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In langen Wellen

Studie: Rohstoffvorkommen reichen noch lange, weil jede Knappheit Innovationen quasi herausfordert

Von Hermannus Pfeiffer *

Rohstoffe sind noch nie wirklich knapp gewesen und werden es in absehbarer Zukunft wohl auch nicht sein. Trotzdem stiegen die Preise für Kupfer, Nickel oder Eisen zuletzt rasant, getrieben von wachsender Nachfrage. Aber auch das Angebot wächst - ein Ende der »langen Welle« steigender Preise scheint in Sicht.

Seit Jahrhunderten sorgen sich Menschen darum, wann die Rohstoffe vollständig ausgebeutet sind. Nun ist die Erde bekanntlich endlich, doch es muss zwischen Ressourcen und Reserven unterschieden werden. »Reserven« sind Lagerstätten, die gegenwärtig wirtschaftlich gewinnbar sind; »Ressourcen« sind dagegen die Mengen eines Rohstoffs, deren Förderung wirtschaftlich oder technologisch gegenwärtig nicht profitabel ist.

So reichen die Reserven für den wichtigsten Industrierohstoff Kupfer laut US-Geologiebehörde nur noch für rund 30 Jahre - die Ressourcen aber für weitere 150. Aber selbst dann dürfte nicht Schluss sein: Eine entscheidende Rolle spielt der technische Fortschritt - beim Finden neuer Lagerstätten, dem Einsatz alternativer Werkstoffe und durch gesteigerte Effizienz. So werden in Deutschland bereits zwei Drittel des Wirtschaftswachstums über den Einsatz von Sekundärrohstoffen und daraus folgende Energieeinsparungen erreicht.

»Als Rohstoffinvestor braucht man neben dem nötigen Anlagekapital vor allem zwei Dinge: einen langen Atem und gute Nerven« - schreiben die Autoren von »Strategie 2030 - Sachwerte«, einer Studie der Berenberg Bank und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Der Grund: Ein wesentliches Charakteristikum von Rohstoffzyklen liegt in deren Dauer von mehreren Jahrzehnten. Dabei fällt die große Ähnlichkeit zu den aus der Volkswirtschaft bekannten »Kondratjew-Zyklen« auf. Die US-Autoren Bilge Erlen und Antonio Ocampo untersuchten die Rohstoff-Superzyklen seit 1850. Danach habe ein vierter Megazyklus 2000 begonnen und befinde sich in der Aufschwungphase - der Preisanstieg halte bis etwa 2020 an.

Als Triebfeder gilt China. Dessen Sachinvestitionen erreichen den riesigen Anteil von 45 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. In westlichen Dienstleistungsgesellschaften liegt die Quote eher zwischen 12 (USA) und 18 Prozent (Deutschland). Gerade der Ausbau von Verkehr, Energie und Kommunikation ist mit hohem Rohstoffeinsatz verbunden. Und China hat noch viel vor. Selbst wenn die Volksrepublik zunächst einmal »nur« die Rohstoffintensität Südkoreas erreichte, würde sich die globale Nachfrage in den kommenden zehn Jahren verdoppeln.

Weiterer Rohstoffbedarf könnte in Indien erwachsen. Dagegen dürften die zwei anderen Hoffnungsträger der Globalisierung, Russland und Brasilien, bei der Nachfrage von untergeordneter Bedeutung bleiben, sie sind selbst außerordentlich rohstoffreich.

Bis zum Beginn des laufenden Zyklus waren die inflationsbereinigten Rohstoffpreise von Zyklus zu Zyklus sogar gefallen. Während Öl und Metalle inzwischen wieder höchste Preisniveaus erreicht haben, gilt dies für viele Agrarrohstoffe nicht: Deren reale Preise haben über mehr als siebzig Jahre nachgegeben und liegen noch um die Hälfte unterhalb des in den 1970ern erreichten Niveaus.

Knappheit, wie jüngst bei Seltenen Erden befürchtet, führt langfristig meist zur Erschließung neuer Lagerstätten, wie von Manganknollen in der Tiefsee, in Schiefer gebundenen Gas- und Ölvorkommen oder Innovationen. So wollen allein die Top-40-Minenkonzerne in den kommenden drei Jahren 430 Milliarden Dollar in neue Fördervorhaben investieren. Und auch in Deutschland reagiert die Wirtschaft: Führende Konzerne wie ThyssenKrupp, Bosch oder BASF haben im April eine »Rohstoffallianz« besiegelt; bereits im März hatte die »Deutsche Rohstoffagentur« ihren Amtssitz in Berlin eröffnet. Sie meldete kürzlich, dass allein Grönlands Seltene Erden den Weltbedarf für 150 Jahre decken könnten - alles nur eine Frage des Preises.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 10. Oktober 2012

Kondratjew-Zyklen

Nikolai Kondratjew veröffentlichte 1926 seine Untersuchungen zu den »langen Wellen«, in denen sich wirtschaftliche Entwicklungen vollzögen. Lange Wellen werden demnach von technischen Innovationsschüben ausgelöst: Eisenbahn/Stahl, Chemie/Elektrotechnik, Auto/Computer/Atomenergie und Informationstechnologie/Internet/Kommunikation. Einer ausgedehnten Wachstumsphase mit raschen Produktivitäts- und Profitsprüngen folgt eine Stagnationsperiode, schließlich kommt es zum raschen Abschwung. Schocks wie die Weltwirtschaftskrisen um 1930 und 2010 sind Ergebnis sich überlagernder, zeitlich kürzer bemessener Konjunkturwellen. Drei »Kondratjew-Zyklen« liegen hinter dem Kapitalismus. Derzeit bewegt sich die Konjunktur danach innerhalb des vierten Langfristaufschwungs. (hape)




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