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Die Währung des schwarzen Goldes

Der Ölkrieg wird auch um die Vorherrschaft von Dollar und Euro geführt

Im Folgenden dokumentieren wir - leicht gekürzt - einen Artikel von Elmar Altvater, der in gedruckter Form in "Sand im Getriebe" Nummer 17 erschien und für die Website der Gewerkschaft ver.di überarbeitet worden ist. Dem Beitrag lag ein Vortrag zugrunde, den Elmar Altvater am 10./11. März 2003 auf der Friedenspolitischen Konferenz von ver.di in Potsdam gehalten hatte.


Von Elmar Altvater*

(...)
Die Unterstellung, dass der Irak die Welt mit Massenvernichtungswaffen bedrohe, ist zwar rational, aber aus vielen Gründen völlig unglaubwürdig und daher ungeeignet als Begründung für einen "vorbeugenden" oder "vorwegnehmenden" (preventive, preemptive) Krieg, wie in der "Bush-Doktrin" vom September 2002 definiert, zu dienen.

US-Amerikaner und Briten kontrollieren seit mehr als einem Jahrzehnt mit ihren seit 1991 bislang mehr als 240.000 (pro Tag also fast 70) Einsätzen im Luftraum des Irak fast jeden Quadratzentimeter. Satelliten liefern zusätzliche Bilder des irakischen Territoriums, und Telefongespräche werden flächendeckend abgehört; Powell hat dies im Sicherheitsrat der UNO am 4. Februar 2003 bestätigt.

Das militärische Potential des Irak ist durch die Inspektionen bis 1998 abgerüstet oder es ist veraltet, und der noch verbliebene Rest könnte - wie im Falle Südafrikas nach dem Ende des Apartheid-Regimes geschehen - in ein bis zwei Jahren vollständig vernichtet oder für friedliche Zwecke recycled werden. Niemals waren die Bedingungen besser für das Gelingen einer solchen Strategie, die freilich nur zu Ende geführt werden kann, wenn die aggressive Bedrohung durch die US-amerikanische Umzingelung des Landes schwindet.

Ein durch die Diktatur Saddam Husseins ausgepowertes, verarmtes und infolge des zehnjährigen Embargos lethargisch gewordenes Volk von 26 Millionen Menschen gegen den Rest der Welt, letztere angeführt von der hoch gerüsteten US-Army und ihrer Air Force? Irgendwie grenzt die Mär von der irakischen Bedrohung ans Lächerliche, zumal angesichts des hochgerüsteten Israel, wenige hundert Kilometer westlich von Bagdad.. Die "präventive Verteidigung" durch das amerikanische Militär am Golf ist nichts als die Vorbereitung einer Aggression, die von der UNO-Charta verboten ist.

Das wissen auch die Strategen des Weißen Hauses. Condoleezza Rice hat die irakischen Waffen der Massenvernichtung (sofern sie überhaupt existieren) als "unusable" bezeichnet, "weil jeder Versuch sie zu nutzen, unweigerlich die nationale Selbstvernichtung nach sich ziehen" würde. Und die New York Times fragt denn auch nach diesem Zitat aus dem Artikel von Condoleezza Rice: "If Iraq's chemical, biological and nuclear arsenal is ‚unusable'... why do the president and Ms. Rice favor war?" (John J Mearsheimer and Stephen M. Walt, Keeping Saddam Hussein in a Box, in: NYT 1./ 2. 2.03).

Der vorbereitete Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen, erst recht nicht mit dem Rückgriff auf die scholastische Lehre vom "gerechten Krieg", die sogar einige US-amerikanischen Liberale zur Verteidigung des Kriegs gegen den Terror heranziehen zu müssen glauben ("American values", "What We're Fighting For"). In der UNO-Charta ist nach den schrecklichen Erfahrungen der zwei Weltkriege daher jeglicher Krieg geächtet (Art. 2,4) und explizit nur ein gerechtfertigter Grund für einen Krieg genannt: nämlich als Abwehr einer bewaffneten Aggression (Art. 51).

