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Juni/Juli 2003

Friedensbewegung in den Medien

Die Demonstrationen gegen das Öffentliche Gelöbnis in Berlin und die offiziellen Feiern zum 20. Juli fanden auch ihren Eingang in die überregionale Presse. Die Frankfurter Rundschau schrieb u.a.:

Seit 1999 wird jeweils am 20. Juli ein Gelöbnis am Sitz des Verteidigungsministeriums – nahe der einstigen Hinrichtungsstätte – zelebriert. Das Gelöbnis ist das Treuebekenntnis der Wehrpflichtigen zu Deutschland. Die Rekruten bekennen sich mit den Worten: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Normalerweise soll das Gelöbnis öffentlich sein.
Wegen möglicher Störungen wird es aber weiträumig abgeriegelt – Zugang haben nur geladene Gäste. Insbesondere Wehrdienstgegner machen gegen diese Form des Treuebekenntnisses immer wieder mobil. Kritisiert wird, dass das Gelöbnis den Wert des Militärischen zu stark in der Öffentlichkeit herausstellt.

(...) Am öffentlichen Rekrutengelöbnis im Bendlerblock nahm neben Struck auch die französische Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie teil. Sie hob die Auswirkungen des Elysée-Vertrags hervor, der vor 40 Jahren die deutsch-französische Freundschaft begründete. Struck würdigte die deutsch-französische Zusammenarbeit als "Motor für das weiter zusammenrückende Europa" und als "Garant für einen starken europäischen Pfeiler in der Nato".
Zuvor hatten etwa 500 Kriegsgegner in der Nähe unter dem Motto "Deutschland aus dem Gleichschritt bringen" gegen das Gelöbnis protestiert. Laut Polizei, die mit 1000 Beamten im Einsatz war, blieben die Proteste bis zum Beginn des Gelöbnisses bis auf kleinere Rangeleien friedlich. Die Organisatoren der Demonstration werfen der Bundeswehr ein "anachronistisches" Ritual am Jahrestag des 20. Juli 1944 vor. Zugleich kritisierten sie in ihren Aufrufen die weltweiten Bundeswehr-Einsätze. (...)
Aus: FR, 21.07.2003

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In der taz hieß es:

(...) Am Abend sollten im Bendlerblock in Anwesenheit der französischen Verteidigungsministerin Michčle Alliot-Marie 250 Bundeswehrrekruten mit einem feierlichen Gelöbnis vereidigt werden. Mehrere hundert Demonstranten versammelten sich bereits nachmittags am Brandenburger Tor, um von dort aus zum Bendlerblock zu ziehen. Sie kritisierten das öffentliche Gelöbnis als "anachronistisches Ritual am Tag des Hitler-Attentats", mit dem sich die Bundeswehr einen "demokratieverträglichen Nimbus" geben wolle. Wegen befürchteter Ausschreitungen waren Berichten zufolge 1.000 Polizeibeamte im Einsatz.
Aus: taz, 21.07.2001

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Breiter war die Berichterstattung in der "jungen Welt". Auszüge:

