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"Wir leben in Kriegszeiten!"

Anne Rieger, 2. Bevollmächtigte IG Metall Waiblingen, beim Ostermarsch 2002 in Stuttgart

Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.


Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Wir leben in Kriegszeiten!
Deutsche Soldaten wurden von der Bundesregierung nach
- Afghanistan
- Somalia
- Kenia
- Dschibuti
- Georgien
- Bosnien-Herzegowina
- Kosovo
- Mazedonien
- ins östliche Mittelmeer
- und zur Luftraumüberwachung in die USA geschickt.

Seit der Übernahme der Regierung hat Rotgrün die internationalen Einsatzorte deutscher Soldaten von einem auf zehn erhöht.
Allein im letzten Jahr stimmte die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten sechsmal Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu.
Drei Jahre ist es her, dass deutsche Soldaten dabei waren, Krieg gegen die Jugoslawische Bevölkerung zu führen Jetzt tun sie es gegen die afghanische Bevölkerung.

Haben wir denn noch eine Friedensperspektive? haben uns unsere Freundinnen und Freunde, unsere Kolleginnen und Kollegen gefragt, die sonst mit uns Ostern marschierten und nun entnervt oder resigniert aufgeben - die sagen, ich war immer dabei, aber diesmal nicht.
Ja! - natürlich haben wir eine Friedensperspektive!
"Eine Welt ohne Krieg ist möglich"
Das Weltsozialforum in Porto Alegre hat damit dem "neuen Militarismus", der als Reaktion auf die Terrorangriffe des 11. September eingeführt wurde, eine deutliche Absage erteilt.

Genau deswegen marschieren wir wieder zu tausenden an Ostern: Krieg ist Terror - aber Frieden ist machbar.
Jeder und jede einzelne Friedensmarschierer und Friedensmarschiererin ist wichtig um diese unsere Friedensperspektive durchzusetzen:

Genauso wichtig, wie jeder einzelne der französischen Soldaten, die Anfang März den Einsatz gegen Afghanische Menschen verweigerten.
Wir unterstützen die Weigerung der französischen Kampflieger, die aus humanitären Bedenken Angriffseinsätze der Aktion Anaconda um die Stadt Gardes ablehnten.

Wir bewundern den Mut der 338 Reserveoffiziere der Israelischen Armee, die sich in den besetzten Gebieten dem Kriegsdienst wiedersetzen und bereit sind, dafür Haftstrafen in Kauf zu nehmen.

Wir begrüßen den zivilen Ungehorsam des PDS-Obmanns im Verteidigungsausschuss, Wolfgang Gehrke, der die deutsche Öffentlichkeit darüber informierte, das Soldaten der Krisen-Reaktions-Kräfte, in Afghanistan Krieg führen.
Ebenso würden wir es begrüßen, wenn der deutsche Bundeskanzlers Gerhard Schröder, den Mut aufbrächte, den Kriegstreiber George Busch nicht zu empfangen.

Das wäre ein eindeutiges Signal gegen den geplanten
  • Irak-Krieg der von Ölfirmen gesponserten US-Administration
  • Gegen die Aufkündigung des ABM-Vertrages,
  • die Einführung neuer Weltraumwaffen,
  • Gegen die geplanten Mini-Atombomben
  • die immense Erhöhung des amerikanischen Rüstungsetats
  • Gegen die Brutalität des Afghanistan-Krieges, in dem es um Ölpipelines und Profite daraus geht und um nichts anderes.
Wir fordern Sie auf Herr Schröder: Laden Sie den US-Präsidenten wieder aus!
Wir sind überzeugt:
Dieses politische Signal der deutschen Regierung würde weltweit positiv aufgenommen!
Die politische und ökonomische Potenz für ein solches Signal hat die Bundesrepublik als zehntreichstes Land der Erde.

Nicht uneingeschränkte Solidarität mit der von der Öl- und Rüstungsindustrie finanzierten US-amerikanischen Busch-Administration kann die politische Strategie der Bundesregierung sein, sondern konstruktive zivile Friedeninitiativen und scharfe Kritik an der Weltbrandpolitik der US-Regierung.
Ein ebenso mutiges wie friedenspolitisch sinnvolles Signal von Herrn Schröder wäre der Abzug der deutschen ABC-Einheiten aus Kuwait.

Wir fordern:
Keine deutsche Soldaten auf arabischen und anderen Schlachtfeldern!
Wir fordern sie auf, Herr Bundeskanzler:
Rufen sie alle deutschen Soldaten in die Kasernen zurück. Keine Kontrolle von Handelsschiffen.

Die Landeskonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat das in ihrem Ostermarsch Aufruf bekräftigt:
"Wir erwarten, dass sich die Bundeswehr an keiner Kriegshandlung beteiligt, die nicht vom alleinigen Grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr, nämlich zur Verteidigung abgedeckt wird."

Auf dieses Grundgesetz haben sie ihren Eid geschworen. Halten sie diesen Eid ein, Herr Schröder.

