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24. bis 31. Januar 2003

Friedensbewegung in den Medien

Die Süddeutsche Zeitung, sonst nicht gerade ein Ausbund an Freundlichkeit gegenüber der Friedensbewegung - hat offenbar auch die Zeichen der Zeit erkannt. Zumindest im Lokalteil werden am 31. Januar die wichtigsten Termine und Veranstaltungen der nächsten Tage (und es sind viele Ereignisse im Vorfeld der "Sicherheitskonferenz") unter einer eigenen Rubrik ("Mahnwachen, Demos, Lichterketten - Alle Termine für Veranstaltungen in München gegen den drohenden Krieg im Irak") bekannt gemacht. Ob das auch einmal auch auf den Politikteil der Zeitung ausstrahlt?

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2.000 Demonstranten kamen am 30. Januar in Hamburg zusammen, um anlässlich des 70. Jahrestages der Machtergreifung der Nazis gegen Krieg und Faschismus, insbesondere gegen den drohenden Irak-Krieg zu demonstrieren. Im Hamburger Abendblatt waren es nur "1.500". Die taz-Hamburg bericgtete:

Gegen einen Angriffskrieg im Irak haben gestern Abend 2000 HamburgerInnen demonstriert. Trotz Schneetreibens und Kälte zogen sie aus Anlass des 70.Jahrestages der Machtübernahme durch den Hitlerfaschismus vom ehemaligen Gestapo-Hauptqurtier an der Stadthausbrücke durch die City. Auf Transparenten forderten sie: "Lasst uns in Frieden - wir machen Krieg nicht mit!" "Ein Eroberungskrieg gegen den Irak verstößt gegen die UNO-Charta", sagte Lühr Henken vom Hamburger Forum und verwies auf die wirtschaftlichen Öl-Interessen der USA in der Region. Henken begrüßte zwar das Nein der Bundesregierung zum Krieg, nannte deren Haltung aber inkonsequent. Konsequenterweise müssten den USA und Briten die Nutzung ihrer Stützpunkte in Deutschland sowie die Überflugrechte für ihre Kampfjets verboten werden. Denn: "Bush will Krieg um jeden Preis, Irak hat Öl, das macht ihn heiß."
Aus: taz-Hamburg, 31.01.2003

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In Kassel demonstrierten am 30. Januar anlässlich des 70. Jahrestags der faschistischen Machtübernahme über 800 Menschen gegen Faschismus und Krieg. Die Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) berichtete am 31. Januar unter der Überschrift "Kassel sagt Nein zum Krieg" u.a.:

(...) "Kassel sagt Nein zum Krieg" lautete das Motto, unter dem das Kasseler Friedensforum, der DGB, die Attac-Regionalgruppe Kassel und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten zur Demonstration aufgerufen hatten. (...)
Laut Veranstalter und Polizei beteiligten sich rund 800 Kriegsgegner an dem Protestzug. Darunter auch Hernan Rojo aus Kassel. Der Vergleich zwischen Irak und Nord-Korea zeige, wie unterschiedlich die USA ihre Interessen vertreten. Den Amerikanern gehe es letztlich nur ums Öl, sagte er. Ins gleiche Horn stieß auch Dr. Peter Strutynski vom Kasseler Friedesnforum bei der Kundgebung aorm Rathaus. Zu den außenpolitischen Prioritäten der US-Regierung zähle "die Sicherstellung des wachsenden Ölbedarfs". Die Bush-Administration sei die "reaktionärste und gefährlichste Regierung, die sich je in den USA an die Macht geschummelt" habe.
Man dürfe sich nicht nur vorm Fernseher über die momentane Situation aufregen, sondern müsse für den Frieden auch auf die Straße gehen, forderte Theodora Kiewring, Schülerin der Gesamtschule Fuldatal. Gemeinsam können man den Krieg verhindern. Man wolle keine Politik, welche die Ausbeutung der Menschen als selbstverständlich ansähe, sagte die DGB-Regionsvorsitzende Katharina Seewald. Der Frieden sei so bedroht wie schon lange nicht mehr.
Aus: HNA, 31.01.2003

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Das Hamburger Abendblatt fasste am 30. Januar eine Reihe von Erklärungen in einem kurzen Artikel zusammen. Die Stimmen gegen den Krieg werden immer lauter:

Die internationale katholische Friedensbewegung Pax Christi hat den Weltsicherheitsrat aufgerufen, Druck von außen für einen Krieg gegen den Irak zu widerstehen. Stattdessen müssten die Waffeninspekteure mehr Zeit für ihre Arbeit erhalten, heißt es in einem in Brüssel veröffentlichten Schreiben an die 15 Mitglieder des Weltsicherheitsrates. Nichts deute darauf hin, dass eine militärische Lösung unvermeidbar sei.
Der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Peter Steinacker, hat zu Friedensgebeten gegen einen Irak-Krieg aufgerufen. In einem Brief an die Gemeinden bat Steinacker um eine Wiederbelebung der Montagsgebete der Friedensbewegung der ehemaligen DDR. Zusammen mit dem katholischen Bischof Franz Kamphaus aus Limburg regte er zudem an, die Friedensandachten ökumenisch zu gestalten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund rief derweil zur Teilnahme an den Anti-Kriegs-Demonstrationen am 15. Februar auf. Der DGB beobachte mit großer Sorge den militärischen Aufmarsch der USA in der Golf-Region, heißt es in dem Aufruf.
Der 15. Februar ist auch europaweit zum Aktionstag gegen einen Irak-Krieg ausgerufen worden. Für Deutschland findet die zentrale Kundgebung in Berlin statt.
Aus: Hamburger Abendblatt, 30.01.2003