Unter drastischen Polizeiauflagen begann am Sonntag nachmittag am Brandenburger Tor eine Demonstration verschiedener antimilitaristischer Gruppen, die sich im Gelöbnix-Bündnis zusammengeschlossen haben. Anlaß war die für 18 Uhr geplante öffentliche Vereidigung von 250 Bundeswehrrekruten im Bendlerblock, wo das Attentat vom 20. Juli 1944 geplant und vorbereitet worden war. Im Aufruf des Bündnisses wird der Bundeswehr ein »anachronistisches« Ritual am Jahrestag des 20. Juli 1944 vorgeworfen. Ferner werden die weltweiten Bundeswehreinsätze kritisiert. In die Demonstration reihten sich auch die rund 1000 Teilnehmer einer zuvor durchgeführten Demonstration von Globalisierungskritikern anläßlich des zweiten Jahrestages der brutalen Polizeiübergriffe beim G-8-Gipfel vor zwei Jahren in Genua ein. (...)
(...) Am Vorabend der Demonstration fand im Kreuzberger Stadthaus Böcklerpark eine Podiumsdiskussion zur Bedeutung des 20. Juli für den antifaschistischen Widerstand statt. Veranstalter war das Büro für antimilitaristische Maßnahmen. Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann wertete das Attentat des 20. Juli als Ausdruck einer äußerst heterogenen Bewegung gegen das Hitlerregime. Die Publizistin Jutta Ditfurth betonte dagegen die Dominanz nationalistischer und antisemitischer Strömungen, die auch der Vernichtung der europäischen Juden aufgeschlossen gegenüber gestanden hätten und diese lediglich »menschenwürdiger gestalten wollten«. Die führenden Akteure und Gruppierungen des 20. Juli seien wichtige Säulen des Faschismus gewesen. Laut Ditfurth müsse vielen Offizieren des 20. Juli angesichts des Vormarschs der Alliierten, in der Normandie sechs Wochen vor dem gescheiterten Attentat, der »Arsch auf Grundeis« gegangen sein. Die Bundeswehr wolle mit ihrer positiven Bezugnahme auf die Attentäter »Antisemitismus über die Hintertür wieder gesellschaftsfähig machen« und weiter das Bild der »sauberen Wehrmacht« propagieren.
Obwohl auch Wippermann den Einfluß reaktionärer Kreise auf die Gruppe des 20.Juli nicht leugnete, verlangte der Historiker, diesen Teil des Widerstandes nicht zu delegitimieren. Auch wenn das Straßenbild in Berlin von vielen kommunistischen Antifaschisten gesäubert worden sei, müsse man wenigstens die Benennung von Plätzen und Straßen nach Akteuren des 20. Juli verteidigen.
Aus: junge Welt, 21.07.2003

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Un die Hauptstadtzeitung "Tagesspiegel" widmete dem Protest auch ein paar Zeilen. Sie hatte die Demonstranten sogar ziemlich genau gezählt:

(...) Rund 560 Militärgegner protestierten auch in diesem Jahr wieder lautstark gegen die Gelöbnisfeier im Bendlerblock. Die Polizei war mit 1000 Beamten im Einsatz, um Störungen zu verhindern. Nach Angaben eines Polizeisprechers blieben die Proteste bis auf kleinere Rangeleien friedlich. 8 Personen wurden festgenommen. Von 22 Demonstranten wurden die Personalien aufgenommen. Alle 30 wurden wegen Hausfriedensbruchs angezeigt.
Die Polizei drohte, mit Wasserwerfern gegen massive Störversuche vorzugehen. Mit Schlagstöcken verhinderte sie, dass Absperrgitter rund um den Bendlerblock überklettert wurden. Ernsthaft verletzt wurde nach Polizeiangaben niemand. (...)
Aus: Der Tagesspiegel, 21. Juli 2003

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Das öffentliche Gelöbnis (elaborierter Volksmund: Gelöbnix) in Berlin findet zwar erst am 20. Juli statt, Vorboten des Protestes waren aber schon gesichtet worden:

Mit einem satirischen Spektakel haben Militär-Gegner am Dienstag in Berlin gegen ein bevorstehendes öffentliches Gelöbnis von Bundeswehr-Rekruten protestiert. Vor dem Berliner Amtssitz von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Bendlerblock trugen als Rekruten verkleidete Männer und Frauen symbolisch einen Soldaten zu Grabe. Die Aktion ist Teil mehrerer Veranstaltungen des Bündnisses "Gelöbnix". (...)
Frankfurter Rundschau, 16. Juli 2003

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Es ist wieder ruhig geworden um die Friedensbewegung. Das liegt nicht in erster Linie an ihr selbst, sondern eher an den Medien, die nach Events (z. Großdemos) und nicht nur nach Meinungen Ausschau halten. Die Weichenstellung, die der Friedensratschlag auf seinem Wochenendseminar in Thüringen vornahm, war wenigstens der "jungen Welt" einen Artikel wert:

Der Bundesausschuß Friedensratschlag hat auf seiner alljährlichen Klausurtagung eine Bilanz der friedenspolitischen Aktivitäten vor, während und nach dem offiziellen Ende des Irak-Krieges gezogen, Perspektiven der Friedensbewegung diskutiert und sich auf Schwerpunkte künftiger Friedensarbeit geeinigt. Es bestehe kein Grund zur Resignation nach dem Abflauen der Massenaktionen, erklärte Sprecher Peter Strutynski in einer Pressemitteilung vom Montag. Vielmehr habe sich im Bewußtsein der Menschen tief eingegraben, daß Angriffskriege – unter welchem Vorwand auch immer – nicht sein dürfen.
Die Teilnehmer der Tagung, die vor zehn Tagen im thüringischen Oberhof stattgefunden hat, vereinbarten, eine bundesweite Unterschriftensammlung mit dem Titel »Abrüstung statt Sozialabbau« anzuregen. In einem entsprechenden Appell an die Bundesregierung wird unter anderem eine drastische Reduzierung der Rüstungsausgaben und die Streichung aller Rüstungsvorhaben gefordert, die für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgesehen sind. Die dadurch frei werdenden Mittel müßten für soziale Sicherung, zivile Arbeitsplätze, Bildung und Ausbildung sowie für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt verwendet werden.
Darüber hinaus plant der Friedensratschlag, ein sogenanntes Kriegstribunal ins Leben zu rufen. Beginnend mit vielfältigen Veranstaltungen auf örtlicher Ebene solle dabei ein Prozeß entstehen, an dessen Ende ein bundesweites Tribunal, schließlich vielleicht auch ein Europäisches oder sogar weltweites Tribunal stehen soll. Dazu soll Ende August eine bundesweite Arbeitsgruppe aus verschiedenen Friedensorganisationen gebildet werden.
Aus: junge Welt, 15. Juli 2003

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Der Kampf um die "FreieHeide" könnte ein "Sommerhit" werden. Die etwas alternative Internetzeitung "www.ngo-online.de" berichtet am 14. Juli über die Planungen der Widerstandsgruppen u.a.:

Verteidigungsminister Struck hat am Mittwoch (9. Juli 2003, d. Red.) seine stark umstrittene Entscheidung bekanntgeben, dass der Luftkriegs-Übungsplatz zwischen Berlin und Rostock wieder bombardiert wird. Die Gruppe "resist now!" kündigt Widerstand an: "An dem Tag, an dem die FREIe HEIDe wieder zum Bombenabwurfplatz umfunktioniert werden soll, wollen wir das Gelände durch unsere persönliche Anwesenheit vor Bombenabwürfen schützen", heißt es in einem Flugblatt der Initiative.
Unter dem Motto "resist now! Für eine FREIe HEIDe" sollen vom 25. Juli bis 3. August im Gebiet Kyritz-Wittstock-Ruppin Aktionstage stattfinden. Mit Zeltplätzen, Wanderungen und Fahrradtouren wollen die Aktivistinnen und Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet die Natur am Südrand der Mecklenburger Seenplatte und die Möglichkeiten für einen ökologisch verträglichen Tourismus kennenlernen und sich mit den Menschen aus der Region treffen. Dort gibt es bereits seit zwölf Jahren Widerstand. Die Leute kennen den Lärm und die Gefahren des "Bombodroms" noch aus der Zeit, als die Rote Armee dort übte, und wissen, dass die erneute Inbetriebnahme des Platzes auch Arbeitsplätze in der einzig florierenden Branche, im Tourismus, kosten wird.
Die Initiative kritisiert das Bombodrom als Voraussetzung des weltweiten Einsatzes der Bundeswehr: "Wer sich mit militärischen Mitteln den "freien Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" sichern will (Verteidigungspolitische Richtlinien von 1992), muss das natürlich auch üben." Gerade Bombenabwürfe aus der Luft fielen dabei immer wieder als eine besonders grausame und meist direkt gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Form der Kriegführung auf.
Neben Informationsveranstaltungen zum Themenkomplex "Krieg und Frieden" ist die Ausstellungseröffnung in Wittstock "Wo ist die Wahrheit nach dem Krieg" ein Höhepunkt der Aktionstage. (...)
"An allen Aktionstagen muss auch mit Aktionen zivilen Ungehorsams gerechnet werden", kündigten die AktivistInnen an.
ngo-online, 14. Juli 2003

