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"Rüstungskonversion bleibt Aufgabe der Gewerkschaft"

Rede von Wilfried Haarstrick-Pälloth, IG-Metall, auf dem Ostermarsch 2002 in Nürnberg

Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.


Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es sind erst ein paar Monate her, als Bundeskanzler Schröder die IG Metall abkanzelte, weil sie nach längeren internen Diskussionen ein Ende des Bombenkrieges in Afghanistan forderte. Inwieweit das eine Rolle spielte als man an mich als Redner beim Ostermarsch dachte, weiß ich nicht. Dass ich hier von der IG Metall Nürnberg spreche hat aber damit zu tun und soll auch als Antwort auf die ungebetenen Ratschläge des Kanzlers verstanden werden!

Eine Organisation wie die IG Metall kann und darf zu Rüstung und Krieg, zu Unterdrückung und Gewalt nicht schweigen und wir werden das auch nicht. Wir müssen und werden immer wieder darüber diskutieren - und oft auch kontrovers - doch letzten Endes , da bin ich mir sicher, wird immer ein NEIN zu Gewalt, Krieg und Terror herauskommen.

Dass das nicht immer einfach ist, haben wir nach dem 11. September erfahren. Viele Menschen nicht nur in unserem Land glaubten vor dem Hintergrund der verbrecherischen Terroranschläge in den USA nur allzu gerne Versprechungen, die ein schnelles Ende des Terrorismus verkündeten. Für Abwägen, Differenzieren und Nachdenklichkeit war da wenig Platz. Das ist erklärbar, wenn auch nicht verständlich und schon gar nicht unterstützenswert. Aber genau das wurde von den meisten Politikerinnen und Politikern gemacht. Sie boten so lange Krieg als Lösung des Problems feil, bis ein Großteil der Bevölkerung das akzeptierte, beziehungsweise Nase rümpfend hinnahm.

Und nun nach fast einem halben Jahr Krieg in Afghanistan?

Über 17 Tausend Bomben wurden auf das schon weitgehend durch Krieg und Bürgerkrieg zerstörte Land geworfen. Davon waren über 750 geächtete Streubomben, von denen jede 200 kleine gelbe Streubomben enthält. Viele dieser 150 000 kleinen Streubomben sind nicht explodiert und liegen nun als weitere gefährliche "Zeit"bomben herum. Sie werden die hohe Zahl der getöteten und verwundeten unschuldigen Zivilisten weiter erhöhen. Nicht vergessen dürfen wir, dass der Krieg in Afghanistan täglich rund 200 Millionen US-Dollar kostet. Was könnte man mit dem Geld nicht alles sinnvolles zum Wohle der Menschen machen?

Da das eigentliche Kriegsziel, den vermeintlichen Drahtzieher der Terroranschläge, Osama Bin Laden, zu fassen, bisher nicht erreicht wurde, wird das Ende der Taliban Herrschaft als Sieg gefeiert. Wir freuen uns mit, dass dieses mittelalterliche Terrorregime nicht mehr existiert. Wir vergessen aber nicht, dass die Taliban und ihr Terror lange Zeit zumindest billigend als Alternative zur zerstrittenen Nordallianz in Kauf genommen wurden. Und nun wird wieder auf die Nordallianz gesetzt. Und wiederum wird über Steinigung von Frauen, denen Ehebruch vorgeworfen wird, hinweggesehen. Nicht absehbar ist, ob die alten Feindschaften über Einfluß auf Staat und Opiumhandel innerhalb der Nordallianz durch die derzeitige Politik der finanziellen Unterstützung überwunden werden können. Die große Anzahl der auf eigene Faust operierenden Warlords und die unterschiedlichen Interessen der mit eigenen Soldaten vertretenen Staaten lassen nichts Gutes erwarten. Es hatte ja seinen guten Grund, dass bis Ende der 80er Jahre nur Staaten ohne weltpolitische Ambitionen und ohne regionale Interessen der UNO Soldaten für Blauhelmeinsätze bereit stellten.

Das Ergebnis des bisherigen Krieges in Afghanistan ist also keinesfalls so rosig wie uns oft von interessierter Seite vorgemacht wird. Vieles wissen wir noch gar nicht, da die Berichterstattung vor allem aus den Kampfgebieten einer strengen Zensur unterliegt. Welch ein Widerspruch? Ein Krieg, angeblich für Freiheit und Menschenrechte - bei dem die Pressefreiheit abgeschafft ist!

Zumindest haben wir Dank einer wohl bewußten Indiskretion der USA erfahren, dass auch Bundeswehrsoldaten in Kampfhandlungen am Boden verwickelt sind. Vor einigen Jahren noch unvorstellbar - jetzt für viele Menschen selbstverständlich: Wo geschossen wird sind deutsche Soldaten nicht fern! Angefangen hat das alles mit Soldaten als Sanitäter und Brunnenbohrer. Wir haben das damals schon nicht geglaubt und weitergehende Absichten vermutet. Und wie Recht wir leider hatten! Nicht weil wir hellseherische Fähigkeiten besitzen haben wir das vorausgesehen, sondern weil wir genau hingeschaut haben. Zum Beispiel haben wir die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 Ernst genommen. Nach dem Wegfall des Feindes im Osten wurde nicht das Ziel einer weitgehenden Abrüstung festgeschrieben, sondern als neue Aufgabe der Bundeswehr definiert; ich zitiere: "... Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt..."