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Manchmal geht es offenbar aber auch nur mühsam voran. Unter dem Titel "Nix los in letzter Zeit" erschien am 29. Januar in der Frankfurter Rundschau ein Artikel von Jeannette Goddar, worin der Frage nachggangen wird, warum an den Universitäten vom Protest gegen den drohenden Irak-Krieg zu sehen ist. Goddar schreibt u.a.:

(...) Zum einen ist man sich in Wissenschaftskreisen einig, dass der Student an sich heute weniger politisch aktiv ist als vor zehn, erst recht als vor dreißig Jahren. Aktivisten wie Yaak Pabst verweisen außerdem darauf, dass es angesichts der Haltung der Bundesregierung nicht leicht sei, Protest zu mobilisieren. "Die meisten Studierenden sind gegen Krieg", sagt Pabst, "aber die wenigsten wissen, warum man dafür auf die Straße gehen sollte."
Wer sich engagiert, tut das seit Jahren bei "attac", in Anti-Kriegs-Initiativen oder auch im Tierschutzverein - aber kaum noch in der Fachschaft oder im Studentenparlament. Das mag damit zu tun haben, dass die Unis längst stärker als Stätten des Lernens denn des Sich-Einmischens angesehen werden. Vielleicht, meint Tjark Sauer vom fzs, spiele auch eine Rolle, dass die verfassten Studierendenschaften, die "ASten", sich vielerorts nicht politisch äußern dürften. Seit ihnen per Gerichtsbeschlüssen das "allgemeinpolitische Mandat" entzogen worden sei, übten sich viele in Zurückhaltung. "Es gab Zeiten, da wurde hier jedes Flugblatt einem Anwalt vorgelegt", bestätigt Stefan Niehoff, Fachschaftsmitglied und "attac"-Aktivist in Münster. "Das lähmt natürlich."
Aus FR, 29.01.2003

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Im Emdener Hafen wird u.a. Kriegsgerät verladen. Es gibt auch eine Friedensbewegung, die aktiv geworden ist, wie die junge Welt am 29. Januar berichtete:

In Emden demonstrierten am Montag 200 Menschen gegen den drohenden Angriff auf den Irak Es war eher eine Lichterkette als eine Demonstration, zu der Wulf-Dieter Stolz, Ratsherr der Emder Grünen, am Montag rund 200 Menschen begrüßte. Er freue sich, daß so viele gekommen seien, sagte er, und zum Ausdruck bringen wollten, daß »die Menschen hier eine friedliche Lösung im Irak wollen«. Weitere Redebeiträge gab es nicht, und auch die spezielle Bedeutung, die Emden für den aktuellen Truppenaufmarsch am Golf hat, wurde nicht thematisiert.
Seit dem 17. Januar nämlich, genau zwölf Jahre nach Beginn des Golfkrieges, verladen britische Soldaten Kriegsmaterial im Emder Hafen, vorgesehen für den Angriffskrieg gegen das irakische Volk. Dies war aus der Lokalpresse zu erfahren. Der größte Militärumschlag seit dem Zweiten Weltkrieg wird prophezeit. Emden ist deutscher Haupthafen für den Umschlag der Kriegsgüter und von Material der schnellen NATO-Eingreiftruppe. Das britische Verteidigungsministerium hat vorerst 36 Schiffe geordert. Die Emder Verkehrsgesellschaft EVAG stellt mehrere Gebäude, die Bahn AG Personenwagen als Unterkünfte für Soldaten zur Verfügung. Und Stabsfeldwebel Abbott »schwört auf die Zusammenarbeit mit der EVAG«, hieß es kürzlich in der Emder Zeitung. Weiter ist dort zu lesen, diese deutsch-englische (Kriegs-)Verbindung, »die ihren eigentlichen Impuls durch den ersten Golfkrieg 1991 bekam und später durch Transporte nach Bosnien oder für Truppenübungen zuletzt in Oman vertieft wurde«, bestehe seit etwa zwölf Jahren. (...)
Aus: junge Welt, 29.01.2003

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Auch im Nordbayerischen Neumarkt tut sich was. Ein Auszug aus dem Bericht der Lokalzeitung "Neumarkter Nachrichten":

Nach den Mahnwachen vor dem Rathaus startet die Neumarkter Friedensakademie mit der geplanten Demonstration am Sonntag, 2. Februar, ihre bislang größte Aktion in der Öffentlichkeit.
„Der Irak-Konflikt war für uns natürlich Anlass und Aufgabe zugleich, aufzustehen und eine breite Bewegung in Neumarkt zu schaffen“, erklärte Gabriele Graf, die Sprecherin der Friedensakademie, beim „Kaffee-Gespräch“ in der Redaktion der Neumarkter Nachrichten.
Allerdings geht die Arbeit der etwa 25 Engagierten weit tiefer. Im Gegensatz zur klassischen Friedensbewegung, die sich primär gegen jede Form von Krieg wendet, werde in der Neumarkter Akademie durchaus Pionierarbeit geleistet. Hier geht es nicht „nur“ gegen Krieg, sondern für den Frieden, und zwar in all seinen Facetten, den Frieden im einzelnen Menschen selbst, den Frieden im Umgang miteinander, sozialen Frieden und letztlich natürlich auch den globalen Frieden. (...)
Vor über einem Jahr trafen sich die Friedens-Aktivisten zum ersten Mal in Neumarkt in den Räumen der Volkshochschule und diskutierten eine Fülle von Ideen, klopften ab, was machbar ist und welche Aktionen durchgeführt werden könnten. (...)
„Die Friedensakademie Neumarkt ist eine Vereinigung von Personen, die allesamt ungeachtet unterschiedlicher politischer oder unpolitischer Ansichten, ihrer Herkunft, ihrer religiösen Anschauungen, ihrer Rasse, Nationalität oder Geschlecht nur ein Wille vereinigt, nämlich das Bemühen um Frieden in der Gesellschaft nach innen in jedem von uns und Frieden nach Außen, um das Zusammenleben und gemeinsame Überleben überhaupt lebenswert zu machen“, so Gabriele Graf. (...)
Aus: Neumarkter Nachrichten, 28.01.2003

