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Gaskonzerne denken um

Energiewirtschaft und EU-Kommission setzen auf verflüssigtes Gas

Von Hermannus Pfeiffer *

Deutschland setzt bei der Gasversorgung bislang vor allem auf Pipelines aus Russland. Die stark gestiegenen Preise machen indes eine Alternative rentabel, mit der sich die Lieferungen diversifizieren ließen: den Transport von verflüssigtem Erdgas aus der Nordsee oder Afrika per Schiff.

Europas erste Erdgasverflüssigungsanlage steht auf einer kleinen Insel vor der norwegischen Stadt Hammerfest. Hier wird der aus dem Feld »Snøhvit« (Schneewittchen) in der Barentssee geförderte Rohstoff verflüssigt, damit er per Schiff, vorwiegend nach Großbritannien, aber auch nach Spanien oder Italien transportiert werden kann. »Ein phantastisches industrielles Abenteuer«, schwärmt der Betreiber, der norwegische Staatskonzern Statoil-Hydro.

Von solchen Abenteuern hielt man in Deutschlands Energiewirtschaft lange Zeit wenig. Die komfortable Lage zwischen den Hauptlieferländern Russland, Holland und Norwegen sowie das strategische Erdgasröhrengeschäft mit der Sowjetunion sorgen seit den siebziger Jahren für steten und preiswerten Nachschub, mit dem die Konzerne E.on-Ruhrgas, RWE und BASF-Wintershall den oligopolen hiesigen Markt dominieren. Die Abschottung gegenüber Konkurrenten sicherte den Gasgiganten jahrzehntelang Extragewinne.

Bis heute gibt es nicht eine einzige Anlandestelle in Deutschland für verflüssigtes Erdgas (»Liquefied Natural Gas«, LNG). Und das, obwohl die Preise im europäischen Vergleich für private Gasheizungen hoch und für Industriegas sehr hoch sind, wie die EU-Generaldirektion für Energie festgestellt hat. Oder gerade deshalb. Ende der sechziger Jahre war in der Gasindustrie kurzzeitig die Idee aufgetaucht, in Wilhelmshaven eine riesige Anlandestation für LNG zu bauen. Damals wurde die »Deutsche Flüssigerdgas Terminal Gesellschaft« (DFTG) und bereits eine Fläche planiert, als das Erdgasröhrengeschäft zwischen Deutscher Bank, Mannesmann und Sowjet-union den LNG-Terminal unwirtschaftlich erscheinen ließ.

Erst die ausdauernd ansteigenden Energiepreise und die geopolitische Lage in diesem Jahrtausend hat die Briefkastenfirma DFTG wiederbelebt. Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine, der auch hier zu Lieferengpässen führte, hat die Branche aufgeschreckt. Uwe Klaas von der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches, die mit der Erstellung technischer Regelwerke befasst ist: »Es geht um Diversifizierung der deutschen Gasquellen.«

Und auch die deutsche Gasbranche versucht, neue Bezugsquellen zu erschließen: E.on Ruhrgas AG hat kürzlich angekündigt, das LNG-Geschäft langfristig zur dritten Säule des Konzerns ausbauen zu wollen. Das Volumen soll rund zehn Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr erreichen. Dem größten deutschen Gaskonzern war erst im Februar der Einstieg in ein LNG-Projekt im westafrikanischen Äquatorialguinea gelungen. In Algerien hat man eine Repräsentanz eröffnet und setzt auf eine Kooperation mit dem dortigen Staatskonzern Sonatrach. Weitere Projekte sind in Nigeria und Libyen geplant. Zudem will E.on-Ruhrgas als Muttergesellschaft der DFTG bis zum Sommer über den Baubeginn für das geplante LNG-Terminal in Wilhelmshaven entscheiden. Die Investitionen würden etwa 500 Millionen Euro betragen.

Dies entspricht auch den Plänen der EU-Kommission: »LNG kommt in der Gasversorgung der Europäischen Union eine immer wichtigere Rolle zu«, heißt es in der neuen Energiestrategie Brüssels. Um die Energiesicherheit zu fördern und die Abhängigkeit zu mindern, sollten »Projekte« für den Bau neuer Terminals für Flüssigerdgas entwickelt werden. Dies zielt insbesondere auf Staaten ab, die in hohem Maße von einem einzigen Gaslieferanten abhängig sind.

An technischem Wissen mangelt es hierzulande jedenfalls nicht. Die 900 Millionen Euro teure norwegische Erdgas-Verflüssigungsanlage wurde von der Münchener Linde AG gebaut.


LNG ist das englische Kürzel für verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas). Da Erdgas im wesentlichen aus Methan (CH4) besteht, das bereits oberhalb von –161,6 °C gasförmig wird, ist der Energieaufwand zur Verflüssigung extrem hoch. Etwa ein Viertel der transportierten Energiemenge wird bei der Verflüssigung verbraucht. Damit verschlechtert sich die Umweltbilanz gegenüber dem Pipelinetransport und der Klimavorteil gegenüber anderen fossilen Energieträgern schwindet. StS



* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2008


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