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Strom aus der Wüste

Greenpeace und Club of Rome fordern schnelle Initiativen zum supranationalen Ausbau der Solarthermie. Auch Energiemultis zeigen mittlerweile Interesse

Von Rainer Balcerowiak *

Fast jedes Kind wird schon einmal den Versuch unternommen haben, mit Hilfe eines Brennglases ein Stück Papier zu entflammen. Und auch die Idee, die gebündelte Wärme der Sonne zur Stromerzeugung zu verwenden, wurde bereits 1878 in einer Versuchsanlage in Stuttgart realisiert. Mittlerweile gehen Umwelt- und Klimaschützer, aber auch Unternehmer und Forscher davon aus, daß dieses Solarthermie genannte Verfahren eine der Schlüsseltechnologien für die Lösung der weltweiten Klima- und Energieprobleme ist.

Nach Einschätzung von Greenpeace und der deutschen Sektion des Club of Rome könnte die deutsche Industrie eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Realisierung großer Solarthermieanlagen spielen. Diese könnten nach Windkraft und Photovoltaik »zum dritten deutschen Exportschlager im Bereich der Ökoenergien werden« , so der Greenpeace-Engergieexperte Andree Böhling am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung einer gemeinsamen Studie.

Die Ressourcen sind in der Tat nahezu unbegrenzt. Nur zwei Prozent der Fläche der Sahara würden bei solarthermischer Nutzung ausreichen, um den weltweiten Strombedarf zu decken. Doch auch andere Regionen der Welt bieten entsprechende Möglichkeiten, und selbst in nichtropischen Gebieten z. B. in Kalifornien und Spanien verspricht die Nutzung dieser Technologie eine konkurrenzlos effiziente und langfristig auch billige Energieerzeugung.

Die Probleme mit der Speicherung der Wärme und den Verlusten beim Stromtransport über lange Strecken sind mittlerweile gelöst. Mit modernen Hochspannungsgleichstromübertragungsnetzen können Leitungsverluste auf drei Prozent pro 1000 Kilometer begrenzt werden, was z.B. den Transport von »Wüstenstrom« von Nordafrika nach Mittel- und Nordeuropa rentabel machen würde. Zwar scheint auch in der Sahara des Nachts keine Sonne, doch die tagsüber gesammelte Wärme kann in flüssigen oder festen Medien als Phasenübergangsmaterial gespeichert werden und diesen nach Sonnenuntergang wieder entzogen werden, um die Turbinen weiter anzutreiben. Dadurch wäre Wüstenstrom -anders als beispielsweise Windkraft und Photovoltaik - uneinschränkt für die sogenannte Grundlastversorgung einsetzbar.

Böhling betonte, daß Strom aus solarthermischen Großanlagen keinesfalls alternativ zum Ausbau dezentraler regenerativer Energien stehen würde. Eine 2006 erstellte Studie für den europäischen Strommix geht davon aus, daß bis zum Jahr 2050 trotz Ausstieg aus der Atomkraft und deutlicher Reduzierung der Anteile von Kohle, Erdöl und Erdgas nur ein Wüstenstromanteil von 17 Prozent für die Grundlastversorgung notwendig wäre.

Greenpeace und der Club of Rome sind sich darüber einig, daß die großtechnische Entwicklung der Solarthermie in erster Linie die Interessen der Erzeugerländer berücksichtigen muß. So sind die Staaten Afrikas deutlich unterelektrifiziert, was ein großes Entwicklungshemmnis darstellt. Auch steht angesichts der immer bedrohlicheren Wasserknappheit in diesen Regionen auch die Entwicklung und Realisierung großtechnischer Verfahren zur Meerwasserentsalzung auf der Tagesordnung, für die riesige Mengen Strom benötigt werden. Zudem soll durch internationale Verträge gewährleistet werden, daß wüstenstromproduzierende Länder an möglichen Exporterlösen angemessen partizipieren. Zwar wäre - so Böhling - die Beteiligung der großen Energiekonzerne an solarthermischen Projekten unumgänglich und auch erwünscht, ihnen müsse aber im Rahmen einer internationalen Regulierung die Verfügbarkeit über die Netze entzogen werden, wie es seit langem in der EU diskutiert werde.

Das von der vom Club of Rome initiierten Desertec-Foundation vorgelegte Konzept zur Entwicklung der Solarthermie in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten geht von einem Investitionsvolumen von 400 Milliarden Euro für die kommenden 40 Jahre aus. Diese auf den ersten Blick gewaltige Summe relativiere sich beträchtlich, da in diesem Zeitraum ohnehin eine komplette Generation von konventionellen Kraftwerken, die eine durchschnittliche Laufzeit von 30 Jahren haben, erneuert werden müßte, was aber angesichts der neugeschaffenen Wüstenstromkapazitäten überflüssig würde, heißt es in der Studie. Auch was die Preise betrifft, sehen Greenpeace und der Club of Rome keine unüberwindlichen Probleme. Schon jetzt seien diese in einigen bereits existierenden Anlagen, z. B. in Spanien, marktkompatibel. Für eine gewisse Übergangszeit sei auch denkbar, importierten Wüstenstrom nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zu fördern und entsprechende Einspeisevergütungen zu zahlen.

Die deutsche Industrie hat den Braten längst gerochen. Mehrere Großunternehmen, aber auch viele Verbände und Mittelständler, haben ihre Teilnahme an dem von Desertec organisierten Gründungstreffen für eine Wüstenstrom-Initiative zugesagt, das am 13. Juli in München stattfinden soll. Von der Bundesregierung fordert Greenpeace, das Thema Wüstenstrom auf die Tagesordnung des nächsten G-8-Gipfels in Italien und Klimakonferenz in Kopenhagen zu setzen. Außerdem müßten Deutschland und die EU verhandlungen mit den potentiellen Erzeugerländern über Rahmenabkommen aufnehmen. Und schließlich müsse angesichts der riesigen Chancen der Forschungsetat für Solarthermie von bislang bescheidenen sieben Millionen Euro pro Jahr wenigstens auf das Niveau der Kernfusionsforschung angehoben werden, der bislang 130 Millionen Euro beträgt.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2009


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