"Die Friedensbewegung kann einen Unterschied machen"
Von Christine Buchholz *
Für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan
Dieses Ostern demonstrieren auf der ganzen Welt zehntausende Menschen anlässlich des fünften Jahrestags des Irakkriegs. Sie protestieren gegen die weitere Besatzung des Iraks, gegen die Besatzung Palästinas und die Blockade des Gazastreifens durch Israel. Und sie wehren sich gegen den Krieg in Afghanistan.
Wir grüßen alle Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner auf der Welt. Uns eint die Ablehnung des Krieges und der Wunsch nach einer gerechten Welt, in der nicht Ausbeutung und Konkurrenz die Beziehungen zwischen Menschen und Staaten bestimmen, sondern Gerechtigkeit und Solidarität.
Der US-geführte Krieg gegen den Irak führt uns die Folgen einer Politik vor Augen, die auf die so genannte Sicherung der geostrategischen Interessen einer Großmacht zielt, vor allem auf die Kontrolle über den Zugang zum Öl.
Bisher sind über 650.000 Menschen an den Folgen des Irakkrieges gestorben und vier Millionen Menschen geflohen. Die Infrastruktur des Landes liegt in Trümmern, vielerorts ist die Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität zusammengebrochen. Das Teile-und-Herrsche-Prinzip des Besatzungsregimes hat ethnische Säuberungen und Racheakte ausgelöst.
Ich erinnere mich noch, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer im Frühjahr 2003 gegen den Irakkrieg gesprochen haben. Was haben sie getan? Die Bundesregierung hat diesen Krieg von Anfang an unterstützt. Sie hat der US-amerikanische Kriegsmaschinerie Überflugrechte gewährt. Damit hat sich die Bundesregierung an einem Angriffskrieg beteiligt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 2005 festgestellt.
Zwei Bundesregierungen – die rot-grüne und die rot-schwarze – haben der US-Regierung aber noch einen weiteren großen Gefallen getan: Sie haben die US-Armee in Afghanistan entlastet, indem sie dort Bundeswehrtruppen hingeschickt haben.
Was will die US-Führung, was will die Bundesregierung in Afghanistan?
Glaubt man dem Grünen-Politiker und ehemaligen Sonderbeauftragten der UN für Afghanistan, Tom Koenigs, geht es um den Schutz der Menschenrechte. Die Verantwortung zu Schützen, responsibility to protect, nennen es die Vereinten Nationen. In Wirklichkeit geht es auch hier um die Sicherung der Rohstoffinteressen – angesichts des Peak Oils – der Überschreitung des Ölfördermaximums - was eine dramatische Auswirkung auf das Weltwirtschaftssystem haben wird.
Die Bundesregierung und die EU haben Strategiepapiere zu Zentralasien und zur Kaspischen Region entwickelt. Darin stecken sie ihre Ansprüche in dieser rohstoffreichen und strategisch wichtigen Region ab. Die Konkurrenz warte nicht, warnte Außenminister Steinmeier kürzlich. „Was Zentralasien betrifft, so knüpfen wir an die Jahrhunderte alten Kontakte Europas zu dieser Region an. Es geht aber um mehr als ein romantisches Besinnen auf Traditionen der Seidenstraße. Es geht um eine Region mit gewaltigen Energieressourcen. Eine Region, die sich zwischen Russland, Asien und China an einer wichtigen kulturellen Schnittstelle befindet.“
Dies ist der Kern der EU-Politik, wie sie sich im Reformvertrag von Lissabon festgeschrieben ist. Das ist auch der Kern der außenpolitischen Agenda der Bundesregierung. Seit 15 Jahren arbeiten die verschiedenen Regierungen daran, die Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur w eltweiten Interventionsarmee umzustrukturieren. Eine Armee die die deutschen Wirtschaftsinteressen in der ganzen Welt verteidigen soll.
Die Situation in Afghanistan ähnelt mehr und mehr der im Irak.
Die soziale Situation in Afghanistan ist katastrophal. Unter der Besatzung für die internationalen Hilfsorganisationen und die Stäbe der Besatzungsarmeen neue Läden und Restaurants geöffnet wurden. Aber die afghanische Bevölkerung sieht so gut wie gar nichts vom ausländischen Geld. Die Preise steigen, Grundnahrungsmittel sind für viele Menschen nicht mehr erschwinglich. Kabul hat gerade einmal vier Stunden Strom am Tag. In ländlichen Regionen ist die Situation noch schlechter. Die verheerenden sozialen Probleme sind die größte Gefahr für die Sicherheitslage der Menschen in Afghanistan. Der Opiumanbau ist nicht zurückgegangen, sondern im Jahr 2007 nochmals um 30 Prozent gestiegen. Da der Mohnanbau für viele die einzig mögliche Einnahmequelle ist, können sich Drogenhändler weiter bereichern und ihre Macht in den Provinzen ausbauen. Korruption, Prostitution und Privatarmeen breiten sich aus.
