Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angst vor dem Rums

Ölkonzern Total stellt sich darauf ein, daß die vor Schottlands Küste liegende Bohrinsel "Elgin" in die Luft fliegt

Von Peter Wolter *

Vor Schottlands Küste droht eine Riesenexplosion: Die Betreiberfirma Total hat am Donnerstag nach Agenturberichten Löschschiffe zu der Sperrzone beordert, die der britische Küstenschutz im Radius von mehreren Kilometern um die havarierte Gasförderinsel »Elgin« angeordnet hatte. Seit dem Wochenende strömt dort unter hohem Druck giftiges und explosives Gas aus dem Meer – nur 100 Meter von der künstlichen Insel entfernt, auf der immer noch eine Flamme lodert, an der sich aufsteigendes Gas entzünden könnte. »Eine Winddrehung kann uns in eine kritische Lage bringen«, räumte ein Total-Sprecher in Paris ein. Die Flamme werde jedoch nach wenigen Tagen von selbst erlöschen. Am Mittwoch hatte das Unternehmen noch jede Explosionsgefahr ausgeschlossen.

Unterdessen ist das Leck möglicherweise lokalisiert worden. Nach Angaben von Total-Experten befindet es sich in Höhe der Plattform – allerdings hatte es noch Mittwoch geheißen, das Gas sei in einer Rohrleitung 4000 Meter unter dem Meeresspiegel ausgetreten. Einige der 238 evakuierten Arbeiter berichteten, das Gas sei sprudelnd aus dem Meer ausgetreten – was gegen die These von einem Leck in Plattformhöhe spricht.

Die angebohrten Reservoirs liegen unterhalb von 6000 Metern, die Nordsee selbst ist an der Unglücksstelle nur 90 Meter tief. Um den Gasaustritt zu stoppen, ist eine Entlastungsbohrung im Gespräch, für die Total nach eigenen Angaben allerdings sechs Monate brauchen würde. Eine – allerdings risikoreichere – Alternative wäre ein sogenannter »Kill«, bei dem das Leck von oben mit schwerem Schlamm verstopft wird.

Bis zum Stopp des Ausbruchs werden nach Expertenmeinung riesige Mengen Methan, Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoff in die Atmosphäre schießen. In den Reservoirs herrsche ein Druck von 1000 Bar und eine Temperatur von 190 Grad Celsius. Die norwegische Umweltgruppe Bellona sprach von einem »Bohrloch der Hölle«, die Havarie sei außer Kontrolle geraten.

Mit den Gasen tritt aus dem Leck auch relativ schnell verdunstendes Kondensat aus, das sich auf der Wasseroberfläche absetzt und laut Luftbildaufnahmen mittlerweile einen Streifen von anderthalb mal elf Kilometer bedeckt. Die Umweltorganisation World Wildlife Fund for Nature (WWF) fürchtet, daß auch Rohöl aus dem Leck hochgeschleudert werden könnte. In diesem Fall wären die Küsten der Shetland- und der Färöer-Inseln sowie Norwegens von einer Ölpest bedroht, warnte der Direktor des WWF in Schottland, Richard Dixon. Das austretende Treibhausgas Methan, das die Atmosphäre 21mal mehr schädige als Kohlendioxid, habe jetzt schon Auswirkungen auf die Umwelt.

Hinzu kommen nach Angaben von Ökologen die Gefahren für Meereslebewesen. Kohlenwasserstoffe lösten sich zwar zum Teil im Wasser auf, könnten dort aber für Fische, Krebse und Algen tödlich werden. Sie werden durch Bakterien abgebaut, die dabei den Sauerstoff verbrauchen, von dem die Meeresorganismen leben.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger forderte am Donnerstag Total auf, den Gasaustritt schon »in den nächsten Tagen zu stoppen«. Experten von Greenpeace verlangten Auskunft darüber, wieviel Gas noch in dem Reservoir der evakuierten Plattform sei. »Elgin« hatte vor der Havarie jeden Tag neun Millionen Kubikmeter gefördert.

* Aus: junge welt, 30. März 2012


Zur Erdöl- und Erdgas-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage