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"Wir"-Konstruktionen gegen "die Anderen" - und die Friedensbewegung

"Tragfähige Friedenstrukturen bedürfen der Beteiligung, ja des Eigen-Willens aller Betroffenen" - Rede am Mahnmal der Flugtagskatastrophe Ramstein

Im Rahmen unserer Berichterstattung über ausgewählte Aspekte der Ostermarschbewegung 2007 dokumentieren wir im Folgenden eine Rede, die am 7. April beim Ostermarsch Ramstein-Landstuhl gehalten wurde.

Von Sybille und Dr. med. Hartmut Jatzko

Rede am Mahnmal der Flugtagskatastrophe Ramstein vom 28.8.1988 / am 7.4.2007

Frieden meine Damen und Herren, was ist eigentlich Frieden?? Frieden wird allgemein definiert als ein heilsamer Zustand der Stille und Ruhe, als die Abwesenheit von Störungen oder Beunruhigungen.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute?

Das Stichwort heißt einmal mehr Globalisierung. Kehrseite der weltweiten Verflechtungen, die sich seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums nochmals beschleunigt haben, sind die zahlreichen Gewaltkonflikte in vielen Teilen der Welt. Die rasante Expansion westlicher Gesellschaftsmodelle und Dominanzansprüche stellen überkommene Lebensweisen und Machtverhältnisse in Frage. Das Ergebnis sind Spannungen zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, zwischen alten und neuen Eliten, zwischen Mehrheits- und Minderheits- Ethnien. Im Strudel der Umbrüche greifen Menschen oft auf die scheinbar unverbrüchlichen Sicherheiten der ethnischen, der kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit zurück. Das nutzen Machtfanatiker aus, um sie unter solchen „Wir“- Konstruktionen gegen „die Anderen“ aufzuhetzen. Für die Friedensgruppen in Deutschland bedeutet dies, jenseits der militärischen Bewusstseinsarbeit zusätzlich Bereiche einer konstruktiven Friedensarbeit auszubauen.

Bei allem gilt: das Problem ist nicht der Konflikt, sondern die Gewalt. Konflikte im menschlichen Zusammenleben sind unvermeidbar, ja sie gehören zu den Prozessen der sozialen Veränderung notwendig dazu. Wichtig ist, dass die Konflikte konstruktiv unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten ausgetragen werden und eine möglichst produktive Lösung für alle Seiten gefunden wird. Anstatt sich im Strudel zunehmend blinder Gewalt gegenseitig in den Abgrund zu ziehen, wie wir es tragischer weise im Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern erleben, könnte es oft auch Auswege geben, bei denen beide Seiten mittelfristig gewinnen. Wichtig für solche win-win Lösungen ist allerdings, dass die Eskalation möglichst früh unterbrochen wird.

Zur Friedensarbeit gehört auch, den Menschen wieder eine Zukunft zu geben, die nach den Kriegen und Auseinandersetzungen traumatisiert wurden. Die seelischen Wunden äußern sich nicht nur in Aggression. Viele Ex-Soldaten igeln sich ein und nehmen nicht mehr am öffentlichen Leben teil. Manche nehmen sich selbst das Leben oder beenden auch das Leben ihrer Familien und dann das eigene.

So wichtig die Arbeit mit traumatisierten Menschen, die Rücksiedelung von Flüchtlingen, die Wiederherstellung zerstörter Sozialbezüge ist: Besser, es gäbe keine Kriegstraumatisierten, keine Flüchtlinge und keine Zerstörungen. Noch immer sind Projekte in der Konflikt-Nachsorge in der großen Überzahl gegenüber solchen in der Prävention. Das trägt unserer Arbeit den Beigeschmack ein, die „good guys“ im Gefolge der „bad guys“ zu sein, die im Nachgang von Militäraktionen die Wunden verbinden und die Trümmer wegräumen.

Tragfähige Friedenstrukturen bedürfen der Beteiligung, ja des Eigen-Willens aller Betroffenen. Eine solche Arbeit kostet Zeit, Geduld und auch Geld. Aber all dies wiegt gering, wenn es gelingt, die Zeichen des Konfliktes früh zu erkennen und zu einem Ausgleich zu bringen. Ist die Schwelle zur Gewalt erst einmal überschritten, dann sind die Kosten um ein Vielfaches höher, die Folgewirkungen ungleich langwieriger.

In ihrem Aktionsplan aus dem Jahr 2004 hat die damalige Bundesregierung wichtige friedenspolitische Perspektiven entworfen: die derzeitige Regierung das Großen Koalition hat sich zu deren Fortsetzung bekannt. Manche Wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aspekte deutscher Realpolitik laufen diesen Zielen jedoch zuwider. Es ist nur ein geringer Trost, dass andere Staaten es vorantreiben. Hinzuweisen ist auf das skandalöse Missverhältnis in der finanziellen Ausstattung der angeblich vorrangigen zivilen gegenüber den militärischen Mitteln. Wenn der Zivile Friedensdienst bislang mit 14.5.Mio. € pro Jahr bewertet wird, dann kann es mit dem Vorrang für Prävention noch nicht weit her sein. Denn diese Summe kostet der deutsche Militäreinsatz unter „Enduring Freedom“ fast wöchentlich, von allen übrigen Militärausgaben ganz abgesehen.

