Bayer & Co. rüsten auf
Die Rohstoffquellen der Konzerne versiegen - neue Strategien müssen her
Von Jan Pehrke *
Erdöl stellt für Bayer & Co. die mit Abstand wichtigste Rohstoffquelle dar.
Über drei Prozent der Jahresproduktion geht an die Chemiebranche. Allein die
bundesdeutschen Multis brauchen pro Jahr 14 Millionen Tonnen des Stoffes,
dessen Reserven bereits zu rund 40 Prozent ausgeschöpft sind. Der
Leverkusener Multi kann seinen Bedarf noch etwa 20 Jahre decken,
prognostizieren Konzernstrategen, dann dürfte es knapp werden. Deshalb
plädieren sie schon mal fürs Umverteilen und fordern, "einen größeren Anteil
des Rohöls für die chemische Industrie zu verwenden" statt es - etwa in
Heizungen - "einfach zu verfeuern".
Bereits jetzt führt die Abhängigkeit vom kostbaren Gut zu
Kräfteverschiebungen auf dem Weltmarkt. So haben die Förderländer ihre
Einnahmen genutzt, um eigene Industrien aufzubauen und so die
Wertschöpfungskette zu verlängern. Besonders die in den Vereinigten
Arabischen Emiraten ansässige International Petroleum Investment Company
(IPIC) entwickelt sich mehr und mehr zu einem ernst zu nehmenden
Konkurrenten für die westlichen Unternehmen. Sie hält seit Längerem eine
Beteiligung an der österreichischen Firma Borealis und kaufte jüngst den
bundesdeutschen Anlagebauer Ferrostal sowie den kanadischen Konzern Novo. Auch mit Bayer begann die IPIC Verhandlungen.
Für solche "Kooperationen, die einen Zugang zu Rohstoffen ermöglichen
würden", zeigte sich Bayer-Chef Werner Wenning in einem Interview mit der
"Börsen-Zeitung" mehr als offen. Es bleibt ihm auch nicht viel anderes
übrig: Als Investoren fürchtet er die arabischen Konzerne zwar nicht, aber:
"Etwas anderes ist es, wenn gerade dort, wo billige Rohstoffe verfügbar
sind, neue Produktionsstätten aufgebaut werden. Dann entsteht eine neue
Wettbewerbssituation". Und wenn die westlichen Firmen sich dieser nicht mehr
so ganz stellen mögen, müssen sie nach dem Motto "If you can't beat them,
join them" ("Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließe dich ihnen an") auf
IPIC & Co zugehen. Das kann für Wenning jedoch nicht alles sein.
"Gleichzeitig müssen wir eine dauerhafte Rohstoffversorgung zu günstigen
Preisen sicherstellen", dekretiert er.
Diese Ansicht teilt er mit seinen Kollegen vom „Bundesverband der deutschen
Industrie“ (BDI). Bereits im Jahr 2005 setzte dieser das Thema auf die
Agenda und veranstaltete einen Rohstoff-Kongress, auf dem auch der damalige
Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach - heute hauptberuflich mit der
Ressourcen-Sicherung für die Wirtschaft befasst. Seine Nachfolgerin Angela
Merkel besuchte 2007 das zweite Gipfel-Treffen und versicherte BAYER & Co.
ebenfalls ihren Beistand. Ihrer Ansicht nach wurde „die Betrachtung der
Politik, dass sich die Wirtschaft darum schon ganz allein kümmern kann,
nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten gerecht“, weshalb sie die
Rohstoff-Versorgung nunmehr als „nationales Interesse“ in den Rang eines
Staatsziels erhob. Im von der Bundesregierung eingerichteten „Arbeitskreis
Rohstoffe“ kann der „Ausschuss Rohstoffpolitik“ des BDI seither seine
patriotische Gefühle für Öl, Erdgas, Kupfer, Zink, Nickel und Wolfram
ausleben und zudem auf den schwarz-gelben Koalitionsvertrag bauen. „Der
Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind für die
deutsche Industrie mit ihren Produkten der Hoch- und Spitzentechnologie von
besonderer Bedeutung und unverzichtbare Ziele der Außenwirtschaftspolitik“,
heißt es in dem Dokument.
Rohstoffpolitik heißt dabei für den BDI nicht zuletzt auch Militärpolitik.
„Politische Instabilität der Rohstoff-Förderländer, politisch motivierte
Lieferausfälle oder Liefer-Unterbrechungen sowie Verstaatlichung von
Rohstoff-Betrieben in manchen Förderländern können durch unternehmerische
Instrumente (...) allein nicht kompensiert werden (...) Dies ist Grund genug
zur Befassung der Außen- und Sicherheitspolitik mit den Problemen der
Rohstoff-Versorgung“, befanden BAYER & Co. auf dem Rohstoff-Kongress von
2005.
Auf der Nachfolge-Veranstaltung zwei Jahre später schlugen die Industriellen
noch schärfere Töne an. „Herzlich willkommen zu Beginn des ‚Zweiten Kalten
Krieges‘, dem ‚Kampf um Rohstoffe‘. Diese und ähnliche Begriffe prägen
zunehmend die Diskussion um unsere Rohstoff-Versorgung und unsere
Wettbewerbsfähigkeit. Dabei sind es längst nicht mehr nur reißerische
Schlagzeilen in den Medien“, mit diesen Worten eröffnete Kurt Grillo, der
Leiter des BDI-Ausschusses „Rohstoffpolitik“, die Tagung.