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In der Kyritz-Ruppiner Heide bei Wittstock bahnt sich eine heiße Phase des Kampfes um das "Bombodrom" an, nachdem Verteidigungsminister Struck offenbar das Bombenabwurfsgelände bald in Betrieb nehmen will. Erste Demonstrationen fanden Ende Juni in Berlin und in Rechlin statt. In der "Süddeutschen Zeitung" fand sich ein Bericht, in dem es u.a. hieß:

(...) Das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide nahe Wittstock steht kurz vor der Genehmigung. Tornados der Bundeswehr sollen künftig Übungsbomben auf das 144 Quadratkilometer große Gelände im Norden Brandenburgs werfen dürfen.
Mit dieser Entscheidung würde sich Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) über die Grünen hinwegsetzen, die sich gegen die militärische Nutzung ausgesprochen haben.
Weil das angrenzende Mecklenburg-Vorpommern Einbußen im Tourismus fürchtet, erwägt die SPD-PDS-Regierung unter Harald Ringstorff (SPD) eine Klage gegen die Bundesregierung.
Am Montag protestierte die aus Mecklenburg-Vorpommern angereiste Bürgerinitiative „Freier Himmel“ vor dem Berliner Reichstag mit einer „Oben-ohne“-Demo gegen das Bombodrom. Auch an der Müritz in Rechlin kam es zu einer „Oben-ohne“-Demonstration. (...)
Aus: Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2003

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Am 18. Juni, dem Tag, an dem der Deutsche Bundestag über den Kongo-Einsatz der Bundeswehr diskutierte, brachte die Frankfurter Rundschau einen Beitrag dazu, in dem sie wenigstens auch auf die Kritik aus dem außerparlamentarischen Friedenslager einging. Es heißt dort u.a.:

(...) Während es aus Regierungsparteien und Opposition bisher kaum kritische Stimmen zur Beteiligung am ersten UN-Einsatz in EU-Regie ohne Rückgriff auf Nato-Strukturen gab, kritisiert der Bundesausschuss Friedensratschlag, dass es "nicht in erster Linie" um eine Befriedung der Region Bunia gehe, sondern die europäische Öffentlichkeit an derartige Einsätze gewöhnt werden solle. Das "Komitee für Grundrechte und Demokratie" erklärte, der Einsatz sei trotz "humanitärer Tarnung" ein "Schritt zur Militarisierung der EU-Außenpolitik".
In Bunia erschossen Agenturberichten zufolge erstmals seit der Stationierung der multinationalen Eingreiftruppe französische Soldaten zwei Milizkämpfer.
Frankfurter Rundschau, 18.06.2003

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Ausführlicher widmete sich das "Neue Deutschland" den einsatz-kritischen Stimmen. Wir zitieren aus dem Artikel "Intervention mit Fallstricken - Friedensbewegung vermutet in der Militärmission Probelauf für EU-Eingreiftruppe" von Martin Ling:

(...) Die Kongo-Mission ist der erste Einsatz von EU-Soldaten im Auftrag der EU außerhalb Europas. Nach Jahren der Passivität der Weltmächte - wenn auch nicht ihrer Multis - in Afrika, werden die Karten offenbar neu gemischt. Den Vorreiter auf dem unruhigen Kontinent spielt nicht nur im Falle der Kongo-Mission Frankreich, das seit dem Amtsantritt der Regierung Raffarin im Mai 2002 seine Afrika-Politik neu bestimmt hat. Unter der Überschrift "Die neue Partnerschaft Frankreich - Afrika" erhebt die Grande Nation den Anspruch, in Afrika wieder verstärkt Verantwortung zu tragen. Durch die Militärintervention in Côte d'Ivoire 2002 wurden die neuen Ambitionen in den alten Interessengebieten unterstrichen. Als neues Kriterium nennen der französische Präsident Jacques Chirac und sein Außenminister Dominique de Villepin, dass humanitär-sicherheitspolitische Gesichtspunkte Einsätze wie die jetzt in der ostkongolesischen Distrikthauptstadt Bunia rechtfertigen. Eben diese humanitär-sicherheitspolitische Begründung führt auch die Bundesregierung im Munde - ob Verteidigungsminister Peter Struck oder Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Für den Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, ist das keine glaubhafte Argumentation. Er begrüßt zwar grundsätzlich das Engagement der Staatengemeinschaft in Kongo, nimmt aber die Begründung von Frankreich, Belgien und Deutschland nicht für bare Münze. Andernfalls, so Strutynski gegenüber ND, hätten die genannten Staaten sowie die EU als Ganzes die Mission der Vereinten Nationen in Kongo (MONUC) unterstützen und die Mittel zur Verfügung stellen müssen, die der UNO-Generalsekretär Kofi Annan seit langem fordert. Doch weder von der Bundesregierung noch von der EU wurden Angebote unterbreitet, die unterbesetzten UNO-Kräfte aufzustocken. Und warum wird die EU erst jetzt aktiv, wo doch in der Region Ituri seit Beginn der offenen Feindseligkeiten 1998 rund 50000 Menschen bei Kämpfen und Massakern ums Leben gekommen sind? Für Strutynski liegt die Antwort auf der Hand: Angesichts der Tatsache, dass die neue EU-Eingreiftruppe in der Öffentlichkeit umstritten ist, werde nun die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, Akzeptanz und Legitimation für eine EU-Interventionsarmee zu schaffen. Kongo, mit seiner offensichtlich katastrophalen Situation für viele Zivilisten, werde als geeignetes Mittel zum Zweck betrachtet. Strutynski hält es für mehr als bedenklich, dass gerade Frankreich mit der Führung der Mission betraut wird, obwohl Paris in Kongo und in den Nachbarländern stets eigene Interessen vertreten hat. Afrikaexperten wiesen stets darauf hin, dass französische Truppen - Ähnliches gilt für belgische Verbände - in Kongo ausgesprochen unbeliebt sind. Durch die ersten bewaffneten Auseinandersetzungen und die ersten von EU-Soldaten erschossenen Milizionäre in den letzten Tagen sieht sich Strutynski bestätigt.
Auch die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann teilt die Einschätzung, dass die EU bisher zu wenig unternommen habe, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu fördern. Und das, obwohl seit der Invasion durch ruandische und ugandische Truppen im Sommer 1998 in Kongo ("Afrikas Erster Weltkrieg" laut Madeleine Albright) bereits mehr als 3,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen sind. Bei dem Konflikt gehe es vor allem um Diamanten, Gold, das für Militärflugzeuge, Mobiltelefone und Computer so wichtige Coltan, um Edelhölzer und Erdöl sowie um regionale Macht und Einfluss und nicht primär um ethnische Stammeskriege, sagt Kaufmann. Nicht einmal überprüft wurde, inwieweit europäische Firmen, auch deutsche, am kriminellen Handel der Milizen im Nordosten Kongos mit strategisch wichtigen Rohstoffen verwickelt sind. Politischen Druck auf die mit den USA befreundeten Staaten Ruanda und Uganda, der diese veranlasst hätte, die kongolesischen Milizen nicht länger zu unterstützen und mit Waffen zu versorgen, sei völlig ausgeblieben, kritisiert die PDS-Parlamentarierin.
Den Mangel an politischem Druck stellt auch Denis M. Tull vom Institut für Afrika-Kunde fest. Seine Erklärung: Auf EU-Ebene gebe es keine gemeinsame Position zu Uganda, Ruanda und Kongo, so dass es nicht gelinge, mögliche Hebel effektiv einzusetzen. Der jetzigen EU-Intervention steht der Wissenschaftler dennoch verhalten positiv gegenüber, da er zumindest Chancen auf eine wünschenswerte Stabilisierung der Lage sieht. (...) Für ihn (Tull) hat die EU-Mission zwei zentrale Schwachpunkte: ihre räumliche Begrenzung auf Bunia, obwohl der Konflikt in der ganzen Provinz Ituri tobt, und ihre vorgesehene zeitliche Begrenzung bis zum 1.September. Für eine nachhaltig stabilisierende Wirkung dürfte das zu wenig sein, befürchtet Tull, der für eine zeitliche und räumliche Ausdehnung plädiert - auch wenn die EU-Mission unter Umständen ein Probelauf für die EU-Interventionsarmee sei.
Aus: ND 18.06.03