Jetzt sind wir so weit! Nicht zuletzt durch den von Kanzler Schröder als "Ermächtigung" genannten Bundestagsbeschluss vom November sind über 10 000 Soldaten der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebietes im Einsatz. Ein Großteil davon in den Regionen mit den größten Erdölvorkommen: dem Kaspischen Meer und dem arabischen Golf. Zufall? Alles notwendig im Kampf gegen den Terrorismus? Auch das fällt uns schwer zu glauben. Afghanistan zeigt: Mit Bomben und Krieg kann man keine Terroristen fangen! Vielmehr besteht die Gefahr, dass damit neue Ungerechtigkeiten geschaffen und neuer Hass gesät wird. Der Nahe Osten liefert täglich den traurigen Beweis dafür. Trotzdem lassen öffentliche Überlegungen vor allem der USA über die nächsten Kriegsziele im `Krieg gegen den Terror` eine Ausweitung statt eine Beendigung der Kriegshandlungen befürchten. Parallel dazu wird in den USA laut darüber nachgedacht, dabei auch `Kleine Atombomben´ einzusetzen, sogar gegen Staaten ohne eigene Atombomben. Klein heißt dabei: immer noch größer in ihrer fürchterlichen Wirkung als die Hiroshimabombe.

Da könnte man fast verzweifeln! Ich sagte fast! Mögliche Gefahren für den Weltfrieden bei der Umsetzung dieser Horrorvisionen lassen sich kaum abschätzen. Und allein diese Überlegungen sind schon dazu angetan, ein internationales Klima gegen Abrüstung und friedliche Konfliktlösungen zu verstärken. Nicht nur Rußland und China werden versuchen mit weiterer Rüstung darauf zu reagieren. Eine neue Rüstungsspirale ist das Letzte was die Welt braucht. Jetzt wird schon jedes Jahr weltweit über eine Halbe Billion Dollar für Rüstung verschleudert, allein 415 Milliarden davon von den USA. Panzer, Bomben und Raketenabwehrsysteme werden aber die dringenden Probleme wie Unterentwicklung, Bewahrung der Umwelt und soziale Gerechtigkeit nicht lösen.

Dass die Verbündeten der USA einschließlich der Bundesregierung erste vorsichtige Kritik an diesem Kurs üben unterstützen wir. Aber auch hier werden die Taten entscheidend sein. So werden wir weiterhin fragen: Wenn die Bundesregierung einen Krieg gegen den Irak ablehnt, warum bleiben dann die Fuchspanzer in der Region stationiert? Oder hat gar die ´Financial Times Deutschland` Recht, wenn sie am 18. März dieses Jahres schreibt, die Bundesregierung habe Washington gebeten, eine eventuelle Militäraktion gegen den Irak auf die Zeit nach der Bundestagswahl am 22. September zu verschieben?

Ein anderer Punkt hat sich seit dem 11. September positiv verändert: Wofür wir kurz nach dem 11. September mitleidig belächelt wenn nicht gar beschimpft wurden, wird jetzt zumindest öffentlich angesprochen: der Zusammenhang von Armut, Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit mit Sicherheit. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Frau Wieczorek-Zeul, hat als Auswertung der UNO-Konferenz in Monterry festgestellt, Entwicklungszusammenarbeit sei die wichtigste Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts. Wie Recht sie doch hat, die Frau Ministerin. Da können wir sie nur unterstützen! Doch wo bleiben die Konsequenzen dieser richtigen Einsicht? Der Etat unseres Landes für Entwicklungshilfe ist seit Jahren rückläufig und weit vom zugesagten Ziel entfernt. 0,7% ich wiederhole 0,7% des Bruttoinlandsprodukts gilt seit Jahren für die zu leistende Entwicklungshilfe als Zusage. Nur Wort und Tat klaffen hier weit auseinander. Gerade 0,27% des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland dafür aus.

Gleichzeitig fallen die Preise für die Waren, die wir aus den armen Ländern beziehen. Die Folgen dieser so scheinbar nüchternen Fakten für die Menschen sind katastrophal: Ich will nur ein Beispiel nennen: die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen in den entwickelten Industrieländern ist um etwa 30 Jahre höher als die eines Menschen in Schwarzafrika. Welch ein Zustand! Glaubt jemand ernsthaft auf solchen Schandmalen kann auf Dauer eine friedliche Zukunft errichtet werden? Und ich denke, wir sollten in öffentlichen Diskussionen auch auf folgenden Zusammenhang hinweisen: In einer Welt mit solchen Ungerechtigkeiten wird auch unser Wohlstand und unsere Sicherheit weder durch Abschottungsgesetze noch durch Militär auf Dauer zu wahren sein.

