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"Wartet nicht auf schlechtere Zeiten!"

Mani Stenner, Netzwerk Friedenskooperative Bonn, auf dem Ostermarsch 2002 in Stuttgart

Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.


Liebe Freundinnen und Freunde,
es wird waehrend der Kundgebung noch einiges gesagt werden ueber den bereits gescheiterten "Krieg gegen den Terrorismus", ueber das unverbluemte, grenzenlose Machtgebahren der einen Supermacht und die den USA nacheifernden europaeischen Regierungen, besonders die deutsche, die ihr grosses Stueck vom globalen Wirtschafts- und Machtkuchen auch kriegerisch verteidigt und vergroessert.
Wir klagen an und wir warnen und haben allen Grund dazu.
Ich moechte mit Euch aber auch ueber uns selber sprechen, die Mitstreiterinnen und Engagierten in der Friedensbewegung, unsere Enttaeuschungen, unsere Hoffnungen und unsere Perspektiven.

Ich war in letzter Zeit in sehr vielen Runden und Beratungstreffen von Initiativen und Organisationen und ich tue mal so, als waeren wir auch hier ganz unter uns. Alle diese Runden stellen sich aehnliche Fragen.
Schnell abgehakt ist dabei der Teil, was unsere Regierenden treiben und wohin die Bundeswehr marschiert. Sogar unsere Alternativen zu Krieg und Gewalt sind - bei allen unseren Unterschieden - in Grundzuegen klar. Die Gruppen der Friedensbewegung haben ihre Hausaufgaben gemacht. Unsere Analysen lagen in den letzten 10 Jahren richtig. (vielleicht bis auf die kurzzeitige Hoffnung auf eine Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges und bei einem Teil von uns die schnell zerstoerte Illusion, dass rot-gruene Aussenpolitik militaerisch zurueckhaltender sein koenne)

Der 11. September hat nichts wesentlich veraendert sondern Entwicklungen beschleunigt, vor denen wir schon vorher gewarnt haben. Dazu nur ein paar Stichworte:

Die USA und die anderen maechtigen Staaten haben die Massenmorde nicht als Zeichen fuer die Notwendigkeit begriffen, ueber die tieferen Ursachen des Feindbildes USA und Westen und damit ueber die eigene Politik nachzudenken. Keine Rede von einer notwendigen Zaesur, einer Wende zu mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Sued, zur zumindest Milderung der sozialen Folgen der Globalisierung. Keine Bemuehung zur Staerkung des Rechts wie z.B. der Internationale Strafgerichtshof es symbolisieren wuerde, vor den die Drahtzieher dieser neuen Dimension des Terrorismus so sicher gehoeren wie allerdings letztendlich auch die US-Administration selbst.
Statt Bruecken zu bauen zwischen den Kulturen folgt Krieg mit tausenden von "Kollateral"-Opfern in der Zivilbevoelkerung. Wir muessen jetzt einen jahrelangen Dauerkrieg erwarten. Der Terrorismus ist nur noch Vorwand, um Suedostasien aufzurollen und die Gas- und Oelinteressen militaerisch durchzusetzen.

Andere Staaten eifern den USA in der Bekaempfung jeweils "ihrer" Terroristen nach - nicht nur in Tschetschenien oder Israel/Palaestina, wo am deutlichsten wird, das die Spirale der Gewalt von Terror und kriegerischer Gewalt nicht zu mehr Sicherheit fuehrt. Als Antwort auf den Friedensvorschlag der arabischen Liga scheint die israelische Regierung mit dem Angriff auf die palaestinensische Autonomiebehoerde in Ramallah den Konflikt zum offenen Krieg eskalieren zu wollen. Das gibt keine Hoffnung, auch nicht fuer das israelische Volk. Shalom und Sharon gehen nicht miteinander.

Aber ich will in meinem Beitrag hauptsaechlich von uns selber, von der Friedensbewegung in dieser Gesellschaft sprechen:
Das festeste Ritual bei den Ostermaerschen ist die oeffentliche Wahrnehmung. Ich werde manchmal um Stellungnahmen gebeten. Eine typische Anmoderation lautet: "Beim ersten Ostermarsch 1961 fanden sich gerade mal 1.000 Marschierer zusammen. 1963 waren es bereits 10.000 und in den achtziger Jahren auf dem Hoehepunkt der Friedensbewegung brachten die Ostermaersche bis zu 700.000 Menschen auf die Strasse. Seither gehen die Zahlen kontinuierlich zurueck und naehern sich nun wieder dem Ausgangsstadium. Herr Stenner, sind die Ostermaersche noch zeitgemaess?"
Und dann kommt noch: "Die Gruenen waren lange Motor und parlamentarischer Arm der Friedensbewegung. Seit sie an der Regierung sind beteiligen sie sich an Kriegseinsaetzen. Sind Sie da nicht verbittert?"

Das ist natuerlich aetzend, aber ich finde solche Fragen durchaus berechtigt. In meinem weitere Bekanntenkreis sind die Anmerkungen zu meiner Taetigkeit meist weit drastischer: "Was machst Du, Friedensbewegung? Gibt`s die denn ueberhaupt noch?" Dann folgt manchmal ein politischer Rundumschlag meines Gegenuebers. Rot-Gruen seien doch die gleichen Verbrecher wie Kohl, nicht nur mit Schwarzzgeld sondern auch in der Ruestung. Gegen die Bomben auf Belgrad sei er auch gewesen und jetzt beim Terror solle man doch nicht so blind den Amis folgen ... Frueher sei er beim Bund gewesen, aber heute wuerde er verweigern. Irgendwann kommt unweigerlich der Punkt, wo mir versichert wird, dass mein Engagement in Sachen Frieden ja wirklich respektabel sei. Aber naiv waere es schon, wenn ich glaubte, da koenne man irgendwas aendern.

