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24. bis 28. Februar 2003

Friedensbewegung in den Medien

In der Süddeutschen Zeitung konnte man wieder mehr von den Protestaktionen der italienischen Friedens- und Gewerkschaftsbewegung erfahren. Die Behörden tun sich schwer, das US-Kriegsmaterial zu transportieren.

(...) Seit Tagen blockieren italienische Kriegsgegner die Züge der US-Armee, indes werden die Waggons über immer neue Umwege zum Ziel gefahren. Zusätzliche Probleme bereitete den Militärs ein Eisenbahnerstreik zu Wochenbeginn, auch die Hafenarbeiter von Livorno erklärten jetzt, dass sie sich weigern würden, Kriegsmaterial zu verladen.
Von einem Nato-Stützpunkt bei Vicenza im Norden Italiens werden zurzeit Jeeps, Waffen und Munition nach Camp Darby transportiert, ein großes US-Nachschublager, das in den Pinienwäldern zwischen Pisa und Livorno liegt. Von dort soll das Kriegsmaterial nach Berichten italienischer Zeitungen über den Hafen Livorno in die voraussichtlichen Kriegsgebiete eingeschifft werden. Doch der Chef der Fracht-Firma im Hafen, einem Zusammenschluss aus Hafenarbeitern, Roberto Piccini, erklärte bereits: „In Livorno kommen keine Waffen durch.“ Wie schon während des Vietnamkrieges 1969 wollen die Arbeiter keinerlei Kriegsgüter verladen. (...) ... der örtliche Sekretär der Transportarbeiter-Gewerkschaft Guido Abbadessa ist sicher: „Es gibt einen General-Boykott.“
Unterdessen besetzten italienische Kriegsgegner bereits landauf, landab Büros der Eisenbahn-Gesellschaft, organisierten Sitzstreiks auf den Gleisen und drangen auch auf den Militärflughafen in Pisa vor. Daraufhin wurden die Militärzüge auf selten befahrene Nebengleise umgeleitet, auf denen die Fahrt freilich ungleich länger dauert. In italienischen Zeitungen wurde schon spekuliert, dass die Konvois möglicherweise auf die Straße verlegt oder von Vicenza aus in Richtung Slowenien umgeleitet werden könnten, wo mit weniger Protesten gerechnet wird.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 28.02.2003

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Tobias Pflüger war bei den Jusos in Rostock zu Gast und erregte Aufsehen - befand jedenfalls die Ostsee-Zeitung:

„Abrüstung oder Öl – Worum geht es im Irak-Konflikt?“ Diese Frage versuchte am Mittwochabend Tobias Pflüger (38) vor rund 60 Zuhörern bei den Rostocker Jusos zu beantworten. Der Politikwissenschaftler aus Tübingen ist Mitarbeiter des Vereins Informationsstelle Militarisierung und verfasst seit sieben Jahren Analysen zur Nato, Bundeswehr und den Konfliktregionen der Welt.
Im Jahr 2000 erregte der Aktivist der Friedensbewegung bundesweit Aufsehen, als er während der Nato-Bombardierungen von Jugoslawien Bundeswehrsoldaten aufrief, zu desertieren. (...) Anfang Februar erneuerte er seinen Aufruf, diesmal an die die deutschen Besatzungsmitglieder der Awacs-Flugzeuge gerichtet, auf einer Kundgebung während der Münchner Sicherheitskonferenz. Diesmal wurde er verhaftet und nach einigen Stunden wieder freigelassen.
Die Rostocker Jungsozialisten verblüffte der 38-Jährige mit provokanten Thesen. Ein Beispiel: Der geplante Angriff auf den Irak sei nur ein Test für die neue Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten. Zugleich sparte er nicht an Kritik an der Bundesregierung. Die mache „alles, was unsere amerkanischen Freunde wollen, außer mitbomben“. (...) „So viel Kritik, trotz der SPD-Fahnen, die draußen hängen“, sagte nachher ein junger Mann mit Kopftuch, „das find' ich gut.“
Ostseezeitung, 28.02.2003

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Wieder eine Meldung aus der Provinz: 1.000 Schüler/innen waren am 26. Februar in der mittelhesischen Kleinstadt Alsfeld auf der Straße. Die Oberhessische Presse berichtete:

„Kein Krieg in unserem Namen“, „Stop Bush, stop war“ oder „Intelligenz statt Krieg“ – so lauteten die Schlagworte, als gestern an die 1000 Alsfelder Schüler gegen „diesen verdammten Irak-Krieg“ auf die Straße gingen. Ihre Vertretungen in Max-Eyth- und Albert-Schweitzer-Schule hatten geladen, und mit Transparenten, engagierten Reden und Trommelklängen protestierten sie nach einem Demonstrationszug auf dem Marktplatz für den Frieden. „Es ist umwerfend, wie viele zusammen gekommen sind, um zu sagen: ‚Wir sind dagegen‘“. So klang die Freude bei den Veranstaltern schon zu Beginn des Protestzuges im Schulzentrum Krebsbach. Dabei sollte sich die Gruppe auf ihrem von der Polizei abgesperrten Weg zum Marktplatz mit immer mehr Teilnehmern noch deutlich in die Länge ziehen. Mit zahllosen Transparenten und lautstark skandierten Slogans weckten die Schüler nicht nur das Interesse der Anwohner und Passanten – auch die Medien wurden von dieser in der Region bisher beispiellosen Demonstration angelockt: Vom Hessischen Rundfunk bis zu RTL waren Vertreter von Fernseh- und Radiostationen vertreten.
Oberhessische Zeitung, 27.02.2003

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Die weltweite Protestwelle gegen den drohenden Irak-Krieg ergreift Länder und Regionen, von denen man etwas ähnliches nicht gewohnt ist. Diesmal ist von Ägypten die Rede. Dpa meldete u.a.:

Knapp 200 000 Ägypter haben sich am 27. Februar im Fußballstadion von Kairo zu einer Protestkundgebung gegen einen von den USA angeführten Irak-Krieg versammelt. Die vom Innenministerium genehmigte Kundgebung war von Politikern aller ägyptischen Parteien, Religionsgelehrten, Gewerkschaftern und Intellektuellen organisiert worden. Sie ist die größte politische Kundgebung in Ägypten seit Jahrzehnten. Yahoo-Nachrichten, 27.02.2003

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Die Proteste gegen den drohenden Krieg können mitunter ganz neue Formen annehmen. In den USA warfen am 26. Februar rund eine Million Menschen mit Internetanschluss ein wenig Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie:

Friedensaktivisten in den USA demonstrieren nicht länger auf den Straßen sondern in den Kommunikationsnetzen für eine friedliche Lösung der Irakkrise. In einen "virtuellen Marsch" auf das Kapitol legten sie am Mittwoch, mit einer Flut von Anrufen und E-Mails die Kommunikationsverbindungen zum Senat und dem Weißen Haus lahm. Nach Angaben der Organisatoren der Bewegung "Win Without War" hätten sich mehr als eine Million US-Bürger an der Aktion beteiligt.
"Mehr als eine Million Anrufe wurden in acht Stunden getätigt.", erklärte Tom Andrews, ein früherer Abgeordneter und National Director von Win Without War. Bei vielen Abgeordneten, sowie im Weißen Haus hätten die Telefone zumindest zwei Mal in der Minute geläutet. Die Organisatoren der Bewegung hatten ihre Aktion am vergangenen Mittwoch angekündigt. Mehr als 500.000 Personen hätten sich seitdem registriert, um an der Aktion teilzunehmen, so die Organisatoren. Der virtuelle Marsch auf das Kapitol wurde von mehr als 32 Organisationen und vielen prominenten Persönlichkeiten in den USA unterstützt.
www.ngo-online.de, 27.02.2003

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Am 25. Februar gingen Tausende Schüler auf die Straße. In Stuttgart sollen es bis zu 10.000 gewesen sein (laut Vernstalter); die taz hielt sich an die Mitteilung der Polizei:

Mehrere tausend Schüler haben gestern in Stuttgarts Innenstadt gegen einen drohenden Irakkrieg demonstriert. Laut Polizei versammelten sich rund 3.500 Jugendliche. Die Demonstranten hielten unter anderem Plakate mit den Aufschriften "Frieden ist geil" in die Höhe. (dpa) taz, 26.02.2003

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Dass es neben den Irakkriegs-Vorbereitungen auch noch andere bedrohliche Entwicklungen gibt, auf die reagiert werden könnte, darauf macht ebenfalls die taz aufmerksam:

Die Friedensbewegung kämpft nicht nur gegen George W. Bush, wie hier in Leipzig. Der "Bundesausschuss Friedensratschlag" kündigte gestern auch Widerstand gegen den "Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee" an, wie ihn Verteidigungsminister Struck (SPD) plane. taz, 26.02.2003

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Auch außerhalb Europas gingen die Proteste gegen den drohenden Irakkrieg weiter. Ein Beispiel aus Marokko:

Mehrere zehntausend Menschen haben am Sonntag in Rabat friedlich gegen eine mögliche Irak-Intervention der USA protestiert. Die Führer der wichtigsten Parteien und mehrere Mitglieder des Kabinetts schlossen sich der Demonstration in der marokkanischen Hauptstadt an. Während des Protestzuges wurden antiamerikanische und antibritische Parolen skandiert. Sicherheitskräfte bezifferten die Anzahl der Demonstranten auf 60.000.
Netzeitung, 24.02.200

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Das folgende Beispiel zeigt, dass die Proteste nicht auf die Großstädte beschränkt sind, sondern längst "in die Fläche" gegangen sind.

