Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedensbewegung kündigt "scharfe Gegenwehr zum außenpolitischen Kurs der Bundesregierung" an - Zivile Alternativen zu Bundeswehreinsätzen eingeklagt

Ostermärsche starten am fünften Jahrestag des Irakkrieges - Pressemitteilungen des Bundesausschusses Friedensratschlag und des Netzwerks Friedenskooperation im Wortlaut


Ostermärsche 2008: Friedensbewegung nimmt Bundesregierung ins Visier

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Truppen raus aus Afghanistan
  • Irakkrieg: US-Stützpunkte in Deutschland schließen
  • Menschenrechte sind unteilbar: nicht nur in Tibet, sondern auch im Nahen Osten
  • NATO auflösen und EU-Militarisierung stoppen
  • Abrüstung statt Sozialabbau
Kassel, 19. März 2008 - Scharfe Gegenwehr zum außenpolitischen Kurs der Bundesregierung hat die Friedensbewegung anlässlich der bevorstehenden Ostermärsche angekündigt. Für den Bundesausschuss Friedensratschlag, einem breiten Bündnis basisorientierter Friedensorganisationen und -initiativen, nahm dessen Sprecher, Peter Strutynski, Stellung zu den Schwerpunkten und Perspektiven des Protestes.

Sieht man sich die zahlreichen Aufrufe zu den diesjährigen Ostermärschen an, so sticht die Beschäftigung mit dem Afghanistankrieg hervor. Fast alle der über 70 Osteraktionen, die vom Donnerstag bis Ostermontag im ganzen Land begangen werden, fordern von der Bundesregierung einen bedingungslosen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und stattdessen eine drastische Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau. Geschichte und Gegenwart des Konfliktherdes Afghanistan zeigen, dass nur ein Abzug der ausländischen Truppen Chancen für eine friedlichere Entwicklung der Region bieten. Gegen diese Erkenntnis verschließt sich die Bundesregierung und schickt stattdessen eine zusätzliche Kampfeinheit nach Afghanistan. Die vielen zivilen Hilfsorganisationen, die seit Jahr und Tag darum bitten, dass sie ihre humanitäre Arbeit unabhängig vom Militär tun dürfen, werden von der weiteren Anheizung der Kämpfe genauso negativ getroffen wie die afghanische Bevölkerung.

Demgegenüber bleibt der Irakkrieg - trotz des "kleinen Jubiläums" (5 Jahre) - bei den Ostermärschen unterbelichtet. Dies hat nichts damit zu tun, dass die Friedensbewegung ihren "Frieden mit diesem Krieg geschlossen" hätte. Ganz im Gegenteil: Die Ablehnung des Irakkriegs bleibt Grundbestandteil jeglicher Friedensarbeit. Der Protest gegen den völkerrechtswidrigen Krieg, gegen Terror, Folter und Gewalt, gegen die Entmündigung eines ganzen Volkes durch ein brutales Besatzungsregime findet aber vor allem in den Ländern statt, die auch Truppen in nennenswerter Zahl in den Irak geschickt haben. Mit den Friedensbewegungen dieser Länder, insbesondere in den USA und Großbritannien ist die deutsche Friedensbewegung solidarisch und insofern auch aktiv verbunden, als von deutschem Boden US-Kampf- und Transportflugzeuge starten, um ihre tödliche Fracht in den Irak zu transportieren. Die Nichtteilnahme der rot-grünen Bundesregierung am Irakkrieg war eine halbe Sache. Eine ganze Sache würde erst daraus, wenn die US-Stützpunkte in Deutschland geschlossen und den Irak-Kriegsteilnehmern keine Überflugrechte mehr erteilt würden. Auch dafür muss der Widerstand in Deutschland noch stärker werden.

Die Bundesregierung ist auch unglaubwürdig im israelisch-palästinensischen Konflikt. 60 Jahre Israel zu feiern, ist auch nur die halbe Wahrheit. Wer dabei das Schicksal der Palästinenser vergisst, die seit eben so vielen Jahren im Exil oder unter Besatzung leben und denen ein lebensfähiger souveräner Staat an der Seite Israels seit Jahren vorenthalten wird, macht sich zum Verbündeten der einen Seite und faktisch zum Gegner der anderen Seite. Einen Friedensprozess kann es im Nahen Osten nur geben, wenn alle Konfliktparteien gleichberechtigt daran beteiligt werden. Terrorismus der einen Seite kann nur aufhören, wenn der (Staats-)Terrorismus der anderen Seite aufhört. Solidarität mit Israel kann nur funktionieren, wenn auch Solidarität mit den Palästinensern geübt wird. Der Kanzlerin muss gesagt werden: Menschenrechte sind unteilbar. Nicht nur in Tibet, sondern auch im Nahen Osten! Eine besondere Bringschuld hat die Bundesregierung noch zu erfüllen: Sie soll sofort die deutsche Marine von den Küsten Libanons zurückrufen. Die hat dort weder etwas zu suchen noch zu tun. Das würde in einem Jahr 185 Mio Euro einsparen.

