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GRÜNE JUGEND fordert gesellschaftliche Öffnung der Friedensbewegung

Ein offener Brief an die Friedensbewegung - Und eine Antwort aus der Friedensbewegung

Die Grüne Jugend, die Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen, haben in einem "Offenen Brief" an die Friedensbewegung ihren Standpunkt zur bundesweiten Demonstration am 15. Februar 2003 erläutert. Wir dokumentieren im Folgenden den Brief sowie den eigenen Aufruf der Grünen Jugend. Eine Antwort aus der Friedensbewegung schließt sich an.

Offener Brief an das "Aktionsbündniss 15. Februar"

Berlin, 31.01.2003

GRÜNE JUGEND fordert gesellschaftliche Öffnung der Friedensbewegung

Wir freuen uns über die breite gesellschaftliche Mobilisierung zu dem internationalen Aktionstag am 15. Februar durch die Friedensinitiativen, Gewerkschaften, Kirchen und vielen mehr. Auch die GRÜNE JUGEND unterstützt den Widerstand gegen einen Krieg im Irak und mobilisiert derzeit ihre Mitglieder, sich aktiv an der Demonstration zu beteiligen.

Hauptziel dieses Aktionstages sollte sein, dass weltweit möglichst viele Menschen gegen den Irak-Krieg auf die Strasse gehen. Die jüngsten Ereignisse in Europa haben gezeigt, dass die internationale Opposition gegen einen Irak-Krieg auf sehr wackeligen Füssen steht. Darum brauchen wir eine starke Bewegung, die alle Politiker stärkt, die sich für den Frieden und das Völkerrecht einsetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Eure Strategie der Abgrenzung nicht hilfreich: Ihr beansprucht die Definitionshoheit, wer KriegsgegnerIn ist und wer nicht. Der Text des Aufrufes stellt keinen Minimalkonsens dar, der beispielsweise auch von den großen Gewerkschaften, Kirchen und Parteien getragen werden kann. Es darf jedoch gerade einer Friedensbewegung keinesfalls passieren, in Denkmuster wie "GUT und BÖSE" zu verfallen, ähnlich der "Achse des Bösen" -Strategie der Bush-Administration. Alle (mit Ausnahme rechtsextremer Gruppen), die sich in der Ablehnung der Bush-Politik einig sind, sollten als Bündnispartner willkommen sein.

Es ist wichtig und richtig, mit Parteien und Verbänden zu streiten, sie zu kritisieren und Druck auf sie auszuüben. Eine Zusammenarbeit aber generell zu verweigern, kann keine Lösung sein. Wir setzen stattdessen auf starke Bündnisse verschiedenster Gruppierungen, die sich zusammenschließen, wenn sie im Grundsatz die gleichen Ziele verfolgen. Die GRÜNE JUGEND wird sich, wie in der Vergangenheit, auch künftig eigenständig in friedenspolitischen Fragen positionieren, vermutlich oft, aber nicht immer konträr zur rot-grünen Bundesregierung.

Wir können daher den Aufruf nicht unterzeichnen und sind somit nicht im Trägerkreis, was ja auch zunächst unerwünscht war. Die GRÜNE JUGEND sieht sich dennoch als Teil der Friedensbewegung und wird das Aktionsbündnis nicht nur finanziell unterstützen. Dieser offene Brief hat nicht das Ziel einer Abgrenzung von Euch. Vielmehr wünschen wir uns eine stärkere Zusammenarbeit und eine neue Version des Aufrufes, mit dem Ziel einer breiten gesellschaftlichen Öffnung des Aktionsbündnisses.

Lasst uns alle gemeinsam für eine neue Stärke der Friedensbewegung streiten!

Aufruf und Resolution der GRÜNEN JUGEND "Aktionstag 15. Februar"

Berlin, 31.01.2003

GRÜNE JUGEND ruft zur Demo gegen den Irak-Krieg am 15.2. in Berlin auf

Wir begrüßen die breite gesellschaftliche Mobilisierung zu dem weltweiten Aktionstag am 15. Februar gegen die Irak-Politik der US-Regierung. Wir rufen auf, sich in Berlin an der zentralen Demonstration in der Bundesrepublik zu beteiligen.

Wir sind entsetzt über die von der US-Regierung forcierte Enttabuisierung von Präventivkriegen, sowie dem bekundeten Wille auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates anzugreifen. Selbst ein präventiver Einsatz von atomaren Waffen wird nicht mehr generell ausgeschlossen. Diese Politik ist ein Frontalangriff auf die Menschenrechte, das Völkerrecht und die Vereinten Nationen. Den "Falken" in der US-Regierung geht es offensichtlich nicht nur um die notwendige Entwaffnung des Iraks, sondern auch um politische und wirtschaftliche Interessen in einer der ölreichsten Regionen der Erde. Die irakische Bevölkerung leidet bereits unter der Diktatur Saddam Husseins, dem UN-Embargo und den Spätfolgen des letzten Golfkrieges. Ein weiterer Krieg würde die Lage der Zivilbevölkerung weiter verschlimmern und zu einer Destabilisierung in der gesamten Region führen.

