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Panzer für die Türkei - Panzer für die Ölscheichs

Und wo bleiben die Rüstungsexport-Richtlinien?

In die Debatte um die Lieferung von 1.000 Leopard-II-Panzer an die Türkei ist wieder Bewegung gekommen. Vor wenigen Tagen hatte nach Angaben des SPIEGEL die Rüstungsfirma Krauss-Maffei-Wegmann (München/Kassel) eine Voranfrage beim Auswärtigen Amt gestellt, ob denn mit einer Exportgenehmigung aus Berlin zu rechnen sei für den Fall, dass die Türkei sich für das deutsche Modell entscheiden würde. Spekulationen, dass die türkische Regierung sich bereits für den Leo-II entschieden hätte, wies Kraus-Maffei-Wegmann zurück. Dennoch waren schon vor ein paar Wochen, als Verteidigungsminister Scharping in der Türkei weilte, eindeutige Signale in Richtung Berlin versandt worden. Experten lassen gar keinen Zweifel daran, dass die türkische Armee, die ja schon über dass Vorgängermodell Leo-I verfügt, auch das neue Modell anschaffen will. Das Liefervolumen beläuft sich immerhin auf schätzungsweise 14 Mrd. DM - eine Summe, die weder die Beschäftigten in den betroffenen Unternehmen (in Kassel hängen davon einige hundert Arbeitsplätze ab) noch den wirtschaftsfreundlichen Bundeskanzler kalt lässt.

"Grünes" Licht für den Panzerdeal?

Doch ob es schließlich grünes Licht für den Panzerdeal geben wird, hängt ein wenig auch vom Juniorpartner in der Regierung ab. Der Bundesaußenminister hatte schon bei der Abstimmung über die Lieferung des Testpanzers im Herbst vergangenen Jahres seine Gegenstimme erhoben. Er war, lediglich unterstützt von Entwicklungshilfeministerin Heidi Wieczorek-Zeul, im Bundessicherheitsrat der Mehrheit aus Kanzler, Verteidigungsminister und Wirtschaftsminister (diese Fünf bilden den Bundessicherheitsrat) unterlegen. Für die Bündnisgrünen ist die Frage des Panzerexports so etwas wie eine Grundsatzfrage: Noch in den 80er und bis Mitte der 90er Jahre hatten die Grünen selbst die Friedensbewegung hin und wieder pazifistisch überholt, als sie sich gegen jeglichen Rüstungsexport ausgesprochen hatten. Heute nun plädieren sie dafür, wenigstens den ein oder anderen Fall von Rüstungsexport zu "überdenken". Auf ihren "Druck" hin verabschiedete das Kabinett am 19. Januar die neuen Rüstungsexport-Richtlinien, in denen der Frage der Menschenrechte eine größere Bedeutung bei der Genehmigung oder Nichtgenehmigung von Waffenexporten zukommen sollte. Dies war allerdings lediglich als moralischer Anspruch formuliert, als vage "Sollte"-Bestimmung ohne bindende Verpflichtung im Ernstfall auch wirklich so zu handeln.

Ob die Panzer an die Türkei, deren defizitäre Menschenrechtssituation allgemein bekannt ist, geliefert werden, ist also in erster Linie eine politische Frage. Außenminister Fischer hatte schon vor wenigen Tagen eingeräumt, sich eine Situation vorstellen zu können, dass doch geliefert werden könne, und zwar wenn die Türkei in Menschenrechtsfragen sichtbare Fortschritte nachweisen könne. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye meinte, die Türkei müsse "weitere Belege" für ihren Respekt vor den Menschenrechten erbringen. (FR vom 18.03.00) "Weitere Belege"! Sind der Bundesregierung denn schon Belege bekannt? Welche sind das? Reicht vielleicht die Umwandlung der Todesstrafe gegen Öcalan in eine lebenslängliche Haftstrafe aus? Fragen über Fragen.

