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G8: "Der Club der Reichen und Mächtigen"

Rede von Sabine Leidig (Attac) auf der Protestkundgebung anlässlich des Bush-Besuchs in Stralsund

Am 13. Juli 2006 besuchte der US-Präsident George Bush auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Stralsund. Die Friedensbewegung begleitete das Ereignis mit einer eigenen Kundgebung. Eine der Rednerinnen war Sabine Leidig, Geschäftsführerin von Attac Deutschland.



Irgendetwas ist faul, wenn zwei Regierungschefs, die sich treffen, glauben 12.000 Soldaten zu ihrem Schutz zu brauchen. Immerhin sind Herr Bush und Frau Merkel die obersten Repräsentanten mächtiger Nationen mit demokratischen Verfassungen, die sich im Rahmen der UNO dem Weltfrieden verpflichtet haben. Aber Herr Bush und Frau Merkel steuern auf Kriegskurs: Außenpolitik wird mit Soldaten gestaltet und während der oberste Kriegsherr der USA die militärische Aggression gegen den Iran forciert, agiert die Bundesregierung etwas moderater, aber mit ähnlichen Zielen. Deutschland schickt mehr Truppen nach Afghanistan, neue Truppen in den Kongo und jetzt auch die ersten Soldaten auf die Kanarischen Inseln zur Abwehr von Flüchtlingen aus Afrika. Die Bundeswehr wird umgerüstet, mit dem Ziel weltweit eingreifen zu können. ; die neoliberale Globalisierung und der Zugang zu fossilen Rohstoffen (Öl, Gas, Uran) wird von beiden Regierungen zunehmend militärisch abgesichert.

Bush und Merkel sind Freunde - aber nicht unsere!

Als Teil der Antikriegsbewegung und gemeinsam mit der Friedensbewegung in den USA fordern wir
  • Schluss mit den Kriegsplanungen gegen Iran!
  • Abzug der Besatzungstruppen aus Afghanistan und dem Irak!
  • Rüstungsexportverbot, Abrüstung und Ausbau ziviler Konfliktlösung - und zwar jetzt!
Bush und Merkel sind ab morgen unterwegs zum Treffen in ihrem Club, dem Club der Reichen und Mächtigen, der sehr unbeliebt ist bei der Mehrheit der Weltbevölkerung, von der wir ein kleiner Teil sind und für die wir hier stehen.

Clubs entstanden im 16. Jahrhundert in England. Dort trafen sich die Vertreter der herrschenden Klassen in luxuriösem Ambiente, um gepflegt zu speisen~ zu spielen und dabei ein paar Geschäfte oder politische Intrigen einzufädeln. Es kam nur hinein, wer zu den Eliten gehörte. Der Club ist informell, elitär, exklusiv und undemokratisch. Damit ist auch das Wesen der G8 beschrieben, die als "Weltwirtschaftsgipfel" gegründet wurde.

Die Gruppe der Acht repräsentiert die ökonomische. und politische Ordnung der Welt

Ihre Macht ist abgeleitet von der militärischen, ökonomischen und politischen Stärke der beteiligten Staaten: USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien1 ltalien, Japan, Kanada und Russland. Sie setzen ihre die Absprachen und Ziele nicht nur in die jeweiligen nationalen Politiken um, sondern unbarmherzig werden drücken sie allen Teilen der Welt ihren Stempel auf - mit Hilfe von internationalem Währungsfonds, Welthandelsorganisation, NATO und anderen transnationalen Institutionen.

G8 ist das leibhaftige Symbol der Globalisierung, die Interessen der Reichen, der Konzerne und Kapitalbesitzer weltweit durchsetzt und auf verschiedene Weise das "Geschäft mit dem Tod" betreibt: 90% der weltweiten Waffenexporte gehen auf das Konto der G8-Staaten und die EU ist im vergangenen Jahr an die Weltspitze der Waffenhändler geruckt - hat USA und Russland überholt und Deutschland hat - also wir haben - kräftig dazu beigetragen.