Der Großinquisitor

So wie Irrationalismen rationale Verfolgung von Interessen (an der Spaltung Europas) kaschieren können, schlagen rationale Argumente in pure Irrationalität um. Werden bei den Inspektionen keine Massenvernichtungswaffen gefunden, dann ist dies kein Beleg dafür, dass sie nicht existieren, sondern dafür, dass sie gut versteckt sind. Mehr noch: dies wird als Beleg dafür genommen, dass der Irak die UNO-Resolution 1441 verletzt habe und das Land daher "schwer wiegenden Konsequenzen tragen", also mit Krieg überzogen werden müsse.

Erstens ist es eher unwahrscheinlich, dass Militärs mehr finden als Inspektoren, zumal wenn das Gesuchte gar nicht existiert. Zweitens folgt die Beweisführung der Bush-Gruppe dem Muster der Heiligen Inquisition des ausgehenden Mittelalters, für deren Verbrechen sich der Vatikan erst kürzlich hat entschuldigen müssen. Leugnet ein verhextes Wesen seine Hexereien, dann gilt dies nur als Ausdruck der Verstocktheit und der Blasphemie. Der Teufel kann dann nur mit den Werkzeugen der Folter gewaltsam aus dem Leib des oder der Unglücklichen getrieben werden. Denn der Teufel ist da, wie die Heilige Inquisition weiß; und die Massenvernichtungswaffen, die aus Deutschland und den USA an Saddam Hussein zur Massakrierung seiner Landsleute geliefert worden sind, sind noch vorhanden.

Tatsächlich benutzt Präsident Bush die Sprache eines Großinquisitors - und er scheint auch bereit zu sein, seine Knechte das Werk der Teufelsaustreibung (sprich der Saddam-Vertreibung) mit den militärischen Mitteln der Moderne durchführen zu lassen, die so gar nicht an spätmittelalterliche Folterkammern erinnern, aber effizienter viel mehr Leid über die betroffenen Menschen bringen können, die selbst im Sinne der Inquisition unschuldig wären und daher als "Kollateralschäden" mit dem Ausdruck des Bedauerns verbucht werden.

Die USA würden die von Großinquisitor Bush und den anderen "Falken" angedrohte gewaltsame "Abrüstung" des Irak auch mit ihrer Militärmacht allein schaffen. Denn der Irak ist schwach, einer militärischen Attacke der USA würden das Land und die Menschen nicht sehr lange widerstehen können. Sie wissen aber, dass sie mit ihrer Aggression das Völkerrecht, die UN-Charta, die Menschenrechte, die Prinzipien der Weltordnung der vergangenen 50 Jahre verletzen und die Neue Weltordnung (Bush Vater nannte sie während des Golfkriegs von 1991 noch eine "Neue moralische Weltrodnung") auf die Gewalt der USA und nicht mehr auf universelle Rechtsprinzipien bauen.

Also wird das "neue Europa" ins Boot geholt, denn so sind es viele Regierungen, die sich des Rechtsbruchs, ja einer gemäß UNO-Charta kriminellen Aggression schuldig machen und, wie geflissentliche Advokaten kund tun, auf diese infame Weise "neues Völkerrecht" schöpfen - ein vormodernes Recht wie im Mittelalter, letztlich eine Auslieferung der Welt an den Zustand permanenter Rechtlosigkeit und Gewalt. Der Sieg des Terrorismus könnte perfekter nicht sein.

Doch der Rechtsbruch im Kollektiv verschafft Erleichterung, Legitimation - und Belohnung. Präsident Bush hat mit Blick auf Russland zum Ausdruck gebracht, dass er "Russlands Interessen da unten verstanden habe"... "And of course those interests will be honoured" (International Herald Tribune, November 23-24, 2002, p 4). Der republikanische Senator Richard Lugar "ließ…. durch einen Sprecher mitteilen, Frankreich und Russland müssten sich an einem Angriff auf den Irak beteiligen, wenn sie von irakischem Öl profitieren wollten. Sie müssten sich sowohl an den militärischen Anstrengungen als auch an den Kosten beteiligen,. Nur dann könnten sie Zugang zu irakischem Öl bekommen" (NZZ, 24. 1. 03, S. 2).