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Im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung geht es diesmal um die Aktionen anlässlich der bevorstehenden Sicherheitskonferenz. Es tut sich manches unter dem weiß-blauen Himmel, sogar Uhde macht mit. Monika Maier-Albang und Jan Bielicki berichten (Auszug):

(...) Wenn sich übernächstes Wochenende im Bayerischen Hof Politiker und Militärs treffen, werden in der Stadt auch zwei Tagungen stattfinden, die sich mit friedlichen Alternativen zum Krieg befassen: zunächst am Donnerstag und Freitag ein Kongress „Zivil Macht Europa“, im Anschluss daran von Freitag Abend bis Samstag Mittag eine „Internationale Friedenskonferenz“. Diese endet so, dass die Teilnehmer zum Demonstrationszug gehen können. In der Nacht von Freitag auf Samstag ist zudem eine Lichterkette in Kreuzform auf dem Marienplatz geplant, zu der das evangelische Dekanat und Fernsehpfarrer Jürgen Fliege aufrufen. Von 23 Uhr an soll „München leuchten für den Frieden in der Welt“.
Eröffnet wird der von der grünen Petra-Kelly-Stiftung veranstaltete Kongress, der in der Hochschule für Philosophie an der Kaulbachstraße stattfindet, am Donnerstag, 6. Februar, um 19 Uhr, mit der Vorstellung des UN- Konzepts „Menschliche Sicherheit“. Am Freitag von 10 bis 12 Uhr beschäftigen sich die Teilnehmer in vier parallelen „Arbeitsforen“ mit der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, der Globalisierung, den Menschenrechten und der Friedensbewegung. Der Auftakt zur „Friedenskonferenz“, die von einem breiten Trägerkreis in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt organisiert wird, findet am Freitag um 19 Uhr in der Kongresshalle des alten Messegeländes statt. (...) Ausklingen wird der Tag mit dem Kulturprogramm „planet peace“ in der Muffathalle, wo auch Konstantin Wecker singt.
Wecker ruft gemeinsam mit OB Ude, dem Schauspieler Jörg Hube und dem Autor Horst-Eberhard Richter auch dazu auf, per Banküberweisung gegen den drohenden Krieg zu stimmen. Die Aktion „Deutschland sagt Nein zum Krieg gegen den Irak“ hat sich eine Gruppe von Münchnern um den Stern-Journalisten Georg Wedemeyer ausgedacht. Die Idee: Jeder Bürger, der mindestens einen Euro auf ein Spendenkonto des neuen Vereins für Friedliche Lösungen einzahlt, gibt damit eine Nein-Stimme gegen den Krieg ab – und der Computer zählt mit. „Wir wollen damit allen Bürgern die Möglichkeit geben, ihre Stimme gegen den Krieg zu erheben“, sagt Wedemeyer. (...)
Aus: Süddeutsche Zeitung, 28.01.2003

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Die Proteste gegen den drohenden Irak-Krieg gehen unvermindert weiter. Auch am Montag, den 27. Januar kam es zu Demonstrationen und Kundgebungen, u.a. in Frankfurt, Gießen und Dresden. Über Frankfurt informiert der folgende Bericht ("Ich will doch was tun", von Stephan Loichinger):

(...) Kurz nach 16.30 Uhr begann UN-Waffeninspektor Hans Blix in New York vor dem Weltsicherheitsrat mit seinem Bericht über die bisherige Arbeit der Inspektoren in Irak. Fast zur gleichen Zeit, um 17 Uhr, setzten sich, so schätzte die Polizei später, an die 3000 Menschen vom Platz vor der Alten Oper aus in Marsch in Richtung US-Konsulat.
Zur Kundgebung aufgerufen hatte das Frankfurter Bündnis gegen den Krieg. Gekommen waren Vertreter und Sympathisanten der SPD, Grünen, DKP, PDS oder IG Metall. Alte und Junge marschierten, diskutierten untereinander, machten Lärm mit Trillerpfeifen oder hielten schweigend Plakate in die Höhe: "Ami Go Home in Your Criminal Country", "Give Peace a Chance", "Nato - Stop your Massacres" (mit SS-Runen) oder mit dem Antlitz von Che Guevara darauf.
Auf dem Plakat eines 60-jährigen Herrn stand "Kein Krieg für Öl!". Die von den USA für den Angriff auf Irak vorgegebenen Gründe seien "reine Heuchelei", sagte er. Zum ersten Mal mache er bei einer Demo mit. (...)
Ebenfalls zum ersten Mal demonstrierte die 17-jährige Katinka aus Lorsbach. Sie marschierte mit zwei Freundinnen mit. Sie glaube, dass der Krieg nicht mehr zu verhindern sei. "Aber ich will noch was tun - und ich habe nicht viel mehr Möglichkeiten, für den Frieden einzutreten, als auf dieser Demo mitzugehen".
(...) Willi van Ooyen vom Ostermarschbüro sagte am Schluss der Demo, Deutschland müsse im Sicherheitsrat klar Nein zur US-Position sagen und damit "dafür sorgen, dass es keinen Krieg gibt".
Aus: Frankfurter Rundschau, 28.01.2003

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Über die Demonstration in Gießen berichtete der Gießener Anzeiger u.a.:

Rund 1800 Menschen, darunter viele Jugendliche, nahmen gestern an einer „Demonstration gegen einen Angriffskrieg im Irak“ teil. „Das alte Europa protestiert, es ist höchste Zeit Nein zu sagen gegen einen Krieg“, rief Eva Berck von den Gießener Frauen für den Frieden am Berliner Platz in das Mikrofon. Dank für tatkräftige Mithilfe zollte sie Frau Professor Friedel Kriechbaum sowie den Mitveranstaltern, der Friedensinitiative Gießen, dem DGB Region Mittelhessen und der Evangelischen Frauenhilfe Gießen. „Saddam Hussein ist verantwortlich für die Not vieler Menschen im Irak und für die brutale Verfolgung von Minderheiten und politischer Gegner“, rief Ernst Richter, Vorsitzender des DGB Mittelhessen, den in dichten Kreisen Umstehenden zu. Ein neuer Golfkrieg würde aber zu noch mehr Elend, Tausenden Toten und zur Zerstörung von Städten und der Infrastruktur führen. Ein Irak-Krieg mit deutscher Beteiligung oder Unterstützung hätte auch „gravierende Auswirkungen auf die politischen Verhältnisse in unserem Land“. (...)
Zwischen Friedenskundgebungen in Göttingen und München machte Professor Dr. Dr. Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker und Gründungsmitglied der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) – neuerdings ergänzt um den Zusatz Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. – gestern Station in Gießen. Auf der niedrigen Umrandung eines Parkbeets stehend, warnte der IPPNW-Ehrenvorsitzende vor einem „imperialistischen Feldzug“ der USA und vor der „Eskalation terroristischer Gegengewalt“. Jeder könne selbst etwas tun, indem er sich in einer Friedensbewegung, bei Attac, in den Kirchen oder Gewerkschaften engagiere. „Schweigen heißt Selbstentmündigung, und Stillhalten heißt Verrat an der Menschlichkeit“, rief Richter unter dem Beifall der Menge ins Mikrofon. (...)
Begleitet von Polizeistreifen zog der Demonstrationszug kurz nach 17 Uhr durch die Neuen Bäue, Sonnenstraße, über Brandplatz, Walltorstraße, Kirchenplatz und Seltersweg zum Hiroshimaplatz vor Horten. Zu Trommelwirbeln einer internationalen Gruppe skandierten Sprechchöre: „Bush zieh deine Truppen ab, wir fordern Frieden für Irak!“ und „Krieg im Irak, Krieg in Korea, der Flächenbrand rückt immer näher.“ Auf Spruchbändern und Transparenten war unter anderem zu lesen: „Wir wollen Ihren Krieg nicht, Herr Präsident“, „Keine Überflugrechte für Kriegsbomber“. Scharfe Angriffe richtete Professor Ulrich Gottstein, wie Richter Gründungsmitglied der deutschen Sektion der IPPNW und jetziges Ehrenmitglied, gegen „Bush und die anderen Kriegstreiber“ in seiner Schlussansprache auf dem Hiroshimaplatz. Der US-Regierung warf Gottstein „Täuschungsbemühen“, „grobe Lügen“ und „Falschmeldungen“ vor. In Wahrheit gehe es ihr um die „Besitzergreifung der profitablen Ölquellen“. Lob zollte der Redner der Entscheidung von Bundeskanzler Schröder gegen einen zweiten Golfkrieg. „Man wusste nun, wem man bei der Bundestagswahl die Stimme zu geben hatte.“
Aus: Gießener Anzeiger, 28.01.2003

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Und in der Märkischen Oderzeitung war über die "Montagsdemonstration" in Berlin zu lesen:

In Berlin manifestiert sich die Friedensbewegung gegen einen drohenden Krieg gegen den Irak. Am Montagabend demonstrierten nach Veranstalterangaben rund 2.000 Menschen Unter den Linden. Auf einem Transparent stand: «Alte Europäer gegen den Krieg». Die Demonstration führte von der Humboldt-Universität zum Brandenburger Tor.
Die Demonstranten trugen Plakate mit Aufschriften wie «Kein Krieg für Öl» und «Stop the Bushfire». Im Protestzug wurde gesungen «George Bush - we will stop you» nach der Melodie des «Queen»-Songs «We will rock you».
Die wöchentliche Montagsdemonstration beginnt jeweils um 18.00 Uhr mit einer Mahnwache vor der Humboldt-Universität an. Zur Demonstration am vergangenen Montag (20. Januar) kamen knapp 2.000 Menschen. Eine bundesweite große Friedensdemonstration ist für den 15. Februar in Berlin geplant.
Aus: Märkische Oderzeitung, 28.01.2003

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Über die Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zum Bericht der UN-Waffeninspekteure berichtete die Nachrichtenagentur afp (online am 27. Januar 2003):

Die deutsche Friedensbewegung hat den Bericht der UN-Waffeninspekteure zu Irak begrüßt. "Soweit Einzelheiten bisher bekannt gemacht wurden, spricht er sich für eine unbefristete Verlängerung der Arbeit von IAEA und UNMOVIC aus und erteilt damit all jenen eine Absage, die in der vermeintlich mangelnden Kooperation Bagdads einen Kriegsgrund sehen", erklärte der Bundesausschuss Friedensratschlag in Kassel.
Der Dachverband deutscher Friedensgruppen betonte, in der Geschichte der Vereinten Nationen habe es bislang keinen anderen Fall gegeben, in dem ein Land von der Größe Iraks so gründlich und weitgehend abgerüstet worden sei. UN-Chefinspekteur Hans Blix hatte zuvor den Sicherheitsrat über die Arbeit seines Teams informiert.

