Wider die Verunglimpfung pazifistischer Grundhaltungen
Till Gocht (IMI) auf dem Ostermarsch 2002 in Mainz
Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.
   
                            Liebe Freundinnen und Freunde, 
   
                            es herrschen schwierige Zeiten für Menschen,
für die Frieden nicht die
                            Vorbereitung des nächsten Krieges bedeutet.
Aber es macht Mut, mit euch
                            heute hier zu sein und wir schicken unsere
Grüße an all die anderen, die sich
                            an anderen Orten zum diesjährigen
Ostermarsch versammelt haben. 
   
   
                            Es gäbe viel zu sagen zur Neuformulierung
der nuklearen Strategie der USA,
                            die sämtliche Grundsätze der atomaren
Abrüstung über den Haufen wirft. Auf
                            schmerzliche Weise wird uns die Bedrohung
kriegerischer
                            Auseinandersetzungen einschließlich des
Gebrauches der fürchterlichsten
                            existierenden Vernichtungswaffen in das
Bewusstsein zurückholt. Überwunden
                            geglaubtes kehrt zurück, nicht mehr umzäunt
vom Gleichgewicht des
                            Schreckens, das für uns allerdings auch in
den Zeiten des Ost-West-Konfliktes
                            während des kalten Krieges kein sanftes
Ruhekissen bedeutete. Nun richtet
                            sich die atomare Drohung aber auch explizit
an Nichtatomwaffenstaaten und es
                            scheint, als ob der wirkungsvollste Schutz
gegen einen Atomschlag eben der
                            Besitz von Atomwaffen ist. Die US-Pläne
werden also ein neues Wettrüsten
                            sowie die Proliferation von Atomwaffen
provozieren, da auch Nichtbesitz dieser
                            Waffen nicht mehr vor einem nuklearen
Angriff des selbsternannten
                            Weltpolizisten schützt. Daher lehnen wir die
verantwortungslose
                            Atomwaffenpolitik der Regierung Bush mit
aller Entschiedenheit ab. 
   
                            Wir haben jedoch allen Grund, unsere
Aufmerksamkeit auch auf das zu richten,
                            was in den letzten 12 Jahren seit der
Wiedervereinigung Deutschlands zu
                            einem wesentlichen Merkmal geworden ist. Ich
rede von der Militarisierung
                            deutscher Außenpolitik, dem lange
vorbereiteten Kampfeinsatz deutscher
                            Soldaten außerhalb der eigenen
Landesgrenzen. 
   
                            Beginnen möchte ich mit zwei Feststellungen: 
- 
Deutschland befindet sich im
Kriegszustand. Bundeswehrsoldaten des
                            "Kommando Spezialkräfte" (KSK) haben in
Afghanistan im Rahmen der
                            Operation "Anaconda" an vorderster Front im
Bodenkrieg mitgewirkt. 
-  
Krieg richtet sich immer gegen die
Zivilbevölkerung. Die Perversion moderner
                            Kriegsführung besteht darin, das
Kriegsgeschehen mittels
                            Hochpräzisionswaffen auf eine vermeintliche
Materialschlacht zu reduzieren, in
                            der zivile Opfer zu Kollateralschäden
marginalisiert werden. Ist aber schon die
                            Präzision dieser Waffen ein Mythos, so
verblasst das Versprechen der
                            "sauberen" Kriegsführung angesichts des
Einsatzes von Streu- und
                            Splitterbomben hinter den zerfetzten Opfern
zur menschenverachtenden,
                            beschwichtigenden Rhetorik. 
                            Wir lassen uns nicht blenden: Wir wollen
nicht, dass deutsche Soldaten sich
                            an blutigen Rachefeldzügen beteiligen, weder
in Afghanistan noch anderswo! 
   
   
                            Denn das deutsche Engagement erschöpft sich
nicht im Einsatz in
                            Afghanistan. Neben der Beteiligung an den
Interventionen auf dem Balkan, in
                            Mazedonien als "lead nation", sind deutsche
Soldaten auch in Somalia, Kenia
                            und Kuweit im Einsatz. Und zwar vollständig
gedeckt durch den
                            Bundestagsbeschluss vom 16.11.2001, in der
sich die Rot-Grüne
                            Bundesregierung in der bekannten Verknüpfung
mit der Vertrauensfrage die
                            Ermächtigung für den Einsatz der Bundeswehr
auf einem Drittel des Erdballs
                            einholte. Am 11.10.2001 sagte Gerhard
Schröder im Bundestag: "Ein weiter
                            entwickeltes Selbstverständnis deutscher
Außenpolitik" heißt "auch militärisch
                            für Sicherheit zu sorgen." Und: "Diese
Etappe deutscher Nachkriegspolitik ...
                            ist unwiederbringlich vorbei". 
   
   
                            So hört es sich an, wenn Deutschland seine
neue Rolle als militärische
                            Mittelmacht beschreibt. Sehr offen und klar,
wer hätte dies noch vor 10 Jahren
                            für möglich gehalten? Dieses Machtspiel
stellt jedoch nur den letzten Akt einer
                            Entwicklung dar, die bereits in den frühen
90er Jahren angelegt wurde. Im Jahr
                            1992 tauchte zunächst in einem Papier des
damaligen
                            CDU-Verteidigungsministers Stoltenberg, dann
durch seinen Nachfolger Rühe in
                            den "Verteidigungspolitischen Richtlinien"
das Moment auf, das die Abkehr der
                            Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee hin
zu einer Interventionsarmee
                            bedeutete. Dort werden "vitale
Sicherheitsinteressen Deutschlands" benannt,
                            u.a. ist dies "die Aufrechterhaltung des
freien Welthandels und des
                            ungehinderten Zugangs zu Märkten und
Rohstoffen in aller Welt im Rahmen
                            einer gerechten Weltwirtschaftsordnung". Es
ist wohl überflüssig zu erwähnen,
                            wer die Definitionshoheit über die
Gerechtigkeit in der Weltwirtschaftsordnung
                            besitzt. Liebe Freundinnen und Freunde:
Lasst uns dieser neuen alten Politik
                            der Kolonialisierung unsere Vorstellungen
von Gerechtigkeit solange um die
                            Ohren hauen, bis sie endlich zu hören
beginnen. 
   