Und die Türkei darf Teile des Nordiraks besetzen, um einen Kurdenstaat zu verhindern und die Hand nach Mosul und Kirkuk, wo die nordirakischen Ölfelder liegen, auszustrecken. Nur darf sie dabei nicht zu gierig sein und von den USA mit einer Finanzspritze von 92 Mrd US$ zugleich die Lösung ihrer schweren Finanzkrise erwarten (FTD, 20.2.03). Kann man dies anders denn als Politik der Erpressung und Bestechung bezeichnen, als eine Politik, die Korruption zum ultimativen Prinzip des Empire erhoben hat?

Das Fell des Bären wird schamlos wie in einer Räuberbande verteilt, bevor der Bär erlegt worden ist. Es geht also doch um das schwarze Gold, um Öl, von dem auf dem Territorium des Irak reichlich zu finden ist, an die 112 Milliarden Barrel. Sollen also die irakischen Ölfelder besetzt werden, um sie unter den Mitgliedern der Allianz aufzuteilen und dann leer zu pumpen? Wohl kaum. Denn dann würde es wahrscheinlich lange dauern, bis die Kosten des Krieges, die auf 100 Milliarden, ja von manchen auf bis zu 1000 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, hereinkämen und die diversen Interessen der "Alliierten" befriedigt werden könnten. Dann müssten bei einem unterstellten Preis pro Barrel Öl von 30 US-Dollar zwischen 3,3 und 33 Milliarden Barrel verkauft werden, und dabei sind die Förder- und Transportkosten und der Profit noch gar nicht berücksichtigt.

Gegenwärtig liegt die irakische Tagesproduktion bei 2,5 Millionen Barrel; sie könnte nach dem Krieg eventuell auf 6 Millionen Barrel gesteigert werden, wenn der Krieg kurz und bündig ist und die "chirurgischen" Schnitte nicht zu heftigem Wundbrand führen. Dann könnte im günstigsten Fall in zirka 555 Tagen die Menge Öl gefördert werden, die zur Begleichung der Kriegskosten benötigt wird. Das wären rund 3 Prozent der unterstellten Reserven des Irak. Die Kriegskosten würden im ungünstigsten Fall jedoch bis an die 30 Prozent der Reserven auffressen oder die Weltproduktion von Erdöl (derzeit jährlich 22 Milliarden Barrel) von eineinhalb Jahren. Die Spannweiten der Schätzungen verdeutlichen bereits, dass die Besetzung der Ölfelder kein besonders rationales Unterfangen sein kann.

Der Preis ist hoch, zumal die indirekten Effekte eines Kriegs gar nicht kalkuliert werden können. Was ist mit den zivilen Opfern, sind das nur bedauernswerte "Kollateralschäden" oder verschaffen die sich nicht vielleicht durch Sabotage auch im schnöde ökonomisch-militärischen Machtkalkül Geltung? Wird also eine neue Generation von "Terroristen" genährt, wie der Ex-Nato-Oberbefehlshaber Clark befürchtet? Der Griff nach dem schwarzen Gold des Irak führt in eine schwarze Zukunft. Noch werden diese Fragen ausgeklammert, denn sie stellen die Rationalität des kriegerischen Zugriffs auf das Öl des nahen und mittleren Osten und Zentralasiens in Frage.

Geoökonomischer Markt und geopolitische Macht

Doch wer die Ölreserven beherrscht, hat viele Trümpfe in der Hand und kann daher höher reizen als die anderen Mitspieler.

