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Strom aus der Wüste oder Fata Morgana

Während die Desertec-Industrieinitiative sich streitet, werden in mehreren Staaten tatsächlich Solarkraftwerke gebaut

Von Ralf Streck *

Man schrieb das Jahr 2009, als die Desertec-Idee geboren wurde. Milliardeninvestitionen sollten dafür sorgen, dass 2050 im Sonnengürtel Nordafrikas 15 Prozent des europäischen Stroms nachhaltig aus Sonnenenergie erzeugt werden. Die deutlich höhere Sonneneinstrahlung dort soll Verluste bei der Übertragung mehr als ausgleichen. Der damals gegründeten Desertec-Industrieinitiative (DII) hatten sich auch viele große deutsche Firmen angeschlossen.

Gesetzt wurde auf »Concentrated Solar Power« (CSP). Über Spiegel werden die Sonnenstrahlen in einem Brennpunkt gebündelt und eine Flüssigkeit auf fast 500 Grad erhitzt. Wie in einem konventionellen Kraftwerk wird Wasser verdampft und damit eine Turbine angetrieben. Der Vorteil riesiger Anlagen, für die in Nordafrika nach Desertec-Ansicht genug Raum vorhanden sei, liegt darin, dass über Flüssigkeit oder in unterirdischen Salzdepots die Wärme gespeichert und auch dann Strom erzeugt werden kann, wenn keine Sonne scheint.

Doch Desertec ist es bisher nicht gelungen, eine solche Anlage zu errichten. DII-Mitgliedsunternehmen waren allerdings am Bau des weltweit bisher größten solarthermischen Kraftwerks beteiligt. Das ging im März dieses Jahres in Abu Dhabi mit einer Leistung 100 von Megawatt (MW) Strom ans Netz. 500 Millionen Euro wurden für die 2,5 Quadratkilometer große Anlage mit ihren 258 000 Parabolspiegeln verbaut. Die Kollektoren stammen vom spanischen Unternehmen Abengoa. Da Flabeg die Parabolspiegel und Schott die Receiverrohre geliefert hat, war man bei der DII stolz, dass gleich drei Mitgliedsunternehmen mitgewirkt haben.

Marokko baut mit Unterstützung der EU seit Mai in Ouarzazate in der Sahara an einem CSP-Kraftwerk für die lokale Stromversorgung. Es soll eine Leistung von 160 MW haben und 2015 ans Netz gehen. In der zweiten Baustufe soll die Leistung auf 500 MW gesteigert werden – die Leistung eines normalen Gas- oder Kohlekraftwerks.

Unklar ist noch, ob die sehr teuren Anlagen dem Sandstrahlgebläse Sahara gewachsen sind. Siemens jedenfalls ist aus dem CSP-Geschäft ausgestiegen, weil der damit erzeugte Strom teurer ist, als der von Windrädern oder Photovoltaikmodulen produzierte. »Solarthermie war wegen des Preisrückgangs bei Modulen schon seit 2011 nicht mehr gegenüber Photovoltaik wettbewerbsfähig«, erklärt Leonard Herbig vom Zentrum für Solarmarktforschung in Berlin.

Und anders als dezentrale Anlagen, zum Beispiel auf Hausdächern, bedeuten Großanlagen nicht nur einen enormen Kapitaleinsatz, sondern auch Abhängigkeit. So fragt sich der marokkanische Energieexperte El Mostafa Jamea, welchen Nutzen die Desertec-Projekte für die lokale Bevölkerung haben, und verweist auf den enormen Wasserbedarf der CSP-Kraftwerke. Mit ihnen entstünden auch weniger Jobs als bei der Nutzung von Windenergie und Photovoltaik. Desertec-Kritiker hatten stets betont, dass die angestrebte Form der zentralisierten Energiegewinnung nur ein perfider Versuch großer Energiekonzerne sei, den Sonnenstrom zu kontrollieren.

Die marokkanische Wirtschaftszeitung »l'Economiste« befürchtet sogar einen neuen spanischen und französischen »Kolonialismus«. Denn es seien ausländische Firmen, die über das Projektmanagement die Stromversorgung kontrollieren könnten. Dagegen verweisen Desertec-Befürworter auf Entwicklungsmöglichkeiten vor Ort. Angesichts der hohen Kosten ist fraglich, ob der Strom für die arme Bevölkerung jemals bezahlbar sein wird.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Juli 2013


"Das war rufschädigend für Desertec"

Thiemo Gropp über die Gründe der Stiftung, sich aus der Industrieinitiative zurückzuziehen **

Dr. Thiemo Gropp: Der 43-jährige Physiker und Unternehmer gehört zu den Mitgründern der Desertec-Stiftung und ist seit 2010 einer der beiden Vorstände der Stiftung.


Als 2007 das Desertec-Konzept vorgestellt wurde, war die Idee vom Wüstenstrom eine großartige Vision. Nun zerbröckelt die zur Realisierung gegründete Desertec Industrial Initiative (DII). Zwei große Unternehmen sind ausgeschieden, jetzt verlässt die Stiftung die DII. Bleibt nur eine Vision?

Nein, davon ist nicht auszugehen, dafür ist schon zu vieles gemacht worden und zu vieles in der Pipeline. Fairerweise muss man sagen, dass es von Anfang an eben kein einzelnes Projekt war, sondern ein globales Konzept. Und die DII sollte Rahmenbedingungen schaffen für Märkte und für konkrete Projekte in einer bestimmten Region. Insofern hat sich nicht viel geändert.