Dagegen hilft nur Rüstungsexportverbot für alle Waffen und alle Nationen! Dabei könnten mit weniger als 3% der jährlichen Militärausgaben alle Menschen auf diesem Erdball mit ausreichend Nahrung, sauberem Wasser und Gesundheitsdiensten versorgt werden.

Die Kapitäne der G8 steuern hart auf neoliberalem Kurs - und der ist tödlich, mit und ohne Krieg. Sie haben ein Leitbild durchgesetzt, bei dem die Pflege der großen Kapitale und Vermögen im Zentrum steht:
  • Löhne, Sozialabgaben, Steuern, Arbeitnehmerrechte oder Kosten für Umweltschutz werden gesenkt, damit das Kapital attraktive Angebote vorfindet.
  • Märkte für Kapital, Güter und Dienstleistungen werden geöffnet - notfalls mit Gewalt; öffentliche Einrichtungen und Betriebe werden privatisiert, um überschüssigem Kapital neue Bereiche für die gewinnbringende Verwertung zu erschließen.
  • Die "Geldwertstabilität" wird als Staatsziel verankert, damit die großen Vermögen vor Abwertung geschützt sind.
Armut, Verschuldung, Umweltzerstörung, Krieg, Abschottung gegen und Entrechtung von Flüchtlingen, Angriffe auf soziale und demokratische Grundrechte - das ist die katastrophale Bilanz der Politik, die von diesen Mächtigsten der Welt betrieben wird.

Deshalb demonstrieren wir hier und blasen zum Gegenwind: Wir wollen, dass sich die Richtung ändert damit diese Welt eine andere wird, in der soziale Rechte für alle Menschen durchgesetzt werden, in der ökologische Entwicklung, friedliche Konfliktlösung und faire Handelsbeziehungen die konkrete Politik bestimmen und in der Wirtschaft und Gesellschaft demokratisch gestaltet werden.

Für ökologischen Umbau gegen Krieg und Not.

Industriestaaten brauchen fossile Rohstoffe (Öl, Gas, Uran) und sichern sich den Zugang durch Aufrüstung und kriegerische Interventionen Doch die fossilen Energieträger schwinden und unser Lebensstil zerstört Umwelt und Klima auf Kosten der Menschen im globalen Süden. Nur der ökologische Umbau unserer Wirtschaft sichert Frieden und gutes Leben für alle.

Für fairen Welthandel und Schuldenerlass

Die G8 setzen die Interessen der transnationalen Unternehmen aus den Industrieländern durch: Nahrungsmittelkonzerne drängen auf die Märkte im Süden und zerstören dort kleinbäuerliche Landwirtschaft, die im Wettbewerb nicht mit halten kann - mit einem Konzern wie Nestle, der im vergangenen Jahr 48 Millionen Euro an Agrarsubventionen aus dem Topf der EU erhalten hat. Ähnlich bedroht sind einheimische Industrien durch die Abschaffung von Importzöllen. Während sich die Großkonzerne mit Patentrechten "geistiges Eigentum" aneignen, verdrängen Saatgutkonzerne mit Genfood Konkurrenten vom Markt.

Die finstersten Folterknechte des Mittelalters haben den Durst als vorletztes Mittel in ihrem Waffenarsenal benutzt. Und sogar Schwerverbrechern war noch "Brot und Wasser" garantiert. Im modernen Kapitalismus würde diese harte Strafe das Leben von 30.000 Kindern pro Tag retten, die heute verhungern und verdursten. Die Politik der G8 tötet mit und ohne Krieg.

Die EU verlangt, dass "Entwicklungsländer" ihre Wasserwirtschaft privatisieren Aber das Recht auf sauberes Trinkwasser steht allen zu! So wie das Recht auf Ernährung oder der gesellschaftliche Wissensschatz darf es nicht nach Profitlogik behandelt werden!

Menschenrecht und Umweltschutz müssen Vorrang haben. Die Verhandlungen über GATS und andere Liberalisierungsabkommen müssen gestoppt werden!

Um den Menschen im globalen Süden selbst bestimmte Entwicklungsperspektiven zu öffnen, muss endlich die Schuldknechtschaft beendet werden, durch die jährlich zehn mal mehr Geld vom Süden in den Norden fließt, als umgekehrt. Die Diktatur der Gläubiger muss endlich durch faire und transparente Entschuldungsverfahren abgelöst werden!

