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Der Tag, an dem die Welt NEIN zum Krieg sagte

Von Phyllis Bennis *

Vor zehn Jahren standen die Menschen über all in der Welt auf. In fast 800 Städten quer über den Globus füllten protestierende Demonstranten die Straßen der Hauptstädte und kleineren Dörfer, ein Welle dem Lauf der Sonne folgend von Australien und Neuseeland und den kleinen pazifischen Inseln, durch die schneebedeckten Steppen Nord-Asiens und die südasiatische Halbinsel, durch Europa bis hinunter zur Südspitze Afrikas, wo sie den großen Teich übersprang nach Latein-Amerika und schließlich die USA erreichte.

Und quer über den Globus erklang der Ruf in Dutzenden von Sprachen, „Die Welt sagt nein zum Krieg!“ Der Aufschrei, „Nicht in unserem Namen“ erklang von Millionen von Stimmen. Das Guinness Buch der Weltrekorde stellte fest, dass zwischen 12 und 14 Millionen Menschen an diesem Tag auf die Straßen gingen, der größte Protest in der Geschichte der Welt. Es war, wie der große britische Labour- und Friedensaktivist und frühere Parlamentsabgeordnete, Tony Benn, an dem Tag den Millionen Londonern in den Straßen beschrieb, „die erste globale Demonstration, und eine, deren primärer Anlass die Verhinderung eines Krieges gegen den Irak darstellt.“ Was für eine Vorstellung – ein globaler Protest gegen einen Krieg der noch gar nicht begonnen hatte –als Ziel anzugehen, diesen zu stoppen.

Es war einen bewundernswerte Bewegung – mächtig genug, dass Regierungen der ganzen Welt, einschließlich der bald Berühmtheit erlangenden „unentschiedenen Sechs“ im UN-Sicherheitsrat, das Undenkbare taten: auch sie widerstanden dem Druck der USA und Groß-Britanniens und sagten nein zur Unterstützung von Bushs Krieg. Unter normalen Umständen hätten sich von den USA abhängige und relativ schwache Staaten wie Angola, Kamerun, Chile, Guinea, Mexiko und Pakistan nie gegen die USA gestellt. Aber dies waren keine normalen Umstände. Die Kombination von diplomatischer Unterstützung vom „alten Europa“, Deutschland und Frankreich, die aus jeweils eigenen Gründen sich dem Krieg widersetzten, und dem Druck der Bevölkerung der Tausenden, Millionen, die die Straßen ihrer Hauptstädte füllten, erlaubte es diesen „sechs“ fest zu bleiben. Der Druck auf sie war massiv. Chile wurde mit der Weigerung der USA, ein Freihandelsabkommen zu ratifizieren gedroht. ( Das Handelsabkommen war ziemlich schrecklich, aber die chilenische Regierung hatte sich dazu verpflichtet. ) Guinea und Kamerun wurde mit dem Verlust von US-Hilfe, gewährt nach dem Afrikanisches Wachstum und Entwicklungsgesetz, gedroht. Mexiko sah sich mit dem möglichen Ende der Verhandlungen über Einwanderung und Grenzangelegenheiten konfrontiert. Und dennoch blieben sie fest.

Am Tag vor den Protesten, am 14 Februar, wurde der Sicherheitsrat erneut einberufen, dieses Mal auf der Außenminister-Ebene, um die offenbar abschließenden Berichte der zwei UN-Waffeninspekteure für den Irak anzuhören. Viele hatten vermutet, dass ihre Berichte irgendwie um die Wahrheit herumtänzeln würden, dass sie etwas sagen würden, auf das sich Bush und Blair stürzen könnten beim Versuch, ihre falschen Behauptungen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen zu bestätigen, oder dass sie zumindest ambivalent genug erscheinen würden, um von den USA zur Rechtfertigung des Krieges verwendet werden zu können. Aber sie weigerten sich, die Wahrheit zu verbiegen und stellten unzweideutig fest, dass keinerlei Waffen dieser Art gefunden worden waren.

Im Anschluss an diese Berichte reagierte der französische Außenminister mit einem außergewöhnlichen Aufruf, in dem er die Welt daran erinnerte, dass „die Vereinten Nationen ein Instrument des Friedens bleiben müssten und nicht ein Werkzeug zum Krieg.“ In der normalerweise gesetzten, förmlichen, an Verfahrensregeln gebundenen Kammer wurde dieser Aufruf beantwortet mit lautstarken Ovationen, anfänglich vom Mitarbeiterstab des Rates, denen sich schnell die Diplomaten und Außenminister anschlossen.

Die Ablehnung durch den Sicherheitsrat war stark genug, eine ausreichende Zahl von Regierungen hatten nein gesagt – dass die Vereinten Nationen in der Lage waren, das zu tun was ihre Charta verlangt, was aber politischer Druck nur zu oft unmöglich macht: sich gegen die Geißel des Krieges zu stellen. Am Morgen des 15. Februar, nur Stunden vor dem Beginn der großen Demonstration am Fuße des UNO-Gebäudes begleiteten der großartige Schauspieler und Aktivist Harry Belafonte und ich den südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu im Namen der Demonstranten zu einem Treffen mit dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan. Wir wurden von einer Polizeieskorte begleitet, um dorthinein zu gelangen, was die New Yorker Polizei als ihre „eingefrorene Zone“ bezeichnet hatte - nicht etwa wegen der bitterkalten Temperaturen oder des beißenden Windes, der vom East vom East River herein peitschte, sondern wegen der zwangsweise geräumten menschenleeren Straßen direkt vor dem UNO-Hauptquartier. Im Büro des Generalsekretärs im 38. Stockwerk des UNO-Gebäudes eröffnete Bischof Tutu das Treffen, den Blick auf Kofi Annan gegenüber am Tisch gerichtet , mit den Worten, „Wir sind heute hier im Auftrag dieser Menschen, die in 665 Städten überall in der Welt auf die Straße gehen, wir beanspruchen die Vereinten Nationen als unser Eigentum. Wir beanspruchen sie im Namen unsere globalen Mobili-sierung für den Frieden.“

