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Gemengelage von Energieinteressen

Erdgasleitung soll die EU etwas unabhängiger von Russland machen

Von Johann Martens *

Langsam nimmt der Plan einer Gaspipeline vom Kaspischen Meer nach Europa konkrete Gestalt an. Am heutigen Montag (13. Juli) werden in Ankara Vertreter der Türkei, Österreichs, Bulgariens, Ungarns und Rumäniens einen Vertrag über den Bau unterschreiben.

Von der Küste des Kaspischen Meeres in Aserbaidschan soll eine Erdgasleitung - unter Umgehung des engen russischen Verbündeten Armenien - durch Georgien, die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Baumgarten in Österreich führen. Sie würde dort an das europäische Verbundnetz angeschlossen werden und nach Hoffnung auch deutscher Politiker zur Diversifizierung der Gasversorgung in der EU beitragen.

An dem Betreiberkonsortium Nabucco Gas Pipeline International GmbH mit Sitz in Wien ist mit RWE auch ein deutscher Energiekonzern beteiligt. Außerdem sind dabei: der Konsortialführer OMV aus Österreich, MOL aus Ungarn, Transgaz aus Rumänien, BEH aus Bulgarien und Botas aus der Türkei. Derzeit gehen die beteiligten Unternehmen von Gesamtkosten in Höhe von 7,9 Milliarden Euro aus. Im Mai wurden für die einzelnen Länder Projektingenieure benannt, die mit der Detail-Planung für den Bau beginnen und vor Ort die notwendigen Anträge, Umweltverträglichkeitsprüfungen und ähnliches vorbereiten sollen. Schon ab 2014 könnten bis zu 31 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr durch die neue Leitung fließen.

Besuch einer Opern-Aufführung

Benannt wurde das Projekt nach jenem babylonischen König Nebukadnezar der Bibel, der vor knapp 2600 Jahren Jerusalem zerstörte, einen Teil dessen Bevölkerung versklavte und von seinem eigenen Volk Nabu-kudurri-usur genannt wurde. Der Name, so jedenfalls die bei der Nabucco GmbH betriebene Legendenbildung, wurde gewählt, nachdem im Rahmen des ersten Treffens des Konsortium die Beteiligten eine Aufführung der Oper Nabucco von Giuseppe Verdi besucht hatten.

Die türkische Regierung konnte durchsetzen, dass die Pipeline nicht als Einbahnstraße gebaut wird. Notfalls wird sie auch russisches, norwegisches oder niederländisches Gas aus Europa nach Kleinasien pumpen können, um die Versorgung der Türkei auch in Krisenzeiten zu gewährleisten. Vorausgesetzt natürlich, dass am Knotenpunkt in Österreich genug Erdgas zur Verfügung steht, was nicht unbedingt ausgemacht ist, denn die EU-eigenen Quellen zeigen bereits deutliche Zeichen von Erschöpfung.

Derzeit blickt man in Ankara jedoch ohnehin eher in eine andere Richtung. Energieminister Taner Yildiz meinte vergangene Woche gegenüber dem Nachrichtensender »NTV«, er könne nicht ausschließen, dass auch Iran irgendwann Gas durch die Pipeline liefern wird. Manchmal trügen derartige Energieprojekte zum Abbau von politischen Konflikten bei.

Viele Länder wollen Erdgas aus Iran

Dieses Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Iran sitzt nach Russland auf den zweitgrößten Erdgasvorkommen der Welt, die bisher nur mäßig erschlossen sind. Seit Jahren diskutiert das Land bereits mit Indien über eine Pipeline nach Südasien, die bisher allerdings auf heftigen Widerstand der USA gestoßen ist. Auch China hat längst seine Fühler nach Teheran ausgestreckt und bereits Lizenzen für die Erschließung von Erdgasfeldern erworben.

Wenn Ankaras Energieminister Yildiz davon spricht, dass auch Russland Gas für die Pipeline liefern könne, spiegelt dies eher die türkischen Interessen als jene der beteiligten EU-Staaten wider. Diese - darunter Deutschland, das zwar nicht zu den Unterzeichnern von Nabucco, aber doch zu den Interessenten gehört - haben wenig Zweifel daran gelassen, dass man sich mit dem Projekt ein wenig aus der Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland befreien will. Etwas anders sieht dies die Regierung in Ankara. Bevölkerung und Wirtschaft der Türkei sind in den letzten Jahren rasch gewachsen - und damit auch der Energiehunger des Landes. Es betreibt daher parallel zu Nabucco mit Russland ein zweites Pipeline-Projekt, das die Türkei auf direktem Wege unter dem Schwarzen Meer hindurch mit russischem Erdgas versorgen soll.