Wenn sich kaum was geändert hat, warum verlässt die Stiftung die Initiative der Wirtschaft und nimmt ihren Markennamen mit?

Das war ganz einfach notwendig, weil vieles von dem, was in und um die DII passiert ist, aus unserer Sicht rufschädigend war für den Namen Desertec und das Konzept. Der nach außen ausgetragene Streit der zwei Geschäftsführer über scheinbare Strategiewechsel verband sich mit dem Namen Desertec. Da mussten wir einfach klarmachen, dass die Schlammschlacht der Geschäftsführer nichts mit Desertec zu tun hat. Gleichzeitig war es uns wichtig, wieder etwas unabhängiger von der Industrie zu werden.

Waren Interessenkonflikte in der Industrieinitiative nicht absehbar? Die großen konventionellen Stromerzeuger dürften ja kaum an schnellen Solarstromimporten aus Afrika interessiert sein.

In der Tat gibt es massive Interessenkonflikte. Aber die große Chance bestand darin, einen gemeinsamen Weg zu finden. Wir sind ja damit gestartet, dass wir nicht gegen, sondern für etwas sind. Die große Chance ist, dass gemeinnützige Organisationen mit der Industrie Hand in Hand gehen. Das ist nicht immer gelungen, aber wir glauben, dieses Modell wird durchaus noch Chancen haben.

Ist der Streit, ob der Export von Ökostrom aus Nordafrika vertagt wird, so wichtig? In Marokko werden schon Solarkraftwerke gebaut. Und eine bessere Stromversorgung in Nordafrika wäre doch gut.

Natürlich ist das ganz im Sinne von Desertec. Die Projekte in Marokko entstanden u. a. deshalb, weil die Gründungsväter von Desertec vor etwa fünf Jahren mit dem dortigen Energieministerium und der Weltbank gesprochen haben. Das war die Initialzündung für den marokkanischen Solarplan und vieles mehr. Da steht am Ende nicht Desertec drauf, aber es ist ein Riesenerfolg, über den wir uns freuen.

Es geht ja nicht in erster Linie darum, schnell Strom nach Europa zu bringen, sondern darum, die technischen und politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das ist ein längerer Prozess. Wenn wir in 15 bis 20 Jahren eine Lücke bei regelbarer Energie haben werden, also Energie, die heute z.B. Gaskraftwerke liefern, kann die zum Teil durch Strom aus Nordafrika gedeckt werden.

Dort ist etwa zur gleichen Zeit Nacht wie bei uns. Wie kann da afrikanischer Solarstrom helfen?

Solarthermische Kraftwerke, wie sie in der Wüste geplant sind, haben große Wärmespeicher. Damit können sie Tag und Nacht Strom produzieren. Sie können also konventionelle Kraftwerke ersetzen. In unseren Breiten reichen Intensität und Regelmäßigkeit der Sonne für so etwas nicht. Als erneuerbare Regelenergie haben wir nur ein bisschen Wasserkraft. Insofern sind 15 Prozent regelbare Energie aus Nordafrika zumindest ein naheliegendes Szenario.

Anders als in Marokko haben etliche der nordafrikanischen Politiker, mit denen Desertec Kontakte pflegte, durch den »Arabischen Frühling« ihren Job verloren. Haben Sie noch Ansprechpartner in der Politik?

Die haben natürlich zum Teil gewechselt. Das macht es in der Tat nicht einfacher.

Interview: Steffen Schmidt

** Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Juli 2013

Chronik

2003: Der Club of Rome, der Hamburger Klimaschutzfonds und das Jordanische Nationale Energieforschungszentrum gründen die Trans-Mediterranean Renewable Energy Foundation (TREC).

2007: Die TREC stellt das von ihr entwickelte Desertec-Konzept der Öffentlichkeit vor. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt hatte ergeben, dass solarthermische Kraftwerke auf nur 0,3 Prozent der Wüstenfläche in Nordafrika und dem Nahen Osten ausreichend Strom und entsalztes Wasser für die Länder dort und Europa liefern könnten.

2008: Start des Solarplans der »Union für das Mittelmeer«, von manchen als Konkurrenz zu Desertec gesehen. Ziel des Mittelmeer-Solarplans bis zum Jahr 2020 ist der Aufbau erneuerbarer Energieprojekte mit insgesamt 20 Gigawatt.

2009: Am 20. Januar wird die Desertec Foundation als gemeinnützige Stiftung gegründet. Stiftungsgründer sind die Deutsche Gesellschaft Club of Rome e.V., Mitglieder des Wissenschaftlernetzwerks TREC sowie engagierte private Förderer.

2009: Am 30. Oktober wird die Desertec Industrial Initiative (DII) gegründet. Neben der Desertec Foundation dabei: Munich Re, Schott Solar, Abengoa Solar, Flagsol, Deutsche Bank, HSH Nordbank, ABB Group,

RWE, E.on und andere. Zum Geschäftsführer wurde der holländische Energiemanager Paul van Son berufen.

2012: Aglaia Wieland wird zweite Geschäftsführerin der DII.

2012: Siemens und Bosch verlassen die DII.

2013: Nach längerem Streit über die Strategie der DII wird van Son wieder alleiniger DII-Chef.

2013: Die Desertec-Stiftung verlässt die DII.




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