Erstes Faktum ist: Die Rate der Erschöpfung bekannter Felder liegt seit den 90er Jahren höher als die Rate der neu gefundenen und erschlossenen Felder. Die Ausbeutung beträgt derzeit zirka 22 Milliarden Barrel pro Jahr, es werden aber nur im Durchschnitt 6 Milliarden Barrel pro Jahr neu gefunden. Der Höhepunkt der globalen Ölproduktion ist also überschritten; die schönen Zeiten, in denen die Funde neuer Lagerstätten größer waren als die Ausbeute, sind vorüber - und sie kommen niemals wieder, wie Geologen bestätigen.

Aber da war doch die sprunghafte Steigerung der Öl-Reserven Mitte der 80er Jahre? Sie war nichts als ein Trick der Buchführung. Einige OPEC-Staaten setzten ihre Reserven nach oben, um auf diese Weise ihre Förderquoten innerhalb des Kartells zu steigern. Saddam Hussein begann 1983 (und setzte seine geschätzten Reserven von unter 30 Milliarden Barrel auf 41 Milliarden Barrel herauf), um den von den Westmächten geduldeten und unterstützten Krieg gegen den Iran und die eigene Bevölkerung zu finanzieren. Venezuela und Kuwait, Abu Dhabi und schließlich Saudi Arabien folgten.
Neue Felder von Bedeutung sind in den vergangenen Jahren nur am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres gefunden worden. Man rechnet derzeit mit Reserven von zirka 15 bis 20 Milliarden Barrel.

Zweites Faktum: Der Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan bot den USA die Gelegenheit, militärisch auch in den zentralasiatischen Ländern Fuß zu fassen, nahe an den neuen Ölquellen und in jenen Ländern, durch die die Pipelines verlaufen werden, wenn sie denn erst gebaut sind. Außerdem wird geopolitisch Zentralasien aus dem Einflussbereich Russlands und Chinas, aber auch Indiens und des Iran herausgehalten.

Die westeuropäischen Verbündeten der USA dürfen in Afghanistan für Frieden sorgen, die Stützpunkte in Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan oder Turkmenistan halten die USA. Es ist, als ob das Sassanidenreich, das sich vor 1500 Jahren vom Zweistromland bis zum Hindukusch dehnte, unter transatlantischer Führung von Washington aus gelenkt, neu erstehen sollte, wenn denn nach dem Irakkrieg in Bagdad ein US-geführtes Militärregime eingesetzt werden sollte.

Gerade angesichts steigender Nachfrage nach dem schwarzen Stoff, da ja China, Indien und andere Länder bei der Industrialisierung nachziehen wollen - und müssen, wenn sie das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) respektieren - ist die Herrschaft über Ölproduktion und Ölmarkt entscheidend. Wer meint, bei der Versorgung mit diesem Treibstoff der Industriegesellschaften würden Marktgesetze mit "unsichtbarer Hand" wirken, ist blind für die sehr sichtbare Hand der politischen und militärischen Macht.

Es geht um geopolitische Herrschaft über die bekannten Reserven und um Zugang zu vermuteten Ölfeldern, und es geht um die Fähigkeit, den Ölpreis zu beeinflussen und die Währung, in der er fakturiert wird. Der Markt der Geoökonomie und die politische und militärische Macht wirken zusammen. Daher können die USA zugleich neoliberal das Hohelied auf den Markt und die Konkurrenz erschallen lassen und die Trommeln der Geopolitik rühren. Der Irak ist deshalb für die Geopolitiker in Washington interessant, weil er erstens über 11Prozent der globalen Reserven, noch dazu von hoher Qualität verfügt, und weil er zweitens den geopolitischen Raum Zentralasiens und des Nahen und Mittleren Ostens verbindet.