Wir begrüßen die bisherige Irak-Politik der rot-grünen Bundesregierung, die wesentlich zu einer Stärkung der europäischen und internationalen Opposition gegen einen Angriffskrieg beigetragen hat. Entsprechend der "Hamburger Erklärung" von Sozialdemokraten und Grünen erwarten wir ein klares "Nein" der Bundesrepublik im Sicherheitsrat zu jedem Antrag, der einen Krieg legitimieren könnte. Im Falle eines Angriffs der Vereinigten Staaten und Großbritannien auf den Irak ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates, muss die Bundesregierung die Lage politisch und rechtlich bewerten: Liegt ein offensichtlicher Bruch des Völkerrechts vor und der Artikel 26 (1) des Grundgesetzes greift, muss als letzter und folgenschwerer Schritt auch die Bewegungsfreiheit an dem Angriffskrieg beteiligter Nationen in der Bundesrepublik eingeschränkt und jegliche aktive sowie passive Unterstützung eingestellt werden.

Wir fordern von der Bundesregierung, ihre konsequente Position in der Irak-Frage auch auf Deutsche Rüstungsexporte anzuwenden. Noch immer gehört die Bundesrepublik global zu den drei größten Hauptexporteuren von Rüstungsgütern. So haben legale und illegale Rüstungsexporte in den Irak wesentlich zu dessen Aufrüstung beigetragen. Die Transparenz von Entscheidungen des Bundessicherheitsrates als zuständiges Regierungsgremium ist nach wie vor mangelhaft. Wir fordern insbesondere vom Bundeskanzler, seine Haltung in dieser Frage zu korrigieren und die friedenspolitische Doppelmoral zu beenden.

Wir fordern von allen Gegnerinnen und Gegnern eines Irak-Krieges, national und international, für eine neue Stärke der Friedensbewegung zu streiten. Insbesondere der amerikanischen Friedensbewegung wünschen wir neue Kraft.

Die Grünen sind willkommen - genießen aber keine Vorrechte

Eine Antwort aus der Friedensbewegung auf den "Offenen Brief" der Grünen Jugend

Liebe Freundinnen und Freunde von der Grünen Jugend,
wir stimmen mit euch vorbehaltlos darin überein, dass es in dieser kritischen Vor-Kriegszeit darauf ankommt, alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu bündeln, um den drohenden Irak-Krieg vielleicht doch noch zu verhindern. Es ist der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung zweifellos gelungen, eine, wie ihr schreibt, "sehr breite gesellschaftliche Mobilisierung" für den Aktionstag am 15. Februar zu erreichen. Selten zuvor haben sich derart viele Stimmen aus Kirchen, Gewerkschaften, aus Literatur, Kunst und Wissenschaft und aus den Parteien so engagiert in die Auseinandersetzung zwischen Krieg und Frieden eingemischt wie in diesem Fall. Die Ablehnungsquote in der Bevölkerung erreicht - wenn man den Umfragen glauben darf - satte Mehrheiten von 70 bis 80 Prozent.

Die Friedensbewegung hat zur Vorbereitung der bundesweiten Demonstration in Berlin bereits im Dezember l.J. nach ausführlicher Diskussion und schließlich im Konsens einen Aufruf verabschiedet, den ihr nun kritisiert und als Dokument der Ausgrenzung interpretiert. Der Aufruf stelle keinen "Minimalkonsens" dar, der "beispielsweise auch von den großen Gewerkschaften, Kirchen und Parteien getragen werden" könne.

Hier befindet ihr euch im Irrtum. Was z.B. die Kirchen betrifft, haben sie sich in den letzten Wochen auf allen Hierarchieebenen außerordentlich kritisch mit dem drohenden US-Angriffskrieg auseinandergesetzt und ihren Protest auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht. Es gibt kaum einen Ort, wo nicht die Kirchen die Aktionen der Friedensbewegung unterstützen und aktiv mittragen. Kirchenvertreter gehören zu den "festen Größen" bei örtlichen oder regionalen Kundgebungen gegen den Krieg. Ähnlich ist es mit den Gewerkschaften. Wo man hinschaut, organisieren DGB-Kreise und Einzelgewerkschaften zusammen mit der Friedensbewegung örtliche Proteste und bereiten gemeinsam mit ihr die Fahrt nach Berlin vor. Auf höchster Ebene existieren inzwischen Beschlüsse von IG Metall, ver.di und dem DGB, worin zur Teilnahme an der Demonstration der Friedensbewegung am 15. Februar aufgerufen wird.