Das war ein unbeschreiblicher Augenblick. Und auch wenn wir den Krieg nicht verhindern konnten, so hatte doch diese globale Mobilisierung, die Regierungen und die Vereinten Nationen auf das Gleis eines Widerstands schob, der gestaltet und geführt wird von globalen Bewegungen, etwas geschaffen, das die New York Times am folgenden Tag „die zweite Supermacht“ nannte.

Zur Halbzeit dieses Marathons der New Yorker Demonstration lief eine kurze Geschichte von Associated Press über die Nachrichtenticker: “ Durchgerüttelt durch ein Aufwallen von internationalem Anti-Kriegs-Gefühl begannen die USA und Groß-Britannien ihren Resolutionsentwurf zu überarbeiten… Diplomaten sagten unter der Zusicherung der Vertraulichkeit, dass der endgültige Text etwas weicher gehalten sein könnte und nicht ausdrücklich einen Krieg verlange.“ Im Angesicht des globalen Widerstands gegen ihre verzweifelten Bemühungen um UNO- und globale Legitimität warfen Bush und Blair das Handtuch.

Unsere Bewegung hat den Verlauf der Geschichte verändert. Wir haben zwar nicht den Irak-Krieg verhindert, aber die Proteste bewiesen seine eindeutige Illegalität, demonstrierten die Isoliertheit der Politik der Bush-Regierung, halfen einen Krieg im Iran zu verhindern und inspirierten eine ganze Generation von Aktivisten. Der 15. Februar zeigte auf, was eine „globale Mobilisierung“ zustande bringen kann. Acht Jahre später waren es dann einige der Aktivisten in Kairo, beschämt durch das relativ kleine Ausmaß ihres Protests am 15. Februar, die weitermachten und halfen bei der Führung des ägyptischen Arabischen Frühlings. Die Demonstranten der Occupy-Bewegung bezogen sich auf den 15. Februar und dessen internationalen Kontext. Die indignados in Spanien und andere Demonstranten gegen eine Sparpolitik und Ungleichheit konnten den 15. Februar als Vorbild für eine Ausweitung von nationalem zu internationalem Protest sehen. In New York City bescherten an jenem damaligen Nachmittag einige Sprecher der großen bibbernden Menschenmenge eine ganz besondere Erinnerung. Harry Belafonte, ein Veteran der zahlreichen progressiven Kämpfe der letzten drei Viertel des Jahrhunderts, begrüßte die erstarkende Bewegung in den USA gegen den Krieg und das Empire und erinnerte uns daran, dass unsere Bewegung die Welt verändern könne, und dass die Welt auf uns zähle, dies auch zu tun. “Die Welt hat mit großer Besorgnis dagesessen und befürchtet, dass wir nicht existierten“, sagte er. „Aber Amerika ist ein weites und vielgestaltiges Land, und wir sind Teil der größeren Wahrheit, die unsere Nation ausmacht. Wir stehen für Frieden, für die Wahrheit dessen, was im Grunde des Herzens des amerikanischen Volkes liegt. Wir WERDEN den Unterschied ausmachen, das ist die Botschaft, die wir der Welt heute übermitteln.“

Auf Belafonte folgte sein enger Freund, Mit-Aktivist und Schauspieler Danny Glover, der über frühere Helden sprach, über Sojourner Truth und Harriet Tubman, und über den großen Paul Robeson, auf dessen Schultern wir alle stehen. Und dann rief er aus: “ Wir stehen hier heute, weil unser Recht auf Widerspruch und unser Recht auf Teilhabe in einer wirklichen Demokratie uns von denen, die nach einem Krieg rufen, geraubt worden ist. Wir stehen hier an einer Schwelle der Geschichte und wir sagen der Welt, ´Nicht in unserem Namen! Nicht in unserem Namen!`“ Die gewaltige Menge, die im eisigen Wind zitterte, nahm den Ruf auf und „Nicht in unserem Namen! Nicht in unserem Namen!“ hallte durch die Straßen New Yorks.

Unsere Verpflichtung als „zweite Supermacht“ bleibt bestehen. Was wir jetzt brauchen, ist eine Strategie zum Umgang mit der Macht, um einmal mehr die neugeordnete aber weiter bestehende erste Supermacht anzugehen. Diese Verpflichtung besteht weiterhin.

* Phillis Bennis hat zur Bedeutung der Massenaktionen gegen den Irakkrieg ein Buch veröffentlicht: Challenging Empire: How People, Governments and the UN Defy U.S. Power (mit einem Vorwort von Danny Glover). Sie gehörte außerdem dem Koordinierungsgremium der Koalition „United for Peace & Justice“ zur Vorbereitung des Protests am 15. Februar 2003 an.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

Originalartikel: The Day the World Said No to War. In: Website des Institute for Policy Studies, Washington; http://www.ips-dc.org/

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