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Ostermärsche gegen das "Bombenrisiko Atomkraft"

Geplant sind 80 Demonstrationen in ganz Deutschland für Frieden, Abschaffung von Atomwaffen und Ausstieg aus der Kernenergie

Von Markus Drescher *

Unter dem Eindruck des 25. Jahrestags des Super-GAU in Tschernobyl und der Atomkatastrophe in Fukushima gehen an diesem Osterwochenende Friedens- und Anti-AKW-Bewegungen auf die Straße.

Krieg und die zerstörerische Kraft der Atomkraft – das sind die traditionellen Themen der Ostermärsche. Wenn an diesem Osterwochenende tausende Menschen dagegen protestieren, geben Afghanistan, Libyen, Tschernobyl, Fukushima den Schrecken einen Namen: Vor fast zehn Jahren begann der bis heute andauernde Krieg in Afghanistan. In Libyen versucht die NATO, das Gaddafi-Regime wegzubomben. Am kommenden Dienstag jährt sich der Super-GAU in Tschernobyl zum 25. Mal. Und nach dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan nimmt dort die Atomkatastrophe im AKW Fukushima ihren verhängnisvollen Lauf.

Insbesondere der Tschernobyl-Jahrestag und die Ereignisse in Fukushima werden die Proteste am Osterwochenende prägen – und Friedens- und Anti-Atom-Bewegung an vielen Orten zusammenführen. Gemeinsam fordern sie den Ausstieg aus der Atomkraft. Als Friedensbewegung habe man zweierlei gelernt, so Peter Strutynski, der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag: »Erstens: In der Langzeitwirkung unterscheidet sich ein Atombombenabwurf wenig von der Kernschmelze eines Atomreaktors. Zweitens: Die zivile Nutzung der Kernkraft bildet die technologische und materielle Grundlage für die Anreicherung von Uran und die Herstellung waffenfähigen Plutoniums.« Das Motto der Demonstration in Büchel, wo für den Abzug der dort gelagerten US-amerikanischen Atomwaffen protestiert wird, bringt es kurz und knapp auf den Punkt: »Atomkraft – ein Bombenrisiko«.

In der aktuellen atompolitischen Debatte wollen AKW-Gegner zudem »ein klares Signal an die Bundesregierung« senden, erklärt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«: »Diese Gesellschaft ist nicht länger bereit, mit den Risiken der Atomtechnologie zu leben.« Am Ostermontag sind zwölf Großdemonstrationen an den AKW in Brunsbüttel und Krümmel (Schleswig-Holstein), Esenshamm und Grohnde (Niedersachsen), Biblis (Hessen), Philippsburg und Neckarwestheim (Baden-Württemberg), Gundremmingen und Grafenrheinfeld (Bayern), an der Urananreicherungsanlage in Gronau (NRW), rund um die Endlagerprojekte Asse und Schacht Konrad (Niedersachsen) sowie am Atommülllager Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) geplant.

Doch nicht nur Tschernobyl und Fukushima, auch Afghanistan und Libyen mahnen. Sind die beiden Atomkatastrophen der Beleg für den Ruf »Atomkraftwerke abschalten«, untermauern die beiden Militäreinsätze die Forderung »Frieden schaffen ohne Waffen«. Am Hindukusch tobt seit fast zehn Jahren unter der Beteiligung der Bundeswehr ein Krieg, der bisher keines der Probleme des Landes gelöst, aber tausende Menschenleben gekostet hat. Mit dem Entschluss zum militärischen Einsatz auf Seiten des Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi könnte sich in Libyen eine ähnliche tödlich-verfahrene Situation entwickeln. Noch sind es »nur« Luftangriffe, die nicht den gewünschten Erfolg bringen. Sind es bald Bodentruppen?