Die Aktion "Sindelfingen gegen den Krieg" zieht immer mehr Menschen an. Am Samstag haben 150 Kriegsgegner auf dem Marktplatz demonstriert. Die Schülersprecherin Sarah Költzow, der SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Braun und die Rüstungsgegnerin Elisabeth Lempp haben bei der halbstündigen Kundgebung gesprochen. (...)
Die Organisatoren wollen ihre Demonstrationen fortsetzen, solange die politische Lage sich nicht entspannt hat. Am kommenden Wochenende marschieren die Teilnehmer nach der Kundgebung um 11 Uhr vom Sindelfinger Marktplatz zur 24-stündigen Mahnwache mit Live-Musik auf den Böblinger Elbenplatz. Dort werden die Grünen-Politiker Winne Herrmann und Boris Palmer sprechen. Für Kinder gibt es ein Begleitprogramm.
Aus: Stuttgarter Zeitung (Kreis Böblingen), 24.02.2003

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Und in der Westfalenpost wird von einer gut besuchten Demonstration in Meschede berichtet; Auszüge:

Gegen den drohenden Krieg im Irak haben am Samstag rund 600 Menschen in der Innenstadt demonstriert. Auf Plakaten und Spruchbändern forderten sie "Kein Blut für Öl" und eine friedliche Lösung des Konfliktes. Die Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle, so die Bilanz der Polizei.
Schon bei der Kundgebung zu Beginn der Demonstration bezog der Mitorganisator Sebastian Betz von der Jugendgruppe "Ya Basta" Stellung gegen einen möglichen Angriff. "Opfer der Bomben wäre nicht Saddam - sondern das irakische Volk", sagte er vor dem Mescheder Rathaus. Scharf kritisierte Betz den US-Präsident George W. Bush.
Betz freute sich über die unerwartet hohe Zahl an Demonstranten. "Ich schätze sie auf rund 400 - doppelt so viele wie wir eigentlich gehofft haben". Die Schätzung der Polizei lag noch höher. Die Beamten gingen von mindestens 600 Teilnehmern aus. "Diese Veranstaltung war die größte, die Ya Basta je überhaupt organisiert hat", schwärmte Betz. (...) Bei der Abschlusskundgebung auf dem Von-Stephans-Platz erklärte Pater Johannes, eigentlich solle sich ein Mönch nicht in die aktuelle Politik einmischen. "Doch hier kann ich einfach nicht anders", sagte der Benediktiner-Pater. "Denn dieser Krieg wäre nach den Grundlagen des christlichen Glaubens ein Verbrechen." Der evangelische Pfarrer Winfried Oertel forderte ebenfalls Frieden im Irak.
Sabine Sedlbauer vom Mescheder Rockcafé meinte, sie hoffe auf mehr Unterstützung der Friedensbewegung. "Man muss einfach etwas tun. Ich habe Angst, dass mich meine Kinder sonst später fragen: Was hast Du damals gegen den Krieg unternommen?" (...)
Westfalenpost (Lokalnachrichten), 24.02.2003

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Die Friedensdemonstrationen haben auch Wirkung auf die Bundeswehr gezeigt. Zu diesem Eindruck kommt man, wenn man folgenden Bericht über ein Zusammentreffen wischen dem "Darmstädter Signal" und einem der höchsten Bundeswehroffiziere liest. Ein Auszug aus einem Artikel der Westfälischen Rundschau:

(...) Es war ein ungewöhnliches Zusammentreffen. Einer der fünf höchsten Offiziere der Bundeswehr referierte vor dem "Arbeitskreis Darmstädter Signal", einer Vereinigung kritischer Offiziere und Soldaten, die sich seit zwanzig Jahren der Friedensbewegung zugehörig fühlt. Und vor allem waren es für einen Bundeswehr-Inspekteur nicht gerade alltägliche Sätze, die der Generalober-stabsarzt zwei Stunden lang in seinem Vortrag und bei der anschließenden lebhaften Diskussion von sich gab.
Die Stimmung an der Spitze des Verteidigungsministeriums, sagte Demmer, sei die: "Die Friedenschancen werden besser." Das "forsche Vorgehen der USA" sei offenbar durch "weltweiten massiven Widerstand etwas gebremst". Er stehe "persönlich sehr positiv zu den Friedensdemonstrationen" der letzten Woche, bekannte der Mediziner im Generalsrang, "die haben auch bei der Führungsmacht zu einer gewissen Nachdenklichkeit geführt. Noch sind nicht alle Mittel zur Kriegsverhinderung ausgeschöpft. Ich bin hoffnungsvoll, dass das im Irak doch nicht so läuft, wie man es sich negativ vorstellt". (...)
Westfälische Rundschau, 24.02.2003


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