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Nabucco vor dem Aus - Gasprom kauft Gas aus Zentralasien zu EU-Preisen

Von Igor Tomberg *

Der russische Energiekonzern Gazprom wird zentralasiatisches Gas ab 2009 zu europäischen Preisen erwerben.

Das teilten der russische Gasmonopolist sowie seine Partnerunternehmen in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan am 11. März offiziell mit. Eine Preisformel gibt es allerdings noch nicht - bei Gazprom hieß es, dies werde Gegenstand von Verhandlungen sein. Je nach Ort der Gasabgabe an Gazprom soll der Preis zwischen 200 und 230 Dollar pro 1000 Kubikmeter liegen. Dieser Preis wurde ausgehend von den aktuellen Preisen in Europa errechnet (in der Slowakei und Rumänien liegt er beispielsweise bei rund 330 Dollar pro 1000 Kubikmeter).

Anfang dieses Jahres wurde angenommen, dass der Durchschnittspreis für die europäischen Abnehmer ab nächstem Jahr bei rund 360 Dollar pro 1000 Kubikmeter liegen könnte. Jetzt aber lautet die Prognose für den Tarif der russischen Gaslieferungen nach Europa bereits für das Ende dieses Jahres bei rund 380 bis 400 Dollar. Analysten schließen einen stärkeren Preisanstieg nicht aus.

Die Ankündigung kam im Vorfeld einer weiteren Verhandlungsrunde zwischen Gazprom und den ukrainischen Partnern. Gegenwärtig bezieht die Ukraine das zentralasiatische Gas wesentlich günstiger als ihre europäischen Nachbarn. Insofern dürfte eben die Ukraine der eigentliche Leidtragende des bevorstehenden Preisanstiegs sein.

Gazprom kauft rund 42 Milliarden Kubikmeter turkmenisches Gas, rund acht Milliarden Kubikmeter usbekisches Gas und acht Milliarden Kubikmeter kasachisches Gas. Der Preis für dieses Jahr liegt bei jeweils 140, 145 und 160 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Größtenteils werden diese Gasmengen zu 179,5 Dollar pro 1000 Kubikmeter an die Ukraine geliefert. Das macht dieses Lieferschema für die Teilnehmer rentabel, sichert aber auch einen akzeptablen Preis für die Ukraine. Die jüngste Preisoffensive der zentralasiatischen Gasunternehmen bedeutet, dass Kiew keine Quellen mehr für billiges Gas hat. Sehr wahrscheinlich ist allerdings, dass Kiew einen Teil dieser Probleme mit den Geldern von Gazprom wird regeln können.

Denn ein bekannter Druckhebel gegen Gazprom ist der Transitpreis für russisches Gas durch die Ukraine. Nun wird Kiew umso hartnäckiger auf einer Steigerung des Tarifs auf europäisches Niveau bestehen. In dem Fall wird Gazprom gezwungen sein, die Steigerung der Rentabilität bei den zentralasiatischen Partnern aus eigener Tasche zu bezahlen. Für den russischen Konzern geht es in dem Fall um Mehrausgaben zwischen einer und 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr.

Natürlich will Gazprom eine radikale Revision des Transittarifs verhindern. Umso mehr, als Gazprom selbst in der Lage ist, die Tarife für den Transport von zentralasiatischem Gas durch Russland entsprechend anzuheben. Heute liegt er bei 1,7 Dollar je 1000 Kubikmeter auf 100 Kilometer. Insgesamt kostet der Gastransport aus Zentralasien in die Ukraine durch russische Pipelines etwa 10 Dollar je 1000 Kubikmeter. Gazprom könnte genauso gut mit einer zweifachen Steigerung des Transittarifs rechnen.

Woran aber bereits jetzt kein Zweifel bestehen sollte: Die Zustimmung von Gazprom für die Preisbedingungen der zentralasiatischen Gasunternehmen wird das Transkaspi-Projekt, das von den USA und der EU lobbyiert wird - eine Gaspipeline auf dem Grund des Kaspischen Meeres aus Turkmenistan nach Aserbaidschan, in die Türkei und weiter bis zum Balkan - endgültig begraben. Fällt aber dieses Projekt aus, kann von dem Projekt Nabucco keine Rede mehr sein. Denn in dem Fall könnte höchstens Iran - und das auch nur in ferner Zukunft - die Ressourcenbasis für Nabucco werden, was aber eher politisch zweifelhaft erscheint.

Und auch umgekehrt: Die Umstellung auf die europäischen Preise für das zentralasiatische Gas würde die gemeinsamen Pläne Russlands und der zentralasiatischen Partner für die Umsetzung des Projekts der Kaspi-Pipeline festigen, das eine zusätzliche Beförderung von jeweils zehn Milliarden Kubikmeter turkmenisches und kasachisches Gas vorsieht. Außerdem wird damit der geplante Ausbau der alten Gasfernleitung Zentralasien - Zentrum einen Auftrieb bekommen. Mit anderen Worten: Die gegenseitige Abhängigkeit der Gasproduzenten der ehemaligen UdSSR wird damit verstärkt.

Bereits seit mehreren Jahren bemüht sich Russland um die Bildung eines Gas-Bündnisses der ehemaligen Sowjetrepubliken, die Gas fördern und exportieren. Natürlich kann die Gazprom-Kontrolle über die Lieferungen von zentraleuropäischem Gas nicht ewig sein. Deshalb bedeutet heute die Umstellung auf die europäischen Preisprinzipien, die Moskau selbst schon seit einigen Jahren in seinen Beziehungen mit den Partnern im GUS-Raum betreibt, ein neues Niveau des Einvernehmens und der Zusammenarbeit zwischen den Gasunternehmen im postsowjetischen Raum. Trotz der destruktiven Bemühungen der westlichen Gasabnehmer haben die vier GUS-Länder die Strategie eines einheitlichen Auftretens auf den Außenmärkten gewählt.

* Igor Tomberg ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Wissenschaftsakademie und Professor an der Moskauer Staatlichen Hochschule für Internationale Beziehungen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur, 13. März 2008; http://de.rian.ru



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