Karsai und seine Regierung aus Kriegsverbrechern der ehemaligen Nordallianz und Drogenbaronen haben weiterhin keine Unterstützung in der Bevölkerung. Er kontrolliert gerade einmal 30 Prozent des Landes. Staatliche Strukturen, wo sie denn einmal existiert haben, sind zusammengebrochen. Weil die Sicherheitslage so prekär ist, wenden die Menschen sich zunehmend an die lokale Clanchefs und Taliban. Invasion und Besatzung haben eine Situation geschaffen, die eine Vielzahl von Menschen sogar als schlimmer empfinden als unter den Taliban, berichtet die afghanische Abgeordnete Malalai Joya. Sie wird wegen ihrer engagierten Kritik an Karsai und den Warlords mit dem Tode bedroht und verfolgt. Die Karsairegierung hat sie deswegen von Abgeordnetenmandat suspendiert.
Der Krieg ist in einer Sackgasse. Die massiven Bombardierungen der Zivilbevölkerung haben den Hass auf die Besatzungsmächte angeheizt. Im Süden Afghanistans, aber auch zunehmend im Norden. Die US-Regierung sieht sich unter immensem Druck, nach dem Irak nicht noch eine Niederlage zu erleiden. Deshalb bestehen nicht nur Bush und die Neokonservativen darauf, den Krieg in Afghanistan fortzusetzen 712 US-Strategen aus beiden großen Parteien haben voriges Jahr eine kritische Auswertung des US-Krieges gegen den Terror vorgelegt. In dem so genannten Baker-Report empfehlen sie, aus dem Irak abgezogene Truppen in Afghanistan einzusetzen. Das heißt: Bei aller Freude über das baldige Ende der Ära Bush dürfen wir nicht vergessen: Hillary Clinton und Barack Obama sind beide für eine Fortsetzung und Ausweitung des Afghanistaneinsatzes.
Der Westen kann den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen. In den NATO-Hauptstädten weiß man aber auch, dass eine Niederlage weit reichende Konsequ enzen hätte. Denn alle Staaten mit globalen Machtansprüchen stehen in wachsender Konkurrenz zueinander. 2020 wird die Hälfte des weltweiten Erdöls verbraucht sein. Ab dann wird ein wachsender Verbrauch schrumpfenden Vorkommen gegenüber stehen. Eine Niederlage in Afghanistan würde das Scheitern der NATO offenbaren und die Widersprüche im Bündnis verstärken. Eine Niederlage in Afghanistan würde die Ausgangsbedingungen des Westens für einen weiteren Ausbau seines Einflusses in der Welt verschlechtern. Sie w 252ürde seine militärische Schlagkraft in Frage stellen.
Damit das nicht geschieht, ist auch die Bundesregierung - trotz aller Menschenrechtsrhetorik - bereit, mit allen möglichen, noch so korrupten Kräften zusammenzuarbeiten. Die Karsai-Regierung, die auf dem Bonner Petersberg zusammengestellt wurde, hat die berüchtigtsten Kriegsherren und Mafiabosse in Ministerposten gehoben. Generalstabschef der afghanischen Armee ist General und Kriegsherr Rashid Dostum. Er befehligt weiterhin eine eigene einflussreiche Miliz. Während des Bürgerkriegs in den 90er Jahren war er für Plünderungen, Morde und schwere Verletzungen des humanitären Kriegsrechts verantwortlich.
Die große Koalition ist nun eingeklemmt zwischen dem Erwartungsdruck der internationalen Partner, von Bundeswehrverband und Militärstrategen auf der einen Seite und der öffentlichen Meinung auf der anderen Seite.
86 Prozent lehnen Kriegseinsätze in Afghanistan ab. 55 Prozent sprechen sich für einen sofortigen Rückzug aus Afghanistan aus.
Um die Bevölkerung zu beruhigen, lügt die Bundesregierung über den Charakter des Bundeswehreinsatzes. Eine Lüge ist, dass man nur im ruhigen Norden sei. Abgesehen davon, dass der Norden auch schon lange nicht mehr ruhig ist, ist die Bundeswehr auch im Süden involviert mit Soldaten, minengeschützten Panzern und Luftaufklärung. Die zweite Lüge der Regierung ist allerdings die Unterscheidung zwischen dem angeblichen Hilfseinsatz ISAF und dem Kampfeinsatz Operation Enduring Freedom. In Wahrheit sind beide Missionen eng miteinander verwoben: Operation Enduring Freedom wird von einem amerikanischen Oberbefehlshaber geführt, ISAF von dem gleichen amerikanischen Oberbefehlshaber, nur ist in einem Fall ein Nato-Stab eingeschaltet, im anderen Fall ist es unmittelbar ein amerikanischer Stab.
Eine dritte Lüge ist, dass die Regierung den zivilen Aufbau fördert. Ein großes Problem ist das von der Regierung in ihrer Afghanistanstrategie formulierte Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Die Vermischung von Militär und humanitärer Hilfe führt dazu, dass die Hilfe ihren neutralen Charakter und damit das Vertrauen in der Bevölkerung verliert. Immer mehr unabhängige Hilfsorganisationen bestehen deshalb auf Abstand zu den westlichen Kampfverbänden.
Wir lehnen die Verlängerung aller Teile des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ab. Wir wollen die Bundesregierung herausbrechen aus der Allianz der Anti-Terror-Krieger.
„Euch sind die Menschen in Afghanistan wohl gleichgültig!“ hört man dann von Befürwortern des Krieges. Oder: „Wollt ihr die Frauen den Taliban überlassen?“
Wie heuchlerisch sind die Krokodilstränen, die die Regierung über die soziale Situation und über das Schicksal der Frauen in Afghanistan weint. Während der Bundeswehreinsatz 2,5 Milliarden Euro gekostet hat, wurden für den zivilen Wiederaufbau gerade mal 150 Millionen Euro ausgegeben – und auch davon haben die Afghanen nur einen Bruchteil gesehen!
Wir sind nicht gleichgültig! Aber wir sind überzeugt, dass der Abzug der Besatzungstruppen Voraussetzung für Frieden und Hilfe ist.
Und wir sind überzeugt, dass niemand die Frauen in Afghanistan von außen befreien kann.
Die mutigste unter den afghanischen Frauen, die ich kenne – Malalai Joya – hat gesagt: „Die Geschichte beweist, dass keine Nation eine andere befreien kann. Es ist die Pflicht unseres eigenen Volkes und liegt in seiner Verantwortung, für seine Freiheit zu kämpfen und Demokratie herbeizuführen. Die Menschen anderer Länder können uns dabei nur eine helfende Hand reichen.“
Wir müssen uns die Frage stellen, was unser Beitrag sein kann, den Truppenrückzug zu erzwingen und damit einen Beitrag für Frieden in Afghanistan zu leisten. Die Wahrheit ist immer konkret. Für dieses Jahr haben wir folgende Ziele:
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Unser Ziel ist es, mehr Nein-Stimmen im Bundestag gegen die Verlängerung des Einsatzes zu bekommen als zuvor.
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Unser Ziel ist es, das jeder Abgeordnete vor Ort mit der Frage konfrontiert wird ob er für oder gegen den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist.
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Unser Ziel ist es, in der ganzen Republik Unterschriften für die Petition der Friedensbewegung gegen die Mandatsverlängerung zu sammeln.
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Unser Ziel ist es vor den Miltärstützpunkten zu protestieren, von denen aus der Krieg organisiert wird.
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Unser Ziel ist es zu verhindern, dass mehr und mehr erwerbslose Jugendliche für die Rohstoffkriege der Bundesregierung rekrutiert werden. Vielerorts organisieren die Arbeitsagenturen Werbeveranstaltungen für die Bundeswehr. Es kann nicht sein, dass Jugendliche ohne berufliche Perspektive zum Kanonenfutter werden. Wir wollen vor den Arbeitsagenturen protestieren. Die Jugendliche brauchen eine soziale Perspektive – dafür muss Geld ausgegeben nicht für die Großmachtambitionen unserer Regierung.
Vor fünf Jahren, am 15. Februar 2003, fand die auch die größte länderübergreifende Mobilisierung gegen den Krieg statt: über 11 Millionen Menschen gingen in mehr als 800 Städten auf der ganzen Welt gegen die Invasion des Irak durch die US-Armee auf die Straße. Der Einmarsch konnte dadurch nicht verhindert werden, aber die breite Ablehnung von Kriegen prägt seitdem die öffentliche Meinung und isoliert die Kriegstreiber weltweit.
Im letzten Jahr hat die Friedensbewegung begonnen an diese Stimmung anzuknüpfen und bundesweit gegen den Bundeswehreinsatz zu mobilisieren. Das erste Mal seit sechs Jahren. Es ist an uns, diese Stimmung weiter zu mobilisieren, so dass die Regierung gezwungen ist, die Truppen zurückzuziehen.
In diesem Jahr will die Regierung das Mandat nicht wie üblich für ein Jahr verlängern, sondern für eineinhalb Jahre. Sie hat Angst. Angst dass unsere nächste Mobilisierung in den Bundestagswahlkampf fällt.
Wir haben die Mehrheit auf unserer Seite – lasst und neue Bündnispartner finden.
Die Friedensbewegung kann einen Unterschied machen.
Ihr könnt einen Unterschied machen.
* Christine Buchholz, Berlin, sprach auf dem Ostermarsch in Kassel am Ostermontag, 24. März 2008
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