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Globaler Erdölpoker

Energie-Ausblick 2020: Der Saft geht aus

Von Fred Schmid und Conrad Schuhler *

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht in ihrer Prognose bis zum Jahr 2020 davon aus, daß sich der Primärenergiebedarf bis zum Jahr 2020 gegenüber 1997 um 57 Prozent erhöhen werde (vgl. IEA 2000, »Welt-Energie-Ausblick«, S. 36). Die Proportionen bei den Primärenergieträgern ändern sich nur unwesentlich: Erdöl bleibt der wichtigste Energieträger und hält seinen Anteil von 40 Prozent konstant. Der Anteil der Kohle am Primärenergieverbrauch geht um zwei Prozentpunkte auf 24 Prozent zurück, der Anteil von Erdgas steigt um vier Prozent auf einen Anteil von 26 Prozent. (siehe Grafik). Erst in den Szenarien nach 2020 wird mit größeren Abweichungen gerechnet und den erneuerbaren Energien ein wesentlich größerer Beitrag zur globalen Energieversorgung eingeräumt. Bis dahin aber bleibt die Abhängigkeit der kapitalistischen Weltwirtschaft von der »schwarzen Droge« bestehen. Die Sucht nach den sogenannten hydrokarbonischen Energiequellen – Erdöl und Erdgas – verstärkt sich sogar noch. Sie decken im Jahr 2020 zwei Drittel des Welt-Primärenergiebedarfes. (...)

Importabhängigkeit des Westens

Infolge des Versiegens eigener Quellen ist der westliche Metropolenkapitalismus in wachsendem Maße auf den Import von Öl und Erdgas angewiesen. Mit den zur Neige gehenden Ölvorräten in Nordamerika und der Nordsee verliert er wichtige Trümpfe gegenüber der OPEC. Die Erschließung des Nordseeöls, soviel zur Erinnerung, war zusammen mit der erhöhten mexikanischen Förderung und der Erschließung neuer Felder in Kanada und Alaska nach der Ölkrise 1973 für den Westen und die Ölmultis der wichtigste Hebel, um das OPEC-Kartell zu knacken. Jetzt scheint der Westen erneut in eine wachsende Abhängigkeit gegenüber der OPEC und dem Golf-Öl im besonderen zu geraten, Das hat für die westlichen Ölmultis auch zur Folge, daß ihnen der Saft für das Upstream-Geschäft weitgehend ausgeht. In der Golf-Region haben nationale Ölfördergesellschaften die Förderquellen größtenteils unter eigener Kontrolle: im Irak (bis zum US-Überfall auf das Land im März 2003, d. Red.) und Iran total, in Saudi-Arabien die saudische Aramco und in Kuwait die Kuweit Petroleum. Das Geschäft der Ölmultis beginnt erst ab Verladeterminal. (Upstream-Bereich: Exploration und Förderung; Downstream: Verarbeitung des Erdöls (Raffineriesektor) und Vertrieb). (...)

Im Hinblick auf die Ölimporte ergibt sich für die beiden westlichen Triademächte – USA und Deutschland – eine vergleichbare Situation: Die Importmöglichkeiten über ihre unmittelbaren Verbündeten stagnieren bzw. gehen zurück: Für die USA betrifft das den Bezug aus Kanada, Mexiko und von Nordseeöl (Großbritannien und Norwegen), insgesamt 36 Prozent der US-Importe.

Deutschland wiederum muß sich mittelfristig nach Alternativen für das Nordseeöl umschauen, das bisher ein Drittel seiner Importe abdeckte.

Insgesamt gewinnt die sogenannte Energie- und Versorgungssicherheit für den Westen eine noch größere Bedeutung als bisher. Erforderlich ist der ungehinderte Zugriff auf fremdes Öl (Daniel Yergin: »feindliches Öl«), sei es durch unmittelbaren Zugriff der Ölmultis auf die Ölquellen bzw. durch Liefergarantien der Förderländer. Zum anderen kommt es für die Funktionsweise des globalen Kapitalismus mit seiner energieintensiven und hochgradig verwundbaren Ökonomie auf die Sicherung der Transportwege von Öl und Gas an. Das betrifft neben der Kontrolle der Tankerrouten – Bundesmarine am Horn von Afrika! – vor allem die Sicherung des hochempfindlichen Netzes von Öl- und Erdgaspipelines. Nach einer Studie der CIA bräuchten Terroristen relativ wenig Sprengstoff, um die Ölquellen für zwei Jahre stillzulegen. Was katastrophale Auswirkungen auf die vernetzte Ökonomie des globalisierten Kapitalismus hätte. Eine der ersten Maßnahmen der US-Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September bestand denn auch darin, ihre strategische Ölreserve auf den bisherigen Höchststand zu erhöhen. Sie könnte dennoch den Importbedarf nur für gut zwei Monate abdecken. (...)

Öl-Konkurrent Asien

Auf dem Welt-Ölmarkt gewannen in den vergangenen Jahren Süd- und Südostasien als Importeur ein immer größeres Gewicht. Diese Region, in der mehr als die Hälfte der Menschheit lebt, war im vergangenen Jahrzehnt von einer stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung gekennzeichnet. Der Ölverbrauch stieg dort im Verlauf der 90er Jahre um fast die Hälfte (46 Prozent), in der gesamten restlichen Welt nur um drei Prozent. Andererseits besitzt Asien/Pazifik nur sehr geringe eigene Ölressourcen. Nur etwa sechs Prozent der gesicherten Weltölreserven sind in dem riesigen Gebiet versteckt, gut die Hälfte davon nennt China sein eigen. Als Ölexporteur spielt nur Indonesien eine gewisse Rolle. Japan, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, ist fast total auf den Import von Erdöl angewiesen. 60 Prozent seines Ölbedarfs muß Asien/Pazifik durch Importe decken, fast ausschließlich aus der Golfregion. Der Öldurst Asiens wird mit der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, Indiens und der Tigerökonomien weiter zunehmen. Denn der Prokopfverbrauch ist noch gering: Die USA mit ihren 265 Millionen Einwohnern verbrauchen fast soviel Erdöl (897 Millionen Tonnen) wie ganz Asien/Pazifik mit drei Milliarden Einwohnern (969 Millionen Tonnen Erdöl).

Vor allem China tritt beim globalen Erdölpoker zunehmend als »Global player« auf, vor allem, wenn die hohen Wachstumsraten weiter anhalten. China ist nach den USA und Japan inzwischen der drittgrößte Ölverbraucher der Welt (6,5 Prozent des Weltverbrauchs bei fast einem Viertel der Weltbevölkerung; USA mehr als ein Viertel des Weltverbrauchs, bei knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung). Sein Ölverbrauch stieg in den 90er Jahren um 107 Prozent; mit einer weiteren Verdoppelung wird bis 2012 gerechnet. Der wachsende Ölbedarf des Riesenreiches aber kann aus eigenen Quellen nicht mehr gedeckt werden. 1987 förderte China noch 27 Prozent mehr Öl, als es selbst verbrauchte, war also noch Nettoexporteur und im Jahr 1994 immerhin noch autark. Ab Mitte der 90er Jahre mußte es zusätzlich Öl importieren, um den Bedarf zu decken. Im Jahr 2000 betrug der Deckungsgrad aus eigener Produktion nur noch 72 Prozent.

* Quelle: Fred Schmid/Conrad Schuhler, Krieg ums Erdöl. Zwischen Kaspischem Meer und Nahem Osten entscheidet sich die Zukunft des globalen Imperialismus, München, isw-spezial Nr. 15, 2.Aufl. 2003

Aus: junge Welt, 18. Dezember 2006


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