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Nordeuropa spielt auf Zeit

Misstrauen gegenüber russisch-deutscher Erdgastrasse auf Ostseeboden

Von Gregor Putensen *

Die Arbeiten an der »Nordstream«- Pipeline haben bereits begonnen. In den nordeuropäischen Staaten aber wird vor sicherheits- und umweltpolitischen Konsequenzen gewarnt.

Auf Hochtouren läuft in Mukran auf Rügen seit Juni die Anlage zur Betonummantelung der Gasrohre für das russisch-deutsche Erdgasprojekt »Nordstream« auf dem Boden der Ostsee. Auch das Rohrummantelungswerk im finnischen Kotka wird bis Jahresende die Arbeit aufnehmen. Zwischenlagerplätze für Rohre werden in Schweden und Finnland eingerichtet. Die damit bekundete Entschlossenheit des russisch-deutschen Konsortiums, eine endgültige Genehmigungserteilung durch die hierfür zuständigen nationalen Behörden in Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und Russland nicht erst abzuwarten, belegt einen massiv gewachsenen Zeitdruck für das Projekt.

Die bereits jetzt getroffenen Vorbereitungen für den im Frühjahr 2010 geplanten Start der Rohrverlegung ergeben sich nicht nur aus rein technologischen Erfordernissen, sondern auch aus Kostengründen und den energiepolitischen Bemühungen etlicher Staaten der EU nach maximaler Energiesicherheit - schließlich wäre die Gasversorgung auch bei Konflikten Russlands mit bisherigen Transitländern wie Polen, Ukraine oder Belarus gesichert. Obwohl von Seiten der Brüsseler EU-Kommission keine relevanten Einwände gegen das Nordstream-Vorhaben erhoben wurden, spielen die nordischen Genehmigungserteiler Dänemark, Schweden und Finnland - wenn auch unterschiedlich deutlich - jedoch unverkennbar auf Zeit. Ermunterung erfahren sie hierzu durch eine laute, kaum kaschierte nationalistisch motivierte Kritik von Polen und den drei baltischen Staaten gegenüber Russland.

Die nachhaltigste Ablehnung einer Ostsee-Pipeline artikuliert sich in Schweden, wo sich im Grunde genommen alle im Reichstag vertretenen Parteien gegen das Projekt ausgesprochen haben. Hinter der demonstrativen Sorge um mögliche irreparable Umweltkonsequenzen für die Ostsee, insbesondere unter dem Blickwinkel von Havarien, werden klare politische Argumente für die negative Haltung zum Projekt keineswegs verschwiegen. So warnte Carl B. Hamilton, langjähriger Spitzendiplomat im Genfer Abrüstungsausschuss und in der EU, vor den sicherheitspolitischen Folgen der Ostsee-Pipeline. Die Kontrolle und Sicherung ihrer Funktion sei für Russland willkommener Vorwand für eine erhöhte militärische Präsenz im Ostseeraum. Dies sei auch hinsichtlich der Insel Gotland, des weit nach Osten vorgeschobenen maritimen Vorpostens Schwedens, nicht hinnehmbar - so eine Reihe von Militärs. Darüber hinaus garantiere die Erdgasleitung Russland die dauerhafte Spaltung einer für die EU eigentlich so dringend erforderlichen einheitlichen Energiepolitik.

In Finnland zeigen sich dagegen differenziertere Tendenzen in der Bewertung des Pipelinevorhabens. Ministerpräsident Matti Vanhanen hält das Projekt im Grunde für vertretbar, sofern nicht doch noch erhebliche umweltpolitische Hindernisse für die Trassenführung in der ökonomischen Zone des Landes im Finnischen Meerbusen auftauchen sollten. Kritische Einwände unter dem Aspekt einer einheitlichen Energiepolitik der EU äußerte der finnische Außenminister Alexander Stubb, der den vor allem bilateralen Charakter der Projektentscheidung zwischen Russland und Deutschland ohne eingehendere Konsultationen mit anderen EU-Staaten bemängelte. Für künftige ähnliche Situationen sollten Lehren daraus gezogen werden. Der Chef der Strategieabteilung der Militärhochschule Helsinki, Erik Eroll, gelangte nach einer Prüfung des Pro und Kontra in der Nordstream-Debatte unter ausdrücklicher Berufung auf die internationale Seerechtskonvention zu folgendem Fazit: »Ein sicherheitspolitischer Aspekt besteht zweifellos - aber dieser bietet Finnland keinen rechtlichen Grund für ein Nein zur Gasleitung.«

* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2009


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