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Enger Schulterschluß

Hintergrund. Angetrieben von der Industrie arbeitet die Regierung Merkel mit Hochdruck an einer »deutschen Rohstoffstrategie«. Die Kanzlerin sieht darin »eine klassische Querschnittsaufgabe« und setzt auf interministerielle Zusammenarbeit

Von Jörg Kronauer *

Verborgener Zinnschatz im Erzgebirge« – unter diesem fast märchenhaften Titel berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung Ende August von jüngsten Meldungen aus dem südlichen Sachsen, denen zufolge sich dort »eines der weltweit größten bekannten Zinnvorkommen« befinde. Vor 20 Jahren sei der Erzbergbau in der Bundesrepublik komplett eingestellt worden, weil er aufgrund der niedrigen Weltmarktpreise nicht mehr profitabel gewesen sei, schrieb das Blatt: Dies habe sich mit dem gewaltigen Preisanstieg bei den Rohstoffen in den letzten Jahren geändert. Es stimmt: Konnte man für eine Tonne Zinn im Frühjahr 2003 nur gut 4000 Euro verlangen, so bekommt man heute fast das Vierfache – rund 15000 Euro. Bei solchen Erlösen ist auch in Deutschland wieder eine gewinnbringende Zinnförderung möglich. Dabei sind die Summen, die man bei heutigen Preisen mit den Zinnvorkommen in Gottesberg und in Geyer im Erzgebirge erzielen kann, enorm. Etwa 160000 Tonnen liegen dort, sie brächten gut 2,5 Milliarden Euro ein. Kein Wunder also, daß zahlreiche Unternehmen die Lagerstätten Sachsens neu erkunden. Obendrein gehört Zinn zu denjenigen Metallen, die Experten den »kritischen Rohstoffen« zuordnen – denjenigen also, auf welche die deutsche Industrie auf gar keinen Fall verzichten kann, bei denen bislang jedoch eine politisch riskante Abhängigkeit von Importen aus Ländern außerhalb des unmittelbaren westlichen Einflußbereichs besteht. Dies könnte sich mit den sächsischen Vorkommen zumindest beim Zinn ansatzweise ändern.

Großverbraucher Deutschland

Das Beispiel der wieder auflebenden Metallförderung im Erzgebirge zeigt zwar, daß die stark steigenden Rohstoffpreise für die deutsche Industrie nicht in jedem Fall von Nachteil sind – zuweilen kann sie damit selbst davon profitieren. Es zeigt jedoch auch: Der deutsche Rohstoffhunger ist völlig ungebrochen. Die Bundesrepublik ist, so formulierte es im vergangenen Jahr die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), schließlich »eines der führenden Industrieländer und daher Großverbraucher mineralischer Rohstoffe«. Auch wenn »ein Großteil der jährlich in Deutschland benötigten energetischen und nichtmetallischen mineralischen Rohstoffe« – darunter Braunkohle, Bausande, Natursteine, Salze – im Inland gewonnen werde »und damit die Eigenversorgung mit diesen Rohstoffen ganz oder anteilig sichergestellt« sei, sei andererseits »die Bedarfsdeckung bei den Metallrohstoffen, einzelnen Industriemineralen und bestimmten Energierohstoffen sehr stark von Importen abhängig«. Bekannte Beispiele: Erdöl und Erdgas, Eisenerze, Kupfer, Edelmetalle, die vielzitierten Seltenen Erden oder eben auch Zinn, bei dem Deutschland allein 4,7 Prozent der Weltförderung konsumiert. Bei alledem handelt es sich um gigantische Summen: Die Bundesrepublik mußte im Jahr 2010 alles in allem Bodenschätze im Wert von fast 110 Milliarden Euro einführen.

Als problematisch erweist sich dabei aus Sicht der deutschen Industrie, daß die globale Nachfrage nach den so dringend benötigten Rohstoffen seit Jahren ungebrochen steigt und der Zugriff des Westens auf die weltweiten Ressourcen nicht mehr unangefochten ist. »Die alte Faustregel, daß 20 Prozent der Menschheit in Europa, Nord¬amerika und Japan mehr als 80 Prozent der Weltbergbauproduktion konsumieren, gilt nicht mehr«, hielten im Januar 2008 die Verfasser einer vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Auftrag gegebenen Studie trocken fest: Ein »Strukturwandel« habe sich vollzogen. Mit zahlreichen aufsteigenden »Schwellenländern« wie »China und Indien« sei »heute über die Hälfte der Weltbevölkerung an der Nachfrage nach Rohstoffen beteiligt«. Die dramatisch verschärfte internationale Konkurrenz treibe die Preise in die Höhe. Experten verweisen schon seit geraumer Zeit darauf, daß die Entwicklung nicht nur deswegen für Deutschland negativ zu Buche schlägt, weil sich deutsche Konzerne in den Jahren niedriger Rohstoffpreise aus der teils riskanten Ressourcenförderung zurückgezogen haben – man konnte die Bodenschätze damals ja billig und viel bequemer kaufen – und weil deshalb die inzwischen doch stark gestiegenen Gewinne nun der Bergbaukonkurrenz aus anderen Staaten zugute kommen. Der Rückzug deutscher Firmen aus der Rohstoffproduktion seit den 1980er Jahren hat außerdem dazu geführt, daß der deutsche Zugriff auf die Bodenschätze nicht so intensiv ist, wie die Konzerne es heute gerne hätten. »In der deutschen rohstoffverarbeitenden Industrie setzt sich daher zunehmend die Erkenntnis durch«, heißt es im jüngsten BGR-Bericht zur »Rohstoffsituation« in der Bundesrepublik, daß »die Lieferketten bis in den primären Rohstoffsektor« wieder »besser abgesichert werden müssen«.

Zwei Meilensteine

Diese »Erkenntnis« ist Teilergebnis eines politischen Prozesses, den maßgebliche Kreise der deutschen Wirtschaft im Jahr 2004 in die Wege geleitet haben. Unmittelbarer Auslöser war damals, daß Lieferengpässe auf dem Koksmarkt zu einem explosionsartigen Anstieg der Preise geführt hatten, der unter anderem die deutsche Stahlindustrie in erhebliche Schwierigkeiten stürzte. Der frühere Bundeswirtschaftsminister und damalige Vorstandsvorsitzende der Ruhrkohle AG, Werner Müller, trat daraufhin mit der Forderung an die Öffentlichkeit, eine deutsche »Rohstoffstrategie« zu erstellen, um gegen derlei Gefahren in Zukunft besser gerüstet zu sein. Der damalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Jürgen Thumann nahm Müllers Steilvorlage auf und sprach sich noch im Herbst 2004 dafür aus, auf einem »Rohstoffkongreß« die Probleme bei der Versorgung mit Bodenschätzen umfassend zu thematisieren. Der erste »Rohstoffkongreß« des BDI fand schließlich am 8. März 2005 in Berlin statt. »Wichtige Rohstoffe« würden »immer knapper«, hieß es im Einladungsschreiben, »die starken Preisanstiege« wirkten sich »auf unsere gesamte Wertschöpfungskette aus«: »Müssen wir«, so fragte der BDI, »die Rohstoffversorgung für die Industrie wieder auf die politische Agenda setzen?«

Eine rhetorische Frage. Bereits vor dem Kongreß hatten BDI-Präsident Thumann und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vereinbart, in einem Schulterschluß von Politik und Industrie Grundzüge einer strategischen Rohstoffpolitik für Deutschland zu ermitteln. Am ersten BDI-Rohstoffkongreß im März 2005 nahmen daher nicht nur Spitzenvertreter deutscher Konzerne wie ThyssenKrupp, BASF und Daimler teil, sondern beispielsweise auch ein Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Gerade einmal vier Monate später legte dieses einen ausführlichen »Bericht zur aktuellen rohstoffwirtschaftlichen Situation und zu möglichen rohstoffpolitischen Handlungsoptionen« vor; im Herbst 2005 rief der BDI dann eine »Präsidialgruppe Internationale Rohstoffragen« ins Leben, die im folgenden Jahr einen »Bericht zur Verfügbarkeitssituation metallischer Rohstoffe und ihren Auswirkungen auf die deutsche Industrie« verfaßte. Das Papier diente als Basis für die weiteren Planungen des BDI und des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Datengrundlagen dafür stammten zu erheblichen Teilen von der BGR.

Einen nächsten Meilenstein stellte der zweite BDI-Rohstoffkongreß vom 20. März 2007 dar. Auf ihm präsentierte Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur »Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung«, in der bereits zentrale Bausteine der heutigen Politik benannt wurden – etwa die Absicht, unterschiedliche Politikbereiche wie die Wirtschafts- und die Entwicklungspolitik zur Stärkung des deutschen Zugriffs auf die Bodenschätze ärmerer Länder enger zu verkoppeln, oder der Wunsch, der deutschen Industrie wieder zu einer stärkeren Position in der weltweiten Rohstofförderung selbst zu verhelfen. Auch institutionell trieb die Kanzlerin die Vernetzung zwischen Politik und Industrie in Sachen Rohstoffe voran. »Wir werden den auch von Ihnen erwünschten interministeriellen Rohstoffausschuß gründen«, teilte Angela Merkel den anwesenden Wirtschaftsfunktionären mit: »Darin werden das Wirtschaftsministerium, das Außenministerium, das Finanzministerium, das Entwicklungsministerium, das Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium vertreten sein. Damit ist klar: Rohstoffpolitik ist wirklich eine klassische Querschnittsaufgabe.« Ausdrücklich erklärte Merkel: »Sie erhalten mit dem interministeriellen Rohstoffausschuß also das, was Sie wünschen, nämlich ein Forum, in dem Sie Ihre Sorgen und Initiativen mit den politischen Aktionen vernetzen können.« In der Tat: Der BDI ist unmittelbar in die Arbeit des Regierungsausschusses, der seit Juni 2007 als »Interministerieller Ausschuß Rohstoffe« firmiert, eingebunden. Enger kann ein Schulterschluß kaum sein.

März 2007: Das war die Zeit, als die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, und zu den zahlreichen Projekten, mit denen sie damals deutsche Vorhaben europäisch zu verstärken suchte, gehörten auch Schritte in der Rohstoffpolitik. »Nicht zuletzt die rohstoffpolitische Diskussion in Deutschland« habe dazu geführt, daß die EU-Kommission 2008 erstmals eine EU-Rohstoffinitiative vorgelegt habe, hieß es zwei Jahre später rückblickend in einem Bericht der Bundesregierung. Im Mittelpunkt der Brüsseler Initiative stünden dabei diejenigen »Themen, die effizienter und mit größerem Nachdruck auf EU-Ebene vorangebracht« werden könnten als in Deutschland auf nationaler Ebene. Dazu zählt der Versuch, die Bodenschätze in Europa deutlich stärker zu nutzen. Ziel sei es etwa, »daß eine dauerhafte Versorgung« der Industrie »mit Rohstoffen aus europäischen Quellen begünstigt wird«, heißt es in dem Papier. Einen Bericht hierzu hat die EU-Kommission im Juli 2010 vorgelegt. Am 2. Februar 2011 folgte schließlich eine offizielle EU-Rohstoffstrategie, die die Forderung der EU-Rohstoffinitiative von 2008 bekräftigte, den Abbau eigener europäischer Bodenschätze stärker voranzutreiben, um derzeit bestehende Abhängigkeiten vom außereuropäischen Ausland zu verringern. Darüber hinaus hieß es etwa, man wolle eine »Rohstoffdiplomatie« entwickeln, um »strategische Partnerschaften« mit den wichtigsten Lieferanten jenseits der EU aufzubauen. Geht Deutschland seitdem einen »europäischen« Weg? Keinesfalls. Man nutzt Brüsseler Kapazitäten, um den eigenen Einfluß zu stärken, gibt aber noch lange nicht die eigene nationale Rohstoffpolitik auf.

Im Gegenteil: Am 20. Oktober 2010 verabschiedete das Bundeskabinett eine nationale deutsche »Rohstoffstrategie«, die nach zwei »Rohstoffdialogen« im Frühjahr 2010 erstellt wurde. Bei den »Rohstoffdialogen« handelte es sich um medial inszenierte Treffen von Politik und Wirtschaft mit den Gewerkschaften, um letztere in die Strategie einzubinden. Die Rohstoffstrategie sieht eine Vielzahl von Maßnahmen zur »Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen« vor. Dazu gehören Vorhaben, die die Abhängigkeit von Importen in Zukunft verringern sollen, zum Beispiel die Förderung des Abbaus einheimischer Bodenschätze, wie sie zur Zeit in Sachsen wieder beginnt, aber auch Unterstützung für Forschungsvorhaben, die eine möglichst effiziente Nutzung von Rohstoffen in der industriellen Anwendung und damit auch die Verringerung des Importbedarfs zum Ziel haben. Einen wichtigen Stellenwert nimmt Recycling ein: Es spart ebenfalls viele teure Ressourcenimporte. »Bei einigen Materialien, z. B. Kupfer, hat Deutschland mit 54 Prozent die höchste Recyclingquote weltweit«, berichtet die Bundesregierung in dem Strategiepapier und kündigt an, ihre Bemühungen um eine Erhöhung dieser Quote fortzusetzen: »Auch das im Restmüll enthaltene Wertstoffpotential« müsse »noch in dieser Legislaturperiode besser für das Recycling erschlossen werden«. Gänzlich unbeschadet der Tatsache, daß die Wiederbenutzung endlicher Rohstoffe objektiv ungemein sinnvoll ist: Mit ihrer Recyclinginitiative gelingt es der schwarz-gelben Bundesregierung, selbst die alternative Ökobourgeoisie in die Rohstoffversorgung deutscher Konzerne einzuspannen.

»Rohstoffpartnerschaften«

Herausragende Bedeutung haben in der Berliner Rohstoffstrategie jedoch außenpolitische Aspekte. »Die Bundesregierung«, heißt es in dem Papier, »unterstützt die deutsche rohstoffverarbeitende Industrie durch gezielte politische Flankierung darin, sich Rohstoffe über Lieferverträge, Explorations- und Bergbauengagements, Konzessionserwerb oder Beteiligungen in ausreichender Menge und Qualität bedarfsgerecht zu sichern.« Dazu werde sie sich beispielsweise »gegenüber der Gastregierung aktiv für deutsche Wirtschaftsinteressen einsetzen«. Selbstverständlich nimmt das Regierungsdokument die Forderungen des BDI unmittelbar auf. Ein Beispiel? In seinem »Strategiepapier zur Rohstoffsicherheit« vom Juni 2010 hatte der BDI verlangt, die deutsche Entwicklungspolitik solle endlich einen größeren Beitrag zur Entwicklung der deutschen Wirtschaft leisten: Sie »könnte und sollte« künftig stärker als bisher »die Investitionsbedingungen in den rohstoffreichen Partnerländern verbessern«. In der Rohstoffstrategie der Regierung heißt es: »Entwicklungspolitische Maßnahmen der Bundesregierung können dazu beitragen, daß in den Partnerländern durch den Aufbau eines stabilen und leistungsfähigen Rohstoffsektors und kompetenter staatlicher Akteure wichtige Rahmenbedingungen für ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden, von dem auch die deutsche Wirtschaft profitieren kann.« Mit Rücksicht auf ihre entwicklungspolitische ¬Klientel hat die Bundesregierung allerdings noch ein paar wohlklingende Phrasen hinzugefügt – etwa diejenige, daß sie ganz selbstverständlich nur darauf abziele, »den verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit Rohstoffen (Gute Regierungsführung) und die nachhaltige Rohstoffwirtschaft unter Wahrung der Menschenrechte und Einhaltung international anerkannter sozialer und ökologischer Mindeststandards zu stärken«.

Ein wichtiges Element der Berliner Rohstoffstrategie sind darüber hinaus konkrete Vorhaben, die die Rohstoffpolitik infrastrukturell flankieren sollen. Sie sind inzwischen realisiert. Dazu gehört die bereits am 4. Oktober 2010 offiziell vollzogene Gründung der »Deutschen Rohstoffagentur« in der BGR, die laut Eigenangaben als »zentrale Informations- und Beratungsplattform zu mineralischen und Energierohstoffen für die deutsche Wirtschaft« fungieren soll. Die Deutsche Rohstoffagentur vergibt seit dem Jahr 2011 zusätzlich den Deutschen Rohstoffeffizienzpreis, mit dem kleine und mittlere Unternehmen ausgezeichnet werden, die Wege zur Senkung des Rohstoffverbrauchs etwa durch Prozeßoptimierung oder durch Recycling herausgefunden haben. Zu den konkreten infrastrukturellen Vorhaben der Rohstoffstrategie gehört auch die am 29. August 2011 vollzogene Gründung des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie an der TU Bergakademie Freiberg, in dessen Zuständigkeitsbereich es fällt – ebenfalls laut Eigenangaben –, »innovative Technologien für die Wirtschaft zu entwickeln, um mineralische und metallhaltige Rohstoffe effizienter bereitzustellen und zu nutzen sowie umweltfreundlich zu recyceln«.

Schließlich sieht die deutsche Rohstoffstrategie den Aufbau sogenannter Rohstoffpartnerschaften vor. Sie werden exklusiv zwischen Deutschland und einem »Partnerland« abgeschlossen. Die Bundesregierung verpflichte sich darin, »den Aufbau rohstoffverarbeitender Industrien im Partnerland zu fördern und Bemühungen um besseres Rohstoffmanagement zu unterstützen«, beschrieb unlängst die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) den neuen Modus bilateraler Kooperation; »im Gegenzug« garantiere die jeweilige »Partnerregierung deutschen Unternehmen diskriminierungsfreie und faire Investitionsmöglichkeiten«. Anders ausgedrückt: Die »Partnerländer« öffnen sich für deutsche Konzerne, deren Aktivitäten von deutschen Regierungsstellen, etwa von Entwicklungsagenturen und Experten des Wirtschaftsministeriums, unterstützend flankiert werden. Außer dem Entwicklungs- und dem Wirtschaftsministerium stehen dafür das Auswärtige Amt und das Umweltministerium bereit. Während man durchaus mit einer »Verbesserung (...) des Investitionsklimas in den Partnerländern« rechnen könne, seien entwicklungspolitische Fortschritte im eigentlichen Sinn aufgrund der konkreten Ausformulierung der »Partnerschafts«-Verträge nicht besonders wahrscheinlich, urteilt skeptisch die SWP. Doch auf Fortschritte für die Bevölkerung vor Ort kommt es Berlin ja auch gar nicht an.

Unmittelbarer Begriff

Das zeigt die Praxis. Bislang hat die Bundesregierung zwei »Rohstoffpartnerschaften« geschlossen, eine – im Oktober 2011 – mit der Mongolei, eine zweite – im Februar 2012 – mit Kasachstan. Beide Länder gelten als außergewöhnlich ressourcenreich. Kasachstan etwa besitze Seltene Erden, Gallium, Indium, Kupfer, Molybdän, ¬Niob und Rhenium, schreibt die SWP: »Dies macht das Land für die deutsche Wirtschaft besonders attraktiv.« Laut der staatseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (gtai) besitzen in Asien lediglich China und Rußland »ein größeres Potential im Erzbergbau« als Kasachstan. Umso erfreulicher war es für die deutsche Industrie, daß gleichzeitig mit der »Rohstoffpartnerschaft« rund 50 Wirtschaftsvereinbarungen abgeschlossen werden konnten: Siemens, ThyssenKrupp, Lanxess und viele andere kamen zum Zug. Lanxess und die kasachische Kazphosphate etwa unterzeichneten ein Memorandum of Understanding über eine Kooperation im Bereich phosphatbasierter Produkte. Dem Deal wie der »Rohstoffpartnerschaft« insgesamt stand nicht entgegen, daß Kasachstan diktatorisch regiert wird und die kasachischen Repressionsapparate im Dezember 2011, also kurz vor dem Abschluß des Kooperationsvertrags, einen langanhaltenden Streik von Erdölarbeitern blutig niedergeschlagen hatten; 17 Arbeiter waren dabei ums Leben gekommen, mehr als neunzig verletzt worden. Ernstgemeinte Proteste Berlins blieben aus.

Weitere »Rohstoffpartnerschaften« sind mittlerweile in Planung. »Wir haben eine Gruppe von insgesamt sieben Ländern identifiziert, mit denen wir Rohstoffpartnerschaften eingehen wollen«, wird Werner Ressing, Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium, zitiert. Im Gespräch sind Vereinbarungen mit Südafrika, Namibia und Sambia, mit Chile und Peru. Chile etwa »verfügt über die weltweit größten Kupferreserven«, berichtet das Auswärtige Amt; überhaupt nehme es »in der Weltproduktion etlicher Rohstoffe eine führende Stellung ein«, etwa bei der Förderung von Lithium (41 Prozent der Weltproduktion), Rhenium (44 Prozent) oder Molybdän (15 Prozent). Der größte Kupferproduzent Europas, die Hamburger Aurubis AG (früher: Norddeutsche Affinerie), bezieht schon heute rund ein Viertel seiner Kupferkonzentrate aus dem südamerikanischen Land. Um die »Rohstoffpartnerschaft« vorzubereiten, hielt sich zu Jahresbeginn Entwicklungsminister Dirk Niebel in Chile auf – schließlich wird die entwicklungspolitische Begleitung der deutschen Rohstoffexpansion auch als Türöffner in den »Partnerländern« in spe benutzt. »In Chile fehlen in den nächsten Jahren mehr als 20000 qualifizierte Fachkräfte allein im Bergbau«, behauptete Niebel: »Wir haben eine über Jahrzehnte gewachsene Kammer- und Verbandsstruktur mit angeschlossenen Bildungszentren, die qualifizierte Abschlüsse vom Gesellen bis zum Techniker ermöglichen. Dieses Know-how können wir über eine Berufsbildungspartnerschaft mit aktiver Unterstützung der deutschen Wirtschaft in die Reformprozesse in Chile einbringen.« Entwicklung? Vor allem bekäme die deutsche Industrie auf diese Weise in Chile kostengünstig Personal, das ihrem Bedarf genau entspräche.

Ergänzend zu den staatlichen Initiativen haben deutsche Unternehmen, darunter die Crème de la crème der Rohstoffe benötigenden deutschen Großkonzerne wie BASF, Bayer, Bosch und ThyssenKrupp, am 30. Januar 2012 die Gründung einer »Allianz zur Rohstoffsicherung« bekanntgegeben. Wie der Vorsitzende des BDI-Rohstoffausschusses und designierte BDI-Präsident Ulrich Grillo erklärt, hat diese Allianz »den Aufbau von Beteiligungen an Rohstoffprojekten zum Ziel, um so die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen langfristig zu verbessern«. Sie solle »Rohstoffprojekte in einer frühen Phase aufgreifen und die Explorationen durchführen, also die Vorkommen erkunden und bewerten, um so Bezugs- und Beteiligungsoptionen für deutsche Unternehmen zu schaffen«. In Einzelfällen könne sie auch direkt in der Gewinnung und Aufbereitung von Rohstoffen tätig werden. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler teilte umgehend mit, er begrüße die Gründung der »Allianz«: Sie bilde »zusammen mit der Rohstoffstrategie der Bundesregierung eine sehr gute Basis für die weitere Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen«. Ihre Gründung sei »ein wichtiger Meilenstein für die deutsche Wirtschaft«. Gelingt der Aufbau der Organisation, dann kann sie künftig im Verein mit der Bundesregierung prinzipiell in aller Welt leisten, was im heimischen Erzgebirge schon jetzt möglich ist – den unmittelbaren Zugriff der deutschen Industrie auf die Rohstoffe, die sie profitabel verarbeiten will, zu sichern.

Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler, freier Journalist und Redakteur bei german-foreign-policy.com. Am 30.8. schrieb er an dieser Stelle über die in Hannover ansässige Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) [siehe: Die Taxierung der Welt

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. September 2012


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