Für Claudia Roth von den Grünen liegen die Verhältnisse klar: Sollte das Kabinett die Panzerlieferung beschließen, würde sich für die Grünen die Koalitionsfrage stellen. Nun hat soeben der Karlsruher Parteitag der Grünen das genaue Gegenteil beschlossen. Zwar lehnte er den Panzerdeal ab - auch den mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die 64 Fuchs-Spürpanzer haben wollen -, er will aber das Schicksal der Koalition nicht daran binden. Mehrheitlich wurde der Satz abgelehnt: "Sollte es zu einem Export von Panzern auch in verminderter Stückzahl kommen, ist ein Fortbestand der Koalition nicht mehr vorstellbar."

Es sieht so aus, als wäre die Friedensbewegung auch in der Rüstungsexportfrage ganz auf sich allein gestellt. Auf ein energisches Veto des grünen Koalitionspartners in der Regierung zu hoffen, wäre im Augenblick illusionär. Fischer und Co. muss selbst der (Oster-)Marsch geblasen werden, damit sie nicht noch auf die Idee kommen, ihrerseits dem Panzergeschäft "grünes Licht" im wahrsten Sinne des Wortes zu geben. Dass die Basis darüber anders denkt, ist indessen eine Hoffnung, die wir nicht so schnell aufgeben wollen. Hinzu kommt, dass die Friedensbewegung mit ihrer Unterschriftenaktion gegen den Leo-II auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stößt - jedenfalls da, wo Unterschriften gesammelt werden. Das passiert noch viel zu wenig. Bis zum Ostermarsch und zum 1. Mai könnten aus den Tausenden von Unterschriften, die bisher beim Friedensratschlag abgegeben wurden, Hunderttausende werden!

"Füchse" für die Scheichs

Fast zeitgleich mit der Exportanfrage von Krauss-Maffei-Wegmann wurde bekannt, dass ein weiteres Geschäft ansteht (vgl. Stern Nr. 12 vom 16.03.00, S. 46 ff). Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wollen aus Deutschland 64 gepanzerte Radfahrzeuge vom Typ Fuchs bestellen. Kostenpunkt: 760 Mio. DM) Die VAE sind ein Staatenbund aus sieben Scheichtümern, in dem die Regierung (ein sog. Rat der herrschenden Emirs) keinerlei demokratische Legitimation besitzt. Im Land herrscht die Scharia, das heißt es wird nach islamischem religiösem Recht geurteilt: Amputationen von Gliedmaßen, Auspeitschungen und andere Formen der körperlichen Züchtigung sind auf der Tagesordnung. Die Menscherechtsorganisation amnesty international führt den Staat regelmäßig in seinen Jahrbüchern auf (direkt vor den Vereinigten Staaten von Amerika, über die noch mehr an Menschenrechtsverletzungen berichtet wird). Außerdem verfügt das reiche Land über eine Armee von mehr als 50.000 Soldaten und einer insgesamt sehr guten Ausrüstung und Bewaffnung. Gemessen an der Einwohnerzahl (knapp 2 Mio.) hat das Land also eine sehr hohe Militärdichte (den gleichen Maßstab für die Bundesrepublik Deutschland angelegt, müsste die Bundeswehr aus 2 Mio. Soldaten bestehen!)

Wie ist das alles nun wieder mit den Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung vereinbar? Gar kein Problem, tönt es aus dem Verteidigungsministerium: Der Spürpanzer Fuchs sei eigentlich gar kein Rüstungsartikel: Es gebe, so der Sprecher der Hardthöhe, "kaum ein "defensiver angelegtes Fahrzeug". Seine Panzerung sei "dünn", es fahre nicht auf Ketten, sondern auf Rädern, und überhaupt diene es ja nur dem Aufspüren von chemischen oder biologischen Kampfstoffen. (FR vom 16.03.00) Was sich hier unter der Hand aus einem Rüstungsgut in eine zivilisatorische Wohltat verwandelt, ist bei genauem Hinsehen doch nicht so harmlos. Immerhin hält die Panzerung jede Gewehrmunition ab. Der Fuchs ist normalerweise auch mit einem Maschinengewehr vom Kaliber 7,62mm bewaffnet; eine Umrüstung auf größere Kaliber stellt kein Problem dar. Ginge es den Scheichs nur um die Spürfunktion des Panzers, so hätte es wohl auch ein Lastwagen, z.B. ein Unimog mit entsprechenden Laboreinrichtungen getan. Das schnelle gepanzerte Fahrzeug Fuchs hat gegenüber einem Lastwagen aber den "Vorzug", dass es eben auch gegen Leichtbewaffnete einsetzbar ist oder gegen Demonstranten.