   
                            Unter diesem Aspekt wird klar, dass die
Landesverteidigung der zukünftigen
                            Bundeswehr nicht mehr die alleinige
Hauptaufgabe sein sollte. Ähnliches wurde
                            auch im neuen strategischen Konzept der NATO
1999 zu Papier gebracht, in
                            der der Zugang zu Ressourcen im weltweiten
Maßstab als Ziel formuliert wurde.
                            Dies machte eine entsprechende Umgestaltung
der Bundeswehr notwendig.
                            Gefragt waren nun Offensivkräfte,
Spezialkräfte, die im Hinterland des erkannten
                            Feindes ihr Operationsfeld haben. In diesem
Sinn stellt das ca. 1000 Mann
                            starke KSK die Speerspitze einer aggressiven
Außenorientierung der
                            Bundeswehr dar. Wir lehnen diese
außenpolitische Militarisierung entschieden
                            ab, Krieg darf nicht Mittel von Politik
sein, sondern steht immer für das
                            Versagen von Politik. 
   
   
                            Auch die modernen Kriege produzieren
Flüchtlingsströme, die jedoch bei einer
                            gleichzeitig betriebenen
menschenverachtenden Abschottungspolitik keinen
                            Zutritt zur Festung Europa erhalten sollen.
Diese Flüchtlinge sind jedoch auch
                            für die Medien kaum ein Thema. Waren sie
noch im Jugoslawien-Krieg
                            Legitimation für die sogenannte "humanitäre
Intervention", so finden sie in der
                            derzeitigen Berichterstattung kaum
Beachtung. Stattdessen ist der "Frankfurter
                            Rundschau" vom vergangenen Montag die
Wiedereröffnung der Schulen in
                            Afghanistan ein Bild mit Text auf Seite 1
wert. Meine Damen und Herren von der
                            Presse: So sieht Verharmlosung von
Kriegselend aus! 
   
   
                            Begleitet wird das militärische Getöse von
einer widerlichen Verunglimpfung
                            pazifistischer Grundhaltungen, die als
Verantwortungslos gegeißelt werden. Es
                            verwundert kaum, dass auch hier
VertreterInnen der GRÜNEN, namentlich
                            Ludger Vollmer an vorderster Front
marschieren. Diesen sei mit Eugen
                            Drewermann gesagt: "... indem man
Menschlichkeit mit militärischen Mitteln
                            erzwingen will, nimmt man lediglich die
Unmenschlichkeit selbst in die eigene
                            Motivation, die eigene Praxis auf. So
besiegt man nicht "das Böse", so wird
                            man sein triumphierender Sklave." 
   
   
                            An dieser Stelle: So unbequem dies für den
ein oder anderen unter uns auch
                            sein mag: Die GRÜNEN sind Teil der
politischen Gegnerschaft, die die
                            Militarisierung der Politik nach außen und
innen mittragen. Ihre Ankunft im
                            Reich der Mitte der politischen Landschaft
dokumentiert im Anschluss an das
                            auf dem diesjährigen Berliner Parteitag
verabschiedete Grundsatzprogramm der
                            GRÜNEN die Titelzeile in der "Frankfurter
Rundschau": "Grüne gehen von
                            Gewaltfreiheit ab. Neues Programm will aber
Militäreinsätze erschweren /
                            Akzent auf Kinderpolitik". Wir haben von
dieser Partei als entschiedene
                            Kriegsgegner nichts, aber auch gar nichts zu
erwarten, da wir es dort mit
                            Antikriegsgegnern zu tun haben! 
   
   
                            Wir stehen an der Schwelle zu neuen Kriegen,
die heute vorbereitet werden.
                            Am wahrscheinlichsten scheint zur Zeit eine
Intervention entweder im Irak oder
                            in Somalia zu sein, beides unter dem Vorwand
der Terrorismusbekämpfung.
                            Eine direkte Verbindung zu den Anschlägen
vom 11. September braucht
                            vermutlich nicht mehr hergestellt zu werden,
nun wird präventiv gebombt! 
   
   
                            Aber unser Zusammengehen heute dokumentiert:
Wir verweigern dieser
                            Kriegsbesoffenheit die Gefolgschaft. Und
nicht nur hier, und nicht nur heute.
                            Schon in München bei der
Sicherheitskonferenz wurde deutlich, dass ein
                            Zusammengehen von friedensbewegten und
globalisierungskritischen Gruppen
                            möglich ist. Wir werden den Regierenden bei
der Vorbereitung der neuen Kriege
                            in die Arme fallen und uns nicht
kriminalkisieren lassen, denn wir haben es
                            nicht vergessen: Nie wieder Auschwitz heisst
nie wieder Krieg. 
   
   
                            Und das gilt auch heute noch. Daher fordern
wir: Die offensiven, angriffsfähigen
                            Teile der Bundeswehr müssen in einem ersten
Schritt abgebaut werden.
                            Konkret heisst dies: Das KSK muss aufgelöst
werden. Dies bedeutet einen
                            Schritt auf dem Weg hin zur Stärkung ziviler
Optionen von Konfliktbekämpfung
                            an dessen Ende eine Welt stehen kann, in der
Frieden tatsächlich nicht die
                            Vorbereitung neuer Kriege bedeutet. 
         
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