In vielen Aufrufen zu den diesjährigen Ostermärschen finden sich Forderungen nach Auflösung der NATO und nach einem Stopp der Militarisierung der Europäischen Union. Der EU-Reformvertrag, der demnächst vom Bundestag ratifiziert werden soll, ist in sicherheitspolitischer Hinsicht keinen Deut besser als der gescheiterte Verfassungsvertrag: Aufrüstungsverpflichtung, Teilnahme an Militärinterventionen in aller Welt, Einrichtung der europäischen Rüstungsagentur und Aufbau von Schlachtgruppen (Battle groups) sind nur drei markante Pfeiler dessen, was wir "Militarisierung" der EU nennen. Und die Bundesregierung der Großkoalitionäre ist treibende Kraft dieser Entwicklung, die aus der so erfolgreichen Wirtschaftsunion eine Militärunion machen wird. Die Friedensbewegung will nicht nur keine neue Militärunion, sie möchte auch den Austritt aus dem alten Militärpakt NATO. Dessen Existenzberechtigung war doch spätestens mit der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 erloschen. Im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 hatte die NATO ihre bis dahin schlimmste Visitenkarte vor der Welt abgegeben.

Acht Jahre nach der Verkündung der großartigen "Millenniumsziele" durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen stehen die Regierungen dieser Welt, vor allem die der "reichen Staaten" vor dem Offenbarungseid: Auf dem versprochenen Weg zur Halbierung von Hunger und Armut bis zum Jahr 2015 sind wir - bei Halbzeit - noch keinen einzigen Schritt weiter gekommen. Demgegenüber haben die weltweiten Militär- und Rüstungsausgaben mit 1,3 Billionen US-Dollar einen neuen historischen Höhepunkt erreicht. Und in mancher Beziehung deuten sich neue Rüstungswettläufe an (z.B. Raketenabwehr, Atomwaffentechnologie, Militärtransportkapazitäten). Der Verteidigungsetat der Bundesregierung ist dieses Jahr gestiegen und soll im nächsten Jahr weiter ansteigen. Demgegenüber gibt es faktische Nullrunden für Rentner, werden Hartz-IV-Empfänger real immer ärmer und wird die Gesundheitsvorsorge ein immer teureres Luxusgut. Mit ihrem Slogan "Abrüstung statt Sozialabbau" stellt sich die Friedensbewegung auch an Ostern an die Seite der anderen sozialen Bewegungen und fordert die Gewerkschaften auf, ihren sozialpolitischen Forderungen noch mehr Nachdruck zu verleihen.

Entnehmen Sie bitte weitere Informationen über die einzelnen Ostermärsche der Seite des bundesweiten Ostermarschbüros (mit einer aktivierbaren kartografischen Übersicht): www.ostermarsch.info. Beim Ostermarschbüro (Tel. 069/24245590) erhalten Sie während der Ostertage auch Auskunft über besondere Vorkommnisse und über die Beteiligung an den Aktionen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


PM: Ostermärsche starten / Nahost-Frieden durch Dialog mit allen

17. März 2008

Ostermärsche starten am fünften Jahrestag des Irakkrieges

  • 50 Jahre nach dem ersten Ostermarsch ist atomare Abrüstung immer noch wichtiges Thema
  • Initiativen propagieren zivile Alternativen zu Bundeswehreinsätzen
  • Israel muss mit allen Konfliktbeteiligten reden
Die Ostermärsche der Friedensbewegung wenden sich gegen den Militäreinsatz in Afghanistan sowie den inzwischen fünfjährigen Krieg im Irak und fordern eine Wende in der Nahost-Politik für eine Friedenslösung zwischen Palästinensern und Israelis.

Zu den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen erinnert das Netzwerk Friedenskooperative an die humanitär unhaltbare Situation der Menschen im Gazastreifen und fordert die Bundesregierung auf, sich für die Einbeziehung aller Konfliktparteien incl. von Hamas und Hisbollah in einen Friedensdialog einzusetzen sowie für eine umfassende "Konferenz für Frieden und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten", an der z.B. auch Syrien und Iran beteiligt sein müssten. Die von der Regierung für den Sommer angebotene Konferenz in der Bundesrepublik unter Einbeziehung einiger arabischer Staaten könne diese Aufgabe nicht leisten und sei "vergebene Liebesmüh", betont der Geschäftsführer des Netzwerks, Manfred Stenner. "Dauerhafte Sicherheit für Israel ist nur durch Verständigung und Interessensausgleich mit den Nachbarn zu erreichen".