Die Meldung fand aber nur ganz selten und total verkürzt Eingang in die Zeitungen. Beispiel: die taz; sie streute in ihren Bericht über den Blix-Bericht folgende Passage über die Friedensbewegung ein:

Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüßte den UN-Bericht. In Hessen und Berlin protestierten tausende Menschen gegen einen drohenden Krieg. In Frankfurt zogen 3.000 Menschen zum US-Generalkonsulat. In Berlin versammelten sich Demonstranten an Brandenburger Tor. (...)
Aus: taz, 28.01.2003

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In zahlreichen Zeitungen wurde in den Lokalnachrichten über die Aktionen der Friedensbewegung vom Wochenende berichtet. Wir können hier nur Beispiele bringen:

Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete über die Demonstration in Mannheim vom Samstag, den 25. Januar, u.a.:

(...) Nach Angaben der Veranstalter marschierten etwa 450 Menschen vom Hauptbahnhof zum Paradeplatz. Unter ihnen sehr viele junge Menschen, Familien mit Kindern, Anhänger diverser Friedensbewegungen und Menschen, die das Regime in Bagdad am eigenen Leib zu spüren bekamen. Am Paradeplatz - hier waren Informationsstände und eine Rednerbühne aufgebaut - hielt das Friedensplenum seine erste Mahnwache unter dem Motto "Es ist fünf vor zwölf - Zeit um aufzustehen" ab.
Dabei hatten die Teilnehmer der Demonstration durchaus verschiedene Motive, aber in der Frage, dass man diesen Krieg nicht will, darin waren sich alle einig. "Es gibt mittlerweile Kalkulationen des Pentagon, in denen die vorläufigen Kosten eines Irakkrieges auf zirka 60 Milliarden Dollar geschätzt werden," sagt Student Nikolas. "Irgendwo ganz unten in dieser Aufstellung steht dann unter dem Stichwort ziviler Kollateralschaden dann die Zahl 500 000."
Das sehen auch Lukas, Philip und Hannes, drei 13- bzw. 14-jährige Schüler der Waldorfschule, als den wichtigsten Aspekt. Sie sind für die Menschen im Irak auf die Straße gegangen. Und das aus eigenem Interesse, denn in der Schule werde ihrer Meinung nach zu wenig über das Thema gesprochen. "Schüler gegen den Krieg" steht auf dem kleinen Transparent, das sie abwechselnd hochhalten. "Wir sagen nein - Blut für Öl, das darf nicht sein!" tönen immer wieder die Sprechchöre der Demonstranten.
Die Friedensbewegung will ab jetzt jeden Samstag um fünf vor zwölf eine Mahnwache abhalten, kündigte der Vorsitzende des Plenums, Mathias Kohler, an. Zu den Forderungen, die er zunächst an die Adresse des Bundeskanzlers und der Regierung richtete, gehört ein Nein mit allen Konsequenzen, d.h. Abzug der Fuchspanzer aus der Golfregion, Verweigerung der Überflugrechte. (...)
Auch der evangelische Dekan Günter Eitenmüller betonte, dass es so nicht weitergehen könne. Des weiteren hoffte er, dass sich die Bereitschaft zum Frieden, wie es auch der Pabst derzeit fordert, "auf alle Völker unabhängig der Religion ausdehnt." (...)
Aus: Rhein-Neckar-Zeitung, 27.01.2003

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"Die Friedensbewegung marschiert wieder", meint sogar das Blatt der Wirtschaft, das "Handelsblatt" und berichtet über die Kölner Großdemonstration und die anderen Aktionen vom Wochenende. Nicht ohne (hämisch?) darauf hinzuweisen, dass hier und da doch nur recht wenig Menschen den Aufrufen zum Protest folgten.

(...) Knapp 400 Menschen blockierten den NATO-Stützpunkt für die AWACS- Flugzeuge in Geilenkirchen bei Aachen. In Leipzig zogen rund 1000 Menschen von der Nikolaikirche zum US-Konsulat. Vor dem Hauptquartier der europäischen US-Streitkräfte (EUCOM) in Stuttgart versammelten sich etwa 30 Personen zu einer Mahnwache. Im oberpfälzischen Grafenwöhr demonstrierten am Rande des größten europäischen Truppenübungsplatzes der US-Armee in Europa knapp 100 Kriegsgegner. In Brandenburg fanden in mehreren Kirchengemeinden Aktionen für den Frieden statt.
(...) In Geilenkirchen riefen die Friedensaktivisten die deutschen AWACS-Besatzungen zur Befehlsverweigerung auf, falls sie bei einem Militärschlag gegen den Irak eingesetzt würden. Der geplante Einsatz von AWACS-Flugzeugen über der Türkei sei eine aktive Beteiligung an einem Angriffskrieg, sagte Armin Lauven von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi (Bonn). Die Aufklärungsflugzeuge seien Flugleitzentralen, die unter anderem der Zielweitergabe für Bombenabwürfe im Irak dienten. Ein Einsatz deutscher Bundeswehrsoldaten in AWACS-Flugzeugen sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht und das Grundgesetz.
(...) In Schwäbisch Gmünd versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einer Demonstration gegen den Irak-Krieg. Zu den Protesten hatten der DGB und Friedensgruppen aufgerufen. In Berlin beteiligten sich an den Antikriegsdemonstrationen nur wenige Menschen. Zu einer Protestveranstaltung im Bezirk Prenzlauer Berg kamen nach Polizeiangaben knapp hundert Menschen.
Aus: Handelsblatt, 27.01.2003

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In Trier demonstrierten am 25. Januar rund 250 Menschen gegen den drohenden Krieg. Im "Trierer Volksfreund" fand sich ein längerer Bericht, aus dem wir eine Passage zitieren:

(...) Die Redner der Katholischen Studierenden Jugend, der Arbeitsgemeinschaft Frieden, der IG-Metall Verwaltungsstelle Trier und der PDS formulieren den Prostest: "Frieden kommt nicht mit Gewalt." Dass Nein der Bundesregierung gegen einen Krieg im Nahen Osten sei zwar sehr zu begrüßen, allerdings müsse man skeptisch bleiben, betonte Markus Pflüger, Demo-Organisator von der AG Frieden. "Es fehlt die Glaubwürdigkeit des Neins." Das Volk dürfe sich nicht durch die verbale Kriegsablehnung Schröders einlullen lassen. Es gelte, wachsam gegenüber der "Verdummungsrhetorik" zu sein. "Ein Nein zum Krieg hieße eigentlich das sofortige Verbot der Nutzung des deutschen Staatsgebiets und des Luftraums für Kriegsvorbereitungen", forderte der Friedensaktivist. Auch in den Augen der IG-Metall Verwaltungsstelle Trier ist der Krieg keine akzeptable Lösung zur Entwaffnung Saddam Husseins. Die Gewerkschaft lehne jeden Versuch einzelner Länder ab, globale militärische Überlegenheit zu beanspruchen und das Mittel eines Präventivkrieges anzuwenden. "Dies führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern vergrößert die Gefahr, dass rechtlose Kriegsführung die zivile Lösung von Konflikten ersetzt", stellte Winfried Groß den Standpunkt der IG-Metall dar. Staaten dürften ihr Handeln nicht nach ökonomischen, machtpolitischen und geostrategischen Gesichtspunkten ausrichten. (...)
Aus: Trierer Volksfreund (online), 27.01.2003

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Die Schwäbische Zeitung berichtet aus Ellwangen:Y

Über weitere Formen des Protests gegen den drohenden Angriff der USA gegen den Irak berieten Frauen und Männer der samstäglichen Mahnwache am Fuchseck . Die Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde als auch Vertreter des Ellwanger Friedensforums, der Gewerkschaft ver.di, von amnesty international, vom Treffpunkt Nord-Süd und von Bündnis 90 / Die Grünen fanden, dass größere Protestaktionen nötig seien, um die amerikanische Friedensbewegung zu unterstützen, heißt es in einer Pressemitteilung. Am kommenden Samstag sollen auf dem Ellwanger Wochenmarkt Informationen verteilt und Unterschriften gesammelt werden. Auf einer überdimensionalen Postkarte können Bürgerinnen und Bürger einen Friedensappell an Bundesaußenminister Fischer unterzeichnen. Die Ellwanger Mahnwache will sich auch stärker mit Friedensgruppen in Ostwürttemberg vernetzen. Darüber hinaus waren sich die Anwesenden in einem weiteren Anliegen einig: Auch wenn alles getan werden soll, um diesen Krieg noch zu verhindern, müssten Vorbereitungen für den Fall des "Tages X" getroffen werden, damit möglichst viele Menschen ihre Betroffenheit und ihren Protest zeigen könnten.
Aus: Schwäbische Zeitung (Forum Ellwangen), online, 27.01.2003

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Im Lokalteil der Frankfurter Rundschau wird am 27. Januar über eine am selben Tag stattfindende Anti-Kriegs-Demonstration berichtet. Darüber hinaus gibt es einen bemerkenswerten Kommentar von Jörg Reckmann zu lesen (Titel: "Nein zum Krieg"), aus dem wir zitieren:

Friedensdemonstrationen in Frankfurt, das hat eine gute Tradition, wenn auch nicht immer jedes Spruchband und jede Parole ungeteilt zustimmungsfähig sind. Was in diesen Tagen anders ist als sonst, ist die große Einigkeit und auch die Ernsthaftigkeit beim Auftreten gegen einen neuen Krieg am Golf. (...)
(...) Sicher bemühen sich auch die Frankfurter Sozialdemokraten im Angesicht erschreckender Wahlprognosen, den Frieden für sich arbeiten zu lassen. Dennoch, die Frage ist zu ernst, als dass sie wahltaktisch vereinnahmt werden sollte. Gerade in Frankfurt, wo die US-amerikanischen Militärmaschinen unüberhörbar des Nachts über unsere Köpfe hinwegdonnern, wo unsere Studenten heute im ehemaligen Hauptquartier der US-Army studieren können, geht die Frage nach Krieg oder Frieden allen nah. Und wenn in Frankfurt, wo nach dem 11. September Tausende spontan aus Solidarität mit den USA auf die Straße gingen, nun Menschen gegen den Krieg auftreten - wenn aus Frankfurt, der vielleicht amerikanischsten deutschen Stadt, ein Nein zum Krieg ertönt, dann hat das Gewicht, und das Nein sollte gehört werden - jenseits aller Wahltaktik.
Aus: Frankfurter Rundschau, 27.01.2003

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Die Nürnberger Nachrichten brachten eine Reportage von dpa über eine Gruppe anglo-amerikanischer Pazifisten auf ihrem Weg in den Irak. Ein Auszug:

Sie sehen sich als die Erben des gewaltlosen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi: Rund 50 Kriegsgegner aus den USA, Großbritannien und anderen westlichen Ländern sind am Wochenende von London aus in den Irak aufgebrochen. Dort wollen sie sich als "menschliche Schutzschilde" auf Brücken oder vor Fabriken den Bomben ihrer eigenen Länder entgegenstellen.
Es ist eine bunte Gesellschaft, von einem 19 Jahre alten Fabrikarbeiter bis zu einem 60-jährigen Ex-Diplomaten. In einem Konvoi aus Doppeldecker-Bussen und Taxis fahren sie in den nächsten beiden Wochen quer durch Europa und hoffen, dabei noch viele Gleichgesinnte mitzuziehen. "Es ist die Zahl der Leute, die einen menschlichen Schutzschild effektiv macht", sagt der Gründer der Gruppe, Ken Nichols O'Keefe. "Wenn es 50 oder 100 sind, dann können wir nichts ausrichten. Aber wir könnten den Krieg beenden, wenn 10 000 oder mehr da wären." (...)
Aus: Nürnberger Nachrichten, 27.01.2003

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Fast kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Deutschland gegen den drohenden krieg demonstriert wird. Auch am Samstag, den 25. Januar, fanden zahlreiche Aktionen statt, die größte in Köln. Markus Peters schreibt im Kölner Stadtanzeiger.
Der Stadtanzeiger machte sich im Politik-Teil der Zeitung auch grundsätzlichere Gedanken über die wieder auflebende Friedensbewegung und zeigt sich irritiert über das Bündnis, das plötzlich bis in die Reihen der CDU reicht. So werden etwa Peter Gauweiler und Jürgen Todenhöfer als Parteigänger der Friedensbewegung ins Feld geführt. Der Pazifismus, so heißt es weiter, schicke sich an, "zu so etwas wie einer deutschen Staatsdoktrin zu werden".


Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in Nordrhein-Westfalen gegen einen drohenden Irak-Krieg demonstriert. Bei der größten Kundgebung protestierten in Köln rund 10 000 Teilnehmer gegen die amerikanische Nahost-Politik.
Bei der Abschlusskundgebung in der Kölner Innenstadt forderten irakische Exil-Politiker eine friedlichen Lösung des Konflikts. Neben verschiedenen Friedensgruppen hatte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu der Demonstration aufgerufen.
Das Kölner Bündnis "Kein Krieg im Irak hat bislang 2500 Unterschriften gegen einen Krieg am Golf gesammelt. Die Initiative wird von Pfarrern, Politikern, Gewerkschaftern und Prominenten unterstützt. (...)
Rund 200 Demonstranten blockierten rund eine Stunde lang die Zufahrt zum NATO-Luftwaffenstützpunkt Geilenkirchen bei Aachen. Hier sind die AWACS-Aufklärungsflugzeuge des Militärbündnisses stationiert. In ihnen sollen im Konfliktfall auch Bundeswehrsoldaten den Luftraum über der Türkei überwachen. Organisiert wurden die Proteste von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. Auch in Bochum und Gronau kam es zu Friedensdemonstrationen. Aus: Kölner Stadtanzeiger, 27.01,2003

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Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete am 24. Januar ausführlich über die örtlichen Friedensaktivitäten. Hier wird für den 15. Februar ein - lokale! - Demonstration vorbereitet. Von der bundesweiten Demo in Berlin ist offenbar noch nichts bis nach Lingen (Kreis Emsland) gedrungen. Ein kurzer Auszug aus dem Artikel:

Für den Lingener Johannes Wiemker steht fest: ,,Als Christ stehe ich auf der Seite der Opfer". Vor dem Hintergrund eines drohenden Krieges gegen den Irak bereitet Wiemker, Mitglied in der ökumenischen Friedensbewegung Pax Christi, Region Lingen/Meppen, eine Kundgebung auf dem Lingener Marktplatz vor, die am Samstag, 15. Februar, um 14.30 Uhr stattfinden soll.
In den vergangenen Tagen hat der 64-Jährige mit den Vertretern verschiedener Lingener Gruppen und Initiativen Gespräche geführt. Das Ergebnis ist eine breite Unterstützung der Kundgebung, die unter dem Motto ,,Krieg bedeutet immer eine Niederlage für die Menschheit" steht. So konnte der Lingener neben der Pax Christi Gruppe auch amnesty international als Mitveranstalter gewinnen, außerdem das Dekanatsjugendbüro BDKJ, die Frauen vom ökumenischen Friedensgebet, die Friedensinitiative Lingen, Kolping, SKM, SkF, die DGB-Region Osnabrück-Emsland, die kfd, den Katholischen kaufmännischen Verein (KKV), die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF), die Antifa-Gruppe Lingen, die verschiedenen Kirchengemeinden und Bündnis 90/Die Grünen. Mit weiteren Parteienvertretern hat Wiemker bereits Kontakt aufgenommen.
Der 15. Februar ist kein zufällig ausgesuchtes Datum. Das Europäische Sozialforum in Florenz hat für den 15. Februar zu einem Aktionstag gegen den Krieg aufgerufen, bei dem europaweit Millionen von Menschen demonstrieren wollen. ,,Wir müssen Signale setzen, und das von der Basis her", forderte Wiemker gestern in einem Gespräch mit unserer Zeitung angesichts der bedrohlichen Truppenaufmärsche am Golf die Bürger dazu auf, an dieser Kundgebung teilzunehmen. (...)
Aus: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.01.2003

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Unter der Überschrift "Seit an Seit mit verdächtigen Gestalten" schrieb Vera Graserow in der Frankfurter Rundschau vom 24. Januar über das Verhältnis der Friedensbewegung zu den wieder in die Friedensbewegung drängenden Grünen. In der Tat, kein konfliktfreies Verhältnis. Auszüge:

So weit er sich auch in Europa umschaut, so tief er in der jüngeren Geschichte kramt: Zu diesem "spannenden Phänomen", das Dieter Rucht derzeit beobachtet, will ihm so recht "keine signifikante Parallele" einfallen. (...) Rucht ist so etwas wie ein wissenschaftlicher "Bewegungsmelder" in Deutschland. Seit einem Vierteljahrhundert gilt sein analytischer Blick den Protestbewegungen, die kommen und gehen.
In diesen Tagen beobachtet der Experte eine selbst für ihn neue Konstellation: eine Protestbewegung, die sich nicht gegen die Regierung richtet, sondern ihr im Gegenteil eher den Rücken stärken müsste. Demonstranten, die gegen einen drohenden Irak-Krieg auf die Straße gehen, Seit an Seit mit einer rot-grünen Bundesregierung, die für ihr Nein zum Militärschlag außenpolitische Schelte bezieht? Oben und Unten - versöhnt im Kampf für den Frieden? Politisch eigentlich eine Traumkoalition. Streng protesttaktisch jedoch "keine Idealkonstellation", meint Rucht. (...)