Öldiplomatie

Gibt es noch sonstige Reserven auf dem Globus? Die Felder am Kaspischen Meer dürften etwa 1,5 bis 2 Prozent der globalen Reserven betragen; der Zugang ist den USA gesichert. Von weiteren, noch wenig oder noch nicht ausgebeuteten Reserven weiß man die ungefähre Lage: Reserven sind noch an der brasilianischen Atlantikküste, im Atlantik vor Westafrika, im Gürtel von Mauretanien bis zum Sudan, in Grönland zu vermuten - allerdings längst nicht in der Größenordnung wie die Funde der vergangenen Jahrzehnte. Der Höhepunkt der Ölförderung ist überschritten. Jetzt finden die Kämpfe um die Verteilung der noch nicht verbrauchten Hälfte aller Ölressourcen statt.

Nicht überall kommt es zum Krieg um das Öl. Die Öl-Diplomatie ist vorgeschaltet, und auch hier haben die USA die Nase vorn. Im Fall des west-saharanischen Öls ist der ehemalige US-Außenminister James Baker zum persönlichen Gesandten Kofi Annans bei der Schlichtung des Westsahara-Konflikts ernannt worden. Baker hat zusammen mit anderen Vertrauten der texanischen Ölindustrie alles daran gesetzt, Marokko die Landrechte zu geben, und nicht den Sahauris. So war es möglich, Abkommen zwischen Marokko, TotalElf Aquitaine und der texanischen Ölfirma Kerr McGee auch gegen internationales Recht und die Ansprüche der Sahauris durchzusetzen (Wayne Madsen, Big Oil and James Baker Target the Western Sahara, in: allAfrica, 9.1.2003). Sollten sich die Sahauris dagegen zur Wehr setzen, können sie leicht als Terroristen deklariert werden, mit der Folge, dass Bankguthaben eingefroren und die Führer verfolgt und verhaftet werden können. So erweist sich der international geführte "Kampf gegen den Terrorismus" als scharfe Waffe der Öl-Diplomatie.

Der Ölpreis wird steigen

Die geopolitische Herrschaft über die alten und neu hinzu kommenden Reserven macht freilich nur Sinn, wenn auch die geoökonomische Preisbildung kontrolliert werden kann. Zunächst kann die OPEC vergessen werden, wenn das größte Öl-Verbrauchsland, die USA, am Preishebel sitzt und nicht mehr die Förderländer und ihr Kartell. Allerdings war es schon während des ersten Golfkriegs deutlich, dass die reichen Öl- und Sandstaaten infolge des "Recycling" ihrer Petrodollar starke monetäre Interessen in den Industrieländern (im Immobilienbereich, in der Industrie, in Banken und Fonds) haben, die sie dazu veranlassen, den Ölpreis niedrig zu halten, sofern ein hoher Ölpreis ihrer finanziellen Interessen schaden würde. Ganz andere Interessen haben die bevölkerungsreichen Ölländer, denen die Exporteinnahmen wegbrechen, wenn der Ölpreis sinkt.

Viele gehen davon aus, ein Kriegsgrund wäre das Interesse an einem niedrigen Ölpreis. Dieses Interesse teilen, wie schon ausgeführt, die Öl- und Sand-Staaten, die Öl importierenden Entwicklungsländer, die Öl-abhängigen Industrien der Industrieländer. Doch angesichts der zur Neige gehenden Reserven wird ein niedriger Ölpreis allenfalls vorübergehend nostalgische Erinnerungen an die kurze Epoche der billigen Energien erwecken können.

Der Ölpreis wird steigen, jedoch nicht aus ökologischen Gründen, um die Produktion und Konsumtion vom Öl unabhängiger zu machen und alternative Energien zu fördern. Der Preis des Öls wird erstens nach oben geführt, um die Ausbeutung nicht-konventioneller Ölreserven, vom Ölsand und Ölschiefer bis zum Öl aus der Tiefsee und zu Gaskondensaten rentabel zu gestalten. Diese "nicht-konventionellen" fossilen Energieträger sind ökologisch noch schädlicher als Förderung und Verbrauch des konventionellen Öls. Die "Kollateralschäden" der Förderung an der Natur sind enorm und die Freisetzung von klimaschädlichen Gasen ist sehr hoch.