Ich erwaehne diese Erfahrungen, weil sie die gesellschaftlichen Bedingungen fuer unsere Arbeit betreffen. Das weit verbreitete "Man kann ja doch nichts machen" dient ja nur zum Teil der eigenen Entlastung, weil man ja eigentlich gar nichts machen moechte. Zu einem guten Teil ist das ja auch eine realistische Einschaetzung. Mit unserer Demokratie und den Mitwirkungsmoeglichkeiten der Buergerinnen und Buerger auf politische Entscheidungsprozesse ist es nicht zum besten bestellt - nicht nur in der Friedensfrage.

Vielleicht sind Eure Erfahrungen besser, aber in vielen internen Beratungen spiegeln sich solche Eindruecke und etliche aufrechte MitstreiterInnen sind auch bitter darueber, dass man Jahre um Jahre gegen weitere Aufruestung angerannt ist, Hilfsprojekte im ehemaligen Jugoslawien als "zivile Konfliktbearbeitung von unten" aufgebaut hat, gegen die out-of-area-Plaene der Kohl-Regierung eine Demo nach der anderen organisierte - laengst nicht mehr so grosse wie frueher ... Um dann zu erleben, dass die ehemaligen rot-gruenen Weggefaehrten die Bundeswehr in einen Krieg nach dem andern schicken und Bombardements als humanitaere Aktion verkaufen.

Ja, natuerlich sind wir enttaeuscht. Klar sind wir zornig. Und wir fragen uns sehr dringend, wie wir wieder erfolgreicher werden koennen.

Wir wissen: auf Parteien und Politiker koennen wir uns wirklich nicht verlassen. Wir brauchen eine Mehrheit in der Gesellschaft, die deutlich gegen jede Kriegsbeteiligung ist und ganz viele dies auch laut oeffentlich kundtun. Zur Zeit ist das nicht so. Wir erleben das merkwuerdige Phaenomen, das um uns herum ganz entsetzliche Dinge passieren, noch Schlimmeres vorbereitet wird und die oeffentliche Empoerung ausbleibt. Doch viele Menschen haben ihre Skepsis, viele Fragen und ein waches politisches Interesse. Die Diskussionsveranstaltungen sind voll, auch wenn die Mahnwachen duenn besetzt sind.

Ich glaube aber, das wird nicht so bleiben. Dabei hoffe ich nicht auf schlimmere Zeiten, wenn etwa bei Beginn der Bombardierung Bagdads im Juni viele erschrecken werden und die unkontrollierbare Ausweitung des Krieges befuerchtet werden muss.
Die Angst ist nicht das einzig moegliche Motiv fuer das Aufstehn. Unsere Gefaehrten in der quirligen Bewegung der GlobalisierungskritikerInnen beweisen es: Empoerung ueber Unrecht, der Hunger nach Gerechtigkeit und die Hoffnung und Gewissheit, dass eine bessere Welt moeglich ist - das koennen starke Handlungsmotive sein.

Ich habe ein kleines Handicap der Friedensbewegung erwaehnt, das gerade im Vergleich zur globalisierungskritischen Bewegung gilt. Dass die Friedensbewegung frueher gross war und jetzt klein, dass sie auf lange Erfahrungen zurueckblickt, ist ein "Imageproblem" geworden: In die Jahre gekommen und nicht mehr "in". Wuerde der Vergleich frueher./.jetzt nicht gezogen, wir waeren eine sich formierende Bewegung gegen die derzeitigen und drohenden Kriege. Eine Bewegung, die die zivilen Alternativen zum Militaer als Mittel der Politik formuliert und zu Recht den Bankrott und das Versagen der politischen Kaste in der Aussenpolitik anklagt.

÷Aber man ist so jung wie man sich fuehlt!÷
Wir sind der Teil der Gesellschaft, der der Vision "Eine bessere Welt ist moeglich" hinzufuegt "- und eine friedlichere auch!" Gebt uns doch mal den Verteidigungshaushalt. Wir wuessten schon, was man mit ueber 24 Mrd. Euro Konstruktives in Konfliktregionen anstellen koennte.

Gemeinsam koennen die Protestbewegungen auf eine hierzulande weit verbreitete Skepsis gegenueber dem Militaerischen aufbauen. Es gibt es keinen Hurra-Patriotismus und die Menschen glauben nicht daran, dass Terrorismus durch Kriegsterror ueberwunden werden kann.
Wir koennen die politikerverdrossenen Mitbuergerinnen und Mitbuerger ermuntern, eben doch was zu machen. Schroeder und Fischer sollten sich nicht sicher sein, dass sie keine grosse Anti-Kriegsbewegung mehr erleben. Wir fangen gerade erst an!
Lasst uns unsere Arbeit tun. Organisieren wir Widerstand gegen den drohenden Irak-Krieg und jede deutsche Beteiligung - nicht nur zum Bush-Besuch im Mai. Der windelweiche Vorbehalt von Schroeder und Fischer gegen eine Irakinvasion kann nicht das letzte deutsche Wort an den US-Praesidenten sein. Diesen Wahnsinn machen wir nicht mit, Herr Bush! Holen wir als erstes die Spuehrpanzer aus Kuweit zurueck und die KSK-Killertruppen aus dem Hindukusch.

´Ein Hinweis zum Schluss:´ Friedensarbeit erschoepft sich nicht in Aktionismus sondern braucht auch Kontinuitaet. Lasst uns Demokratie wagen, auf der Strasse und in vielen Diskussionen! Lasst uns darauf achten, dass sich unser junges zartes Pflaenzchen Friedensbewegung nachhaltig entwickelt und ein wichtiger und staendig einflussreicher Teil unserer Gesellschaft wird.


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