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Die Tageszeitung junge Welt veröffentlichte bereits im Vorfeld der Bundestagsentscheidung ein Interview mit einem Vertreter des "Friedensratschlags":

Frage (Harald Neuber): Der Bundesausschuß Friedensratschlag hat sich am gestrigen Montag für den Einsatz sogenannter Friedenstruppen im Kongo ausgesprochen. Eine Friedensbewegung, die sich für den Einsatz von Gewalt einsetzt?
Antwort (Peter Strutynski): Wir haben uns grundsätzlich für das Engagement der Staatengemeinschaft in der Bürgerkriegsregion Kongo ausgesprochen. Wir haben aber den Einsatz einer EU-Truppe und die Beihilfe der Bundesregierung dazu abgelehnt. Ich glaube, daß man einen Unterschied zwischen einer UN-Blauhelmtruppe und einer Truppe machen muß, die sich aktiv in einen Bürgerkrieg einmischt.
F: In Ihrer Erklärung heißt es, die Eingreiftruppe sei derzeit zu klein. Das klingt nach der Rechnung: Mehr Soldaten plus mehr Waffen gleich Frieden.
Es geht nicht um Waffen und Soldaten, sondern um mehr Blauhelme, die mit dem Ziel eingesetzt werden, die verfeindeten Parteien auseinanderzuhalten. Wir kritisieren aber auch die Bundesregierung, weil sie keine Anstalten macht, Blauhelmsoldaten unter einem UN-Kommando in der Region zu stationieren. Die Pläne für eine EU-Kampftruppe werden von uns entschieden abgelehnt.
F: Aber war es nicht gerade UN-Generalsekretär Kofi Annan, der Frankreich zum Eingreifen aufgefordert hat?
Der UNO muß vorgehalten werden, Hilfe für die Aufstockung der bereits vor Ort stationierten, aber zahlenmäßig zu geringen Blauhelmtruppe verweigert zu haben. Möglicherweise auf Druck bestimmter Mächte wurde in den UN zudem die Resolution 1484 verabschiedet, mit der die Erlaubnis für einen dreimonatigen Einsatz anderer Staaten gegeben wird. Sie müssen nicht zwangsweise unter UN-Kommando agieren, und das ist der besorgniserregende Präzedenzfall.
F: Warum ist Ihrer Meinung nach in den vergangenen Jahren kein Friedensabkommen durchgesetzt worden?
Das hat innere und äußere Gründe. Insbesondere im Ost-Kongo gibt es eine große Anzahl von unterschiedlichen Kriegsherren mit ihren jeweiligen Truppen. Das hat nichts mit ethnischen Gruppierungen zu tun, sondern zieht sich bisweilen quer durch die Stämme. Hier liegen wie auch bei den externen Protagonisten die Interessen an den Rohstoffen der Region zugrunde.
F: In Anbetracht der externen Interessen: Sollte die Friedensbewegung nicht stärker die Waffenexporte aus dem thematisieren?
Das ist ein wichtiges Thema, denn natürlich treten wir für die Einstellung aller Waffenexporte in diese Region ein.
F: Wie können in Zukunft solche regionalen Schlächtereien wie im Kongo präventiv vermieden werden?
Mit einem langen Atem. Man muß beispielsweise dafür sorgen, daß Exporterlöse von regionalen Rohstoffen nicht in die Taschen von Profiteuren gelangen, sondern daß sie für Entwicklungsprojekte eingesetzt werden. Über die Welthandelsorganisation und den Internationalen Währungsfonds wird zudem eine Politik betrieben, mit der Staaten geradezu zur Schwächung der Zentralgewalt gezwungen werden. Betreibt man dies weiter, so darf man sich nicht über Situationen wie im Kongo wundern.

Aus: junge Welt, 17.06.2003


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