Ein hoher Ölpreis könnte zweitens auch Voraussetzung für die Rentabilität jener Fördergebiete sein, die hohe Transportskosten aufweisen (Pipelines vom kaspischen Meer und von Kasachstan zu Häfen am Golf, am Mittelmeer oder am indischen Ozean) und die hohe Kosten militärischer Sicherung der Transportwege verursachen. Im Rahmen des "Plan Colombia" sind im Februar 2003 vom US-Kongress insgesamt 532 Millionen Dollar Militärhilfe genehmigt worden, darunter 92 Millionen US-Dollar für die "Brigade XVII, deren alleinige Aufgabe darin besteht, eine Ölpipeline der Oxidental Petroleum zu sichern" (TAZ, 17. Februar 2003). Nicht nur wegen der größeren Knappheit des Öls steigt der Preis, sondern auch wegen der steigenden Kosten der militärischen Sicherung der Trassen gegen Sabotage oder terroristische Attacken, also aus geostrategischen Gründen.

In welcher Währung wird der Ölpreis steigen, in Dollar oder Euro?

Für die USA insgesamt, also nicht nur die Ölindustrie, die Energiehändler und Ausrüster wäre die Verteuerung des Öls nicht unbedingt nachteilig. Denn teures Öl würde erstens China und Japan und andere tatsächliche oder potentielle Konkurrenten der USA treffen. Auch das alte ebenso wie das neue Europa würden die Nachteile des teuren Treibstoffs der industriellen ebenso wie post-industriellen Gesellschaft spüren.

Dies wird so lange so sein, wie das Öl in US-Dollar fakturiert wird. Die Kontrolle eines großen Teils des Angebots auf den globalen Ölmärkten durch die USA würde zweitens dafür sorgen, dass die Ölrechnungen auch in Zukunft in US-Dollar ausgestellt werden. Das möglicherweise ist ein entscheidendes Motiv für die brutale Konsequenz, mit der der Irak unter US-Einfluss gebracht werden soll. Die US-amerikanischen Eliten versprechen sich auch in Zukunft, die Ölrechnung in Dollar begleichen zu können, obwohl der Dollar stark abwertungsverdächtig ist.

Für die USA ist diese Aussicht wie ein Märchen aus Scheherazades Tausend und Einer Nacht. Sie würden den Lebenssaft ihrer Ökonomie fast umsonst bekommen. Die Druckerei der Federal Reserve verwandelte sich in eine sprudelnde Ölquelle. Dollar können in jeder gewünschten Menge "gedruckt" werden, um das Öl zu importieren.

Die goldenen Zeiten des "twin-deficits", die der US-Mittelklasse einen Konsumrausch in den 90er Jahren bescherten, ließen sich auch gegen die Miesmacher von der OECD fortsetzen, die von den US-Bürgern eine höhere Sparquote als die derzeit 3 Prozent verlangen. Die USA könnten auch weiterhin damit rechnen, dass Ausländer (vor allem die ostasiatischen Zentralbanken in der Höhe von 927 Milliarden US-Dollar, darunter Japan 479 Milliarden US-Dollar und China 286 Milliarden US-Dollar) US-Staatsanleihen kaufen und auf diese Weise des Großinquisitors Haushaltsdefizit von mehr als 300 Milliarden US-Dollar und das Handelsbilanzdefizit von fast 600 Milliarden US-Dollar finanzieren. Das Öl wäre sozusagen der Wertanker des US-Dollar, eine multifunktionale Waffe in der Währungskonkurrenz, vor allem mit dem Euro.