Es ist auch nicht richtig, wenn ihr schreibt, die Friedensbewegung beanspruche eine "Definitionshoheit", wer Kriegsgegner/in ist und wer nicht. Auf so eine Idee wird wohl niemand aus den Reihen der Friedensaktivisten kommen. Die Friedensbewegung war niemals und ist auch heute keine "geschlossene Gesellschaft". Zu ihr gehört jeder Mensch, der sich für den Erhalt des Friedens und gegen den Krieg engagiert. Meinungsunterschiede über die Wege zum Frieden und über (partei-)politische Präferenzen sind hier ausdrücklich eingeschlossen.

Etwas anderes ist es aber, wenn die in vielen unterschiedlichen Gruppen und Initiativen organisierte Friedensbewegung ihre Kräfte zu einer großen bundesweiten Aktion bündelt. Hierzu bedarf es einer inhaltlichen Plattform, die eine möglichst große Breite anstrebt, gleichzeitig aber die politische Zielrichtung nicht über Gebühr verwässert. Im vorliegenden Fall des Aufrufs zum 15. Februar schien es den Repräsentanten der Friedensbewegung (die selbst ein breites politisches Spektrum abdecken) notwendig, nicht nur das Nein der Bundesregierung zum US-Krieg zu begrüßen, sondern auch Zweifel zu hegen, ob diese Haltung im Ernstfall auch durchgehalten wird. Daher unsere Forderung an die Bundesregierung, ihren Worten auch eindeutige "Taten" folgen zu lassen, z.B. "die Fuchs-Spürpanzer aus Kuwait sowie die Marineeinheiten aus der Golfregion abzuziehen und den beteiligten Armeen Überflugrechte und Infrastruktur für den Krieg zu verweigern". (Aus dem Aufruf der Friedensbewegung.) Man kann doch nicht einen Krieg mit guten Gründen zutiefst ablehnen, gleichzeitig aber denselben Krieg durch Vorleistungen und indirekte Hilfeleistungen unterstützen. Auch Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg verstößt gegen das Grundgesetz der Bundesrepubklik Deutschland (Art. 26) und wird nach dem Strafgesetzbuch (Art. 80) mit hohen Strafen geahndet.

Eine weitere Behauptung in eurem Brief trifft nicht zu. Vielleicht beruht sie aber auch nur auf einem Kommunikationsproblem. Ihr schreibt, die Mitarbeit der Grünen Jugend im Trägerkreis zur Demo am 15. Februar sei "zunächst unerwünscht" gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. "Unerwünscht", ich würde eher sagen: nicht gewollt, war die Teilnahme der Parteien im Trägerkreis. Dies hat damit zu tun, dass die Friedensbewegung bemüht sein muss, ihre parteipolitische Unabhängigkeit zu bewahren und nach außen zu dokumentieren. Im Trägerkreis als dem beschließenden Gremium des "Aktionsbündnisses 15. Februar" sollte daher keine Parteien vertreten sein; Parteien sind aber ausdrücklich erwünscht im "Unterstützerkreis", dem man in völliger Uneigennützigkeit beitreten kann, wenn man die Demonstration der Friedensbewegung gut findet und auch finanziell untertützt - ohne ein formales Mitspracherecht zu haben oder gar irgendwelche Vorrechte zu genießen. Um die Bedeutung der Parteien aber auch zu würdigen, haben wir gleichzeitig beschlossen, ihre Jugendorganisationen zur Mitarbeit im "Trägerkreis" aufzufordern. Die Jungsozialisten in der SPD sind dieser Bitte ebenso nachgekommen wie die Jugendorganisation der PDS "[solid] - sozialistische Jugend" sowie weitere parteinahe linke Jugendorganisationen. Auch die Jusos stehen manchen Formulierungen im Aufruf der Friedensbewegung kritisch gegenüber, sie haben das aber nicht zum selbst gewählten Ausschlusskriterium gemacht.

Euer eigener Aufruf vom 31. Januar dürfte in weiten Kreisen der aktiven Friedensbewegung auf Zustimmung stoßen, zumal er vom Aufruf der Friedensbewegung gar nicht so weit entfernt ist, wie euer "offener Brief" suggeriert. Eure Forderung z.B., im Fall eines Krieges die "Bewegungfreiheit an dem Angriffskrieg beteiligter Nationen in der Bundesrepublik" einzuschränken und "jegliche aktive sowie passive Unterstützung" einzustellen, entspricht sinngemäß dem Aufruf der Friedensbewegung. Insofern sind wir möglicherweise viel näher beisammen als von euch vermutet. Lasst uns auf diesem großen Stück Gemeinsamkeit aufbauen und zusammen dem Protest gegen den drohenden Krieg vor Ort und am 15. Februar in Berlin massenhaft Ausdruck verliehen!

Mit besten Grüßen
Peter Strutynski
(Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied im Trägerkreis des "Aktionsbündnisses 15. Februar")





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