des Ostermarsches in NRW. Die Organisatoren forderten die rot-grüne Landesregierung auf, die Betriebsgenehmigungen der UAA aufzuheben. Weder sei die Anlage gegen Flugzeugabstürze gesichert, noch könne der in großen Mengen dort anfallende Uranmüll sicher entsorgt werden, so ihre Argumentation. Die Demonstranten nahmen auch Bezug auf die Tschernobyl-Katastrophe vor einem Vierteljahrhundert und die jüngsten Ereignisse in Japan. Niemand könne eine Technik verantworten, »die keine Fehleinschätzung verzeiht und solche langandauernden, nicht wiedergutzumachenden Schäden verursacht«. Das sei die klare Botschaft aus Fukushima, so Paul Kröfges, NRW-Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit stehe über dem Recht auf Gewinnerzielung, betonte der Verbandsfunktionär.

Die Tausenden Teilnehmer demonstrierten zugleich gegen die militärische Nutzung der Atomkraft. NRW sei nicht nur von Atomkraftwerken umgegeben, sondern auch von US-Atomwaffen, betonte Joachim Schramm von der DFG/VK. Auch könne die in Gronau verwendete Technologie zur Herstellung von atomwaffenfähigem Uran genützt werden. »Die zivile Nutzung der Atomkraft ist das Einfallstor zur Herstellung von Atomwaffen«, so Schramm. Uranmüll aus Gronau wird auch an vier russische Standorte transportiert, berichtet Raschid Alimow von der Umweltorganisation Öko-Perestrojka. Völlig ohne Dach stünde der radioaktive Müll. Man könne die Fässer sogar auf Satellitenbildern sehen. »Wir haben die Lektionen von Tschernobyl nicht gelernt«, kritisiert Alimow.

Postsowjetische Schlamperei? Nicht ganz. »Auch bei uns in Gronau stehen die Fässer unter freiem Himmel«, erinnert Udo Buchholz. Die Rede ist von über 50 000 Tonnen Uranmüll. Bereits eine halbe Stunde vor der Auftaktkundgebung ist der Gronauer Bahnhofsvorplatz prall gefüllt. Man muss zusammenrücken, damit die neu Hinzuströmenden Platz finden. Rote Fahnen (DIE LINKE, SPD, IG Metall) sind durchaus nicht selten, dominieren aber nicht. Präsenter sind die gelben Anti-AKW-Flaggen. Auf der improvisierten Bühne singt ein in Ehren Ergrauter: Klaus der Geiger, Protest-Urgestein im Westen der Republik. Er stimmt ein Lied an, das er bereits Ende der 1970er-Jahre zum Besten gab – nach der Katastrophe in Harrisburg, bis Tschernobyl der übelste Unfall in der Geschichte der angeblich friedlichen Nutzung der Atomkraft. »Das ist noch erstaunlich aktuell«, ärgert sich der Kölner.

*** Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011


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