Wir wollen Reichtum umverteilen und Kapital kontrollieren

Die Eliten ziehen zynisch über das "Anspruchsdenken" von Beschäftigten oder Arbeitslosen her, doch sie sind es, die sich auf Kosten anderer Menschen und des Gemeinwesens bereichern. Dabei klafft die soziale Schere immer weiter: im letzten Jahr stieg die Anzahl der Multimillionäre um mehr als 10%.

Unsere Losung "Genug für alle!" ist Feststellung und Forderung: nach Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum für alle, die hier leben.

Es gibt eine Menge konkreter Vorschläge, wie wir diesem Ziel näher kommen könnten.
  • Schließung der Steueroasen, und das Verbot von hoch-spekulativen Finanzanlagen (z.B. Hedge-Fonds); gerechte Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen; Einführung von internationalen Steuern auf Finanztransaktionen (Tobinsteuer> oder Flugbenzin.
  • Arbeitszeitverkürzung, Mindestlöhne, Ausbau von öffentlichen Beschäftigungssektoren und sozialer Sicherheit, ökologischer Umbau von Industrie, Verkehr, und Konsum.
  • Beschränkung der Macht transnationaler Konzerne, durch die Mitbestimmung der Beschäftigten, demokratische Kontrolle und gesellschaftlich sinnvolle Steuerung, z.B. das Verbot von Entlassungen in profitablen Unternehmen.
Liebe Freundinnen und Freunde,

lasst uns Luft holen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen!

Unsere Ziele sind nur durchsetzbar, wenn es eine starke, international handelnde Gesellschaftliche Bewegung gibt, wenn es uns gelingt, viele Leute für Alternativen zu gewinnen und zum Widerstand zu ermutigen.

Herr Bush und Frau Merkel fliegen morgen nach St. Petersburg, wo der G8-Gipfel stattfindet. Russland ist wegen seines Atomwaffenpotenzials und seiner Energieressourcen dabei und führt derzeit vor, wie mit autoritärer Staatsgewalt demokratische Grundrechte verletzt, werden, um den Protest klein zu halten. Ein Grund mehr für Widerstand gegen die Macht der G8. die auch vor der Verletzung demokratischer Grundrechte nicht halt macht.

Im nächsten Jahr im Juni wird der G8-Gipfel hier um die Ecke im Ostseebad Heilgendamm tagen.

"Es gibt Plätze auf dieser Welt, die sind nicht von dieser Welt." Mit diesem Worten machtdie Kempinski-Kette für ihr Grand Hotel dort Reklame.

Tatsächlich scheint die Welt von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder von Präsident George W. Bush, die Welt der Beraterstäbe, Konzernmanager und ihrer Lobbyisten nicht von derselben Art zu sein wie die Welt der Bauern in Indien oder Mexiko, die Welt der Verkäuferinnen bei Lidl, der Hartz IV-Betroffenen in Mecklenburg-Vorpommern wie unsere Welt.

Aber eine andere Weit ist möglich.

Wenn wir nach gemeinsamen Perspektiven suchen: Gewerkschafterlnnen, Migrantlnnen, Sozialpolitische Gruppen, NGOs, die Umweltbewegung, Studierende, antifaschistische Gruppen, die Bewegung gegen den Krieg und die für eine andere Globalisierung. Da müssen wir offen mit Unterschieden und Widersprüchen umgehen und geduldig von unten dauerhafte und tragfähige Strukturen aufzubauen1 die lokale mit globalen kämpfen in Verbindung setzen, sozialen Protest vernetzen und stärken.

Eine andere Welt, wie wir sie wollen, kann nicht zentralistisch geplant und durchgesetzt werden, sondern muss in Lernprozessen, durch Erfahrungsaustausch und Beteiligung aller entstehen.

Die Vorbereitungen auf die Proteste gegen G8 in Heiligendamm werden wir dafür nutzen und Luft holen für Gegenwind.

"... wir werden kommen und werden dann Hunderttausende sein!"

Brecht die Macht der G8!


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