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Krieg und Öl

Weltweit wird derzeit viel zu viel vom schwarzen Gold gefördert – die Preise fallen rapide

Von Hermannus Pfeiffer *

Der Ölpreis fällt auf ein Vierjahrestief. Eine schlechte Nachricht für Russland, aber auch die USA. Nach Jahren des Stillhaltens dreht jetzt aber wieder die OPEC am Ölhahn.

»Der Krieg hat schon begonnen« – dies schlussfolgerte kürzlich eine deutsche Zeitung aus einer Studie des Russischen Instituts für Strategische Studien. Darin wurde behauptet, wie in den 1980er Jahren gebe es jetzt wieder Abmachungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien, den Ölpreis durch Überproduktion zu drücken, um Russland in den Bankrott zu treiben. Moskaus Staatshaushalt für das kommende Jahr basiert auf einem Preis von etwa 100 Dollar pro Fass – zuletzt ist dieser auf rund 80 Dollar gefallen.

Im Juni war der Ölpreis dagegen noch auf über 115 US-Dollar geklettert. »Zurückzuführen war dieser Anstieg auf Spekulationen, dass Irak als wichtiges Ölförderland durch den Krieg mit der Terrormiliz Islamischer Staat in ein Chaos stürzen könnte«, erklärt ein Sprecher des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Der höhere Ölpreis war jedoch von kurzer Dauer, weil schnell klar wurde, dass die irakische Produktion im Süden vom Konflikt unberührt blieb. Trotz zahlreicher geopolitischer Unruhe ist der Ölpreis seither fast ununterbrochen gefallen , im November sogar auf ein Vierjahrestief. Der Preisrückgang seit Mitte Juni summiert sich auf 27 Prozent.

Den aktuellen Kursfall sehen die Hamburger Rohstoffexperten als eine normale Folge von Angebot und Nachfrage: »Zurzeit kann der Ölmarkt als gut versorgt angesehen werden.« Das hänge damit zusammen, dass einerseits sehr viel Öl gefördert werde und sich andererseits die Weltkonjunktur und damit die Ölnachfrage schwächer als erwartet entwickele. Die Wirtschaft im Euroraum stagniert und in den Schwellenländern wächst sie deutlich langsamer. Dies veranlasste auch die Internationale Energie-Agentur (IEA) in Paris, die zu erwartende weltweite Ölnachfrage nach unten zu korrigieren.

Der Preisverfall trifft besonders Russland hart. Zwar laufen viele Kontrakte mittel- und langfristig, aber die aktuelle Entwicklung setzt einen ausgedehnten Trend bereits fort. Noch im Sommer 2012 hatte der Ölpreis für die Nordsee-Sorte »Brent« bei über 125 Dollar gelegen. Danach stieg das Angebot auf dem Weltmarkt, weil die USA – der bis dahin größte Käufer – zunehmend auf heimisches Schieferöl zurückzugreifen begann, das mithilfe der umstrittenen Fracking-Technologie gefördert wird. Der Preis sinkt seither.

Auf diese Entwicklung reagierte Saudi-Arabien vor wenigen Tagen mit einer ungewöhnlichen Maßnahme: Das Königreich senkte den Ölpreis – aber allein für die USA. Damit sagen die Saudis dem »Fracking-Wunder« (HWWI) offenkundig den Kampf an. Bleibt der Ölpreis längere Zeit unter 80 Dollar, lohnt sich nämlich für viele US-Förderer das Geschäft nicht mehr, weil sie im Fracking-Verfahren wesentlich teurer produzieren als die Golfstaaten oder Russland. Die Analysten der Commerzbank sehen in dieser Attacke sogar einen »Paradigmenwechsel«. In der Vergangenheit hatten die Saudis den globalen Markt durch Produktionskürzungen häufig wieder ins Gleichgewicht gebracht und dadurch bestimmte Preisniveaus »verteidigt«. Einige Beobachter vermuten aber, dass Saudi-Arabien mit seiner Maßnahme die anderen OPEC-Mitglieder unter Druck setzen will, sich an einer allgemeinen Produktionskürzung zu beteiligen, um die Preise wieder nach oben zu treiben. Daran könnten auch Iran, Libyen oder Venezuela ein Interesse haben, deren Staatshaushalte ebenfalls am Tropf eines hohen Kurses von deutlich über 100 Dollar hängen.

Wie sich der Ölpreis zukünftig entwickelt, hängt davon ab, wie die Anbieter reagieren werden. Daher wird mit Spannung die nächste Sitzung der zwölf OPEC-Staaten Ende November in Wien erwartet. Russland gehört nicht dazu. Grund zu ganz großer Sorge hat Moskau trotzdem nicht: Die Devisenreserven belaufen sich umgerechnet auf fast 500 Milliarden US-Dollar. Die Regierung hat also genügend Spielraum, um eine Ölpreiskrise zu überstehen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. November 2014


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