Am Gründonnerstag starten die Ostermärsche mit Mahnwachen und Kundgebungen zum fünften Jahrestag des Irakkriegs. Am 20. März 2003 hatten die US-Truppen und ihre Alliierten den Angriff begonnen, der in kurzer Zeit zum Sturz des Diktators und früherem US-Verbündeten Saddam Hussein führte – nicht aber zur versprochenen demokratischen Entwicklung und Befriedung der Region.

Die Friedensinitiativen erinnern an die gigantischen Lügen zur Begründung des Krieges und die erschreckende Bilanz der letzten fünf Jahre mit mehr als 150.000 Toten, hunderttausenden Flüchtlingen und Vertriebener, Ausplünderung des Landes durch US-Konzerne und Erstarkung statt Eindämmung des Terrorismus. In Heidelberg findet dazu eine 24stündige Mahnwache vor dem US-Hauptquartier statt, weitere Veranstaltungen u.a. in Erfurt, Gammertingen, Suhl und Tübingen.

Mehr als 70 weitere Ostermarsch-Aktionen folgen bis zu den Abschlusskundgebungen am Ostermontag. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einer Friedenslösung für Afghanistan, für die der Abzug der ausländischen Truppen nach Meinung der Friedensorganisationen Voraussetzung ist. Propagiert wird ein Ersatz der militärischen Mittel durch massive Anstrengungen der zivilen Konfliktbearbeitung und vielen Aufbau-Projekten in enger Kooperation mit der einheimischen Bevölkerung. Organisationen der Friedensbewegung starten mit den Ostermärschen die Unterschriftensammlung für eine gemeinsame Petition an den Bundestag, das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr im kommenden Herbst nicht zu verlängern.

Am Samstag startet der traditionsreiche dreitägige Ostermarsch Ruhr von Duisburg nach Dortmund. Die Rheinländer demonstrieren in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Ostermarsch-Demonstrationen gibt es am Samstag in allen Regionen Deutschlands, in Kiel wie in Bremen, in Hannover, Leipzig, Rostock, Oldenburg und München, in Saarbrücken wie Stuttgart oder Wiesbaden und vielen anderen Orten. Auch das NATO-Hauptquartier in Brüssel bekommt Besuch internationaler Friedensaktivisten, die unter dem Motto "Nato Game over" dort eindringen und die Schließung fordern wollen.

Der seit etlichen Jahren größte Ostermarsch führt wieder am Ostersonntag vom brandenburgischen Fretzdorf in die FREIeHEIDe, dem umstrittenen Bombodrom der Bundeswehr. Auch in Ohrdruf in der Nähe von Gotha geht es um Protest gegen den dortigen Truppenübungsplatz. Ebenfalls am Sonntag treffen sich Ostermarschierer in Frankfurt/Oder und in Köln veranstalten die "MotorradfahrerInnen ohne Grenzen" eine Ostermarsch-Motorradtour zur Bundeswehrkaserne Köln-Wahn, während im Ruhrgebiet die Etappe Essen/Bochum stattfindet.

Die größeren Abschlusskundgebungen finden am Ostermontag in Berlin, Dortmund, Hamburg, Haldesleben (OM Sachsen-Anhalt), Frankfurt und Kassel statt. Weitere Aktionen gibt es in Chemnitz, Eichsfeld, Gummersbach, Havixbeck, Landshut, München/Garmisch, Müllheim, Sassnitz, Siegen und Wittmund. Auch in Bern(CH) und Den Haag(NL) finden Friedensdemonstrationen statt.

Die englische Campaign for Nuclear Disarmament erinnert in Aldermaston an den ersten Ostermarsch der Atomwaffengegner an gleicher Stelle vor 50 Jahren. Auch in der Bundesrepublik spielt das ursprüngliche Thema "Atomwaffen" eine große Rolle. Die Gruppen der Friedensbewegung fordern die vollständige Abrüstung der Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention in Anlehnung an das Verbot von B- und C-Waffen. In Deutschland soll das letzte Atomwaffenlager im Fliegerhorst Büchel (Eifel) geschlossen und die "nukleare Teilhabe" der Bundesrepublik beendet werden.

Das Netzwerk Friedenskooperative würdigt die fünfzigjährige Geschichte der Ostermärsche: "Die damals völlig neue ungewöhnliche Aktionsform führte in der Bundesrepublik zur ersten ,neuen sozialen Bewegung´ und außerparlamentarischen Opposition und ist bis heute lebendige Tradition für viele der aktiven Friedensinitiativen – seit den neunziger Jahren gerade auch in den neuen Bundesländern."

Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative

P.S.: Über das Büro der Friedenskooperative erhalten Sie Kontakt zu möglichen InterviewpartnerInnen, "Veteranen" der Bewegung, RednerInnen der verschiedenen Kundgebungen oder anderen Expertinnen und Experten zu den hier angesprochenen Themen.


Zurück zur Seite "Ostermarsch 2008"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Sonderseite der Kampagne "Truppen raus aus Afghanistan"

Zurück zur Homepage