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"Rote ÖTV-Fahnen auf den Kasernen? Ein Albtraum"

Rede von Regine Brüggemann* beim Ostermarsch 2001 in Hamburg

* Regine Brüggemann, Gewerkschaftlicher Arbeitskreis Frieden

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

"Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!" So schrieb Kurt Tucholsky vor 70 Jahren, und ebenso wahr ist es heute.

Ich spreche für den gewerkschaftlichen Arbeitkreis Frieden. Auch wir taten uns lange schwer offen nein zu sagen. Wir waren verzweifelt und fragen uns jeder einzeln: "Wer soll das alles ändern? Wie komme ich gegen das neoliberale Einheitsdenken und die Anfeindungen an?"

Der Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die eklatante Verletzung von Verfassung und Völkerrecht half uns aus der Sprachlosigkeit heraus und seither kämpfen wir in einer kleinen Gruppe gegen den gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Mainstream, also gegen jene, die mit dem Strom meinen schwimmen zu müssen.

Oft glaube ich mich in einem Albtraum und der geht so: Auf den Kasernen wehen rote Fahnen - die von der ÖTV! Zur Standortsicherung - so meine Angst - hätte die Gewerkschaft die Kasernen besetzt. Meine Kollegen- so die fürcherliche Ahnung - würden die Kasernen wider alle Vernunft weiterführen. Denn das, so sagen sie, würde Arbeitsplätze erhalten.

Meine Gewerkschaft kämpft gegen Standortschließungen, als sei die Bundeswehr in erster Linie ein modernes Dienstleistungsunternehmen mit sicheren Arbeitsplätzen. Wieso ist der Arbeitsplatz heilig, wenn das Produkt Menschen tötet? Warum fragt heute kaum einer mehr: "Welche Arbeit verrichte ich? Wem nützt sie?"

Liebe Freunde, wir lassen uns nichts vormachen: Die Bundeswehr ist kein Arbeitsbeschaffungsprogramm,ihre Aufgabe ist es nicht, Menschen zu beschäftigen, um ihnen eine menschenwürdige Lebensführung zu ermöglichen. Die Bundeswehr ist zum Kriegführen da! Und wenn jetzt Standorte geschlossen werden, dann weil sie für die neue Art von Krieg nicht mehr gebraucht werden! Die neue Art von Krieg, das sind Angriffskriege - wie der gegen Jugoslawien!

Ich frage mich: Woher kommt diese scheinbar unerschütterliche Sicherheit, dass das rotgrüne politische Personal nur das Beste will und die Bundeswehr selbstverständlich nur im Namen der Menschlichkeit unterwegs ist? Wie können die Kollegen/Innen das glauben? Warum wird der wahre Charakter der gegenwärtigen neoliberalen und kriegerischen Epoche so völlig verkannt?

"Wir führen keinen Krieg", so Schröder, als in Jugoslawien den Menschen schon die Uranmunition und die Splitterbomben um die Ohren flogen! Sie geben sich den Anschein Frieden zu stiften und wollen nichts weniger als die Menschheit retten! Die Wahrheit ist und der unerträgliche Lügen-Scharping hat sich längst verraten: "Unsere Sicherheit wird in vielfältiger Weise auch weit entfernt von unserem Territorium berührt". Weit entfernt von unserem Territorium! Unsere Sicherheit!

Das heißt: wir müssen hin, in die weit entfernten Territorien. Zu unserer Sicherheit schießen, bomben, besetzen, Protektorate errichten, wie im Kosovo! Das sind seine Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Für Schröder,Scharping und die Grünen ist der Globus Hohheitsgebiet, die Bundeswehr soll hin, Rohstoffe sichern und strategische Positionen besetzen!

Und das nächste ist der amerikanische Griff nach dem Weltraum,unter Beifall und mit Hilfe der SPD und der Grünen. Denn Schröder verspricht sich Beute beim Einstieg in das gigantische Aufrüstungsprogramm, Beute für das deutsche Kapital!

Liebe Freunde,
wir müssen gegen die Pläne Washingtons zur Militarisierung des Weltraums protestieren und wir müssen den Zugang zu all jenen finden,die innerlich zweifeln, aber noch nicht den Mut haben Nein zu sagen. Wir müssen uns gegenseitig stärken, uns zusammenschließen mit einzelnen Kollegen/Innen, Gruppen bilden mit Menschen,die so denken und fühlen wie wir, Widerstandszellen bilden. Vielleicht ist VERDI auch eine neue Chance für Friedenpolitik?

Der Hamburger Sozialdemokrat Peter Rühmkorf hat gesagt: "Bleib erschütterbar und widersteh!" - In diesem Sinne!

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