Realistisch müssen wir uns eingestehen, dass das entscheidende Umdenken noch nicht stattgefunden hat. Gewaltfreiheit in der Tradition von Mahatma Gandhi (1869-1948) und Martin Luther King (1929-1968) hat eine geistige, eine spirituelle Dimension. Doch sie ist deswegen nicht unrealistisch. Im Gegenteil, die Erfahrung zeigt, das nur gewaltfreie Mittel tragfähige Auswege aus dem Kreislauf der Gewalt bieten. Wie soll ein Krieg gegen den Terrorismus gewonnen werden, der selbst mit Mitteln des Terrors arbeitet und täglich neuen Hass gebiert?

Schon am 16. Nov 1758, im 7-jährigen Krieg zwischen Österreich und Preußen sagte der sächsische Friedensvermittler Thomas Freiherr von Fritsch: „Der Friede ist notwendig, selbst, wenn er in einer weniger vorteilhaften Weise zustande kommt“. Am 15. Febr. 1763 wurde dann unter seiner Vermittlung auf dem Schloss Hubertusburg bei Leipzig der sog. „Ewige Frieden“ geschlossen.

Wir stehen hier am Gedenkstein der Flugtagskatastrophe von Ramstein aus dem Jahre 1988

Während dieser Flugschau mit militärischen Maschinen kollidierten drei italienische Maschinen der Freece Tricolori und eine Maschine schlidderte in die Zuschauermenge. Dabei kamen 70 Menschen ums Leben, 450 Menschen wurden schwer verletzt in 46 verschiedene Krankenhäuser eingeliefert. Eintausend Menschen wurden leichter verletzt, von insgesamt 350 000 Zuschauern.

Gerade dieser Gedenkstein sollte auch ein Mahnmal sein. Im siebten Jahr nach der Katastrophe war es der Schicksalsgemeinschaft gegen Widerstand erst möglich, nachdem dieses Grundstück hier gekauft wurde, einen Gedenkstein zu errichten, der mit den Namen und Geburtsdaten der getöteten Menschen dem Gedenken und den Vorstellungen der Hinterbliebenen entsprach.

Dieses Unglück am Ende des kalten Krieges soll und darf nicht vergessen werden und mahnt uns alle die militärischen Maschinen nicht zu bagatellisieren. Es sind keine technischen Wunderwerke, die zur Schau gestellt werden sollten, sondern Maschinen, die eingesetzt werden um Menschen zu töten. So sind wir im Juni 2006 von einem jungen Medien- Designer angeschrieben worden, die Hinterbliebenen zu befragen, was sie von einer 20-jährigen Gedenkflugschau halten würden, an dem die Hinterbliebenen sowie die traumatisierten Opfer als Ehrengäste in der ersten Reihe diese Flugschau zuschauen sollten. Als krönenden Abschluss sollte die Freece Tricolori eine Flugfigur mit dem Namen „missing man“ fliegen.

Dieser junge Mann hatte bis hin zu Parkplatzgebühren und einer Gedenkmünze schon alles geplant.

Sie können sich vorstellen, dass die befragten Menschen betroffen und außer sich vor Zorn waren. Dieses Vorhaben soll langsam dieses Unglück vergessen lassen. Flugbegeisterte Menschen können nicht mehr nachvollziehen, welche körperliche und seelische Narben für die betroffenen Menschen lebenslänglich an diesen Tag erinnern. Dieser junge Mann konnte die Äußerungen der betroffenen Menschen nicht verstehen und empfand es als gegen sich gerichtet, wobei er mit Verärgerung bis heute versucht einige Menschen zu verunglimpfen.

Es ist mir noch nicht klar geworden, aus welcher Motivation heraus gerade die Hinterbliebenen für ein solches Vorhaben gewonnen werden sollten. Nun wird in diesem Jahr ein Spielfilm über die Folgen der Katastrophe gedreht. Das Projekt wurde von jenem Produzenten aufgenommen, der auch den Film „Das Wunder von Lengede“ gedreht hatte. Da dieses Projekt in Zusammenarbeit mit den Opfern und Hinterbliebenen entsteht, haben wir die Hoffnung, dass es sich nicht um einen reißerischen Film handeln wird, sondern um die durchlittenen Erlebnisse. Es bestand die Befürchtung, dass die Opfer und Hinterbliebenen dieses Projekt ablehnen würden, aber das ist nicht der Fall. Nach einem gemeinsamen Treffen mit den Produzenten stellte sich heraus, dass die betroffenen Menschen zustimmen.

Nach dem sich die Gedenkflugschau schon als Idee angekündigt hatte, war es besonders erwünscht anhand eines gut gemachten Spielfilmes den Menschen die Schicksale näher zu bringen. Vielleicht kann dadurch besser nachvollzogen werden, was es bedeutet, wenn Menschen den Sicherheitsmaßnahmen vertrauen und amerikanische Freundschaft dokumentieren und durch viele Fehler auch der Verantwortlichen dieses Vertrauen verspielt wurde. Wir alle sind eines besseren belehrt worden. Lernen heißt in diesem Falle - etwas so Gefährliches zu unterlassen. So soll dieser Stein nicht nur erinnern sondern auch mahnen, all das zu unterlassen, was das empfindliche Leben stören oder sogar vernichten könnte. Es darf die Begeisterung für Flugmaschinen nicht über den Schutz des Lebens gestellt werden.

Die getöteten Menschen mahnen uns, aus der Katastrophe zu lernen.


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