Die Lieferung des "Fuchs" verstieße gleich mehrfach gegen die Rüstungsexport-Richtlinie der Bundesregierung:
  • Einmal handelt es sich bei den VAE um ein Land, in dem die Menschenrechte herzlich wenig gelten. Die VAE haben auch wesentliche internationale Rüstungskontroll-Verträge nicht unterzeichnet, etwa das Chemiewaffen-Verbot, sodass schon aus diesem Grund nach Meinung der HSFK (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) eine Lieferung nicht in Frage käme. Der mögliche Einsatz des Spürpanzers im Inneren zur Repression der Bevölkerung ist wegen der Beschaffenheit des Panzers nicht auszuschließen. Und genau hier greift die Richtlinie, in der es u.a. heißt: "Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle." (Abschnitt I, Absatz 3)
  • Zum zweiten gilt ganz generell, dass Rüstungsexporte in Nicht-Nato-Länder und in der NATO gleichgestellte Länder grundsätzlich nicht genehmigt werden, es sei denn, dass "im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen." (III,2) Solche besonderen Interessen sind zur Zeit nicht zu erkennen.
  • Und drittens dürften auch ökonomische oder arbeitsmarktpolitische Erwägungen kein Argument sein. Ausdrücklich heißt es in den Rüstungsexport-Richtlinien: "Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen." (III,2)

Totschlagargument "Arbeitsplätze"

Natürlich wird gerade das Totschlagargument Arbeitsplätze in der betroffenen Region bemüht. Der Kasseler Oberbürgermeister (CDU) und der zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete sprachen sich nach Bekanntwerden der Lieferungsanfrage leidenschaftlich für den Deal aus, sichere er doch 100 bis 150 Arbeitsplätze in einer wirtschaftsstrukturell arg gebeutelten Region (HNA vom 20.03.00). In Kassel und Umgebung gab es in den letzten zwei Jahren so viele Firmenpleiten und Arbeitsplatzverluste wie nie zuvor. Die in Kassel mitentwickelte und zum Bau anstehende Magnetschnellbahn Transrapid, an die sich die Stadt und die IG Metall wie an einen letzten Strohhalm geklammert hatten, hat wohl keine (absehbare) Zukunft mehr. Und schließlich soll auch noch der Panzerauftrag aus der Türkei - die Leos werden zum Teil von der Kasseler Firma Wegmann gebaut - verhindert werden! Das Wort von den "Lichtern", die in der Region "ausgehen", macht hier die Runde.

Doch es hilft alles nichts: Auch Scharping kann den Spürpanzer Fuchs nicht zu einem Friedensgerät schönreden. Und die Menschenrechtssituation in den VAE und in der Türkei ist im Sinne der Rüstungsexport-Richtlinien eindeutig. Und zuguterletzt: Auch den Arbeitnehmern in Kassel ist langfristig eher damit gedient, wenn sich die betroffenen Unternehmen auf ihre technologischen Stärken im zivilen Bereich besinnen und gezielt Konversion betreiben würden. Waffengeschäfte mögen - zumal für die Unternehmer und Shareholder - vorübergehend sehr einträglich sein. Auf lange Sicht sind sie großen Schwankungen und Risiken ausgesetzt.
Peter Strutynski (Kassel)

Zur Unterschriftenliste "Keine Panzer für die Türkei"

Zur Presseerklärung des Kasseler Friedensforums

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