Russland wiederum plant zudem als Konkurrenz zu Nabucco die Pipeline South Stream in die Balkanländer, hat aber das Problem, dass es einen erheblichen Teil seiner Lieferungen nicht selbst fördert, sondern in Zentralasien einkauft, auch wenn mit Hochdruck an der Erschließung neuer Quellen in Westsibirien gearbeitet wird.

In Zentralasien zeichnet sich jedenfalls mit dem Bau von Nabucco eine komplizierte Gemengelage ab, denn verglichen mit den Russen und Chinesen sind die Europäer ausgesprochene Spätankömmlinge, die zudem noch Konkurrenz von Indien bekommen. Ob ihnen die militärische Präsenz, die sie mit ihrem blutigen Afghanistan-Abenteuer aufgebaut haben, in diesem »Großen Spiel« von Nutzen sein kann, ist eher fraglich. China ist jedenfalls ohne militärische Mittel wesentlich weiter gekommen.

Weitere Projekte

Nord Stream: Die 1220 Kilometer lange Pipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern soll ab 2012 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Sibirien pro Jahr transportieren. Beteiligt sind der russische Monopolist Gazprom (51 Prozent), die deutschen Konzerne BASF/Wintershall und E.on Ruhrgas (jeweils 20 Prozent) sowie die holländische Gasunie (9 Prozent).

Medgaz: Von Beni Saf (bei Oran, Algerien) sollen ab Ende 2009 jährlich 8 Milliarden Kubikmeter Erdgas durchs Mittelmeer in das 200 Kilometer entfernte Almeria in Spanien fließen. Beteiligt sind der algerische Konzern Sonatrach, drei spanische Unternehmen und Gaz de France.

Galsi: In dieser 900 Kilometer langen Pipeline sollen ab 2012 von Algerien aus jährlich 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas über Sardinien auf das italienische Festland transportiert werden. Kosten: ca. 2 Milliarden Euro.

South Stream: Gazprom möchte jährlich 47 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch das Schwarze Meer und dann in zwei Strängen nach Süditalien sowie Österreich bringen. Beteiligt an dem 10- Milliarden-Euro-Projekt ist auch der italienische Konzern Eni.

LNG: Das Kürzel steht für die Verflüssigung von Erdgas, das sich so mit Tankern - statt über Pipelines - transportieren lässt. In der EU sprechen sich viele für den Ausbau dieser allerdings ernegieaufwendigen Technologie aus. Neue Terminals sind etwa in Rotterdam und Barcelona im Bau. Pläne für ein erstes deutsches Terminal in Wilhelmshaven kommen nicht voran. ND



* Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2009


Europa setzt auf ein knappes Gut

Von Kurt Stenger **

Erdgas könnte im künftigen Energiemix der EU eine größere Rolle spielen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht vorrangig betrieben, so dass ihr Anteil am Verbrauch nur langsam steigt. Neue Atomkraftwerke zu bauen, ist kostspielig und politisch umstritten. Die Kohle-Nutzung wird durch den Emissionshandel teurer und sorgt für hohen CO2-Ausstoß. Selbst Umweltverbände billigen Erdgas zumindest die Funktion als Brückentechnologie zu. So ist der Einsatz in dezentralen Blockheizkraftwerken ebenso wie in größeren Kraftwerken äußerst energieeffizient, da Strom und Wärme gleichzeitig produziert werden können - und das bei vergleichsweise geringen CO2-Emissionen.

Allerdings wird der Erdgas-Bedarf schon jetzt zur Hälfte importiert. Russlands Anteil an den Einfuhren - schon jetzt rund 40 Prozent - dürfte weiter steigen, da Norwegens Förderung ihren Scheitelpunkt erreicht hat. In der EU ist man über die wachsende Abhängigkeit von nur einem Lieferland besorgt, zumal es aufgrund von Streitereien Russlands mit Nachbarländern mehrmals Probleme mit der Versorgung durch bestehende Pipelines gegeben hat.

Das Brüsseler Zauberwort heißt Diversifizierung: Zum einen von Pipelines aus Russland, die über Land führen, weshalb die - von mehreren EU-Staaten aber kritisierte - Ostsee-Pipeline gebaut und der Transport von verflüssigtem Gas mit Tankern forciert werden soll. Zum anderen von Erdgas aus russischer Förderung, weshalb das Nabucco-Projekt durch Fördertöpfe für »Transeuropäische Netze« bezuschusst und vermehrt Erdgas aus Algerien sowie mittelfristig aus Nigeria importiert werden soll.

Hinter den Planspielen der Energieaußenpolitik wird eines vergessen: Auch Erdgas ist ein knappes, endliches Gut. Der Ausbau der Erneuerbaren und die Steigerung der Energieeffizienz sind langfristig der einzig gangbare Weg.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2009


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