Krieg führt nicht nur an der Front zu Tod, Verletzung, hungernden und frierenden Flüchtlingen, Zerstörung der Infrastruktur wie Wohnungen, sauberes Wasser und Strom.
Auch hier im Hinterland spüren wir täglich die Auswirkungen:
  • Während in einem der reichsten Länder der Erde ausreichend Geld für die Bildung fehlt,
  • während Bildungsministerin Buhlman um jede einzelne Million Euro buhlen muss,
  • die Kommunen hoch verschuldet sind, allen voran die Hauptstadt Berlin,
  • während der Bundesanstalt für Arbeit im nächsten Jahr alle Bundeszuschüsse gestrichen werden sollen und den
  • Krankenkassen ein Bundeszuschuss von 3 Mrd. Euro als Ausgleich für Ihr Defizit verweigert wird
  • Und Minister Riester vom Bundesrechnungshof aufgefordert wird, die Wohnungsbaugesellschaft Gagfah zu verkaufen um die Geldreserve für die staatliche Rentenkasse zu verstärken,
wirft die Bundesregierung der Rüstungsindustrie das Geld geradezu hinterher.

Für den Kriegstruppentransporter Airbus werden 9,5 Mrd. Euro zu Verfügung gestellt. Eurofighter, Kriegsfregatten, Militärhubschrauber werden ohne Bedenken von Minister Eichel finanziert. Und der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie hält sich nicht raus. Ganz im Gegenteil: Ihr Präsident Rainer Hetrich fordert eine weitere Erhöhung des Deutschen Rüstungsetats.
Das lehnen wir ab.

Im Gegenteil:
Wir müssen all unser Wissen, unser Können, unsere intellektuellen, technischen und ökonomischen Ressourcen in die Wagschale werden um Krieg zu verhindern und Frieden möglich und machbar zu machen.
Deutschland muss der Friedensmacher Nr. 1 auf der Welt werden, denn wir haben 45 Jahre lang positive Erfahrungen gesammelt mit nichtmilitärische Außenpolitik:
Diese 45 Nachkriegsjahre haben gezeigt hat, das so Prosperität und Wachstum möglich ist Deutschland war mit dieser Politik 45 Jahre lang eine der wirtschaftlichen Zugmaschine Europas war. Diese Außen- und Sicherheitspolitik muss weitergeführt werden. Unser Land muss heute in der Welt ein sichtbares und unüberhörbares Signal gegen den terroristischen Krieg setzen.

Wir fordern gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund: "Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden."

Vom Bundeskanzler, der Regierung, von jedem und jeder einzelnen Abgeordneten fordern wir: Halten Sie den Koalitionsvertrag ein. Dort heisst es: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik". Ergeben sie sich nicht dem Druck der Konzerne.

Diese tatsächliche Friedenspolitik fordern wir auch in der Irak-Politik ein. Für jeden offensichtlich wird der nächste Krieg gegen den Irak vorbereitet. Offen ist, wann er beginnen und durch welchen Vorwand er ausgelöst werden soll.
Wir kennen diese Vorwände für Kriegsbeginne aus der Geschichte zu Genüge. Ich erinnere nur an den angeblichen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz.
Bundeskanzler Schröder verkündet, dass sich Deutschland an einem Irak-Krieg ohne UNO-Mandat nicht beteiligen wird. Wir lehnen jede deutsche und internationale Beteiligung an einem Krieg gegen die irakischen Menschen ab. Schon die jahrelangen Wirtschaftssanktionen haben zum Tod einer halben Million Kinder beigetragen, die Kindersterblichkeitsrate stieg um mehr als das Doppelte.

Die Frauen der DGB-Bundeskonferenz analysieren richtig:
"Auf Armut und Unterdrückung lässt sich kein Frieden aufbauen. Langfristig wird Terrorismus nur zu bekämpfen sein, indem ihm der wirtschaftliche, soziale, politische und ideologische Nährboden entzogen wird."
Keine weiteren Wirtschaftssanktionen aber auch keinen militärischen Druck auf den Irak, wie es der CDU-Bundestagpolitiker Friedbert Pflüger fordert.
Wir Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen wissen: Jeder Krieg geht uns ganz direkt an.
In einem Krieg gegen den Irak wird der Ölpreis steigen - das ist bereits heute in den Zeitungen zu lesen. Und das triff uns hier, Tausende Kilometer entfernt. Der Benzin- und Heizölpreis wird steigen. Da können wir die besten Tarifabschlüsse durchsetzen - schnell ist das Ergebnis wieder in den Taschen der Ölkonzerne verschwunden.

Wir stehen heute hier gegen den Einsatz von 12.000 deutschen Soldaten außerhalb des Bündnisgebietes, gemeinsam mit der IG Metall fordern wir die Bundesregierung auf, "sich für ein sofortiges Ende der Bombardierung Afghanistans einzusetzen".
Wir fordern von der Bundesregierung wirksame Friedensinitiativen, besonders im Nahe Osten, bevor er lichterloh brennt.

Lasst uns aufstehen für den Frieden.
Wir haben eine weltweite Antiglobalisierungsbewegung.
Das ist gut.
Aber es ist nicht genug.
Was wir brauchen ist eine weltweite Antikriegskampagne.
Lasst uns aufstehen und sie in Bewegung bringen!


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