Allerdings kann diese Strategie einer Inflationierung der Weltwirtschaft auch schief gehen. Die großen Ölfirmen würden zwar mitspielen. Denn der "Shareholder-value" hängt von den Reserven ab, die die Firmen angeben können. Da kommt es durchaus zu Pass, wenn Ansprüche an die seit 1972 verstaatlichten Ölfelder durchgesetzt werden könnten. Das was US-Amerikaner und Briten 1952 im Iran unter Mossadeq durchsetzten, nämlich die Privatisierung der verstaatlichten Ölindustrie, ließe sich im Irak mehr als ein halbes Jahrhundert später wiederholen. Private Profite, Aktienkurse und damit auch die Gehälter der Manager können steigen. Auch ein Teil der Rüstungsfirmen würde gewinnen.

Doch sollte der Krieg nicht schnell zu Ende gebracht werden und länger dauern, dann kann es auch zu einer Flucht aus dem US-Dollar und mithin zu dessen Abwertung kommen. Das befürchten auch die ostasiatischen Zentralbanken und daher scheint es so, als ob sie bereits begonnen hätten, vorsichtig ihre Dollar-Reserven in andere Währungen, vor allem den Euro, umzuschichten.

Von der Währungskonkurrenz zum Währungskrieg

Sollte sich diese Tendenz durchsetzen, wäre das der Super-Gau der Bush-Regierung. Das Öl würde nicht mehr in US-Dollar, sondern beispielsweise in Euro fakturiert, oder der Preis würde wie 1973 abrupt steigen, sofern sich eine Gelegenheit wie damals der israelisch-arabische Krieg bietet. Bei dem riesigen Handelsbilanzdefizit der USA würde die Finanzierung von notwendigen Ölimporten in Fremdwährung für die USA ein nahezu unlösbares Problem, denn die eigene Produktion ist um jährlich zirka 300.000 Barrel rückläufig und der größte Teil des Ölverbrauchs in den USA wird importiert.

Der Auseinandersetzung um das Erdöl, um die Herrschaft über Reserven und die Preisbildung, folgt die Auseinandersetzung um die Währung, in der das Öl fakturiert wird. Die Währungskonkurrenz zwischen Dollar und Euro und Yen würde zum Währungskrieg eskalieren. Der derzeitige Konflikt zwischen "altem" und "neuem" Europa dürfte sich zuspitzen, und zwar in der Frontstellung zwischen den Mitgliedern von Euroland und den anderen Europäern. Spanien und Italien müssten wohl die Fronten zum "alten Europa" wechseln. Das "neue" Europa könnte sehr bald so alt aussehen wie die "new economy" nach dem Absturz.

Da die Lücke zwischen Produktion und Verbrauch immer weiter klafft, wird der Ölpreis auch durch Marktmechanismen nach oben getrieben. Vielleicht wird es nochmals eine kurze Phase niedriger Ölpreise geben, wenn der Krieg kurz ist und die Förderung auf den irakischen Felder schnell hoch gefahren werden kann. Langfristig jedoch wird der Ölpreis unweigerlich steigen. Dabei stellt sich die Frage, in welcher Währung.

Das ist ein Kern des Kriegs um das schwarze Gold. Und daher kommt es schon heute darauf an, nach alternativen Energien zu suchen, also die solaren Energieträger zu entwickeln, zumal diese nicht den Nachteil der fossilen Energieträger haben, dass sie das Klima aufheizen. Dies könnte auch die längerfristige europäische Antwort auf die Herausforderungen des Ölkriegs sein. Wenn nicht in diese Richtung umgesteuert wird, findet nur ein Austausch des Dollar-Imperialismus durch einen wie auch immer gearteten Euro-Imperialismus statt - mit kurzer Halbwertzeit, wie vermutet werden muss.

Insofern ist die US-Politik konsequent. Die USA greifen nach den fossilen Energieressourcen, versuchen Angebot und Preisbildung sowie die Währung des schwarzen Goldes zu beeinflussen und sie weigern sich zugleich, die Emissionen von Kohlendioxid, wie im Kyoto-Protokoll vorgesehen, zu begrenzen. Und sie sind bereit, einen Krieg anzuzetteln. Das schwarze Gold hat eine schwarze Zukunft.

* Dr. Elmar Altvater, Professor für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Quelle: www.verdi.de



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