(...) "Natürlich ist das immer gut, wenn eine Regierung dasselbe will wie wir", sagt Philipp Hersel, der als Vertreter von Attac zur Demo trommelt. "Aber es wäre viel einfacher, wenn die Bundesregierung sagen würde: Wir sind für den Krieg." Tut sie aber nicht. Und das macht die Sache für einige nicht leichter, sondern komplizierter. Dass viele im Glauben, ihr Nein zum Krieg sei bereits bei der Regierung in guten Händen, am 15. Februar lieber zu Hause bleiben könnten, wäre nicht nur mobilisierungshemmend. Die untypische Konstellation scheint auch gewöhnungsbedürftig - für beide Seiten.
Da suchen die einen, die Regierungsparteien, derzeit Anschluss und Rückenstärkung durch den Druck der Straße. Die anderen, die Friedensaktivisten, hingegen beäugen diesen Annäherungsversuch mit einer Mischung aus Wohlwollen und Argwohn. (...)
Reinhard Bütikofer ist wahrlich kein Meister der Rhetorik. Als der Parteichef der Grünen jüngst den denkwürdigen Ausspruch prägte: "Die Grünen sind die Speerspitze der Friedensbewegung", da hat Peter Strutynski, der Sprecher des bundesweiten Friedensratschlags, sich denn auch zunächst "einen Ast gelacht". Später ist daraus eher Zorn geworden. "Rot und Grün hatten in den letzten Jahren nichts gemein mit der Friedensbewegung", schimpft der Friedensaktivist, "und das grundlegende Misstrauen ist im Lauf der Zeit eher gewachsen." Natürlich seien die Grünen bei jeder Antikriegsdemonstration willkommen. "Aber wenn Bütikofer sie jetzt zur Speerspitze der Bewegung erklärt, dann ist das nicht nur ein Lapsus."

(...)Und doch klingt es fast trotzig, wenn Bütikofer dem Postulat von der "Speerspitze" jetzt auch noch diesen Satz nachschiebt: "Es kann nicht sein, dass ein Teil der Friedensbewegung definiert, was Friedensbewegung ist." Das klingt nach Kränkung - und nach einer ziemlich vertrackten Beziehungskiste zwischen Regierung und Bewegung.
Jahrzehntelang galt diese Beziehung als naturgegeben harmonisch. Wiederbewaffnung, atomare Aufrüstung, Vietnam, Nato-Doppelbeschluss, Golfkrieg I - fast immer standen Sozialdemokraten und Grüne bei den hunderttausendfachen "Nein!" und "Gegen!" und "Stopp" in der ersten Reihe. Nach dem Wechsel von der Opposition in die Regierung sorgte das bedingte Ja zu Militäreinsätzen für eisige Entfremdung zwischen Pazifisten und vor allem dem grünen Part der Koalition. Doch nun schafft auch der Antikriegskurs wieder Irritationen.(...)
"Na klar ist das am 15. Februar auch eine Demonstration gegen die Bundesregierung", meint Attac-Friedenskoordinator Hersel. Aber wenn doch diese Regierung gerade Prügel für ihr Nein zum Krieg einstecken muss? Wenn Grüne selbst zu dieser Demonstration aufrufen und auch Sozialdemokraten mitmarschieren? "Pure Beschwichtigungsstrategie der Parteispitzen gegenüber der Basis", "kaum echte Überzeugung", "geschicktes wahltaktisches Manöver", lautet das Urteil des Attac-Manns. (...)

(...)"Die Bundesregierung hat versprochen, sich nicht an diesem Krieg zu beteiligen. Die aktuellen Erklärungen und Handlungen lassen hingegen Zweifel daran aufkommen." So steht es schwarz auf weiß in dem Aufruf der Friedensbewegung zur Demonstration am 15. Februar. "Natürlich begrüßen wir die ablehnende Haltung der Bundesregierung. Und natürlich werden unsere Proteste der Regierung international den Rücken stärken", konzediert Peter Strutynski vom Friedensratschlag. "Aber einen Frieden zwischen der Regierung und der Friedensbewegung kann und wird es nicht geben."
Balkaneinsatz, Kosovokrieg, Afghanistan - zu lang ist vielen Pazifisten das rot-grüne "Sündenregister" geworden, als dass aus der vorsichtigen Annäherung schon ein Schulterschluss werden könnte. (...) Logistische Unterstützung für die Nato-Partner, Überflugrechte für die Amerikaner, deutsche Awacs-Piloten in der Türkei, uniformierter Schutz für US-Kasernen - für die organisierte Friedensbewegung ist an diesen Punkten die Grenze zur deutschen Kriegsbeteiligung schon überschritten. Die neue Protest-Allianz - sie könnte, wenn es zum Ernstfall Krieg kommt, von einer Seite ganz abrupt wieder aufgekündigt werden. "Wir werden sehr kritisch beobachten, ob die Worte der Bundesregierung mit den Taten übereinstimmen", kündigt Herbert Voß von der Berliner Friedensgruppe Pax Christi an. Zugleich sieht der kirchlich engagierte Mann aber Zeichen einer bemerkenswerten Wieder-Annäherung: "Es hat jetzt viele Gespräche gegeben mit SPD und Grünen. Die Bereitschaft zuzuhören ist viel stärker noch als vor einem Jahr." Auch Friedensaktivist Strutynski räumt ein: "Wir erleben derzeit den Versuch von Rot-Grün, das Nein zum Krieg glaubwürdig zu machen. Plötzlich steht wieder ein Unterbezirksvorsitzender der SPD neben mir auf der Mahnwache. Das hat es seit fünf Jahren nicht mehr gegeben." Der 15. Februar könnte da auch für langjährige Friedensaktivisten wie ihn eine Premiere sein. "Regierung und Friedensbewegung gemeinsam auf der Straße, das habe ich in all den 22 Jahren, in denen ich dabei bin, noch nie erlebt." (...)

Aus: Frankfurter Rundschau, 24.01.2003


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