Über 80 Aktionen der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung, manche davon gemeinsam organisiert, wird es bis Montag geben. Über 80 Mal die Gelegenheit für alle jene auf die Straße zu gehen, die genug haben von Bildern explodierender Reaktoren und Bomben, von vor Strahlung und Gewalt fliehender Menschen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. April 2011


Abschalten & verschrotten

Gegen Krieg und Atom, für Frieden und Atomausstieg: Gemeinsame Kundgebungen von Ostermarsch- und Antiatombewegung. USA eskalieren Intervention in Libyen **

Mit Kundgebungen, Aktionen und Veranstaltungen in mehreren Städten begannen am Freitag (22. April) die diesjährigen Ostermärsche. Bei der traditionellen Kundgebung von »Hanauer Friedensplattform« und DGB Südhessen in Bruchköbel sprachen u. a. die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (Die Linke) und die 2. Bevollmächtigte der IG Metall Frankfurt am Main, Kathinka Poensgen. In Dortmund gedachten Vertreter der Stadt und des Internationalen Rombergpark-Komitees am Mahnmal in der Bittermark der 300 Männer und Frauen, die dort Karfreitag 1945 von der Gestapo ermordet wurden. Die von der VVN-BdA Westmecklenburg-Schwerin veranstaltete zweite Aktionsfahrradtour auf jenem Weg, den der Todesmarsch von Zehntausenden Häftlingen des Konzentra­tionslagers Sachsenhausen im April 1945 nahm, erreichte am Freitag die Gedenkstätte Belower Wald. Schon am Gründonnerstag wurde in Erfurt »Für den Abzug der Truppen aus Afghanistan, die Abschaffung der Atomwaffen und die Stillegung der Atomkraftwerke« demonstriert.

Dies sind auch die zentralen Forderungen der insgesamt mehr als 80 Veranstaltungen der Friedensgruppen am Osterwochenende. Zum 25. Jahrestag von Tschernobyl am 26. April und unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima sind für den Ostermontag (25. April) Großdemonstrationen vor zwölf Atomkraftwerken in der Bundesrepublik angekündigt. Am Ostersamstag finden Kundgebungen u. a. in Rostock, Kiel, Wedel, Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Braunschweig, Hannover, Oldenburg, Osnabrück, Bielefeld, Hövelhof (Senne), Düsseldorf, Köln, Duisburg, Gelsenkirchen, Gummersbach, Berlin, Leipzig, Ohrdruf, Gießen, Mainz/Wiesbaden, Erbach/Michelstadt, Ramstein/Landstuhl, Saarbrücken, Ellwangen, Mannheim, Heilbronn, Stuttgart, Erlangen, Würzburg, Ansbach, München, Augsburg und Traunstein statt.

Wie dringend die Forderung nach Frieden sind, machten die Ereignisse in Libyen in den letzten Tagen deutlich. Die USA kündigten den Einsatz sogenannter Drohnen gegen Regierungstruppen an. US-Präsident Barack Obama habe dies »wegen der humanitären Lage« in den umkämpften Gebieten entschieden, teilte US-Verteidigungsminister Robert Gates am Donnerstag in Washington mit. Der Einsatz unbemannter Flugkörper in Libyen sei ein »bescheidener Beitrag« der USA zu den Bemühungen des NATO-geführten Bündnisses, die Zivilbevölkerung vor Ghaddafis Truppen zu schützen. Libyens Regierung erklärte, durch das Vorgehen würden noch mehr Zivilisten sterben.

Mehr als 1000 Flüchtlinge wurden am Donnerstag (21. April) aus der umkämpften libyschen Stadt Misrata nach Bengasi verschifft; an Bord waren auch die Leichen von zwei am Mittwoch getöteten Fotografen. Der Brite Tim Hetherington und sein US-Kollege Chris Hondros wurden von einer Mörsergranate getroffen. Am Freitag traf US-Senator John McCain in Bengasi ein und sicherte den Ghaddafi-Gegnern weitere Hilfe zu. (dapd/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 23. April 2011


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