Wir alle wissen, dass das Anzapfen des Rüstungshaushalts allein nicht alle Probleme lösen wird, nicht in unserem Land und nicht weltweit! Aber es wäre ein Anfang. Ein notwendiger Anfang und ein sinnvoller Anfang! Es würde ein Signal setzen: Ja, wir sind bereit zur Umkehr und wir leiten sie ein!

Leider sind wir davon noch weit entfernt. Vielmehr wird das Geld ausgegeben, damit die Bundeswehr überall auf der Welt anwesend und wenn es für notwendig erachtet wird auch kampffähig sein kann. Uns allen ist der Streit über die Bezahlung der 73 neuen Transporter A 400 M noch in Erinnerung. Um die 9 Milliarden EURO werden derzeit dafür veranschlagt. Von leeren Kassen oder von Sprüchen wie "Das können wir uns nicht mehr leisten" ist da nicht die Rede. Dafür müssen aber in solchen Fällen oft die Arbeitsplätze herhalten. Natürlich wissen wir, dass mit dem Geld auch sinnvolle und meistens sogar mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können. Nur wir bestimmen das nicht! Auch nicht die Kolleginnen und Kollegen in den Rüstungsbetrieben. Wer schon selbst arbeitslos war, derzeit ist oder davon bedroht ist, weiß, dass man diese Ängste der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Ernst nehmen muss. Konkrete Vorschläge zur Rüstungskonversion verbunden mit erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten - damit es auch umgesetzt wird - bleibt deshalb eine Aufgabe meiner Gewerkschaft.

Die richtige Erkenntnis, dass die ungerechte Weltwirtschaftsordnung ein Nährboden für Terrorismus ist und dann die Bundeswehr weiter für weltweite Einsätze aufrüsten obwohl ansonsten immer angeblich kein Geld da ist! Das passt doch nicht zusammen!
Da werden wir weiterhin Mahner sein müssen und wenn es sein muss auch unangenehme Mahner!

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
lassen sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mir als Gewerkschafter auf den Nägeln brennt.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht nur weltweit, sondern auch in unserem Land weiter auseinander. Die weltweiten Folgen sind uns bewußt und wir werden weiterhin eine Änderung zum Besseren einfordern.

Zu diesem Thema im eigenen Land möchte ich kurz einen Aspekt ansprechen, der leider oft in der öffentlichen Diskussion untergeht. Fakt ist, dass die Menschen das Auseinanderklaffen der Einkommensschere im eigenen Land natürlich merken; am eigenen Geldbeutel. Und für viele ist das mit harten Einschränkungen verbunden. Zu Recht halten deshalb die Menschen nach Abhilfe Ausschau. Ist die nicht greifbar und erlebbar, dann wird jeder Einzelne einen Ausweg für sich suchen. Setzt sich dieses Einzelkämpfertum durch, dann ist die Gefahr groß, dass Menschen durch Kürzungen und Einschränkungen bei noch Schwächeren einen Ausweg erhoffen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, ein reaktionärer Versuch mit den Problemen fertig zu werden.

Die Alternative dazu ist, dass die Menschen erleben: Es lohnt sich gemeinsam gegen oben anzutreten um unsere Situation zu verbessern. Wir von der IG Metall stehen für diese Alternative! Bedenken Sie das bitte, wenn Sie in den diesen Tagen und den nächsten Wochen von Lohnforderung, Protest oder auch Streik hören.

Und hier schließt sich im übrigen der Kreis: Als der Kanzler meinte, die IG Metall wegen ihrer Forderung nach dem Ende des Bombenkrieges in Afghanistan „abkanzeln“ zu müssen, erklärte er zugleich, die IG Metall solle sich um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmern, das beherrsche die IG Metall. Recht hat er ja, der Bundeskanzler, das machen wir. Auch jetzt in diesem Jahr wieder. Wir fordern für unsere Mitglieder in der Metall- und Elektroindustrie gerade mal 6,5 % Lohn- und Gehaltserhöhung und 65 € für die Auszubildenden und einen Einstieg in einen gemeinsamen Entgeltrahmentarifvertrag (ERA) für Arbeiter und Angestellte. Die Arbeitgeber verweigern zur Zeit eine Lösung am Verhandlungstisch. Der IG Metall bleibt gar keine andere Wahl, als massiv zu Warnstreiks aufzurufen - dies wird auch hier in Nürnberg der Fall sein – um den Druck für eine Lösung aufzubauen, die vielleicht einen Streik verhindern kann.
Und was sagt der Bundeskanzler jetzt? Er rät lautstark zur Mäßigung.
Ich würde mich freuen, er würde auch mal zur Mäßigung aufrufen, wenn die Aktionäre 15 % Rendite fordern. Aber da hören wir nichts.

Also bleiben wir dabei – wir mischen uns ein, wenn es um den Frieden und die soziale Gerechtigkeit geht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


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