In dem Zukunftsszenario zur „Energiesicherheit 2050“, das der heutige
Innenminister Thomas de Maizière 2007 in seiner damaligen Funktion als
Kanzleramtsminister bei Sicherheitsexperten und Wirtschaftsmanagern
bestellte, war dann aus dem Kalten Krieg schon ein heißer geworden. In einem
ihrer Planspiele gingen die Autoren - unter anderem Emissäre vom
„Führungszentrum Luftwaffe“, vom Bundeswehrverband, vom BKA, von BAYER und
von der Deutschen Bahn - von „drohenden Auseinandersetzungen mit China und
Russland“ aus.
Solche Waffenbrüderschaften zwischen Generälen und Global Playern haben
schon seit einiger Zeit Konjunktur. Beim alljährlich von der COMMERZBANK und
der 1. Panzerdivision veranstalteten „Celler Trialog“ können sich die
Manager mit Militärs und zusätzlich mit MandatsträgerInnen austauschen.
Zudem kommt mittlerweile kaum noch ein wichtiges Treffen der einen ohne die
anderen aus. So reiste Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg Ende
Januar 2010 wie selbstverständlich zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos. Er
lud die Vorstandsvorsitzenden von BAYER & Co. zu einer Kaffeerunde und
versprach ihnen, die Verteidigungspolitik noch mehr auf ihre
Beschaffungsbedürfnisse zuzuschneiden. Eine „Neugestaltung der deutschen
Sicherheitspolitik“ forderte er nämlich laut Welt, weil die Sicherheit des
Landes maßgeblich von einer sicheren Versorgung mit Energie-Rohstoffen
abhänge und sich da in letzter Zeit zu viele Unsicherheitsfaktoren aufgetan
hätten. Als Beispiele nannte der CSU-Politiker die Instabilität einiger
Transferländer, Piraterie und anschlagsgefährdete Pipelines.
Wenig später bei der Münchner Sicherheitskonferenz war wiederum der BDI mit
von der Partie und setzte das Thema „Risiko Rohstoff-Versorgung“ auf die
Tagesordnung. Große Überzeugungsarbeit brauchte der Verband dabei nicht zu
leisten, denn Sicherheitskonferenz-Leiter Wolfgang Ischinger erkannte den
Ernst der Lage. „Ich habe an einigen Gesprächen über so genannte seltene
Erden teilgenommen - Substanzen, die man in der Vergangenheit kaum brauchte,
für moderne Technologien wie den Elektro-Antrieb aber in rauen Mengen
benötigt werden. Hier zeichnet sich eine monopolartige Stellung einiger
weniger Staaten ab, schlimmer als beim Öl. Die Sicherung der Versorgung ist
auch eine strategische staatliche Aufgabe“, konstatierte er in der
Wirtschaftswoche.
Die Bundeswehr ist für eine solche gerüstet. Bereits die
„verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 1992 verpflichteten sich auf die
„Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu
Märkten und Rohstoffen auf aller Welt“. Das 2006 erschienene
Bundeswehr-Weißbuch macht die Gewährleistung der „Sicherheit der
Energie-Infrastruktur“ gleichfalls zur Aufgabe der Truppe. Und auch die 1991
in Rom verabschiedete NATO-Strategie sieht bei einer „Unterbrechung der
Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen“ einen Einsatz vor. Das neue Konzept des
Militärbündnisses dürfte der Rohstoff-Frage noch mehr Aufmerksamkeit widmen.
Unter den neuen Bedrohungen, denen gegenüber die NATO sich im 21.
Jahrhundert gewappnet zeigen müsse, rangierten für die US-Außenministerin
Hillary Clinton bei ihrem Auftritt vor der französischen Militärakademie
Ende Januar in Paris Engpässe bei Öl & Co. ganz oben. „Energie-Sicherheit
hat eine besonders hohe Priorität. Länder, die sich in Bezug auf eine
Kappung der Energie-Zufuhr verletzlich zeigen, müssen nicht nur mit
ökonomischen Konsequenzen, sondern auch mit strategische Risiken rechnen“,
so Clinton warnend.
Auch in der Praxis tut sich schon so einiges. Die EU-Mission EUFOR im Kongo
2006 verfolgte mitnichten das offiziell angegebene Ziel, den regulären
Ablauf der Präsidenten-Wahl zu garantieren. Es ging vielmehr darum, China
und den USA beim Run auf Coltan, Kupfer und Kobalt zuvorzukommen. Nur sagen
durfte man dies nicht, wie der damalige Staatssekretär im
Verteidigungsministerium, Walter Stützle in einem Phoenix-Interview
bedauerte. „Im Kongo ist das Problem, dass der Öffentlichkeit von der
Bundeskanzlerin nicht gesagt worden ist, worum es eigentlich geht. Das
konnte man in Paris sehr deutlich hören. In Paris hat man gehört, wir können
Afrika nicht China und den Vereinigten Staaten überlassen, Punkt (...) Da
man das aber eigentlich nicht sagen wollte, hat man dann die Erfindung mit
der Wahl gemacht“, plauderte Stützle aus dem Nähkästchen. Gegenwärtig ist
die Bundeswehr im Osten des Kongo, am Horn von Afrika, aktiv. Im Rahmen der
„Operation Enduring Freedom“ (OEF) schützt sie dort unter anderem die vom
Persischen Golf durch den Suezkanal nach Europa verlaufende Öl-Route vor
Piraten. Und auch am Hindukusch wird die Ressourcen-Sicherheit der Konzerne
verteidigt. Das Thema „Afghanistan“ müsse man ebenfalls im
energie-politischen Kontext sehen, so Guttenberg in der trauten Davoser
Runde mit Wenning und anderen bundesdeutschen Managern.
* Der vollständige Artikel ist in dem vierteljährlich erscheinenden Magazin Stichwort BAYER erschienen. Stichwort BAYER kann nur mit Ihrer Hilfe fortbestehen. Ein Abonnement können sie online einrichten unter
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